Kindergeldanspruch eines Grenzgängers

Der Kindergeldanspruch besteht auch dann, wenn im Beschäftigungsmitgliedstaat vergleichbare Familienleistungen gezahlt werden; diese Leistungen sind jedoch auf den Kindergeldanspruch anzurechnen.

Hintergrund

Zu entscheiden war, ob und in welcher Höhe einem Wanderarbeitnehmer ein Kindergeldanspruch zusteht, wenn auch nach niederländischem Recht Familienleistungen zu gewähren sind.

A ist Vater zweier Kinder, die im Streitzeitraum (Januar bis Mai 2010) mit ihm zusammen in seinem inländischen Haushalt lebten. A ist in den Niederlanden nichtselbständig tätig und hat nach niederländischem Recht einen Anspruch auf Familienleistungen.

Die Familienkasse lehnte den Kindergeldantrag des A ab, da er in das soziale Sicherungssystem der Niederlande eingegliedert sei und ihm nach den dortigen Vorschriften ein Anspruch auf dem deutschen Kindergeld vergleichbare Familienleistungen zustehe.

Dem folgte das FG. Es ging davon aus, der nach deutschem Recht bestehende Kindergeldanspruch werde zwar nicht durch vorrangiges Gemeinschaftsrecht ausgeschlossen, aber durch die deutsche Regelung, nach der Kindergeld nicht gezahlt wird, wenn im Ausland ein Anspruch auf vergleichbare Leistungen besteht (§ 65 Abs. 1 Nr. 2 EStG).

Entscheidung

Der BFH widerspricht dem FG.

A erfüllt die kindergeldrechtlichen Anspruchsvoraussetzungen. Denn er hatte seinen Wohnsitz im Inland und die beiden minderjährigen Kinder waren in seinen Haushalt aufgenommen.

Nach § 65 Abs. 1 Nr. 2 EStG ist der Kindergeldanspruch ausgeschlossen, wenn für ein Kind Leistungen im Ausland beansprucht werden können, die dem Kindergeld vergleichbar sind (Prinzip der Einmalgewährung kindbedingter Leistungen).

Diese Regelung steht - abweichend von der Ansicht des FG - dem inländischen Kindergeldanspruch des A nicht entgegen. Das ergibt sich aus dem Anwendungsvorrang des Unionsrechts gegenüber dem nationalen Recht. Der Anwendungsvorrang gilt, soweit die Grenze der zulässigen Rechtsfortbildung durch den EuGH nicht überschritten ist. Davon ist erst auszugehen, wenn der EuGH ausdrückliche gesetzliche Entscheidungen abändert und ohne gesetzliche Rückbindung neue Regelungen schafft. Wie der BFH durch Verweis auf die Rechtsprechung des EuGH feststellt, ist das hier nicht der Fall. Der EuGH hat bereits für Wanderarbeiter, die vorübergehend in Deutschland beschäftigt sind und weiterhin im Heimatland sozialversichert bleiben, entschieden, dass dadurch ein deutscher Kindergeldanspruch, soweit er über eine Kürzung um die ausländischen Leistungen hinausgeht, nicht ausgeschlossen wird.

Die Antikumulierungsregel des § 65 Abs. 1 Nr. 2 EStG ist demnach dahin auszulegen, dass die nach dem Recht des Beschäftigungsmitgliedstaats zu gewährenden, mit dem deutschen Kindergeld vergleichbaren Familienleistungen nicht zum Ausschluss, sondern lediglich zur entsprechenden Kürzung des inländischen Kindergeldanspruchs führen.

Der BFH hob das entgegen stehende FG-Urteil auf und verwies die Sache an das FG zurück. Dieses hat die nach niederländischem Recht zu gewährenden und auf den deutschen Kindergeldanspruch anzurechnenden Familienleistungen festzustellen.

Hinweis

Die Entscheidung stärkt die Rechtsstellung von Arbeitnehmern, die in Deutschland wohnen und im Mitgliedstaat arbeiten, wo sie auch sozialversichert sind. Entsprechendes gilt für in Deutschland Beschäftigte, für die im Heimatland eine dem deutschen Kindergeld vergleichbare Leistung bestehen bleibt.

Urteil v. 11.7.2013, VI R 68/11, veröffentlicht am 30.10.2013



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