Anspruchsberechtigung des im anderen EU-Mitgliedstaat lebenden Großelternteils
Hintergrund
Zu entscheiden war, ob für den Vater (V) für seine beiden in Griechenland lebenden minderjährigen Kinder Kindergeld festzusetzen ist. Die Kinder lebten im Haushalt ihrer nicht erwerbstätigen Großmutter in Griechenland. Die Mutter der Kinder, von der V getrennt lebte, führte ihren eigenen Haushalt in Griechenland und war nicht berufstätig.
Die Familienkasse lehnte den Antrag des V auf Festsetzung des Kindergelds ab Mai 2010 mit der Begründung ab, da die Kinder in den Haushalt einer anderen anspruchsberechtigten Person (Großmutter) in Griechenland lebten, sei diese vorrangig berechtigt (§ 64 Abs. 2 Satz 1 EStG).
Das FG war anderer Auffassung. Es gab der Klage statt. Denn nach den europäischen Regelungen sei ein weiterer vorrangiger Anspruch ausgeschlossen. Auf die Revision der Familienkasse setzte der BFH das Revisionsverfahren bis zur Entscheidung des EuGH über das Vorabentscheidungsersuchen des BFH in einem Parallelfall aus (Vorlagebeschluss v. 8.5.2014, III R 17/13, BStBl II 2015, 329). Der EuGH entschied in diesem Fall, dass aufgrund der Wohnsitzfiktion nach dem Unionsrecht der nach nationalem Recht gegebene Anspruch auch einer im EU-Ausland wohnenden Person zustehen kann (EUGH v. 22.10.2015, C-378/14, BFH/NV 2015, 1789, Rechtssache Trapkowski).
Entscheidung
V ist zwar nach nationalem Recht anspruchsberechtigt. Denn aufgrund seines inländischen Wohnsitzes erfüllt er die Voraussetzungen für die Kindergeldgewährung (§ 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG). Dass die Kinder ihren Wohnsitz in Griechenland haben, ist unerheblich (§ 63 Abs. 1 Satz 3 EStG). Die Großmutter ist jedoch - entgegen der Auffassung des FG - nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG aufgrund der Aufnahme der Kinder in ihren Haushalt vorrangig anspruchsberechtigt. Denn nach Unionsrecht ist zu unterstellen, dass die Großmutter mit ihren Enkelkindern in Deutschland lebte.
Die Anspruchsberechtigung der Großmutter folgt aus § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Der danach erforderliche Inlandswohnsitz wird fingiert. Die Wohnsituation der Großmutter wird fiktiv ins Inland übertragen. Das ergibt sich aus Art. 60 Abs. 1 der VO Nr. 987/2009 (anwendbar ab Mai 2010). Danach ist die Situation der gesamten Familie in der Weise zu berücksichtigen, als fielen alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats und wohnten dort.
Die Fiktion bedeutet, dass die Situation der gesamten Familie so berücksichtigt wird, als ob alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des für die Gewährung von Familienleistungen zuständigen Mitgliedsstaats fielen und dort wohnten. Zu den "beteiligten Personen" gehören die Familienangehörigen. Darunter sind neben den Elternteilen und dem Kind alle Personen zu verstehen, die nach nationalem Recht berechtigt sind, Anspruch auf diese Leistungen zu erheben. Daher werden von diesem Begriff auch Großelternteile erfasst, die ein Enkelkind in ihren Haushalt aufgenommen haben. Schließlich kommt es auch nicht darauf an, ob die Großmutter selbst einen Antrag auf Kindergeld in Deutschland gestellt hat.
Der BFH hob daher das FG-Urteil auf und wies die Klage des V ab. Ein Anspruch auf Kindergeld steht nicht dem V, sondern der Großmutter zu.
Hinweis
Der BFH verweist im Wesentlichen auf das in dem Parallelverfahren (III R 17/13) ergangene o. a. Grundsatzurteil des EuGH ("Trapkowski"). In jenem Fall lebte das Kind bei der früheren (geschiedenen) Ehefrau des Vaters im EU-Ausland (Polen). Die Wohnsitzfiktion führt entsprechend im Streitfall zur vorrangigen Anspruchsberechtigung der Großmutter. Ihr Inlandswohnsitz wird fingiert (§ 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG) und sie hat nach nationalem Recht wegen Aufnahme der Enkelkinder in ihren Haushalt einen Kindergeldanspruch (§ 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG), der - wegen der Haushaltsaufnahme - gegenüber dem Anspruch des V vorrangig ist (§ 64 Abs. 2 Satz 1 EStG).
Ein vorrangiger Anspruch des V ergibt sich nicht aus § 64 Abs. 2 Satz 5 EStG. Danach wird das Kindergeld vorrangig einem Elternteil gezahlt, wenn das Kind im gemeinsamen Haushalt von Eltern und Großeltern lebt. Auch in diesem Fall wird die Wohnsituation fiktiv ins Inland übertragen. Im Streitfall bestand indes kein gemeinsamer Haushalt des V mit seiner Mutter (der Großmutter) und den Kindern. Es fehlte an einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft mit einem örtlich gebundenen Zusammenleben.
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