Unterbringung in zweisprachigem Kindergarten

Der Begriff der Kinderbetreuung ist weit zu fassen und umfasst nicht nur die behütende Betreuung, sondern auch die pädagogisch sinnvolle Gestaltung der im Kindergarten verbrachten Zeit.

Hintergrund
Die Entscheidung betrifft die Streitjahren 2006/2007 (§ 4f, § 9 Abs. 5 EStG ab 2006). Ab 2009 wurden diese Regelungen durch § 9c EStG a.F. ersetzt. Seit 2012 ist der Abzug von Kinderbetreuungskosten in § 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG geregelt. Die bisherige Unterscheidung in erwerbsbedingte und nicht erwerbsbedingte Kinderbetreuungskosten ist entfallen. Diese sind jetzt einheitlich als Sonderausgaben abziehbar. Weiterhin gilt die doppelte Höchstgrenze (zwei Drittel der Aufwendungen, höchstens 4.000 EUR) für Dienstleistungen zur Betreuung eines Kindes (Höchstalter 14 Jahren bzw. behinderte Kinder). Vom Abzug ausgeschlossen sind - wie bisher - Aufwendungen für "Unterricht, die Vermittlung besonderer Fähigkeiten sowie für sportliche und andere Freizeitbetätigungen" (§ 10 Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 EStG n.F.).

Die Kinder besuchten in den Streitjahren 2006/2007 die deutsch-französische Gruppe eines städtischen Kindergartens. Neben den deutschen Erzieherinnen waren dort auch französische Sprachassistentinnen eingesetzt, die von einem Verein bezahlt wurden, der die sozialpädagogische Betreuung der Kinder unter besonderer Vermittlung der französischen Sprache und Kultur verfolgt. Das FA versagte den Abzug des von den Eltern an den Verein gesondert gezahlten Entgelts. Die Bemühungen um die Erlernung einer Zweitsprache in einem Kindergarten fielen nicht mehr in den Bereich der Kinderbetreuung. Auch wenn kein eigentlicher Unterricht stattfinde, so handele es sich doch um eine vom Abzug ausgeschlossene Vermittlung besonderer Fähigkeiten.

Entscheidung
Der BFH versteht den Begriff der Kinderbetreuung weiter. Er umfasst nicht nur die Behütung und Beaufsichtigung (das sog. "Aufpassen" auf das Kind), sondern darüber hinaus auch Elemente der Pflege und Erziehung, d.h. die Sorge um das geistige, seelische und körperliche Wohl des Kindes. Das Gesetz geht vom Bild eines modernen Kindergartens aus, der auch frühkindliche Bildung vermittelt. Die Vermittlung besonderer Fähigkeiten steht dabei nicht im Vordergrund, sondern ist unselbständiger Bestandteil der Betreuung.

Im Streitfall wurden die Gruppen von den deutschen Erzieherinnen und den Sprachassistentinnen partnerschaftlich betreut, wobei die Erlernung französischer Wörter auch zur Verbesserung der deutschen Sprachkenntnisse beitrug. Die kindergartentypische Betreuung war vorrangig. Der BFH teilt daher die Auffassung des FG, dass die streitigen Kosten für die Sprachassistentinnen in vollem Umfang (im Rahmen der Zwei-Drittel-Grenze, höchstens 4.000 EUR) als Kinderbetreuungskosten abziehbar sind.

Anmerkung
Der BFH sieht demnach auch Basteln, Werken, Singen, Musizieren, Einübung fremdsprachlicher Kinderlieder, Ballspiel, Vermittlung erster handwerklicher, musischer, sprachlicher oder sportlicher Fähigkeiten usw. als vom Bildungsauftrag eines modernen Kindergartens umfasst an und anerkennt insoweit abziehbare Kinderbetreuungskosten.

Nicht begünstigte Aufwendungen für Unterricht oder die Vermittlung besonderer Fähigkeiten liegen nur vor, wenn die Dienste in einem organisatorisch, zeitlich und räumlich verselbständigten Rahmen stattfinden und die Aufsicht über das Kind gegenüber der Vermittlung der besonderen Fähigkeiten in den Hintergrund tritt. In solchen Fällen ist, wenn ein einheitliches Entgelt gezahlt wird, dieses entsprechend der Betreuungs- und der nicht begünstigten anderen Leistungen aufzuteilen.

Urteil v. 19.04.2012, III R 29/11, veröffentlicht am 10.10.2012

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