Brexit: Worauf es jetzt ankommt
Überzeugte Europäer trauten ihren Augen und Ohren kaum, als im Juni 2016 die Teilnehmer am Referendum des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland mit knapper Mehrheit für den Austritt aus der EU votierte. Nach schwierigen Verhandlungen und zwei vorgezogenen Unterhauswahlen hat mit dem Vereinigten Königreich damit am 31.1.2020 erstmals ein EU-Mitgliedstaat die Gemeinschaft wieder verlassen, ein nie zuvor gekannter Vorgang, mit dem alle Beteiligten und Betroffenen umzugehen lernen mussten.
Seit dem 1.1.2021 ist auch der Übergangszeitraum, währenddessen das Vereinigte Königreich noch weitgehend so behandelt wurde "als ob" es noch EU-Mitgliedstaat wäre, abgelaufen. Kurz vor Ablauf der Frist konnte doch noch ein Handels- und Kooperationsabkommen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU abgeschlossen werden, das mangels vorheriger Beschlusslage des EU-Parlaments erst nachträglich endgültig wirksam wurde. Darin enthalten sind wichtige Neuregelung im Bereich der Koordination der sozialen Sicherungssysteme. Ferner resultieren daraus Folgen für bestehende und künftige Arbeitnehmerentsendungen. Ein wichtiger und kritischer Punkt ist der Status Nordirlands, das als Teil des Vereinigten Königreichs gleichzeitig wirtschaftlich und geographisch eng mit der Republik Irland (EU) verbunden ist. Ob hier die "Quadratur des Kreises" gelungen ist, erscheint zweifelhaft, zumal die britische Regierung bereits Anläufe unternommen hat, von dem Kompromiss einseitig abzuweichen.
Auch wenn die rechtlichen Änderungen angesichts der alles überlagernden Corona-Pandemie in der öffentlichen Wahrnehmung weniger Beachtung fanden, als dies ohne Pandemie der Fall gewesen wäre, führt kein Weg daran vorbei, dass das Vereinigte Königreich seit Jahresbeginn als Drittland und nicht mehr als Teil des EU-Binnenmarktes zu behandeln ist. Dies hat Konsequenzen, mit denen sich die Rechtsanwender schnellstmöglich vertraut machen müssen. Hinzu kommt, dass nicht nur ein neuer rechtlicher Rahmen für das Verhältnis zwischen EU und dem Vereinigten Königreich vereinbart wurde, sondern sowohl im Vereinigten Königreich wie auch in der EU und insbesondere in Deutschland in den letzten Monaten der auslaufenden Legislaturperiode zahlreiche steuerliche Änderungen beschlossen wurden, die sich auf künftige Investitionen aus Deutschland in das Vereinigte Königreich und umgekehrt auswirken.
Was heißt der Brexit daher konkret für die Unternehmen, deren Liefer- und Leistungsketten über den Kanal oder die Irische See verlaufen, oder die Direktinvestitionen aus der EU oder dem EWR und aus Deutschland nach Großbritannien vorgenommen haben oder planen, oder für britische Unternehmen mit derartigen Direktinvestitionen in die EU oder den EWR? Alle diese Unternehmen müssen sich nun in einem veränderten wirtschaftlichen und regulatorischen Umfeld zurecht finden. In diesem Sinne wendet sich der erfolgreiche Wahlkampfslogan des Premierministers Boris Johnson in eine Aufforderung an die betroffenen Unternehmen, sich auf den Brexit und die nachlaufenden Rechtsänderungen einzustellen und angemessen damit umzugehen: Get Brexit done (whether you like it or not)!
Komplexe (steuer-)rechtliche Folgen
Im Bereich der direkten Steuern gelten beispielsweise zentrale Richtlinien wie die Mutter-Tochter-Richtlinie, die Zins- und Lizenzrichtlinie oder die Fusionsrichtlinie nur zwischen EU-Staaten. Auch die EU-Schiedskonvention als effektives Mittel zur Beilegung steuerlicher Streitigkeiten zwischen EU-Mitgliedstaaten steht im Verhältnis zu Großbritannien nach dem Brexit nicht mehr zur Verfügung. Umgekehrt hat sich Großbritannien durch das eigene Austrittsgesetz (European Union (Withdrawal) Act) die Möglichkeit verschafft, Regelungen, an die es sich nicht mehr gebunden halten möchte, nach dem Brexit in eigener Regelungskompetenz aufzuheben bzw. einzuschränken. Dies könnte zum Beispiel für die Beihilferegelungen zutreffen.
Auch die während der Brexit-Verhandlungen zustande gekommenen EU-Richtlinien über Meldepflichten zu grenzüberschreitenden Steuergestaltungen (DAC6) und zur Verhinderung von Steuer-Missbräuchen (ATAD) muss Großbritannien nach dem Brexit nicht mehr zwingend befolgen und hat dabei auch teilweise bereits erhebliche Abstriche gemacht.
Gesetzgeberische Reaktionen
Ende März 2019 verabschiedete der deutsche Gesetzgeber das "Brexit-Steuerbegleitgesetz" mit punktuellen Regelungen, die sicherstellen sollen, dass allein die durch den Brexit als solches bewirkte Rechtsänderung für sich genommen nicht zu einer steuerlichen Schlechterstellung der betroffenen Steuerpflichtigen führt. Im zweiten Quartal des Jahres 2021 erließ der Gesetzgeber zahlreiche weitere Steueränderungsgesetze, wie z.B. das ATAD-Umsetzungsgesetz, das Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz, das Körperschaftsteuermodernisierungsgesetz und das Gesetz zur Änderung des Grunderwerbsteuergesetzes, um nur einige prominente Beispiele zu nennen. Diese zielen zwar ganz überwiegend und mit wenigen Ausnahmen nicht spezifisch auf den Brexit ab, haben aber eine erhebliche praktische Relevanz für grenzüberschreitende Investitionen zwischen Großbritannien und dem Inland. Jedenfalls werden die Neuregelungen auch bei der Beurteilung künftiger Transaktionen zwischen Personen und Unternehmen in Großbritannien und Deutschland eine wichtige Rolle spielen, soweit sie nicht bereits unmittelbar oder sogar rückwirkend greifen sollen.
Autoren: Christof K. Letzgus, Rechtsanwalt/Steuerberater, und Robert Prätzler, Steuerberater, mit einem Autorenteam aus spezialisierten Beratern von PricewaterhouseCoopers und dem Zollexperten Michael Lux Der Beitrag entstammt ihrem bei Schäffer-Poeschel erschienenen Buch "Brexit-Handbuch für Unternehmen und Berater – Steuerrecht, Zollrecht, Gesellschaftsrecht, Soziale Sicherheit, Arbeits- und Aufenthaltsrecht". |
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