Untersuchungshaft schließt Kindergeld nicht kategorisch aus
Nach § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i. V. m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG wird ein Kind, das das 18., aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat, bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen beim Kindergeldberechtigten berücksichtigt, wenn es für einen Beruf ausgebildet wird. Nach dem Wortlaut muss die Ausbildung tatsächlich durchgeführt werden.
Eine Unterbrechung der Ausbildung infolge Erkrankung oder Mutterschaft ist für den Anspruch auf Kindergeld aber grundsätzlich unschädlich. Hat ein Kind einen Ausbildungsplatz und ist ausbildungswillig, aus objektiven Gründen aber zeitweise nicht dazu in der Lage, die Ausbildung fortzusetzen, ist es ebenso zu behandeln wie ein Kind, das sich ernsthaft um einen Ausbildungsplatz bemüht, einen solchen aber nicht findet und deshalb nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG zu berücksichtigen ist.
BFH-Entscheidung zur Untersuchungshaft
Entsprechend dieser Grundsätze hatte der BFH entschieden (Urteil v. 20.7.2006, III R 69/04,Haufe Index 1581437) dass ein Kind weiterhin als "in Ausbildung befindlich" zu behandeln ist, wenn es in Untersuchungshaft genommen oder wegen eines laufenden Strafverfahrens im Ausland nicht ausreisen darf und deshalb eine begonnene Ausbildung nicht fortsetzen kann. Auch in diesem Fall beruht der Umstand, dass die Ausbildung vorübergehend unterbrochen ist, nicht auf dem Willen des Kindes. Ein Kindergeldanspruch besteht aber nur dann, wenn es nach dem Absolvieren der Untersuchungshaft zu keiner Verurteilung gekommen ist (BFH, Urteil v. 23.1.2013, XI R 50/10, Haufe Index 3725266). So liegt z. B. eine kindergeldschädliche Unterbrechung einer Berufsausbildung vor, wenn ein später rechtskräftig verurteiltes Kind sich in Haft befindet und sich während dieser Zeit von seinem Studium hat beurlauben lassen.
Verwaltung erkennt Rechtsprechung des BFH nicht an
Nach den Verwaltungsvorschriften tritt aber grundsätzlich eine kindergeldschädliche Unterbrechung der Ausbildung ein, wenn ein Kind in Untersuchungs- oder Strafhaft genommen wird, es sei denn, eine Ausbildung wird während der Haft fortgesetzt (DA-KG 2016 A 15.10 Abs. 8). Demnach setzt die Verwaltung die Untersuchungshaft mit einer Strafhaft gleich.
FG Thüringen bestätigt Rechtsprechung
Das FG Thüringen hat aktuell die höchstrichterliche Rechtsprechung bestätigt (Urteil v. 6.4.2017, 1 K 276/15, Haufe Index 11348737). Im zugrunde liegenden Fall wurde einem Kind das Ausbildungsverhältnis gekündigt, nach dem es in Untersuchungshaft genommen wurde. Später erfolgte der Freispruch.
Basierend auf der Rechtsprechung des BFH kam das FG zu dem Ergebnis, dass das Kind durch den Freispruch die Unterbrechung seiner Ausbildung nicht zu vertreten hat. Im Zuge dessen hält das FG das Vorgehen der Verwaltung für nicht nachvollziehbar. Denn während einer Untersuchungshaft findet grundsätzlich keine Ausbildung eines Heranwachsenden statt.
Dies liegt zum einen daran, dass eine Untersuchungshaft regelmäßig den Zeitraum von 6 Monaten nicht überschreiten soll und zum anderen steht von Beginn an nicht fest, wie lange die Untersuchungshaft andauern wird. Die Frage einer Ausbildung während einer Untersuchungshaft stellt sich daher nicht. Eine Regelung, wie bei einer Verhinderung einer Ausbildung durch Untersuchungshaft zu verfahren ist, ist der Verwaltungsanweisung aber nicht zu entnehmen, obwohl sie in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c. vergleichbar geregelt ist.
Revisionsverfahren anhängig
Das FG hat die Revision zugelassen, um der Verwaltung die Gelegenheit zu geben, ihre Verwaltungsanweisung erneut vom BFH prüfen zu lassen. Das Verfahren ist beim BFH wegen der Frage anhängig (III R 16/17), ob Kindergeld für ein Kind gewährt werden kann, dessen Ausbildungsverhältnis aufgrund einer (nicht rechtmäßigen) Untersuchungshaft gekündigt wurde. Vergleichbare Fälle sollten offen gehalten werden, bis der BFH entschieden hat.
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