Gemeinschaftsunterkunft bei der Bundeswehr
Hintergrund: Unentgeltliche Unterkunft in der Kaserne
S war im Streitjahr (2009) Zeitsoldat. Die Bundeswehr stellte ihm unentgeltlich eine Gemeinschaftsunterkunft in der Kaserne zur Verfügung. S war im Streitjahr ledig. Er war grundsätzlich verpflichtet, in der Gemeinschaftsunterkunft zu wohnen. Es bestand aber keine Verpflichtung dort zu übernachten. Die Ausgangsregelungen ließen eine Rückkehr an den Heimatwohnort nach Dienstschluss zu ("Ausgang bis zum Wecken"). Dementsprechend nutzte S die Unterkunft in der Kaserne nicht für Übernachtungen, sondern nur zur Aufbewahrung von Dienstkleidung und Ausrüstung sowie zum Wechseln der Uniform. Nach Dienstende fuhr er zu seiner rund 50 km entfernten Wohnung zurück.
Die Bundeswehr setzte für die Gestellung der Unterkunft einen geldwerten Vorteil nach der Sozialversicherungsentgeltverordnung (SvEV) in Höhe von monatlich 51 EUR (612 EUR für das Streitjahr) an.
S machte für 2009 WK für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte (rund 1.800 EUR) geltend. Daneben beantragte er die Anerkennung von Unterkunftskosten am Beschäftigungsort in Höhe des von der Bundeswehr angesetzten Sachbezugs (612 EUR) als WK.
Das FA und das FG anerkannten lediglich die Fahrtkosten. Der WK-Abzug der Unterkunftskosten stehe S mangels entsprechender Aufwendungen nicht zu.
Entscheidung: Fiktiver WK-Abzug bei ersparten Aufwendungen
Der BFH hob das FG-Urteil auf und gab der Klage statt. Er verweist im Wesentlichen auf das Urteil v. 3.2.2011, VI R 9/10, BFH/NV 2011, 976. Dort hat der BFH entschieden, dass bei Zuwendungen des Arbeitgebers, durch die sich der Arbeitnehmer eigene Aufwendungen erspart und die beim Arbeitnehmer zu steuerpflichtigen Einnahmen führen, in Höhe der Zuwendungen (fiktive) abziehbare WK des Arbeitnehmers vorliegen, wenn die Zahlungen durch ihn zu WK geführt hätten.
Dieser Fall liegt hier vor. Die Bundeswehr stellte S kostenlos eine Gemeinschaftsunterkunft in der Kaserne zur Verfügung. Bei S wurde entsprechend ein geldwerter Vorteil als Sachbezug angesetzt und in Höhe der amtlichen Sachbezugswerte der Besteuerung unterworfen. S steht aber in derselben Höhe ein entsprechender WK-Abzug zu. Denn er hätte die Aufwendungen für die Gemeinschaftsunterkunft, wenn er sie selbst getragen hätte, zwar nicht unter dem Gesichtspunkt einer doppelten Haushaltsführung nach § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG, aber als allgemeine WK nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG abziehen können.
Wahlweiser Abzug der Fahrtkosten oder der Unterkunftskosten bei doppelter Haushaltsführung
Im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung hat der Steuerpflichtige das Wahlrecht, entweder die Aufwendungen für die (täglichen) Fahrten zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte (jetzt: erste Tätigkeitsstätte) oder die Kosten für die Zweitwohnung nebst einer wöchentlichen Familienheimfahrt als WK geltend zu machen (BFH v. 9.6.1988, VI R 85/85, BStBl II 1988, 990). Wählt er den WK-Abzug für die täglichen Fahrten, ist der WK-Abzug für die Kosten der Zweitwohnung am Beschäftigungsort ausgeschlossen.
Mangels Übernachtung liegt aber keine doppelte Haushaltsführung vor
Im Streitfall hat S die Kosten der täglichen Fahrten geltend gemacht, so dass die Unterkunftskosten nicht daneben im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung berücksichtigt werden könnten. Im Streitfall liegt jedoch keine doppelte Haushaltsführung vor. Der Abzug der Unterkunftskosten ist daher neben den Fahrtkosten nicht ausgeschlossen. Der Regelungsbereich des § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG (doppelte Haushaltsführung) ist nicht berührt. Denn eine doppelte Haushaltsführung setzt voraus, dass die Zweitunterkunft zumindest gelegentlich zum Übernachten genutzt wird. Daran fehlt es hier. S wohnte nicht in der Unterkunft in der Kaserne. Er benutzte die Gemeinschaftsunterkunft nicht zum Wohnen, d.h. Übernachten, sondern lediglich zur Aufbewahrung und zum Wechseln seiner Dienstkleidung mit seiner Ausrüstung. Somit war keine doppelte Haushaltsführung gegeben und S hätte die Aufwendungen für die Nutzung der Kasernenunterkunft nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG neben den pauschalen Kosten der täglichen Fahrten fiktiv als (allgemeine) WK geltend machen können, wenn ihm die Gemeinschaftsunterkunft nicht kostenlos zur Verfügung gestellt worden wäre.
Hinweis: Unterkunftsgestellung als steuerfreier WK-Ersatz
In der als Arbeitslohn zu erfassenden unentgeltlichen Gestellung der Unterkunft liegt der Ersatz von dem Arbeitnehmer ansonsten entstehenden Unterkunftskosten. Dem WK-Ersatz stehen fiktive WK des Arbeitnehmers in gleicher Höhe gegenüber, mit denen der steuerpflichtige Arbeitslohn zu saldieren ist (BFH v. 11.12.2008, VI R 9/05, BStBl II 2009, 358).
Wohnen am Beschäftigungsort
Nach dem zugrundeliegenden Sachverhalt hat S in der Kaserne nicht übernachtet und seine Unterkunft dort auch sonst nicht für private Zwecke, z.B. für den (privaten) Aufenthalt während dienstfreier Zeiten, genutzt. Die Unterkunft diente ausschließlich dienstlichen Zwecken. Unter diesen Voraussetzungen fehlt es an einem Wohnen am Beschäftigungsort und damit an einer doppelten Haushaltsführung i.S.v. § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG. Es liegen dann allgemeine WK i.S.v. § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG vor mit der Folge, dass die (fiktiven) Unterkunftskosten neben den Kosten der täglichen Fahrten WK darstellen. Diese Konstellation dürfte in der Praxis allerdings eher die Ausnahme sein. Denn eine doppelte Haushaltsführung liegt bereits vor, wenn in der Unterkunft nur gelegentlich übernachtet wird. Dann besteht nur die Wahl zwischen den Fahrtkosten und den Unterkunftskosten. Für den Soldaten, der sich für die Geltendmachung der Unterkunftskosten (d.h. doppelte Haushaltsführung) entscheidet, ergibt sich somit im Ergebnis durch die Gegenrechnung fiktiver WK kein geldwerter Vorteil aus der Unterkunftsgestellung.
BFH Urteil vom 28.04.2020 - VI R 5/18 (veröffentlicht am 01.10.2020)
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