Aktuelle BFH-Entscheidungen zum Begriff der ersten Tätigkeitsstätte
Voraussetzungen für eine erste Tätigkeitsstätte
Erste Tätigkeitsstätte ist die ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten, der der Arbeitnehmer dauerhaft zugeordnet ist. Die Zuordnung wird durch die dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen sowie die diese ausfüllenden Absprachen und Weisungen bestimmt. Von einer dauerhaften Zuordnung ist insbesondere auszugehen, wenn der Arbeitnehmer unbefristet, für die Dauer des Dienstverhältnisses oder über einen Zeitraum von 48 Monaten hinaus an einer solchen Tätigkeitsstätte tätig werden soll (§ 9 Abs. 4 EStG).
Qualitativer Schwerpunkt nicht mehr entscheidend
Ist der Arbeitnehmer einer bestimmten Tätigkeitsstätte arbeitsrechtlich zugeordnet, kommt es aufgrund des Direktionsrechts des Arbeitgebers für das Auffinden der ersten Tätigkeitsstätte auf den qualitativen Schwerpunkt der Tätigkeit, die der Arbeitnehmer dort ausübt oder ausüben soll, entgegen der bis 2013 geltenden Rechtslage nicht mehr an.
Tätigwerden in geringem Umfang ausreichend
Wie auch die Finanzverwaltung geht der BFH davon aus, dass erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass der Arbeitnehmer am Ort der ersten Tätigkeitsstätte zumindest in geringem Umfang Tätigkeiten zu erbringen hat, die er arbeitsvertraglich oder dienstrechtlich schuldet und die zu dem von ihm ausgeübten Berufsbild gehören. Nur dann kann die "erste Tätigkeitsstätte" als Anknüpfungspunkt für den Ansatz von Wegekosten nach Maßgabe der Entfernungspauschale und als Abgrenzungsmerkmal gegenüber einer auswärtigen beruflichen Tätigkeit dienen.
Dies folgt nach Auffassung des BFH insbesondere aus § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG, der zumindest für den Regelfall davon ausgeht, dass der Arbeitnehmer an diesem Ort auch tätig werden soll. Darüber hinaus ist das Erfordernis einer arbeitsvertrag- oder dienstrechtlich geschuldeten Betätigung an diesem Ort nicht zuletzt dem Wortsinn des Tatbestandsmerkmals "erste Tätigkeitsstätte" geschuldet. Denn ein Ort, an dem der Steuerpflichtige nicht tätig wird (oder für den Regelfall nicht tätig werden soll), kann nicht als Tätigkeitsstätte angesehen werden.
Fliegendes Personal
Anhand dieser Grundsätze ist der BFH (Urteile v. 11.4.2019, VI R 40/16 Haufe Index 13227094, VI R 17/17, Haufe Index 10877724) zu dem Ergebnis gekommen, dass das fliegende Personal (Piloten, Flugbegleiter), welches arbeitsrechtlich einem Flughafen dauerhaft zugeordnet ist und auf dem Flughafengelände zumindest in geringem Umfang Tätigkeiten erbringt, dort seine erste Tätigkeitsstätte hat.
In der Regel gehört es u. a. zu den Aufgaben eines Piloten vor jedem Abflug an einem Briefing der Flugbesatzung teilzunehmen, die Wettermeldungen zu überprüfen, sich an der Beurteilung der Wetterlage zu beteiligen, alle notwendigen Unterlagen und Informationen zur Durchführung des Fluges einzuholen, den Flugplan zu überprüfen, sich mit dem technischen Status des Flugzeugs vertraut zu machen und die Abflugdaten zu errechnen. Damit ist dem Erfordernis des geringen Umfangs genüge getan.
Polizeibeamter im Streifendienst
Auch für einen Polizeibeamten im Streifendienst hat der BFH (Urteil v. 4.4.2019, VI R 27/17, Haufe Index 13227100) entschieden, dass auch diese Berufsgruppe an ihrer Dienststelle eine erste Tätigkeitsstätte begründet. Hier gehören zu den Aufgaben an der Dienststelle u. a. die Teilnahme an den Dienstantritts- oder allgemeinen Einsatzbesprechungen, Schichtübernahme oder -übergabe und insbesondere die Erledigung der Schreibarbeiten, wie das Verfassen von Protokollen, Streifen-, Einsatz- oder Unfallberichten.
Luftsicherheitskontrollkraft
Da als erste Tätigkeitsstätte auch ein großflächiges und entsprechend infrastrukturell erschlossenes Gebiet als großräumige erste Tätigkeitsstätte in Betracht kommt, hat auch eine Luftsicherheitskontrollkraft auf dem Flughafengelände seine erste Tätigkeitsstätte (BFH, Urteil v. 11.4.2019, VI R 12/17, Haufe Index 13227098).
Andere Berufsgruppen
M. E. ist davon auszugehen, dass auch der Amtssitz des Gerichtsvollziehers (Verfahren unter dem Az. VI R 35/18 noch offen) eine erste Tätigkeitsstätte darstellt. Dies sollte auch für überwiegend im Außendienst tätige Mitarbeiter eines Ordnungsamts gelten (Verfahren unter dem Az. VI R 9/19 noch offen).
Anhand der Grundsätze des BFH sollte eine erste Tätigkeitsstätte beispielsweise auch noch bei folgenden Berufsgruppen vorliegen, welche in der Rechtsprechung der Finanzgerichte schon behandelt wurden:
- Müllwerker (vgl. FG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 23.5.2019, 4 K 4259/17)
- Rettungsassistent (vgl. FG Nürnberg, Urteil v. 3.5.2018, 6 K 1218/17)
- Postzusteller (FG Nürnberg, Urteil v. 3.5.2018, 6 K 1031/17 und 6 K 1033/17).
Befristete Arbeitsverhältnisse: Hafenarbeiter und Leiharbeitnehmer
In dem Fall eines Hafenarbeiters, der regelmäßig für einen Tag befristet beschäftigt wurde, hat der BFH entschieden (Urteil v. 11.4.2019, VI R 36/16, Haufe Index 13227101), dass aufgrund der Zuordnung für jeweils einen Tag eine dauerhafte Zuordnung und dementsprechend jeweils eine erste Tätigkeitsstätte vorliegt.
Bei einem Leiharbeitnehmer ist zwischen den Zuordnungen zu unterscheiden (Urteil v. 10.4.2019, VI R 6/17, Haufe Index 13227095). Ist der Arbeitnehmer im Rahmen eines befristeten Arbeits- oder Dienstverhältnisses bereits einer ersten Tätigkeitsstätte zugeordnet wurde und wird er im weiteren Verlauf einer anderen Tätigkeitsstätte zugeordnet, ist die zweite Zuordnung nicht mehr für die Dauer des Arbeits- oder Dienstverhältnisses erfolgt. Denn in Bezug auf die zweite Zuordnung steht fest, dass sie nicht gemäß § 9 Abs. 4 Satz 3 2. Alt EStG für die (gesamte) Dauer des Dienstverhältnisses gilt, sondern lediglich für die Dauer des verbleibenden Arbeits- oder Dienstverhältnisses.
Daran ändert sich auch nichts, wenn die Befristung verlängert wird. Anders wäre dies nur, wenn jede Verlängerung der Befristung zugleich ein neues Beschäftigungsverhältnis darstellen würde. Bei einer bloßen Verlängerung wird aber das bisherige befristete Arbeitsverhältnis jedoch lediglich über den zunächst vereinbarten Endtermin bis zu dem neu vereinbarten Endtermin fortgesetzt.
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