Digital Mindset
In diesem Zusammenhang wird gerne von agilen Unternehmen oder Projekten gesprochen, um auf die zunehmende Veränderungsgeschwindigkeit reagieren zu können. Neugierde und Freude am ständigen Lernen sollen statisches Denken und Festhalten an Gewohntem ersetzen.
Dazu gehört natürlich neben der eigenen Einstellung auch die der Mitarbeiter, die bei einer Umstellung auf neue Arbeitsweisen unmittelbar betroffen sind und den Prozess beschleunigen oder bremsen können. Und auch einige Mandanten wollen erst überzeugt werden, dass das Neue besser ist als die gewohnten und durchaus bewährten Pendelordner. 3 Erkenntnisse helfen Ihnen auf dem Weg zur digitalen Kanzlei:
1. Es geht um Denkweisen, nicht um Software
Digitalisierung heißt nicht, aus Papier eine Datei zu machen, also einfach nur das Medium zu ändern, mehr Monitore anzuschaffen und dann mehr Platz im Schrank zu haben (auch wenn das ein schöner Nebeneffekt ist). Es bedeutet, die Prozesse sowohl aus interner Sicht wie aus externer Sicht zu analysieren und neu zu gestalten bzw. anzupassen, um mittel- bis langfristig von Automatisierung und Digitalisierung tatsächlich zu profitieren. Denn in der Umstellungsphase von Pendelordner auf Online-Zusammenarbeit ist die Erfahrung vieler Kanzlei-Mitarbeiter: Die Erstellung der Buchführung dauert genau so lang, wenn nicht sogar länger. Und wenn die Prozesse nicht angepasst werden, bleibt das auch so.
Beispiel 1 - Bank-Lerndatei: Anstatt auf Papier landen die Belege digital im System und werden direkt verbucht, die Bank wird automatisch eingespielt. Doch wenn die Lerndatei nicht laufend gepflegt wird, entsteht kein Optimierungseffekt. Immerhin lassen sich bis zu 80% der Bankbuchungen automatisieren. Tipp: lassen Sie sich einmal die Lerndateien all ihrer Mandanten zeigen. Möglicherweise erzeugt das den einen oder anderen Aha-Effekt.
Beispiel 2 - Sicherheitsorientierte Mitarbeiter: Die Belege werden noch althergebracht mit dem Pendelordner gebracht und dann im Sekretariat eingescannt. Der Mitarbeiter bucht online, hat zusätzlich den Pendelordner am Tisch liegen und schaut die Belege durch. Auf Nachfrage beim Kanzleirundgang, warum er hier doppelt arbeitet, kommt die Antwort: "Beim Einscannen könnte ja ein Beleg vergessen worden sein." Sicherheitsorientierte Mitarbeiter – und davon gibt es viele in der Kanzlei – neigen dazu, mit Netz und doppeltem Boden zu arbeiten. Ein ähnliches Phänomen entsteht, wenn der Jahresabschluss von einem anderen Mitarbeiter erstellt wird und die komplette Buchhaltung neu aufgerollt wird, um auf keinen Fall etwas zu übersehen. Definieren Sie deshalb bei diesen Prozessen immer auch den konkreten Kontrollumfang, welche Konten in welcher Tiefe geprüft werden.
2. Digitalisierung greift in alle Prozesse ein, auch die der Mandanten
Digitalisierung bedeutet aus Daten Mehrwert machen. Und die viel beschworene Customer Centricity, also dass sich auf einmal alles um den Kunden dreht, ist der Tatsache geschuldet, dass der Wechsel zu einem anderen Anbieter nur noch einen Klick entfernt ist. Ganz so leicht ist es für Mandanten heute wohl – noch - nicht, mit "Sack und Pack" auf Knopfdruck den Steuerberater zu wechseln. Doch die Wechselbereitschaft ist gestiegen. Und es macht Sinn auch aus Mandantensicht zu überlegen, welchen Nutzen der Mandant durch die digitale Zusammenarbeit hat.
Diese nutzenorientierte Denkweise ist in einigen Kanzleien noch nicht verankert. Das lässt sich immer gut ablesen, wenn das Thema "Wer scannt – Mandant oder Kanzlei" diskutiert wird. Die Kanzlei hat den – richtigen – Entschluss gefasst, dass sämtliche internen Prozesse digital laufen und Papier aus den Kanzleiräumen verbannt wird (wenn Sie das ernsthaft durchziehen wollen, schaffen Sie ganz praktisch Fakten und entfernen Sie über Nacht alle Locher, Hefter und Papierkörbe in der Kanzlei). Da gibt es die "Datendrehscheibe": Hier arbeiten die EDV-sicheren "Fibu-Ingenieure". Mandantendaten werden digital und effizient verarbeitet. Eine entsprechende Abteilung gibt es auch für den Lohn und die Einkommensteuererklärung.
Es ist klar, dass es am besten wäre, wenn der Mandant selbst scannt und in der Kanzlei digital weitergearbeitet wird. Doch bei dem Gedanken taucht sofort die Befürchtung auf, dass der Mandant dann einen Honorarnachlass fordert, weil er durch das Scannen mehr Arbeit hat und zusätzlich uns die Arbeit erleichtert. Und wenn beim Mandanten der Prozess unverändert bleibt – er also weiter das System Belege sortieren und in Ordner heften und zur Zahlung wieder herausholen – dann wäre Scannen tatsächlich ein zusätzlicher Schritt. Das wäre als würden Sie Zahlenkolonnen per Formel in einer Excel-Tabelle addieren und parallel dazu an der Addiermaschine auftippen, die Excel-Tabelle dann ausdrucken und den Addierbeleg daran heften.
Hinterfragen Sie bei Ihren Mandanten die derzeitige Arbeitsweise: wie werden Rechnungen geschrieben, wie wird gezahlt, wie ist das Zahlungsverhalten der Kunden, wie archiviert, welche Programme sind schon im Einsatz, wie viel Zeit für Informationssuche usw. So finden Sie zahlreiche Ansatzpunkte für die Prozessoptimierung beim Mandanten und der Mandant wird es Ihnen danken, wenn er die Buchführungsvorbereitung für den Steuerberater künftig nicht mehr am Sonntag Abend machen muss. Und wenn auf beiden Seiten digital gearbeitet wird, macht es auch Sinn diese Form der Zusammenarbeit abzustimmen. Halten Sie mit Ihrem Mandanten in einer Art Spielregeln gemeinsam fest, was wann in welcher Form geliefert wird.
7 Spielregeln der digitalen Zusammenarbeit, die Sie mit mit Ihrem Mandanten vereinbaren sollten
- Digitale Anlieferung: Buchführung digital (Scannen, Schnittstellen, Portallösungen), Cloud-Lösung beim Mandanten, automatische Übertragung.
- Datenqualität: Lesbarkeit der Dokumentenscans, Format/ Vollständigkeit/ Konsistenz bei gelieferten Datensätzen, wer scannt?
- Kommunikationswege: In welcher Form werden die digitalen Daten "angeliefert" (Portal, CSV, Mail, USB)? Wie kommunizieren wir über Bereitstellung und Fertigstellung (Mail/ Telefon/ Whats App)?
- Datensicherheit, Datenschutz, Archivierung: Wer trifft welche Maßnahmen? Wer archiviert die Daten, wie sieht der Zugriff für wen aus?
- Auftragsumfang: Welche Prüfungen soll der StB wahrnehmen (Vorsteuer, § 13 b UStG, etc.)?
- Auswertungsquantität und -qualität: Informationsbedarf des Mandanten, Art der Auswertungen (Zahlen/Grafiken?), Bereitstellung der Daten, Online-Zugriff.
- Terminabsprachen: Spätester Anlieferungstermin, spätester Ablieferungstermin.
3. Die Aufgabenteilung in der digitalen Kanzlei ändert sich
Haben Sie in letzter Zeit neue Mitarbeiter gesucht? Und wie viele Ihrer Kolleginnen und Kollegen die Erfahrung gemacht, dass sich kaum oder unpassende Bewerber gemeldet haben? Oder nicht den bestmöglichen Kandidaten, sondern den einzigen eingestellt haben. Qualifizierte Steuerfachkräfte sind rar, die Gehaltsforderungen steigen.
Eine digital aufgestellte Kanzlei ist hier im Vorteil. Denn sie ist durch Homeoffice-Angebote attraktiver für Teilzeitkräfte, die flexibler zwischen Büro und Heimarbeit wechseln können und damit auch für weiter entfernt wohnende Mitarbeiter. Doch ein weiterer Pluspunkt kommt ins Spiel: Die Tätigkeiten können und sollten auch neu verteilt werden.
Stellen Sie sich vor, eine Ihrer Steuerfachangestellten verlässt die Kanzlei. Sie macht – in vielen Kanzleien mit 10 Mitarbeitern nach wie vor gelebter Alltag – Buchführung, Lohn und Jahresabschlüsse. Wen suchen Sie? Wie sieht Ihre Stellenanzeige aus? Aus einer Art Reflex heraus, glauben wir den Posten eines Steuerfachangestellten mit einer identischen Qualifikation zu besetzen. Statt zu überlegen, ob es an dieser Stelle sinnvoll ist, hochqualifizierte Fachkräfte, die Mangelware sind, zu suchen oder erst einmal die Arbeit anders zu organisieren. Bei der Mitarbeitersuche in Zeiten von Fachkräftemangel kann das zum entscheidenden Erfolgsfaktor werden.
Tipp: Buchführung zum Mandanten auslagern Wenn Sie und Ihre Mitarbeiter sich mit Cloud-Lösungen auseinandergesetzt haben und die daraus resultierenden Möglichkeiten kennen, wie der Buchführungsprozess beim Mandanten optimiert werden kann, dann spricht auch nichts dagegen, die Buchführung zum Mandanten auszulagern. Mit dem Angebot einer vierteljährlichen Qualitätskontrolle, unterjährigen Abschlussbuchungen und entsprechenden Lerndateien erhalten Sie ein ähnlich gutes Ergebnis wie "selbst gebucht". |
Sorgen Sie dafür, dass sich die Steuerfachangestellten und Steuerfachwirte ausschließlich auf die qualifizierten Aufgaben konzentrieren. Und stellen Sie Mitarbeiter ein, die diese an anderer Stelle entlasten können. Buchhaltung, Lohn, Belege anfordern, Einkommensteuererklärungen können auch Mitarbeiter ohne Steuerfach-Qualifikation. Im Empfangsbereich ist eine Hotelfachangestellte, die aufgrund eigener Familienpolitik lieber in einem geregelten Arbeitszeitenumfeld arbeitet statt im Hotel Schichtdienst zu haben, manchmal sogar die bessere Wahl. Denken Sie also bei der Aufgabenverteilung "Out of the Box". Für manche temporäre Aufgaben, zum Beispiel im Controlling-Bereich können auch Studenten gute Dienste leisten.
Bürofachangestellte oder Kommunikationsprofis können Ihnen und Ihren Mitarbeitern auch noch an anderen Stellen den Rücken freihalten. Aus dem Buch von Rudi Jansen "The Highly Profitable Accountant" stammt folgendes Kanzleikonzept, das wir hier frei übersetzt wiedergeben:
- Wachhund (Guard Dog): Die Aufgabe des Wachhunds ist es, dafür zu sorgen, dass ALLE Unterlagen zur Verfügung stehen, wenn der Sachbearbeiter mit seiner Arbeit beginnt. Das bedeutet, es gibt keinerlei Verzögerungen oder Wiederholungsstarts. Entscheidend für den Wachhund sind Checklisten (welcher Mandant liefert welche Unterlagen bis wann) und freundliche Beharrlichkeit. Diese Person kümmert sich auch um Abgabetermine und Fristenkontrolle. Sie hält fest, wann die Sachbearbeiter die Arbeit aufnehmen und wann sie sie beenden und überwacht die Durchlaufzeiten.
- Beziehungsmanager (Customer Carer): Der Beziehungsmanager ist der positive Kontaktpunkt für die Mandanten. Seine Aufgabe ist es, die Mandanten in begeisterte Fans zu verwandeln. Eine fröhliche Ausstrahlung und positive Kommunikationsfähigkeiten zeichnen diese Personen aus. Sie sorgen dafür, dass die Mandanten sich wohl fühlen. Die Position von Wachhund und Beziehungsmanager zu besetzen, bedeutet nicht, dass die Arbeitsteams keinen Kontakt mehr zu den Mandanten haben. Sie führen die inhaltlich qualitativen Gespräche und erfüllen die unternehmerischen Wünsche der Mandanten. Es geht darum, sie von diesen Aufgaben zu entlasten.
- Arbeitsteams (Pods): Hier sind die Steuerfachleute zu Hause. Sie widmen ihre gesamte Aufmerksamkeit den buchhalterischen und steuerlichen Themen, die den Mandanten helfen Steuern zu sparen und unternehmerisch vorwärts zu kommen. Für diese Positionen brauchen Sie qualifizierte Kräfte – durch die obige Arbeitsteilung künftig aber möglicherweise weniger als heute.
- Verwaltung (Admin): In vielen Kanzleien erledigen Steuerberater und Inhaber nach wie vor eine Vielzahl von zeitraubenden, delegierbaren Verwaltungsaufgaben. Sie und Ihr Team profitieren davon, wenn Sie Aufgaben delegieren, die auch weniger qualifizierte Mitarbeiter – mit Hilfe von Training und Checklisten – erledigen können. Schauen Sie sich Ihre Zeiterfassung an und identifizieren Sie all diese Tätigkeiten.
- Kanzleiinhaber (You): Sie spielen in dieser Aufstellung natürlich auch eine Rolle. Und zwar (abgesehen davon, dass Sie die Richtung vorgeben und die Kanzlei führen) genau die, die Sie sich wünschen. Neue Mandanten gewinnen, neue Leistungspakete entwickeln, Vorträge halten, A-Mandanten betreuen, Nachfolge oder andere Fachberatungen, Urlaub und Familie genießen – es ist Ihre Entscheidung.
Die Digitalisierung eröffnet neue Perspektiven
Sie sehen mit dem Digital Mindset verändert sich mehr als das Medium Papier. Von vorne bis hinten durchdacht, verändert es Ihre komplette Kanzlei mit allen Arbeitsstrukturen und Aufgaben. Und schafft zahlreiche Perspektiven für die langfristige Kanzleientwicklung.
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