Neuregelung des § 2b UStG: Teil 3 – Implementierung im kommunalen ERP-System
In Teil 1 und Teil 2 dieser Serie haben wir uns mit den rechtlichen Auswirkungen der gesetzlichen Regelung des § 2b UStG für Ausgangsleistungen und mit dem damit zusammenhängenden Vorsteuerabzug befasst. Diese rechtlichen Rahmenbedingungen und die Erkenntnisse aus der Bestandsaufnahme und dem Vorsteuerabzug müssen technisch „übersetzt“ und in das kommunale Rechnungswesen implementiert werden.
Gesetzliche Dokumentationserfordernisse
Nach § 22 UStG sind Unternehmer verpflichtet, zur Feststellung der Umsatzsteuer und der Grundlagen für ihre Berechnung Aufzeichnungen zu führen. § 22 UStG schreibt dabei nicht vor, wie die Aufzeichnungen konkret beschaffen sein müssen. Soweit die geforderten Angaben aus dem Rechnungswesen oder den Aufzeichnungen des Unternehmers für andere Zwecke eindeutig und leicht nachprüfbar hervorgehen, brauchen sie nicht noch gesondert aufgezeichnet werden (Abschn. 22.2 Abs. 1 Satz 2 UStAE). Gemäß § 146 Abs. 1 Satz 1 AO müssen die Aufzeichnungen von Geschäftsvorfällen einzeln, vollständig, richtig, zeitgerecht und geordnet erfolgen.
Aus umsatzsteuerlicher Sicht können die Aufzeichnungen in jeder Form geführt werden. Juristische Personen des öffentlichen Rechts (JPöR), die bereits elektronische Buchführungssysteme nutzen, werden diese Systeme auch für die steuerlich relevanten Aufzeichnungen nutzen. Daher sind die durch § 2b UStG induzierten Änderungen auch im Buchführungssystem nachzuvollziehen.
Interne Dokumentationserfordernisse und Nachprüfbarkeit
Neben den rechtlichen Erfordernissen zur getrennten Aufzeichnung von Umsatzsteuer und Vorsteuer sind auch interne Dokumentationsnotwendigkeiten zu beachten. Vielfach werden Geschäftsvorfälle dezentral in den einzelnen Organisationseinheiten und manuell gewürdigt und im ERP-System und/oder in Vertragsdatensystemen erfasst.
Für die Organisationseinheiten und insbesondere die kommunale Steuerabteilung muss die Nachvollziehbarkeit und Überprüfbarkeit des Buchungsmaterials gewährleistet sein, um im Rahmen der Erstellung von Voranmeldungen und Jahreserklärungen angemessene Kontrollen entwickeln und durchführen zu können.
Die einschlägigen Software-Anbieter haben ihre ERP-Systeme in Hinblick auf § 2b UStG angepasst und ermöglichen entsprechende Zuordnungen beziehungsweise Abgrenzungen. Vor allem bei heterogenen Systemlandschaften empfiehlt es sich, möglichst viele steuerrelevante Informationen in das führende ERP-System zu integrieren.
Nutzung von Reporting-Einheiten
Zur besseren Nachvollziehbarkeit des Buchungsstoffes durch externe Dritte und die internen Einheiten kann es zielführend sein, Tätigkeiten einzelnen umsatzsteuerlichen Reporting-Einheiten oder Unternehmenseinheiten zuzuordnen.
Bisher waren regelmäßig nur Betriebe gewerblicher Art über gesonderte Buchungskreise, Geschäftsbereiche oder Produktkonten vom hoheitlichen Bereich abgegrenzt. Daneben kommt je nach Ausgestaltung des ERP-Systems auch eine Abgrenzung über Segmente, Profit Center, Funktionsbereiche, Aufträge oder sogenannte Projekt-Elemente in Betracht. Die Systemlandschaft ist hinsichtlich der konkreten systemtechnischen Möglichkeiten und der Begriffsbestimmung jedoch nicht einheitlich, sodass regelmäßig die Möglichkeiten des Einzelfalls zu betrachten sind. Hierbei sind insbesondere alle möglichen Organisationsstrukturen und Hierarchien im ERP-System relevant.
Für § 2b UStG bietet sich zunächst an, die bestehenden Betriebe gewerblicher Art weiterhin gegenüber dem übrigen unternehmerischen Bereich abzugrenzen und in die neue Struktur zu überführen.
Darüber hinaus sollten die "neuen unternehmerischen Bereiche" sinnvoll zu umsatzsteuerlichen Reporting-Einheiten zugeordnet werden. Der Begriff "Reporting-Einheit" ist ein (IT-)technischer Begriff, der abhängig vom jeweiligen ERP-System für die systemtechnische Umsetzung notwendig ist. Somit bestehen keine gesetzlichen Vorgaben zur Einrichtung.
Bei dieser Zuordnung spielen daher insbesondere die tatsächlichen Verhältnisse eine wesentliche Rolle. Für die Bestimmung der Reporting-Einheiten können beispielsweise folgende Kriterien herangezogen werden:
- sachlich-organisatorische Kriterien, zum Beispiel: Dienststelle, Organisationseinheit oder Gleichartigkeit der Tätigkeit; Controlling-Bedürfnisse;
- sachlich-rechtliche Kriterien, zum Beispiel: rechtliche Grundlage der Tätigkeit, Unterschreiten der Umsatzgrenze von 17.500 EUR oder Anwendbarkeit des Reverse-Charge-Verfahrens nach § 13b UStG;
- sachlich-faktische Kriterien, zum Beispiel: herausgehobene Bedeutung der Tätigkeit nach Umsatzhöhe oder Höhe des Vorsteuerabzugs;
- systemseitige Kriterien, zum Beispiel: Vorsteuerabzugsquote.
Im Rahmen der Zuordnung müssen die technischen Rahmenbedingungen des ERP-Systems beachtet werden, wie etwa eine systemseitige Begrenzung von Steuerkennzeichen auf einzelne Reporting-Einheiten.
Bei der Gliederung dürfen auch prozessuale Themen und die sich hieraus ergebenden Folgen nicht außer Acht gelassen werden: Je detaillierter eine systemtechnische Untergliederung erfolgt, desto mehr Augenmerk ist auf die korrekte Kontierung und Buchung der Geschäftsvorfälle zu legen.
Überprüfung von Steuerschlüsseln
Steuerschlüssel in Form kurzer Buchstaben- und Zahlenkombinationen bilden im ERP-System die Basis für die korrekte Abbildung der Umsatzsteuer und Vorsteuer. Im Zuge der Implementierung nach § 2b UStG sollten die vorhandenen Steuerschlüssel überprüft und gegebenenfalls ergänzt werden:
- Bilden die bestehenden Steuerschlüssel alle umsatzsteuerrelevanten Vorgänge vollumfänglich hinsichtlich der Unternehmereigenschaft, der Höhe der Steuer und des Zeitpunkts der Umsatzsteuerentstehung ab?
- Sind Steuerschlüssel im Hinblick auf die Eingangsleistungen differenziert genug, um Vorsteuern der Höhe nach und dem Abzugszeitpunkt nach zutreffend abbilden zu können?
Anpassung des Kontenplans
Neben der globalen Zuordnung von Tätigkeiten zu Reporting-Einheiten und der Einrichtung von Steuerschlüsseln, ist auch die Abbildung der Geschäftsvorfälle auf Konten-Ebene zu bedenken und zu berücksichtigen: Oftmals wurden Geschäftsvorfälle aus unterschiedlichen Tätigkeiten auf demselben Buchungskonto (zum Beispiel "vermischte Einnahmen") erfasst.
Unterscheiden sich diese Geschäftsvorfälle zukünftig in ihrer umsatzsteuerlichen Relevanz, wäre zu hinterfragen, ob die Erfassung über ein einheitliches Buchungskonto prozessual sinnvoll ist, oder ob Geschäftsvorfälle mit unterschiedlicher steuerlicher Relevanz auch auf unterschiedlichen Buchungskonten erfasst werden sollten.
Aus Transparenzgründen wäre eine Trennung nach steuerlicher Relevanz sinnvoll; insbesondere um die maßgeblichen Steuerschlüssel unmittelbar in den Konten-Stammdaten zu hinterlegen und damit Fehlbuchungen zu vermeiden. Bei der Trennung der Geschäftsvorfälle nach steuerlicher Relevanz sind auch die Gegebenheiten des Einzelfalls zu berücksichtigen.
So könnte in einem "Maximalmodell" der Kontenplan umfassend angepasst werden, um steuerrelevante und hoheitliche Tätigkeiten systematisch stets einheitlich zu kontieren und zu trennen. Zur Verdeutlichung einer möglichen Aufteilung ein (nicht abschließendes) Beispiel:
Kontonummer-Endung | Steuerliche Relevanz |
X-0 | Hoheitliche Tätigkeit |
X-1 | Hoheitliche Tätigkeit – Relevanz Umsatzgrenze 17.500 € |
X-2 | Unternehmerische Tätigkeit, steuerbefreit |
X-3 | Unternehmerische Tätigkeit, Regelsteuersatz |
X-4 | Unternehmerische Tätigkeit, ermäßigter Steuersatz |
X-5 | Unternehmerische Tätigkeit, durchschnittlicher Steuersatz |
X-6 | Unternehmerische Tätigkeit, Reverse-Charge |
X-7 | Unternehmerische Tätigkeit, innergemeinschaftliche Lieferung |
Bei einer solchen Anpassung des Kontenplans spielen sowohl die kommunalrechtlichen Anforderungen als auch der Implementierungsaufwand eine Rolle. Die Anpassung würde nicht nur Organisationseinheiten mit umsatzsteuerrelevanten Tätigkeiten, sondern die gesamte Organisation betreffen. Sie könnte insbesondere dann zielführend sein, wenn der Kontenplan ohnehin überarbeitet oder ein neues ERP-System eingeführt wird.
Als Alternative dieser Variante kommt auch eine bloße Kontentrennung ohne Systematisierung in Betracht: Werden auf einem Buchungskonto beispielsweise bisher hoheitliche Tätigkeiten und unternehmerische Tätigkeiten erfasst, könnte zukünftig die Buchung hoheitlicher Tätigkeiten auf dem Ursprungskonto und die Buchung unternehmerischer Tätigkeit auf einem neuen Konto erfolgen.
Implementierung der Ausgangsumsätze auf Kontenebene
Nachdem die Vorfragen zur Art und zur Höhe des Vorsteuerabzugs geklärt sind (Teil 2 unserer Artikelserie) muss auch diesbezüglich eine Anpassung des ERP-Systems erfolgen. Der Vorsteuerabzug kann hierbei – je nach Art des ERP-Systems und dessen Systemeinstellungen – auf unterschiedliche Weise durchgeführt werden.
Eine analoge Untergliederung der Aufwandskonten, wie bei den Ausgangsumsätzen, ist – mit Ausnahme von Einzelfällen - aufgrund der Vielzahl unterschiedlicher Eingangsleistungen nur selten umsetzbar, da der Kontenplan dadurch sehr stark anwachsen würde.
Reporting-Einheiten und die Definition von Steuerschlüsseln für einzelne Tätigkeitsbereiche können zur Umsetzung des Vorsteuerabzugs leichter herangezogen werden. Auch könnten Steuerschlüssel entsprechend definiert werden, um Vorsteuern anteilig dem unternehmerischen Bereich zuzuordnen. Diese Schlüssel müssen dann mindestens jährlich auf ihre Gültigkeit überprüft werden.
Darüber hinaus bestehen für einzelne ERP-Systeme technische Möglichkeiten und Erweiterungsmodule, um den Vorsteuerabzug und die Vorsteueraufteilung zu automatisieren und zu erleichtern. Solche Erweiterungen greifen regelmäßig auf Kontierungsobjekte und deren hinterlegte Stammdaten (wie Kostenstelle, Sachkonten, Projekte, PSP-Aufträge, Anlagenklassen, und Durchschnittsätze) zurück, um die Verarbeitung von vorsteuerrelevanten Belegen sicherzustellen und die korrekte Buchung sowie Korrekturbuchungen automatisiert vornehmen zu können.
Funktional-technische Fachkonzepte
Sämtliche systemseitige Änderungen sollten in funktional-technischen Fachkonzepten dokumentiert werden. Hierbei handelt es sich zum einen um einen inhärenten Teil der Verfahrensdokumentation nach GoBD sowie zugleich um eine Maßnahme im Sinne eines Tax Compliance Management -Systems. In einem funktional-technischen Fachkonzept sollten unter anderem Verantwortlichkeiten, Datenwege, Schnittstellen zwischen verschiedenen Systemen, vorgenommene Customizing-Einstellungen sowie wesentliche Annahmen festgehalten werden.
Nicht funktionale, also außerhalb des Systems ablaufende Prozesse, sollten hierin ebenso klar benannt werden (zum Beispiel das Erfordernis der Abfrage bestimmter Sachverhaltsinformationen beim Kunden oder Lieferanten, um steuerliche Stammdaten ordentlich und richtig zu pflegen).
Systemtests
Wurden die Anpassungen am ERP-System vorgenommen, müssen – um unliebsame Überraschungen im laufenden Betrieb ab Anwendung des § 2b UStG zu vermeiden – die "Einstellungen des ERP-Systems" entsprechend getestet werden. Viele ERP-Systeme bieten ein vom Produktivsystem losgelöstes Testsystem an. Sowohl bei "System-Integration Tests" (SIT) als auch beim eigentlichen "User Acceptance Test" (UAT) ist ein steuerliches Augenmerk auf Vollständigkeit, aber auch Richtigkeit der Testfälle zu richten.
Zunächst sollten gängige Buchungsvorgänge und auch denkbare Sondersachverhalte definiert werden und das erwartbare Ergebnis dokumentiert sein. Nach Erfassung und Abbildung im Testsystem erfolgt der Ergebnisabgleich. Soweit Fehler identifiziert werden, sind diese auf ihre Ursache zu prüfen und in Zusammenarbeit mit dem Systemanbieter zu beseitigen.
Schulung von Mitarbeitenden
Sämtliche Anpassungen und Änderungen des ERP-Systems müssen nachvollziehbar dokumentiert und die betroffenen Mitarbeitenden informiert und geschult werden. Hierfür ist ein Schulungskonzept zu erarbeiten, dass die vorgenannten Einstellungen und die veränderte Buchungslogik transparent darstellt und auch als Nachschlagewerk für die kontierenden und buchenden Einheiten dient.
In den ersten Monaten im Besteuerungsregime des § 2b UStG sollten zudem Kontrollen des Buchungsstoffes erfolgen, um Umstellschwierigkeiten zu erkennen und notwendige Schritte zur Beseitigung zu ergreifen.
Zur Fehlerminimierung kann insbesondere die Implementierung eines innerbetrieblichen Kontrollsystems für Steuern, ein sogenanntes Tax Compliance Management Systems ("TCMS") sinnvoll sein. Wie ein solches System ausgestaltet werden kann, wird Teil 4 unserer Serie erläutern.
Autor:innen: Karl-Hubert Eckerle, Dipl.-Finw. (FH), Steuerberater, KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Nancy Schanda, Dipl. Wirtschafsjuristin, Rechtsanwältin, Steuerberaterin, KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Thomas Schmidt, Dipl.-Finw. (FH), Steuerberater, KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft |
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