Steuerbefreiung für telefonische Patientenberatung
Vorabentscheidungsersuchen des BFH: Etwaige Steuerbefreiung für medizinische Telefonberatungen
Bei dem Vorabentscheidungsersuchen des BFH (Beschluss vom 18.09.2018 - XI R 19/15) ging es um eine etwaige Steuerbefreiung medizinischer Telefonberatungen. Der BFH fragte den EuGH, ob unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens, in denen ein Steuerpflichtiger im Auftrag von Krankenkassen Versicherte zu verschiedenen Gesundheits- und Krankheitsthemen telefonisch berät, eine Tätigkeit vorliegt, die dem Anwendungsbereich des Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL unterfällt. Weiter fragte der BFH, ob es unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens in Bezug auf diese Leistungen sowie für Umsätze im Rahmen von "Patientenbegleitprogrammen" für den erforderlichen beruflichen Befähigungsnachweis ausreicht, dass die telefonischen Beratungen von "Gesundheitscoaches" (medizinischen Fachangestellten, Krankenschwestern) durchgeführt werden und in ca. einem Drittel der Fälle ein Arzt hinzugezogen wird.
Telefonische Beratungsleistungen durch Krankenschwestern und medizinische Fachangestellte
Die Klägerin, eine GmbH, betrieb im Streitzeitraum Februar 2014 im Auftrag von gesetzlichen Krankenkassen ein sog. Gesundheitstelefon, bei dem Versicherte in medizinischer Hinsicht beraten wurden, und führte Patientenbegleitprogramme für an chronischen oder lang andauernden Krankheiten leidende Patienten durch. Die telefonischen Beratungsleistungen wurden durch Krankenschwestern und medizinische Fachangestellte erbracht, die größtenteils auch als Gesundheitscoach ausgebildet waren. In mehr als einem Drittel der Fälle wurde zudem ein Arzt, regelmäßig ein Facharzt, hinzugezogen, der die Beratung übernahm bzw. bei Rückfragen Anweisungen oder eine zweite Meinung erteilte.
Softwaregestützte Befunderhebung, Diagnosen und Therapien
Im Rahmen des Gesundheitstelefons richtete die Klägerin Informations-Hotlines ein, unter denen Mitarbeiter der Klägerin für die Versicherten regelmäßig rund um die Uhr an jedem Tag erreichbar waren. Die Mitarbeiter der Klägerin meldeten sich unter dem Namen der jeweiligen Krankenkasse. Soweit eine medizinische Beratung gewünscht wurde, erfolgte eine softwaregestützte Befunderhebung, d.h. eine Kontexteinstufung mit gezielten Fragen zur Thematik, und darauf folgend eine Beratung zu der vom Anrufer angegebenen therapeutischen Versorgungssituation. Dabei wurden Diagnosen und mögliche Therapien erklärt und Ratschläge zu Verhaltens- und Behandlungsänderungen erteilt.
Patientenbegleitprogramme
Die abgeschlossenen Fälle wurden dem ärztlichen Leiter stichprobenartig eingespielt und insbesondere auf die medizinisch fachliche Nachvollziehbarkeit der dokumentierten Angaben überprüft. Die Teilnehmer der Patientenbegleitprogramme wurden auf der Basis von Abrechnungsdaten und Krankheitsbildern von den Krankenkassen ermittelt, von diesen angeschrieben und auf Wunsch in das Programm eingeschrieben. Die Teilnehmer, die von Mitarbeitern der Klägerin über einen Zeitraum von 3 - 12 Monaten angerufen wurden, konnten bei Fragen jederzeit die medizinische Hotline erreichen und rund um die Uhr situationsbezogene Informationen zu ihrem Krankenbild erhalten.
Schwerpunkt der Begleitprogramme war, das Verständnis der Teilnehmer und ihrer Angehörigen für ihre Krankheit und die regel- und vorschriftsmäßige Einnahme der Medikamente oder die Teilnahme an anderen Therapien zu verbessern, Fehlmedikationen zu vermeiden und eine adäquate Reaktion auf Symptomzunahme und soziale Isolation herbeizuführen. Ziel dessen war es, die Kosten bei Versicherten mit chronischen oder psychischen Erkrankungen besser zu managen und insbesondere die Zahl erneuter stationärer Aufnahmen der Teilnehmer deutlich zu verringern. Weitere Ziele waren bei ambulanter Verdachtsdiagnose in Zusammenhang mit dem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom oder der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung, die Eltern zu unterstützen und zur Verringerung von Sekundärerkrankungen zu entlasten.
Finanzamt: Umsätze steuerpflichtig
Die Klägerin behandelte ihre Umsätze aus dem Betrieb des Gesundheitstelefons und der Patientenbegleitprogramme als Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin und meldete für den Streitzeitraum insoweit steuerfreie Umsätze an. Das Finanzamt beurteilte die betreffenden Umsätze als steuerpflichtig.
Nach der Verwaltungsauffassung werden bisher die Leistungen der medizinischen Callcenter grundsätzlich nicht als steuerfrei nach § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG angesehen. Da es aber vielfältige Vertragsgestaltungen zwischen Krankenkassen und medizinischen Callcentern gibt, z.B. im Rahmen von sog. Patientenbegleitprogrammen/Patientenbetreuungsprogrammen mit telemedizinischer Betreuung, kann insoweit im Einzelfall die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG eingreifen.
FG Düsseldorf bestätigt Verwaltungsauffassung
Das FG Düsseldorf (Urteil vom 14.08.2015 - 1 K 1570/14 U) als Vorinstanz im vorliegenden Verfahren hatte in seinem Urteil die Verwaltungsauffassung bestätigt, dass die Leistungen nicht als Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 UStG unterliegen, wenn die Feststellungen, aufgrund derer die Beratungsleistungen erbracht werden, ausschließlich auf telefonischen Angaben der Anrufer basieren und die Beratungsleistungen keinen hinreichend engen Bezug zu der von behandelnden Ärzten der anrufenden Versicherten durchgeführten Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin aufweisen, mithin keinem konkreten therapeutischen Zweck dienen und keinen unmittelbaren Krankheitsbezug haben.
BFH sieht des Anwendungsbereich der Befreiungsvorschrift nicht als eröffnet an
Der BFH war in seinem Vorabentscheidungsersuchen der Auffassung, dass die im Rahmen des Gesundheitstelefons erbrachten Leistungen bei engem Verständnis der Befreiungsvorschriften nicht in deren Anwendungsbereich fallen. Es stehe weder fest, ob sich an die Beratung eine ärztliche Heilbehandlung anschließt noch ob sie als Erstberatung Bestandteil einer komplexen Heilbehandlung werden. Außerdem erfolge die Information der Anrufenden im Gegensatz zu den Patientenbegleitprogrammen nicht auf der Grundlage vorheriger medizinischer Feststellungen oder Anordnungen.
EuGH hat nicht abschließend entschieden
Der EuGH hat zum einen entschieden, dass telefonisch erbrachte Heilbehandlungen unter Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL fallen können, wenn sie alle Voraussetzungen für die Anwendung dieser Befreiung erfüllen. Er hat aber dem BFH die Prüfung überlassen, inwieweit die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden telefonischen Beratungen unter den Begriff "Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin" fallen. Der BFH wird dabei zu prüfen haben, ob mit diesen Beratungen ein therapeutischer Zweck verfolgt wird, da dieser ausschlaggebend dafür ist, ob eine medizinische Leistung umsatzsteuerfrei ist. Der EuGH verweist insoweit auf seine bisherige Rechtsprechung, dass der Begriff "Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin" Leistungen erfasst, die der Diagnose, der Behandlung und, soweit möglich, der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen dienen. Daraus folgt jedoch nicht zwangsläufig, dass die therapeutische Zielsetzung einer Leistung in einem besonders engen Sinn zu verstehen ist.
Fehlen einer ärztlichen Verschreibung nicht entscheidend
Nach der EuGH-Entscheidung genügt daher im Rahmen der Prüfung durch den BFH das Fehlen einer ärztlichen Verschreibung vor der telefonischen Beratung oder einer konkreten ärztlichen Behandlung im Anschluss daran nicht zur Klärung der Frage, ob eine solche Beratung unter den Begriff "Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin" i. S. v. Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL fällt. Im Ausgangsfall – so der EuGH - ermöglichen Beratungen, die darin bestehen, die in Betracht kommenden Diagnosen und Therapien zu erläutern sowie Änderungen der durchgeführten Behandlungen vorzuschlagen, es der betroffenen Person, ihre medizinische Situation zu verstehen und ggf. entsprechend tätig zu werden, insbesondere indem sie ein bestimmtes Arzneimittel einnimmt oder nicht einnimmt; sie können daher einen therapeutischen Zweck verfolgen und somit unter den Begriff "Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin" i. S. v. Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL fallen.
Auskünfte mit allgemeinem Charakter
Dagegen fallen Leistungen, die in der Erteilung von Auskünften über Erkrankungen oder Therapien bestehen, aber aufgrund ihres allgemeinen Charakters nicht geeignet sind, zum Schutz, zur Aufrechterhaltung oder zur Wiederherstellung der menschlichen Gesundheit beizutragen, nicht unter diesen Begriff. Ebenso können Leistungen, die in der Erteilung von Auskünften administrativer Art, wie der Kontaktdaten eines Arztes oder einer Schlichtungsstelle, bestehen, den unter Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL fallenden Leistungen nicht gleichgestellt werden.
Anforderungen an die berufliche Qualifikation
Weiter hat der EuGH sich mit der (von ihm umformulierten) Frage des BFH befasst, ob Krankenpfleger und medizinische Fachangestellte, die Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin erbringen, aufgrund der Tatsache, dass diese Leistungen telefonisch erbracht werden, zusätzlichen Anforderungen an die berufliche Qualifikation genügen müssen, damit diese Leistungen unter Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL fallen können. Hierzu verweist der EuGH auf seine bisherige Rechtsprechung, dass Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL selbst den Begriff "ärztliche und arztähnliche Berufe" nicht definiert, sondern hierfür auf die innerstaatlichen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten verwiesen wird.
Allerdings wird der BFH prüfen müssen, ob ein Ausschluss der von Krankenpflegern und medizinischen Fachangestellten durchgeführten Beratungen und Patientenbegleitprogramme von der Steuerbefreiung gegen den Neutralitätsgrundsatz verstieße, weil diese Berufsgruppen aufgrund ihrer beruflichen Qualifikationen in der Lage sind, zu gewährleisten, dass solche telefonisch erbrachten Leistungen ein vergleichbares Qualitätsniveau aufweisen wie die von anderen Anbietern auf diese Weise erbrachten Leistungen.
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