Fahrtkosten und Unterkunftskosten bei einem Praxissemester
Bei einem Praxissemester sind die Ausführungen des BFH m. E. nicht ganz eindeutig.
Beispiel: A lebt bei seinen Eltern und nahm nach seiner abgeschlossenen Erstausbildung ein Studium (Vollzeit) im Inland (Z) auf (damit der – vorweggenommen - Werbungskostenabzug für das Studium möglich). Im Rahmen des Studiums ist vorgeschrieben, dass ein Auslandssemester und ein Auslandspraxissemester von jeweils 6 Monaten absolviert werden muss. Das Auslandssemester wurde in den Niederlanden und das Praxissemester in Belgien absolviert. Im Rahmen des Praxissemesters erhielt A für seine Vollzeittätigkeit eine Vergütung. Er wurde ausschließlich für Büroarbeiten am Betriebssitz eingesetzt. Für die Zeit des Auslandsaufenthalts mietete er eine Unterkunft an. Nach Ablauf des Auslandssemesters studiert A wieder an der Universität in Z.
Erste Tätigkeitsstätte
Nach § 9 Abs. 4 EStG ist erste Tätigkeitsstätte die ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten, der der Arbeitnehmer dauerhaft zugeordnet ist. Die Zuordnung wird durch die dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen sowie die diese ausfüllenden Absprachen und Weisungen bestimmt. Von einer dauerhaften Zuordnung ist insbesondere auszugehen, wenn der Arbeitnehmer unbefristet, für die Dauer des Dienstverhältnisses oder über einen Zeitraum von 48 Monaten hinaus an einer solchen Tätigkeitsstätte tätig werden soll.
Vollzeitbildungseinrichtung
Als erste Tätigkeitsstätte gilt aber auch eine Bildungseinrichtung, die außerhalb eines Dienstverhältnisses zum Zwecke eines Vollzeitstudiums oder einer vollzeitigen Bildungsmaßnahme aufgesucht wird. Ein Vollzeitstudium oder eine vollzeitige Bildungsmaßnahme i. S. der Regelung des § 9 Abs. 4 Satz 8 EStG liegt insbesondere vor, wenn der Steuerpflichtige im Rahmen des Studiums oder im Rahmen der Bildungsmaßnahme für einen Beruf ausgebildet wird und daneben entweder keiner Erwerbstätigkeit nachgeht oder während der gesamten Dauer des Studiums oder der Bildungsmaßnahme eine Erwerbstätigkeit mit durchschnittlich bis zu 20 Stunden regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit oder in Form eines geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses ausübt.
Inländische Hochschule bleibt bei einem Auslandssemester erste Tätigkeitsstätte
Nach Auffassung des BFH (Urteil v. 14.5.2020, VI R 3/18) bleibt eine inländische Hochschule auch während eines Auslandssemesters die erste Tätigkeitsstätte, sodass Kosten für Unterkunft und Verpflegungsmehraufwand (und auch Fahrtkosten nach Reisekostengrundsätzen) im Ausland als (vorweggenommene) Werbungskosten geltend gemacht werden können. Es liegt eine Auswärtstätigkeit vor. Der Stpfl. sucht die Bildungseinrichtung in Vollzeitausbildung und damit seine erste Tätigkeitsstätte vorübergehend nicht auf, weil er nach der Studienordnung Teile der Ausbildung an einer auswärtigen Bildungseinrichtung absolvieren kann bzw. muss.
Dies gilt jedenfalls dann, soweit der Stpfl. nach der Ausbildungs-/Studienordnung weiterhin der bisherigen Bildungsreinrichtung zugeordnet (eingeschrieben) bleibt. Nur diese Auslegung bewirkt eine Gleichstellung mit einem Arbeitnehmer, der am auswärtigen Tätigkeitsort keine erste Tätigkeitsstätte begründet, wenn er dort nicht dauerhaft, sondern nur vorübergehend seinen Beruf ausübt.
Entsprechendes gilt beim Praxissemester
Während des Praxissemesters ist A hier aber als Arbeitnehmer tätig und erhielt hierfür eine Vergütung. Er stand in einem befristeten Arbeitsverhältnis (Dauerhaftigkeit). Der BFH ist daher der Auffassung, dass bei dem ausländischen Arbeitgeber in Bezug auf dieses Arbeitsverhältnis in dem ihm zugewiesenen Büro eine erste Tätigkeitsstätte i. S. v. § 9 Abs. 4 Satz 1 EStG vorliegt (pro Dienstverhältnis kann eine erste Tätigkeitsstätte vorliegen, hier dann vergleichbar bei der Bildungseinrichtung im Inland und beim Arbeitgeber im Ausland).
Auf den ersten Blick ist nun davon auszugehen, dass z. B. die Kosten für die Unterkunft nur dann geltend gemacht werden können, wenn der Stpfl. die Kriterien der doppelten Haushaltsführung erfüllt. Der BFH sieht zwar auch, dass die Kosten auch im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehen; dieser Erwerbsaufwand aber zugleich durch das in Form des Praxissemesters fortgesetzte Studium im Inland veranlasst ist. In diesem Rechtsverhältnis sei der engere und wirtschaftlich vorrangige Veranlassungszusammenhang der Aufwendungen zu verorten. Denn das maßgebliche auslösende Moment für die Entstehung der Unterkunftskosten und Verpflegungsmehraufwendungen sei der Umstand, dass der Stpfl. dieses Praxissemester aufgrund der Vorgaben der Prüfungsordnung im Rahmen ihres Vollzeitstudiums im Ausland zu absolvieren hatte.
Bezogen auf dieses Rechtsverhältnis handele es sich bei der Tätigkeit im Ausland um eine auswärtige Tätigkeit, sodass A hier für die Unterkunftskosten und Verpflegungsmehraufwendungen die Kosten nach Reisekostengrundsätzen im Rahmen des Vollzeitstudiums geltend machen kann.
Was gilt für die Fahrtkosten?
Was das aber nun für eventuelle Fahrtkosten bedeutet wird nicht ganz deutlich. M. E. sind die Fahrtkosten nur im Rahmen der Entfernungspauschale über das Arbeitsverhältnis zu erfassen (unabhängig davon ob der Arbeitslohn im Inland zu versteuern oder aufgrund einer ausländischen Versteuerung nur dem Progressionsvorbehalt – Einkunftsermittlung nach inländischen Grundsätzen - unterliegt), weil der BFH zum einen eine erste Tätigkeitsstätte annimmt und zum anderen die Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte unmittelbar der Arbeitsaufnahme dienen, wodurch m. E. ein engerer und wirtschaftlich vorrangiger Veranlassungszusammenhang besteht. Wie die Finanzverwaltung aber auf das Urteil in der Praxis umsetzt, bleibt abzuwarten.
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