AfA beim Erwerb von Vertragsarztpraxen
Hintergrund: Erwerb einer Vertragsarztpraxis zum Verkehrswert mit Zuschlag
Der Radiologe S betrieb neben einer Gemeinschaftspraxis für Radiologie (GbR) eine radiologische Praxis als Einzelunternehmer. S beabsichtigte, seine Kassenarztpraxis aufzugeben und nur noch in einem Teilbereich weiter privatärztlich tätig zu sein. Da der Planungsbereich für Radiologen aufgrund des Versorgungsgrads gesperrt war, hätte ein Verzicht des S zum Erlöschen und Wegfall der Vertragsarztzulassung geführt. S und die GbR vereinbarten daher, dass bei Beendigung der Tätigkeit des S dessen Vertragsarztsitz auf die GbR (bzw. eine Gesellschafterin) übergehen solle. Dem Übernahmepreis wurde ein am Ertragswert orientiertes Wertgutachten zugrunde gelegt und ein Zuschlag zum Verkehrswert vereinbart. Dementsprechend übernahm die GbR das Patientenarchiv und die Archivaufnahmen.
Die GbR behandelte den Übernahmepreis in vollem Umfang als Anschaffungskosten für den Praxiswert und legte der AfA eine dreijährige Nutzungsdauer zugrunde. Das FA ging dagegen davon aus, der an S gehzahlte Kaufpreis sei ausschließlich für den Erwerb der Vertragsarztzulassung gezahlt worden und entfalle somit in vollem Umfang auf ein nicht abnutzbares und damit nicht abschreibbares Wirtschaftsgut. Ebenso entschied das FG.
Entscheidung: Keine Trennung in Zulassungswert und Praxiswert
Für die Ermittlung der AfA ist zwischen dem Erwerb einer Vertragsarztpraxis als Sachgesamtheit (mit sämtlichen materiellen Wirtschaftsgütern und einem Praxiswert) und dem Erwerb nur des immateriellen Wirtschaftsguts des mit einer Vertragsarztzulassung verbundenen wirtschaftlichen Vorteils zu unterscheiden. Erwirbt der Käufer eine Vertragsarztpraxis als einheitliches Chancenpaket, lassen sich die Anaschaffungskosten – soweit sie nicht auf die materiellen Wirtschaftsgüter zu verteilen sind – nicht in den Erwerb des immateriellen Wirtschaftsguts Praxiswert und andere immaterielle Wirtschaftsgüter (Vertragsarztzulassung, Patientenstamm) aufteilen. Denn das erworbene Chancenpaket setzt sich aus verschiedenen wertbildenden Einzelbestandteilen zusammen (Patientenstamm, Standort, Umsatz, Facharztgruppe usw.) und wird hauptsächlich durch den als immaterielles Wirtschaftsgut abschreibbaren Praxiswert repräsentiert. In dem erworbenen Praxiswert sind somit insbesondere der Vorteil aus der Vertragsarztzulassung und der Patientenstamm mitenthalten. Eine gesonderte Bewertung des Vorteils der Zulassung neben oder statt des Praxiswerts kommt mangels eines begründbaren Aufteilungsmaßstabs nicht in Betracht.
Vorteil aus der Vertragsarztzulassung bei ausschließlichem Erwerb nicht abschreibbar
Anders ist es, wenn es – auch wenn eine Praxisübernahme vereinbart ist – wirtschaftlich nur um die mit der Vertragsarztzulassung verbundenen Marktchancen geht (Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung im Zulassungsbereich). In diesem Sonderfall ist Gegenstand des Erwerbs nur der Vorteil aus dem Innehaben der Vertragsarztzulassung (nicht die Praxis), der sich zu einem selbständigen Wirtschaftsgut konkretisiert. Dieser Vorteil ist allerdings nicht abnutzbar und damit auch nicht abschreibbar.
Die Feststellung des Gegenstands der Übertragung (Chancenpaket oder nur Vertragsarztzulassung) bestimmt sich nach den vertraglichen Vereinbarungen. Orientiert sich der Preis am Verkehrswert, spricht dies für den Erwerb als Chancenpaket. Das gilt auch bei Zahlung eines Zuschlags zum Verkehrswert (Überpreis). Denn der Erwerber vergütet dann neben der Ertragskraft des Patientenstamms noch weitere wertbildende Faktoren, die durch den Praxiswert verkörpert werden.
Ausgehend von den im Streitfall vorliegenden Vertragsbestimmungen widerspricht der BFH der Auffassung des FG, die GbR habe den Kaufpreis ausschließlich für den Übergang der Vertragsarztzulassung gezahlt. Denn der Kaufpreis war am Verkehrswert ausgerichtet, zu dem ein Zuschlag gezahlt wurde. Damit besteht die Vermutung, dass Vertragsgegenstand die Praxis als solche und nicht (ausschließlich) die Vertragsarztzulassung war. Dafür spricht auch die Vorstellung der Patientenüberleitung auf die GbR, die Übernahme des Patientenarchivs und eines Teils des Personals des S. Der BFH hob das FG-Urteil auf und verwies die Sache an das FG zurück. Dieses muss noch feststellen, inwieweit die Anschaffungskosten auf erworbene materielle Wirtschaftsgüter und den Praxiswert aufzuteilen sind und wie sich demnach die der GbR zustehende AfA berechnet.
Hinweis: In der Regel Übertragung als Chancenpaket
Der BFH stellt die Gestaltung, dass Vertragsgegenstand lediglich der wirtschaftliche Vorteil aus der Vertragsarztzulassung ist, als Sonderfall heraus. Für den Regelfall dürfte daher bei einer Praxisübernahme von einem Chancenpaket mit entsprechender Abschreibmöglichkeit auszugehen sein. Das gilt auch, wenn – wie im Streitfall – beim Praxiserwerb durch eine GbR (Gemeinschaftspraxis) die Vertragszulassung des Veräußerers einem GbR-Gesellschafter erteilt wird. Die Anschaffungskosten sind auf die materillen Wirtschaftsgüter und den Praxiswert aufzuteilen. Die dreijährige Nutzungsdauer für den Praxiswert liegt am unteren Ende innerhalb der von der Rechtsprechung anerkannten drei- bis fünfjährigen Nutzungsdauer für entgeltlich erworbene Einzelpraxiswerte und wird vom BFH für den Streitfall nicht beanstandet. Kritisch zu sehen ist die Auffassung des BFH, beim Erwerb einer Praxis im Rahmen eines Chancenpakets scheide ein Ansatz des Vorteils aus der Vertragsarztzulassung aus Praktikabilitätsgründen aus. Grundsätzlich dürfte es zumutbar und nicht unmöglich sein, zwecks einer sachgerechten AfA-Bemessung im Schätzwege einen auf die Zulassung entfallenden (nicht abschreibbaren) Entgeltanteil abzutrennen.
BFH, Urteil v. 21.2.2017, VIII R 7/14, veröffentlicht am 17.5.2017
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