Sachverhalt
Schönheitschirurg S hat nach Abschluss aller notwendigen Ausbildungsschritte eine chirurgische Fachklinik eröffnet, in der er zu ca. 50 % steuerfreie ärztliche Leistungen nach § 4 Nr. 14 UStG und zu ca. 50 % steuerpflichtige schönheitschirurgische Leistungen ausführt. Da er seine Praxis gerne in eigenen Räumen unterhalten wollte, hatte er zusammen mit seinem Vater 2010 die V & S GmbH gegründet, die ein Grundstück erworben und darauf eine den Ansprüchen des S entsprechende Praxis errichtet hatte (Baukosten 1 Mio. EUR zzgl. 19 % USt). Die Praxis wurde ab Bezugsfertigkeit am 1.4.2011 zu einem marktüblichen Mietzins an S vermietet.
Gesellschafter der V & S GmbH waren jeweils zu 50 % Vater V und Sohn S. Sowohl V wie auch S sind jeweils alleinvertretungsberechtigte Geschäftsführer der V & S GmbH, die außer der an S vermieteten Immobilie keine weitere Tätigkeit unterhält.
Aus Anlass des Osterfestes 2013 schenkt V seinem Sohn 25 % seiner Anteile an der V & S GmbH per 1.4.2013. V ist auch bereit – soweit umsatzsteuerrechtlich sinnvoll – Einschränkungen bei der Geschäftsführungstätigkeit zu akzeptieren.
Fragestellung
V und S möchten wissen, welche umsatzsteuerrechtlichen Auswirkungen sich aus der Anteilsübertragung der Anteile von V an S ergeben können und welche weiteren Schritte für eine optimale umsatzsteuerrechtliche Gestaltung unternommen werden sollten.
Lösung
S ist als Schönheitschirurg unternehmerisch tätig, da er selbstständig, nachhaltig und mit Einnahmeerzielungsabsicht tätig ist. Zu seinem Unternehmen gehört die Tätigkeit als Schönheitschirurg.
Die Umsätze des S sind regelmäßig an seinem Unternehmenssitz ausgeführt und damit im Inland steuerbar. Soweit er Leistungen ausführt, die der Behandlung, Heilung oder Vorsorge vor Krankheiten dienen, sind sie nach § 4 Nr. 14 UStG steuerfrei und schließen nach § 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG den Vorsteuerabzug aus. Die schönheitschirurgischen Maßnahmen, die nicht auf einer medizinischen Indikation beruhen, fallen nicht unter die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 UStG.
Hinweis: Diese in Deutschland angewandten Rechtsgrundsätze sind im Ergebnis auch vom EuGH bestätigt worden (EuGH, Urteil v. 21.3.2013, C-91/12 (PCF Clinic AB), Haufe Index 3655149).
S führt damit sowohl den Vorsteuerabzug ausschließende wie auch den Vorsteuerabzug zulassende Ausgangsumsätze aus.
Die V & S GmbH ist selbst Unternehmer, da sie ebenfalls selbstständig, nachhaltig und mit Einnahmeerzielungsabsicht Umsätze ausführt. Die GmbH ist 2011 auch nicht unselbstständig in ein anderes Unternehmen eingegliedert, da eine umsatzsteuerrechtliche Organschaft an einer finanziellen Eingliederung scheitert. Da der Gesellschafter S nur 50 % der Anteile (Beteiligungshöhe = Stimmrechte) hält, kann er nicht die Mehrheit der Stimmen in der Gesellschafterversammlung innehaben. Eine Stimmenzusammenrechnung mit den Anteilen, die von seinem Vater gehalten werden, kann grundsätzlich nicht in Betracht kommen.
Die Vermietung der Praxis an S ist ein am Grundstücksort ausgeführter Umsatz , der steuerbar nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG ist. Die Vermietung ist grundsätzlich nach § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG steuerfrei. Zu prüfen ist, ob für die GmbH ein Verzicht auf die Steuerbefreiung nach § 9 UStG in Betracht kommen kann. Dabei müssten die Voraussetzungen nach § 9 Abs. 1 und Abs. 2 UStG erfüllt sein. Die Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 UStG sind erfüllt, da der Mieter (S) Unternehmer ist und die Räume auch für sein Unternehmen anmietet.
Weitere Voraussetzung für den Verzicht auf die Steuerbefreiung ist nach § 9 Abs. 2 UStG, dass der Mieter bezüglich der ihm berechneten Umsatzsteuer (vollständig) zum Vorsteuerabzug berechtigt sein muss. Die von der Finanzverwaltung gewährte Vereinfachungsregelung, nach der eine bis zu 5 % vorsteuerabzugsschädliche Verwendung für die Option des Vermieters unschädlich ist (Abschn. 9.2 Abs. 3 UStAE), kommt hier nicht zur Anwendung, da S die Räume zu 50 % für vorsteuerabzugsschädliche Zwecke nutzt. Da S die Räume auch für die nicht den Vorsteuerabzug zulassenden Heilbehandlungen nutzt, kann eine Option auf die Steuerpflicht für den Vermieter nicht in Betracht kommen.
Wichtig: Der Verzicht auf die Steuerbefreiung nach § 9 Abs. 2 UStG muss immer im Zusammenspiel mit der Übergangsregelung des § 27 Abs. 2 UStG geprüft werden. Da es sich bei dem Gebäude um einen Neubau (Baubeginn ab dem 11.11.1993) handelt, ist § 9 Abs. 2 UStG in der „strengen“, aktuellen Fassung anzuwenden. Würde es sich um einen „Altbau“ handeln (Baubeginn vor dem 11.11.1993 und Fertigstellung bis zum 31.12.1997) wäre die Vorsteuerabzugsberechtigung des Mieters unbeachtlich und die V & S GmbH könnte an S unter Verzicht auf die Steuerbefreiung vermieten.
Die Vermietung der Räume ab 2011 erfolgt somit steuerbar, aber nach § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG steuerfrei. Die Bemessungsgrundlage für die steuerfreien Umsätze umfasst alles, was der Mieter (S) aufwendet. Da es sich um eine marktübliche Miete handeln soll, kommt auch nicht die Mindestbemessungsgrundlage nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 UStG zur Anwendung.
Praxis-Tipp: Bei einer steuerfreien Vermietung mag es keine große Rolle spielen, aber falls eine steuerpflichtige Leistung ausgeführt wird, muss bei einem Naheverhältnis zwischen Leistendem und Leistungsempfänger immer geprüft werden, ob die Mindestbemessungsgrundlage zur Anwendung kommt. Soweit kein marktübliches Entgelt entrichtet wird, muss mindestens das der Umsatzsteuer unterworfen werden, was bei einer unentgeltlichen Wertabgabe der Besteuerung unterliegen würde.
D die V & S GmbH die Räume steuerfrei an S vermietet, ist sie für die Baukosten vom Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG (steuerfreie Verwendung) ausgeschlossen. Eine Ausnahme vom Vorsteuerabzugsverbot ergibt sich auch nicht aus § 15 Abs. 3 UStG. Die aus dem Bau entstandenen 190.000 EUR konnten somit in der Bauphase nicht als Vorsteuer geltend gemacht werden.
Mit der Übertragung von 25 % der Anteile von V an seinen Sohn zum 1.4.2013 könnte eine umsatzsteuerrechtliche Organschaft begründet werden, die dazu führen würde, dass die V & S GmbH unselbstständiger Bestandteil des Unternehmens des S wird.
S ist als Unternehmer selbstständig tätig, sodass er die allgemeinen Voraussetzungen als potenzieller Organträger erfüllt. Die V & S GmbH kann als juristische Person des privaten Rechts grundsätzlich als Organgesellschaft eingegliedert sein. Zu prüfen sind die Eingliederungsvoraussetzungen:
- Finanzielle Eingliederung: Nach der Übertragung der weiteren Anteile an den S würde er über insgesamt 75 % der Anteile verfügen. Da das Stimmrecht den Kapitalanteilen entsprechen soll, hätte S eindeutig die Mehrheit der Stimmen in der Gesellschafterversammlung; die finanzielle Eingliederung liegt damit eindeutig vor.
- Wirtschaftliche Eingliederung: Die potenzielle Organgesellschaft überlässt dem S mit den auf ihn abgestimmten Räumlichkeiten wesentliche Betriebsgrundlagen – dies stellt eine mehr als nur unwesentliche wirtschaftliche Verflechtung dar, sodass auch die wirtschaftliche Eingliederung als gegeben angenommen werden kann.
- Organisatorische Eingliederung: Da S der Geschäftsführer der V & S GmbH ist, liegt eine personelle Verflechtung zwischen dem potenziellen Organträger und der potenziellen Organgesellschaft vor. Allerdings ist auch noch der Vater alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer der V & S GmbH. Damit ist nicht in jedem Fall sichergestellt, dass S seinen Willen auch tatsächlich im Alltagsgeschäft durchsetzen kann. Soweit aber die Beteiligten eine Organschaft als sinnvoll ansehen, könnten weitere Maßnahmen ergriffen werden, wodurch die Durchsetzung des Willens des S sichergestellt wird. Es könnte z. B. ein schriftliches Letztentscheidungsrecht zwischen V und S zugunsten des S vereinbart werden, nach der bei Meinungsverschiedenheiten S die endgültige Entscheidung zu treffen hat (BFH, Urteil v. 5.12.2007, V R 26/06, BFH/NV 2008 S. 711 sowie Abschn. 2.8 Abs. 8 UStAE).
Die Beteiligten können damit durch willentliche Entscheidung die organisatorische Eingliederung und damit die Organschaft steuern. Entscheidend ist damit, ob Organschaft im vorliegenden Fall zu vorteilhaften umsatzsteuerrechtlichen Konsequenzen führt oder ob die Weiterführung als getrennte Unternehmen umsatzsteuerrechtlich sinnvoller ist.
Würde zwischen S und der V & S GmbH keine Organschaft begründet werden, wäre die Vermietung der V & S GmbH weiterhin als steuerbare, aber steuerfreie Vermietung anzusehen, die den Vorsteuerabzug aus den Eingangsleistungen der V & S GmbH ausschließt. Dass S jetzt Mehrheitsgesellschafter der V & S GmbH ist, führt zu keinen umsatzsteuerrechtlichen Konsequenzen.
Würde durch Eingehen der organisatorischen Eingliederung die umsatzsteuerrechtliche Organschaft zwischen S und der V & S GmbH begründet, wäre die GmbH nicht mehr selbstständig tätig. Unternehmer und Schuldner aller Umsatzsteuerbeträge wäre S als Organträger. Die Vermietung der Räume wäre dann ein nicht steuerbarer Innenumsatz, der weder einen Vorsteuerabzug zulässt noch einen Vorsteuerabzug ausschließt.
Ob das einheitliche Gesamtunternehmen für Eingangsleistungen zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, entscheidet sich nach den Ausgangsumsätzen. Da S – nach den Sachverhaltsangaben – zu 50 % steuerpflichtige Leistungen als Schönheitschirurg ausführt, ist er im Rahmen seines einheitlichen Unternehmens (das jetzt auch die V & S GmbH umfasst) zu 50 % zum Vorsteuerabzug berechtigt . S hätte damit aus allen Eingangsleistungen im Zusammenhang mit den von ihm genutzten Räumlichkeiten (Bewirtschaftungskosten sowie Instandsetzungskosten) einen anteiligen Vorsteuerabzug.
Da die Räumlichkeiten (erstmalige Verwendung am 1.4.2011) von der GmbH aber selbst errichtet wurden, ergibt sich wegen der jetzt auch teilweise steuerpflichtigen Nutzung im Organkreis die Möglichkeit der Vorsteuerberichtigung. Der Berichtigungszeitraum beträgt 10 Jahre und läuft vom 1.4.2011 bis 31.3.2021. Die Verwendung des Gegenstands (Verwendungsabsicht bei Bau) war auf eine vollständig steuerfreie Nutzung ausgerichtet. Da die Räumlichkeiten jetzt (annahmegemäß ab dem 1.4.2013) zu 50 % für den Vorsteuerabzug nicht ausschließende Zwecke verwendet werden, ergibt sich im Durchschnitt für 2013 eine steuerpflichtige Nutzung von (3 Monate 0 % vorsteuerabzugsberechtigend; 9 Monate 50 % vorsteuerabzugsberechtigend =) 37,5 %. Damit würde sich für S in 2013 ein anteiliger Vorsteuerberichtigungsbetrag i. H. v. (190.000 EUR x 1/10 x 37,5 % =) 7.125 EUR ergeben. Da der voraussichtliche Berichtigungsbetrag mehr als 6.000 EUR im Jahr beträgt, würde der Vorsteuerberichtigungsbetrag schon zeitanteilig in den einzelnen Voranmeldungszeiträume (bei monatlicher Voranmeldung ab April 2013 jeweils 791,67 EUR) geltend gemacht werden können (§ 44 Abs. 4 UStDV).
Hinweis: Soweit das Organschaftsverhältnis auch über 2013 anhalten würde, würde sich jährlich (2014 bis 2020, anteilig 2021) bei einer Verwendung zu 50 % für vorsteuerabzugsberechtigende Zwecke ein Vorsteuerberichtigungsbetrag zugunsten des S i. H. v. (190.000 EUR x 1/10 x 50 % =) 9.500 EUR ergeben.
Die umsatzsteuerrechtliche Organschaft ist für S und die V & S GmbH von erheblichem finanziellen Vorteil. Da die GmbH auch keine weiteren Tätigkeiten ausführt, besteht für den potenziellen Organträger S auch kein umsatzsteuerrechtliches Risiko, falls die GmbH in die Insolvenz gehen sollte.
S und sein Vater sollten deshalb zur Sicherstellung der organisatorischen Eingliederung eine Vereinbarung (schriftlich) abschließen, dass im Zweifelsfall bei einer Meinungsverschiedenheit S als Organträger das Entscheidungsrecht in der Geschäftsleitung hat. Dann würden alle Eingliederungsvoraussetzungen vorliegen, sodass die GmbH unselbstständiger Bestandteil des Unternehmens des S wird.