Umsatzsteuerliche Organschaft mit einer Tochterpersonengesellschaft
Hintergrund
Streitig war, ob die X-AG als Organträger nichtsteuerbare Leistungen an zwei Tochter-KGs als Organgesellschaften erbracht hat.
Die X-AG war im Streitjahr 2001 Alleingesellschafterin der O-GmbH und der B-GmbH. Geschäftsführer der O-GmbH war Herr K. K war zudem vertretungsberechtigter Generalbevollmächtigter der X-AG. Geschäftsführer der B-GmbH war Herr S. S war bei der X-AG angestellt.
Die X-AG war außerdem Kommanditistin mit einem Kapitalanteil von 100 % bei der Kb-KG und der Gf-Kg. Komplementär ohne Geschäftsanteil war jeweils die B-GmbH. Die Kb-KG war im Vorjahr aus einer formwechselnden Umwandlung der Kb-GmbH entstanden. Ebenso war es bei der Gf-KG, die Rechtsnachfolgerin der Gf-GmbH war. Beide KGs betrieben Altenheime und erbrachten dabei Leistungen, die sie als umsatzsteuerfrei ansahen. Die X-AG und ihre Tochtergesellschaft O-GmbH erbrachten Leistungen gegen Entgelt an beide KGs. Durch Gesellschafterbeschluss vom Februar 2001 brachte die X-AG ihre Anteile an beiden KGs in die B-GmbH ein, wodurch es zu einer sog. Anwachsung des Gesellschaftsvermögens beider KGs bei der B-GmbH kam.
Das FA ging davon aus, die X-AG und die mit ihr organschaftlich verbundene O-GmbH hätten umsatzsteuerpflichtige Leistungen an die beiden KGs erbracht. Aufgrund der im Vorjahr erfolgten formwechselnden Umwandlungen seien die KGs - anders als die jeweilige GmbH vor der Umwandlung - nicht mehr als Organgesellschaften anzusehen. Daher lägen umsatzsteuerpflichtige Leistungen der X-AG und ihrer Organgesellschaft (O-GmbH) an die beiden KGs vor.
Demgegenüber gab das FG der Klage statt. Bezüglich der beiden KGs lägen die Eingliederungsvoraussetzungen in finanzieller, wirtschaftlicher und organisatorischer Hinsicht vor. Dass die Organgesellschaft nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG juristische Person sein müsse, sei nach Unionsrecht unbeachtlich.
Das vom FA eingeleitete Revisionsverfahren hatte der BFH im Hinblick auf die Vorlagen des BFH an den EuGH zum Vorsteuerabzug einer sog. Führungsholding bis zu einer Entscheidung des EuGH ausgesetzt (Beschlüsse vom 11.12.2013 - XI R 17/11, BStBl II 202014, 417 und XI R 38/12, BStBl II 2014, 428). Mit Urteil vom 16.07.2015, EU:C:2015:496 (DStR 2015, 1673) entschied der EuGH, dass nur juristische Personen Organgesellschaften sein könnten und dass zwischen Organträger und Organgesellschaft ein Über- und Unterordnungsverhältnis vorliegen müsse, sei mit dem Unionsrecht nicht vereinbar. Nach dieser Entscheidung über die Vorlagefragen konnte der BFH nunmehr in der vorliegenden Revisionssache entscheiden.
Entscheidung
Die Organschaft ist nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG auf juristische Personen beschränkt. Diese Regelung definiert den Begriff der juristischen Person nicht. Der BFH hält im Grundsatz daran fest, dass eine Personengesellschaft nicht Organgesellschaft sein kann. Denn über die finanzielle Eingliederung als Voraussetzung für die Organschaft kann nur rechtssicher entschieden werden, wenn der Organträger so an der Organgesellschaft beteiligt ist, dass er seinen Willen durch Mehrheitsbeschluss in der Gesellschafterversammlung durchsetzen kann. Das ist im Regelfall bei einer Beteiligung von mehr als 50 % der Stimmen der Fall. Bei einer Personengesellschaft kann hingegen über die finanzielle Eingliederung nicht entsprechend einfach und rechtssicher entschieden werden. Denn dort gilt das Einstimmigkeitsprinzip. Selbst wenn aufgrund abweichender Regelungen ein Gesellschafter Mehrheitsentscheidungen durchsetzen kann, bestehen zumindest Nachweisschwierigkeiten.
Aufgrund einer "teleologischen Extension" (Erweiterung) kann trotz des Ausschlusses der Personengesellschaft in § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG die Personengesellschaft ausnahmsweise gleichwohl wie eine juristische Person behandelt werden. Erforderlich dafür ist, dass die finanzielle Eingliederung wie bei einer juristischen Person zu bejahen ist. Das setzt voraus, dass Gesellschafter der Personengesellschaft neben dem Organträger nur Personen sind, die in das Unternehmen des Organträgers finanziell eingegliedert sind, so dass die erforderliche Durchgriffsmöglichkeit selbst bei - der stets möglichen - Anwendung des Einstimmigkeitsprinzips gewährleistet ist. Der Organträger kann dann seinen Willen durchsetzen, so dass dem allgemeinen Einstimmigkeitsprinzip bei der Personengesellschaft von vornherein keine Bedeutung zukommt. Denn sind die Mitgesellschafter bei der Personengesellschaft finanziell in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert, ist das bei der Personengesellschaft grundsätzlich bestehende Einstimmigkeitserfordernis allgemein ungeeignet, einer Willensdurchsetzung des Organträgers bei der Organgesellschaft entgegenzustehen. Ist neben dem Organträger z.B. eine Personengesellschaft Mitgesellschafter, kommt es dementsprechend darauf an, dass auch in Bezug auf deren Gesellschafter eine finanzielle Eingliederung ausnahmslos - in einer bis zum Organträger reichenden Organkette - zu bejahen ist.
Das erweitert den Anwendungsbereich des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG unter Beachtung der dieser Vorschrift zugrunde liegenden Wertungen der Rechtssicherheit, Verwaltungsvereinfachung und Missbrauchsvermeidung. Eine weitergehende Organschaft, die allgemein eine Eingliederung von Personengesellschaften ermöglichen würde, ergibt sich aus dem Unionsrecht nicht.
Dementsprechend hat das FG die Eingliederung der beiden KGs zu Unrecht aufgrund einer allgemeinen Gleichstellung von juristischen Personen und Personengesellschaften bejaht. Beide KGs sind indes nur dann Organgesellschaften der X-AG, wenn z.B. neben der X-AG als mögliche Organträgerin nur die B-GmbH als Gesellschafterin an den beiden KGs beteiligt gewesen wäre und in Bezug auf die B-GmbH eine finanzielle Eingliederung in das Unternehmen der X-AG besteht. Im Hinblick auf die Umwandlungsvorgänge bestanden jedoch insoweit Unklarheiten. Der BFH hob daher das FG-Urteil auf und verwies die Sache an das FG zurück, um die Feststellungen zum Gesellschafterkreis der beiden KGs und der finanziellen Eingliederung dieser Gesellschafter in das Unternehmen der X-AG nachzuholen.
Hinweis
Die Einschränkung der Organschaft auf abhängige juristische Personen ist dem Grunde nach sachlich gerechtfertigt, weil nur so einfach und rechtssicher über die Beherrschungsvoraussetzungen der Organschaft entschieden werden kann. Bei der juristischen Person ist dies durch das dort geltende Mehrheitsprinzip und die rechtliche Ausgestaltung von Gesellschaftsgründung und Anteilsübertragung gewährleistet. Demgegenüber gilt bei Personengesellschaften grundsätzlich das Einstimmigkeitsprinzip. Zudem lassen sich Personengesellschaften im Grundsatz ohne Formzwang gründen, wobei Gesellschaftsanteile ebenso formfrei übertragen werden können.
Nach der nunmehr geänderten Rechtsprechung rechtfertigen diese Unterschiede aber nicht den Ausschluss auch von Tochterpersonengesellschaften, an denen nur der Organträger und andere von ihm finanziell beherrschte Gesellschaften beteiligt sind. Die Beherrschung kann dann nicht in Frage gestellt werden. Der BFH hat daher den Kreis der in die Organschaft einzubeziehenden Tochtergesellschaften entsprechend erweitert. Der BFH ist dazu trotz des entgegenstehenden eindeutigen Gesetzeswortlauts im Wege einer teleologischen Extension befugt, da er die Norm (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG) gemessen an ihrem Zweck als unvollständig und damit ergänzungsbedürftig ansieht.
BFH Urteil vom 02.12.2015 - V R 25/13 (veröffentlicht am 28.01.2016)
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