Der BFH konkretisiert die Anforderungen an einen Zeitreihenvergleich
Hintergrund
Der BFH setzt sich mit dieser sehr umfangreichen Entscheidung grundlegend mit der Schätzungsmethode des Zeitreihenvergleichs auseinander. Diese Methode wird von der Finanzverwaltung insbesondere bei der Außenprüfung von Gastronomiebetrieben angewandt. Dabei werden die jährlichen Erlöse und Wareneinkäufe in kleine Einheiten (regelmäßig Wochen) zerlegt und für jede Einheit (Woche) der Rohgewinnaufschlagsatz ermittelt. Der höchste Rohgewinnaufschlagsatz, der sich für einen beliebigen Zehn-Wochen-Zeitraum ergibt, wird sodann auf das gesamte Jahr angewandt, was regelmäßig rechnerisch zu höheren Erlösen führt.
Im Entscheidungsfall ging das FA davon aus, die Buchführung des Gastwirts (G) sei nicht ordnungsgemäß. Es nahm Zuschätzungen aufgrund eines Zeitreihenvergleichs vor. Das FG wies die die Klage (für die noch streitbefangenen Jahre) ab.
Entscheidung
Auch der BFH beanstandet die Buchführung als formell mangelhaft, und zwar bereits deshalb, weil G die Anweisungen zur Programmierung der Registrierkasse, insbesondere die Programmierprotokolle nicht vorlegen konnte. Für die sonach grundsätzlich mögliche Schätzung anhand eines Zeitreihenvergleichs weist der BFH auf Folgendes hin.
- Der Zeitreihenvergleich beruht auf der Annahme, dass das Verhältnis zwischen Wareneinsatz und Erlösen im beachteten Zeitraum (z.B. ein Jahr) weitgehend konstant ist. Ist dies nicht der Fall, ist der Zeitreihenvergleich ungeeignet.
- Das Ergebnis eines Zeitreihenvergleichs kann durch mathematische "Hebelwirkungen" beeinflusst sein. Denn bei unterschiedlich hohem Wareneinkauf in einzelnen Wochen kann sich das Ergebnis je nachdem, welcher Zehn-Wochen-Zeitraum betrachtet wird, erheblich unterschiedlich darstellen.
- Ist die Buchführung formell nicht ordnungsgemäß, sind aber materielle Unrichtigkeiten nicht konkret festgestellt, lässt der Zeitreihenvergleich wegen seiner methodenbedingten Unsicherheiten ("Hebelwirkung") noch keinen sicheren Schluss auf das Vorliegen und den Umfang auch materieller Unrichtigkeiten zu. Hier sind andere Schätzungsmethoden (Vermögenszuwachsrechnung, Geldverkehrsrechnung, Aufschlagskalkulation) vorrangig.
- Steht bereits aus anderen Gründen die materielle Unrichtigkeit fest, kann zwar der Zeitreihenvergleich zur Hinzuschätzung der Höhe nach herangezogen werden. Aber auch hier ist konkret zu prüfen, ob sich nicht eine andere, zu genaueren Ergebnissen führende Schätzungsmethode aufdrängt.
- Jedenfalls sind die Tatsachengrundlagen (Ausgangsparameter) sorgfältig zu ermitteln, da schon geringe Unsicherheiten hinsichtlich des Einkaufs und der Umschlaghäufigkeit der Waren sich aufgrund der Hebelwirkung unverhältnismäßig auf das Schätzungsergebnis auswirken können.
- Das FA muss zumindest eine Vergleichsrechnung (Sensitivitätsanalyse) anstellen. Diese muss verdeutlichen, welche Auswirkungen nicht behebbaren Unsicherheiten bei einzelnen Parametern auf die Ergebnisse des Zeitreihenvergleichs haben können. Diese Unterlagen sind dem Unternehmer bzw. dem Berater und im Klagefall auch dem FG vorzulegen, damit diese den Umfang der im Einzelfall mögliche Fehlermarge einschätzen können.
Da das FG nicht alle diese vom BFH aufgestellten Erfordernisse an einen Zeitreihenvergleichs beachtet hat, hob der BFH das FG-Urteil auf und verwies den Fall an das FG zurück. Das FG hat insbesondere zu prüfen, ob der Betrieb des G von seiner Struktur her überhaupt für die Durchführung eines aussagekräftigen Zeitreihenvergleichs geeignet ist. Ferner kann bzw. soll das FG auch prüfen, ob eine Geldverkehrsrechnung durchführbar ist.
Hinweis
Wichtig für die Praxis ist die Auffassung des BFH, dass die Anweisungen zur Kassenprogrammierung und insbesondere die Programmierprotokolle, die nachträgliche Änderungen dokumentieren, als "sonstige Organisationsunterlagen" i.S.v. § 147 Abs. 1 Nr. 1 AO aufbewahrungspflichtig sind. Beim Einsatz eines programmierbaren Kassensystems stellt daher bereits das Fehlen der Betriebsanleitung und der Programmierprotokolle einen formellen Mangel der Buchführung dar, der grundsätzlich schon für sich genommen zu einer Hinzuschätzung berechtigt. Von den bei diesen Systemen bestehenden Manipulationsmöglichkeiten, auf die Verkäufer ihre Kunden gelegentlich ausdrücklich hinweisen, wird offenbar nicht selten Gebrauch gemacht. Das ergibt sich übrigens sehr instruktiv aus einer Entscheidung des FG Rheinland-Pfalz, die der BFH anführt (FG Rheinland-Pfalz v. 7.1.2015, 5 V 2068/14, ZWH 2015, 117).
Im Übrigen entspricht die Auffassung des BFH im Wesentlichen den schon bisher anerkannten Schätzungsgrundsätzen, sodass die Entscheidung unnötig breit ausgefallen ist. Das FA hat grundsätzlich die Wahl, welche Schätzungsmethode es anwendet. Allerdings hat es von der am ehesten zutreffenden Methode auszugehen und kann auch mathematisch-statistische Regeln anwenden. Dabei darf es aber nicht schematisch vorgehen, sondern hat die Besonderheiten des einzelnen Betriebs zu berücksichtigen. Selbstverständlich ist beim Einsatz mathematisch-statistischer Prüfungsmethoden besonderes Augenmerk auf die Ausgangswerte zu legen, da die Hochrechnung von Ungenauigkeiten unverhältnismäßig auf das Endergebnis durschlagen kann. Eine Plausibilitätskontrolle ist deshalb unerlässlich. Wichtig für die Praxis ist noch der Hinweis, dass dem Unternehmer bzw. seinem Berater das Zahlenwerk des Prüfers, das sehr umfangreich sein kann, vollständig darzulegen ist. Hier muss es auch Aufgabe des FA sein, das Material so darzustellen, dass das Ergebnis nachvollziehbar und die Schätzung nachprüfbar ist.
BFH, Urteil v. 25.3.2015, X R 20/13, veröffentlicht am 22.7.2015
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