Beiträge an einen Solidarverein als Vorsorgeaufwendungen
Hintergrund: Absicherung im Krankheitsfall durch einen Solidarverein
A ist freiberuflich tätig. Sie zahlt für ihre Absicherung im Krankheits- und Pflegefall Beiträge an einen eingetragenen Verein. Der Verein (V) ist eine aufsichtsfreie Personenvereinigung gemäß § 1 Abs. 3 Ziff. 1 (heute § 3 Abs. 1 Nr. 1) Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) und keine Krankenkasse oder Krankenversicherung. Die Mitglieder sichern sich gegenseitig verbindlich eine umfassende flexible Krankenversorgung zu, die mindestens dem Niveau der gesetzlichen Krankenversicherung entspricht. Die einkommensabhängigen Beiträge der Mitglieder werden zur Hälfte einem Individualkonto des Mitglieds gutgeschrieben. Die Auszahlung dieses Guthabens kann das Mitglied zur Deckung seiner Krankheitskosten verlangen.
Die andere Hälfte der Beiträge wird einem Solidarfonds gutgeschrieben, aus dem weitere Unterstützungen (auch zur Hilfe im Pflegefall) an die Mitglieder erbracht werden können. Über eine Auszahlung entscheidet der Vorstand. Ein Anspruch besteht nur in Fällen der medizinischen Notwendigkeit. Diese soll dem individuellen Bedarf entsprechen, wobei mindestens das Leistungsniveau der gesetzlichen Pflege- oder Krankenversicherung erreicht werden soll. In anderen Fällen entscheidet der Vorstand nach pflichtgemäßem Ermessen. In Streitfällen ist der ordentliche Rechtsweg ausgeschlossen. Die Mitglieder können statt dessen ein Schlichtungsverfahren und anschließend ggf. ein Schiedsverfahren nach der ZPO einleiten.
A machte die an V gezahlten Beiträge als Sonderausgaben (nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a und b EStG) geltend. Der für Vorsorgeaufwendungen i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 3a EStG geltende Höchstbetrag war bereits durch anderweitige Aufwendungen ausgeschöpft.
Das FA und nachfolgend das FG versagten den Abzug. V sei kein begünstigter Versicherungsträger i.S.v. § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG.
Entscheidung: Der Verein fällt nicht unter § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Satz 1 EStG
Selbst wenn V als "Versicherungsunternehmen" anzusehen wäre, würde ein Sonderausgabenabzug voraussetzen, dass dieses Unternehmen das Versicherungsgeschäft im Inland betreiben darf (Doppelbuchst. aa) oder ihm die Erlaubnis zum Geschäftsbetrieb im Inland erteilt ist (Doppelbuchst. bb). Nach § 8 Abs. 1 des Versicherungsaufsichtsgesetzes bedürfen Versicherungsunternehmen der Erlaubnis der Aufsichtsbehörde. V war indes eine solche Erlaubnis nicht erteilt und die Voraussetzungen etwaiger Ausnahmetatbestände waren nicht erfüllt.
Keine Beschränkung auf Einrichtungen außerhalb des EU-/EWR-Raums
Der BFH widerspricht der Auffassung des FG, der Anwendungsbereich des § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Satz 2 EStG beschränke sich auf Einrichtungen mit Sitz außerhalb des EU-/EWR-Raums. Aus dem Wortlaut folgt kein Ausschluss von Einrichtungen, die ihren Sitz im EU-/EWR-Raum haben. Im Gegenteil lässt die Bezugnahme gerade auf Normen des deutschen Sozialversicherungs- bzw. Privatversicherungsrechts erkennen, dass auch deutsche Einrichtungen erfasst sind. Aus der Einleitung ("Darüber hinaus") des § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Satz 2 EStG folgt nichts anderes. Diese Wendung will im Verhältnis zu Buchst. a Satz 1 nicht etwa einen Gegensatz in der örtlichen Anknüpfung schaffen, sondern die begünstigten Versorgungsträger über die Beschränkungen des Satzes 1 ("Versicherungsunternehmen") hinaus auch auf bestimmte "Einrichtungen" erweitern. Das bestätigt auch die Gesetzessystematik. Gerade der ausdrückliche Bezug des Satzes 2 auf Normen des deutschen Rechts, deren originärer Anwendungsbereich – zumindest auch – Inlandsfälle einbezieht, zeigt, dass ein einkommensteuerrechtlicher Ausschluss von Einrichtungen mit Sitz in EU-/EWR-Staaten hier nicht gewollt sein kann.
Zurückverweisung an das FG
Der BFH hob das FG-Urteil auf und verwies die Sache an das FG zurück. Im zweiten Rechtsgang wird es darauf ankommen, ob es sich bei V um eine Einrichtung handelt, die eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall i.S.d. § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V gewährt und ob auf die Leistungen des V ein Anspruch besteht (§ 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a Satz 1 EStG). Das FG hat die hierzu erforderlichen Feststellungen nachzuholen. Dazu sind neben der Satzung auch weitere Quellen heranzuziehen (Internetauftritt, Werbematerial, Protokolle von Mitgliederversammlungen). Darüber hinaus müsste das FG auch klären, ob ein von § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG vorausgesetzte Anspruch erfordert, dass er für die Zukunft nicht ohne Einverständnis des Mitglieds bzw. Versicherten beseitigt werden kann.
Hinweis: Normwiderspruch zwischen § 10 Abs. 1 und Abs. 2 EStG
Der Senat weist ferner auf den eventuellen Normwiderspruch hin, der darin liegt, dass einerseits in § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a EStG lediglich "Krankenversicherungen" erwähnt sind, andererseits § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Satz 2 EStG aber auch andere "Einrichtungen" – und zwar ausdrücklich für Zwecke des § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a EStG – als zulässige Beitragsempfänger ansieht. Ein solcher Normwiderspruch ließe sich nur dadurch auflösen, dass Beiträge an andere Einrichtungen i.S. des § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Satz 2 EStG die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a EStG auch dann erfüllen, wenn es sich bei dieser Einrichtung nicht zugleich um eine "Krankenversicherung" handelt.
BFH Urteil vom 12.08.2020 - X R 12/19 (veröffentlicht am 18.02.2021)
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