Vom Erblasser herrührende Steuerschulden für das Todesjahr sind Nachlassverbindlichkeiten
Hintergrund
Zu entscheiden war, ob eine Einkommensteuer-Schuld, die zum Todeszeitpunkt noch nicht entstanden war, gleichwohl erbschaftsteuermindernd als Nachlassverbindlichkeit abziehbar ist.
A ist neben ihrer Schwester S Miterbin ihres am 31.12.2004 verstorbenen Vaters V. Für ESt, KiSt und SolZ waren für 2004 Abschlusszahlungen von rund 1.8 Mio. EUR zu entrichten. A machte die Hälfte der Abschlusszahlungen als Nachlassverbindlichkeiten geltend. Das Finanzamt und das Finanzgericht lehnten dies mit der Begründung ab, die Verbindlichkeit sei am Stichtag noch nicht entstanden gewesen.
Entscheidung
Der BFH gab A Recht. Gleichwohl musste die Sache an das Finanzgericht zurückverwiesen werden.
Mit dem Tod (Erbfall, 31.12.2004) geht das Vermögen als Ganzes auf die Erben über. Diese haften für die Nachlassverbindlichkeiten. Dazu gehören nicht nur die Steuerschulden, die bereits rechtlich entstanden waren, sondern auch die Steuerverbindlichkeiten, die der Erblasser als Steuerpflichtiger begründet hat und die - wie die ESt - erst mit dem Ablauf des Todesjahrs entstehen. Die Verbindlichkeiten müssen zum Zeitpunkt des Erbfalls noch nicht voll wirksam entstanden sein.
Als Jahressteuer entsteht die ESt nach Ablauf des Kalenderjahrs. Stirbt der Steuerpflichtige vor Jahresablauf, wird der Veranlagung ein abgekürzter Ermittlungszeitraum zugrunde gelegt. Die Veranlagung beschränkt sich auf das bis zum Tod erzielte Einkommen. Trotz des Übergangs auf den Erben bleibt die ESt-Schuld des Erblassers eine von diesem herrührende Steuerschuld. Unerheblich ist, dass der ESt-Bescheid gegenüber den Erben als Gesamtschuldner ergeht.
Soweit der Erbe selbst einkommensteuerrelevante Tatbestände verwirklicht, wie z.B. beim Zufluss nachträglicher Einnahmen aus einer ehemaligen Tätigkeit des Erblassers, sind die darauf entfallenden ESt-Zahlungen des Erben keine Nachlassverbindlichkeiten, da hier der Steuertatbestand erst mit dem Zufluss beim Erben verwirklicht wird.
ESt-Erstattungsansprüche, die das Todesjahr betreffen, fallen dagegen nicht in den steuerpflichtigen Erwerb, da sie erst mit Ablauf des Todesjahrs entstehen. Für den Abzug von Steuerschulden als Nachlassverbindlichkeiten einerseits und für den Ansatz von Steuererstattungsansprüchen als Erwerb andererseits gelten damit unterschiedliche Voraussetzungen, die sich aus der Gesetzesformulierung ergeben.
Stirbt einer der Ehegatten und ergibt sich aufgrund der Zusammenveranlagung eine Abschlusszahlung für das Todesjahr, ist die vom Verstorbenen herrührende ESt-Schuld durch Aufteilung im Verhältnis einer getrennten Veranlagung zu ermitteln. Versterben zusammen veranlagte Ehegatten im selben Jahr, ist die Abschlusszahlung entsprechend auf die Ehegatten aufzuteilen und beim jeweiligen Erwerb von Todes wegen abzugsfähig.
Die Sache musste an das Finanzgericht zurückverwiesen werden. Im Todesjahr war zuvor die Mutter M verstorben. Unklar war, ob V die Erbschaft nach M ausgeschlagen hatte. Dann wären die Abschlusszahlungen nur insoweit abzugsfähig, als sie auf V entfallen.
Hinweis
Der BFH folgt damit (entgegen der Verwaltungsauffassung in Abschn. 10.8 Abs. 3 der Erbst-Richtlinien) der vielfach im Schrifttum vorgetragenen Kritik der Doppelbelastung mit der latenten ESt-Schuld und der ErbSt wegen Verstoßes gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip.
Der Streitfall betrifft das Jahr 2004. Bis 1998 sah § 35 EStG a.F. eine ESt-Ermäßigung bei Doppelbelastung mit ESt und ErbSt vor. Diese ab 1999 abgeschaffte Regelung wurde mit Wirkung ab 2009 nahezu gleichlautend wieder eingeführt (§ 35b EStG).
BFH Urteil vom 04.07.2012 - II R 15/11 (veröffentlicht am 22.08.2012)
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