Umsatzsteuer 2024: Wichtige Änderungen im Überblick
Aktualisierung 4 (21.12.2023): Neu ist ein Hinweis zur Übergangsregelung beim Steuersatz in der Gastronomie für die Silvesternacht (BMF, Schreiben v. 21.12.2023).
Aktualisierung 3 (15.12.2023): Neu aufgenommen wurden Hinweise zum BMF-Schreiben vom 15.12.2023 (Gebühren für Parkverstöße) und dessen Nichtbeanstandungsregelung.
Aktualisierung 2 (14.12.2023): Berücksichtigt wurden insbesondere zeitliche Auswirkungen, die sich durch die Verzögerung bei dem Vermittlungsverfahren zum Wachstumschancengesetz ergeben, welches voraussichtlich nicht mehr im Jahr 2023 abgeschlossen wird.
Aktualisierung (1.12.2023): Neu berücksichtigt wurde das BMF-Schreiben v. 30.11.2023 zu Photovoltaikanlagen (Einzelfragen bei der Anwendung des Nullsteuersatzes); außerdem wurden Ausführungen zum BMF-Schreiben v. 10.10.2023 (Laborleistungen) ergänzt.
Das ändert sich 2023/2024 im Umsatzsteuergesetz
Der Jahresbeginn 2023 stand ganz unter dem Einfluss der Einführung des neuen "Nullsteuersatzes" (§ 12 Abs. 3 UStG) für die Lieferung bzw. die Installation bestimmter Photovoltaikanlagen bei Leistungen gegenüber dem Betreiber der Anlage (eingeführt durch JStG 2022). Darüber hinaus musste die Absenkung des Steuersatzes für die Lieferung von Gas und Wärme – allerdings schon seit dem 1.10.2022 – in der Praxis berücksichtigt werden. Unterjährig hatten sich dann im Jahr 2023 keine weiteren Änderungen ergeben.
Zum Ende des Jahres 2023 sind 2 Gesetzesverfahren zu beachten, die Änderungen des Umsatzsteuerrechts nach sich ziehen werden:
- das Zukunftsfinanzierungsgesetz sowie
- das Wachstumschancengesetz.
Rückblick auf die Einführung eines Nullsteuersatzes bei bestimmten Photovoltaikanlagen
Zum 1.1.2023 ist erstmals in Deutschland ein sog. Nullsteuersatz (§ 12 Abs. 3 UStG) für die Lieferung und Installation bestimmter Photovoltaikanlagen eingeführt worden, wenn die Leistung an den Betreiber der Anlage ausgeführt wird. Die Anlage muss dabei im räumlichen Zusammenhang mit Wohnungen, öffentlichen Gebäuden oder dem Gemeinwohl dienenden Gebäuden stehen. Dies wird im Rahmen einer gesetzlichen Fiktion unterstellt, wenn die Anlage (einheitenbezogen) eine Leistung von höchstens 30 kW (peak) nach dem Marktstammdatenregister hat. Mit der Regelung soll es den Betreibern dieser Anlagen wirtschaftlich attraktiv gemacht werden, die Kleinunternehmerbesteuerung in Anspruch zu nehmen.
Hinweis: Das BMF (Schreiben v. 27.2.2023, BStBl 2023 I S. 351) hat zeitnah umfassende Hinweise zur Anwendung des Nullsteuersatzes veröffentlicht, die Ende November 2023 noch präzisiert wurden ( BMF, Schreiben v. 30.11.2023, III C 2 – S 7220/22/10002 :013). Darüber hinaus hat die Finanzverwaltung geregelt, dass die Betreiber solcher neuen begünstigten Photovoltaikanlagen trotz unternehmerischer Betätigung keine steuerliche Anmeldung vornehmen müssen, soweit die Kleinunternehmerbesteuerung in Anspruch genommen wird (BMF, Schreiben v. 12.6.2023, BStBl 2023 I S. 990).
Neben der Anwendung des neuen Nullsteuersatzes bei der Lieferung (Werklieferung) oder der Installation einer begünstigten Photovoltaikanlage muss in der Praxis insbesondere auf die steuerlichen Konsequenzen bei den sog. Altanlagen (Anlagen, die bis 31.12.2022 noch zum Regelsteuersatz erworben wurden) geachtet werden. Soweit hier keine Änderungen vorgenommen werden, ergeben sich weiterhin die gleichen umsatzsteuerrechtlichen Konsequenzen wie in den vergangenen Jahren. Neben der (umsatzsteuerrechtlich unproblematischen) weiter erfolgenden Besteuerung der Einspeisung von Strom in das Netz muss dann auch der dezentrale eigene Verbrauch als unentgeltliche Wertabgabe der Besteuerung unterworfen werden.
Da zumindest bei den in den letzten Jahren erworbenen bzw. installierten Anlagen bei einem Verzicht auf die Kleinunternehmerbesteuerung keine Rückkehr in die Kleinunternehmerbesteuerung möglich ist , muss geprüft werden, ob durch andere Maßnahmen die Besteuerung der unentgeltlichen Wertabgabe verhindert werden kann. Insbesondere kommt hier die Entnahme der Anlage aus dem Unternehmen in Betracht, die aber zeitnah erklärt werden muss. Die Finanzverwaltung ( BMF, Schreiben v. 30.11.2023, III C 2 – S 7220/22/10002 :013) ermöglicht es den Betreibern aber, bis zum 11.1.2024 noch eine rückwirkende Entnahme zum 1.1.2023 zu deklarieren. Die Entnahme gilt zwar als steuerbare und steuerpflichtige Lieferung, unterliegt aber dem Nullsteuersatz, sodass im Ergebnis keine Umsatzsteuer aus der Entnahme entsteht.
Hinweis: Die Finanzverwaltung (BMF, Schreiben v. 27.2.2023, BStBl 2023 I S. 351) hat die Entnahme einer solchen Altanlage aus dem Unternehmen grundsätzlich für zulässig erachtet, sieht dies aber nur dann, wenn die Anlage zu mehr als 90 % für private Zwecke verwendet wird. Dies wird fiktiv unterstellt, wenn ein dezentraler Speicher vorhanden ist oder eine Wall-Box bzw. eine Wärmepumpe genutzt wird. Ob die 90 %-Grenze aber einer gerichtlichen Prüfung standhält, ist fraglich. Sollte die Anlage aus dem Unternehmen entnommen werden, muss trotzdem der eingespeiste Strom weiterhin der Umsatzbesteuerung unterworfen werden, wenn kein Wechsel in die Kleinunternehmerbesteuerung möglich ist.
Änderungen durch das Zukunftsfinanzierungsgesetz
Im Rahmen des Zukunftsfinanzierungsgesetzes sollten mehrere Änderungen in § 4 Nr. 8 UStG vorgenommen werden, die sich im Wesentlichen aufgrund der weiteren Anpassung an die MwStSystRL (Anpassung an Art. 135 Abs. 1 Buchst. b, c und g MwStSystRL) ergeben. Nach Beschlussempfehlung des Finanzausschusses wurde aber nur eine Änderung in § 4 Nr. 8 UStG vorgenommen. Der Bundesrat hat dem Gesetz am 24.11.2023 zugestimmt.
Hinweis: In § 4 Nr. 8 Buchst. a und Buchst. g UStG sollten die umsatzsteuerlichen Befreiungstatbestände auf die Verwaltung von Krediten und Kreditsicherheiten durch die Kreditgeber ausgedehnt werden, um die unionsrechtlichen Vorgaben vollständig in nationales Recht umzusetzen. Die noch in der ersten Lesung verabschiedeten Änderungen sind dann aber im Finanzausschuss des Bundestags gestrichen worden.
In § 4 Nr. 8 Buchst. h UStG wird geregelt, dass alle "alternativen Investmentfonds" von der Umsatzsteuer befreit sind (bisher war dies nur die Verwaltung von "mit Wertpapieren i. S. d. § 1 Abs. 2 KAGB vergleichbaren alternativen Investmentfonds"), dafür wird die "Verwaltung von Wagniskapitalfonds" gestrichen.
Hinweis: Der Umfang der Umsatzsteuerbefreiung erstreckte sich ausweislich der Gesetzesbegründung nach bisheriger nationaler Rechtslage auf Investmentfonds i. S. der OGAW-Richtlinie und auf die Verwaltung solcher alternativer Investmentfonds (AIF), die den gleichen Wettbewerbsbedingungen unterliegen, sowie auf die Verwaltung von Wagniskapitalfonds. Durch die Gesetzesänderung werden die Verwaltungsleistungen von alternativen Investmentfonds i. S. d. § 1 Abs. 3 KAGB von der Umsatzsteuer befreit.
Ausblick auf das Wachstumschancengesetz
Der Bundesfinanzminister hat ein Wachstumschancengesetz vorgelegt, das zu Entlastungen in der Wirtschaft führen soll. Der Bundestag hat das Gesetz am 17.11.2023 in 2. und 3. Lesung verabschiedet, der Bundesrat hat dazu jedoch am 24.11.2023 den Vermittlungsausschuss angerufen. Aufgrund der Verhandlungen über den Bundeshaushalt 2024 hat der Vermittlungsausschuss momentan keine Basis für eine abschließende Behandlung gesehen. Wichtige, fristgebundene Änderungen, die im Wachstumschancengesetz umzusetzen gewesen wären – insbesondere Anpassungen aufgrund des MoPeG – sind kurzfristig in das Kreditzweitmarktförderungsgesetz übernommen worden, das am 14.12.2023 vom Bundestag verabschiedet wurde und am 15.12.2023 die Zustimmung des Bundesrates erhielt. Änderungen im Umsatzsteuerbereich sind allerdings nicht mit in diese Gesetzesvorlage übernommen worden, sodass die Änderungen und Vereinfachungen im Umsatzsteuerbereich voraussichtlich nicht zum 1.1.2024 (ggf. rückwirkend) in Kraft treten können.
Durch das Wachstumschancengesetz sollten sich auch umsatzsteuerliche Änderungen ergeben. Neben Folgewirkungen aus ertragsteuerrechtlichen Änderungen soll es auch zu unmittelbaren Veränderungen im Umsatzsteuerrecht kommen. Die durchgreifendste Veränderung wird sich voraussichtlich durch die Einführung einer zwingenden Abrechnung durch eine elektronische Rechnung bei steuerpflichtigen B2B-Umsätzen zwischen inländischen Unternehmern ergeben. Dies soll nach dem Gesetzentwurf – mit weiteren Übergangsvorschriften – aber erst ab 2025 gelten. Die Übergangsfristen wurden durch den Finanzausschuss noch verlängert.
Mittelbare Änderungen des Umsatzsteuerrechts
Im Ertragsteuerrecht sollen sich diverse Veränderungen ergeben. Geplant ist die Anhebung von Wertgrenzen für bestimmte ertragsteuerrechtliche Ausnahmen. Diese werden eine mittelbare Auswirkung für die Umsatzsteuer haben.
In § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG soll die Grenze für Geschenke von geringem Wert von derzeit 35 EUR auf 50 EUR angehoben werden.
Hinweis: Die Anhebung der Wertgrenze für Geschenke von geringem Wert würde sich mittelbar auf die unentgeltliche Wertabgabe nach § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 UStG auswirken, nach dem eine unentgeltliche Wertabgabe aus unternehmerischen Gründen dann nicht erfolgt, wenn ein Geschenk von geringem Wert vorliegt. Bisher wurde umsatzsteuerrechtlich auf die Grenze von 35 EUR aus dem Ertragsteuerrecht Bezug genommen. Weiterhin würde sich die Anhebung der Grenze für die Geschenke von geringem Wert auf die Abzugsfähigkeit von Vorsteuerbeträgen nach § 15 Abs. 1a UStG auswirken. Hier wird aus § 15 Abs. 1a UStG für den Vorsteuerabzug unmittelbar auf § 4 Abs. 5 EStG Bezug genommen.
In § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a Satz 3 EStG soll der Freibetrag für Betriebsveranstaltungen von derzeit 110 EUR auf 150 EUR angehoben werden.
Hinweis: Es ist davon auszugehen, dass dies entsprechend auch für die Umsatzsteuer so (analog) gelten wird, wenn die Regelung so in Kraft treten sollte. Bei einer Betriebsveranstaltung ist zu unterscheiden, ob diese im überwiegenden Interesse des Unternehmens oder des Personals durchgeführt wird. Soweit eine Betriebsveranstaltung im überwiegenden Interesse des Unternehmens durchgeführt wird, ist der Vorsteuerabzug für die damit im Zusammenhang stehenden Eingangsleistungen unter den weiteren Voraussetzungen möglich. Wird eine Betriebsveranstaltung durchgeführt, die im überwiegenden Interesse des Personals durchgeführt wird, würde dies zu dem Grunde nach besteuerten Ausgangsleistungen nach § 3 Abs. 9a Nr. 2 UStG führen. In diesem Fall ist der Vorsteuerabzug für die damit im Zusammenhang stehenden Eingangsleistungen ausgeschlossen (Abschn. 15.15 UStAE).
Die Abgrenzung zwischen unternehmerischer oder durch den privaten Bedarf des Personals verursachter Veranlassung erfolgt einheitlich anhand der bisherigen 110 EUR-Grenze (Abschn. 1.8 Abs. 4 Satz 3 Nr. 6 UStAE). Während die Grenze im Ertragsteuerrecht einen Freibetrag darstellt, handelt es sich im Umsatzsteuerrecht allerdings um eine Freigrenze (bestätigt durch BFH, Urteil v. 10.5.2023, V R 16/21, BFH/NV 2023 S. 1161. Allerdings lässt das BFH-Urteil noch Fragen offen, da der BFH in den amtlichen Leitsätzen von einem Jahresbetrag von 110 EUR ausgeht, während dies im Ertragsteuerrecht pro Veranstaltung gesehen wird).
Änderungen des Umsatzsteuerrechts am Tag nach Verkündung
Hinweis: Die folgenden Änderungen sollen am Tag nach Verkündung des Gesetzes in Kraft treten – dies wird voraussichtlich erst im Jahr 2024 geschehen.
Eine Änderung soll beim ermäßigten Steuersatz für begünstigte Einrichtungen nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 3 UStG erfolgen und ein neuer Satz 4 soll angefügt werden.
In § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 3 UStG wird klargestellt, dass die Regelung nur auf Leistungen von Zweckbetrieben nach den §§ 66 - 68 AO anzuwenden ist. Bei Leistungen von Zweckbetrieben nach § 65 AO findet hingegen keine umsatzsteuerrechtliche Prüfung der Wettbewerbsrelevanz dieser Leistungen statt. Bisher wurde in § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 3 UStG nur allgemein zur Prüfung der Wettbewerbssituation auf die Zweckbetriebe verwiesen. Die Präzisierung soll erfolgen, da bei Zweckbetrieben i. S. d. § 65 AO dem Wettbewerbsgedanken bereits durch die Definition des Zweckbetriebs als solchem in § 65 AO hinreichend Rechnung getragen wird.
Hinweis: Die Änderung des § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 3 UStG erfolgt, nachdem der BFH (Urteil v. 26.8.2021, V R 5/19, BFH/NV 2022 S. 166) entschieden hatte, dass die Wettbewerbsklausel des § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 3 UStG nach dem bisherigen Gesetzeswortlaut auch auf Zweckbetriebe i. S. d. § 65 AO anzuwenden ist. Ein gegenteiliger Wille des Gesetzgebers habe keinen Niederschlag im Gesetzeswortlaut gefunden.
Nach der Gesetzesbegründung führt die BFH-Rechtsprechung dazu, dass Leistungen von Zweckbetrieben nach § 65 AO regelmäßig dem regulären Steuersatz unterliegen. Denn Sachverhalte, bei denen Zweckbetriebe nicht zu herkömmlichen Unternehmen in Wettbewerb treten, sind danach kaum denkbar.
Eine Prüfung der Wettbewerbssituation für die Leistungen von Zweckbetrieben zur Anwendung des ermäßigten Steuersatzes muss dann aber nach der neuen Fassung der Regelung erfolgen bei:
- Zweckbetrieben der Wohlfahrtspflege (§ 66 AO);
- Zweckbetrieben von Krankenhäusern (§ 67 AO);
- sportlichen Veranstaltungen, die im Rahmen eines Zweckbetriebs durchgeführt werden (§ 67a AO);
- weiteren diversen aufgeführten Zweckbetrieben unter weiteren Voraussetzungen (§ 68 AO; z. B. bei Alten- und Pflegeheimen, Kindergärten, Kinder- und Studentenheimen).
Weiterhin wird in § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG ein neuer Satz 4 angefügt, nach dem Körperschaften mit ihren in den §§ 66 - 68 AO bezeichneten Zweckbetrieben ihre steuerbegünstigten satzungsgemäßen Zwecke selbst verwirklichen, wenn die Leistungsempfänger oder an der Leistungserbringung beteiligte Personen vom steuerbegünstigten Zweck der Einrichtung erfasst werden.
Hinweis: Durch die Regelung wird klargestellt, dass nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG begünstigte Leistungen auch dann vorliegen, wenn die von dem jeweiligen gemeinnützigen Zweck erfassten Personen entweder Empfänger der Leistung sind oder, wie z. B. bei Inklusionsbetrieben, bei der Leistungserbringung mitwirken.
Der BFH (Urteil v. 23.7.2019, XI R 2/17, BFH/NV 2020 S. 69) hatte festgestellt, dass die Umsätze, die ein gemeinnütziger Verein zur Förderung des Wohlfahrtswesens aus Gastronomieleistungen und der Zurverfügungstellung einer öffentlichen Toilette erzielt, selbst dann nicht nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG ermäßigt zu besteuern sind, wenn diese Leistungen der Verwirklichung satzungsmäßiger Zwecke gedient haben. Dies würde u.a. daran liegen, dass die einzelnen Gastronomieleistungen des Bistros wie auch die Zurverfügungstellung der öffentlichen Toilette in erster Linie den Zwecken der Besucher (Verbraucher) und der Nutzer dienen, die nicht vom gemeinnützigen Zweck der Einrichtung des Klägers erfasst werden. Die Finanzverwaltung hat dieses Urteil bisher nicht angewendet.
Änderungen des Umsatzsteuerrechts (ursprünglich geplant) zum 1.1.2024
Hinweis: Die folgenden Änderungen sollten zum 1.1.2024 in Kraft treten. Nachdem die Verabschiedung des Wachstumschancengesetzes im Jahr 2024 voraussichtlich nicht mehr erfolgen wird, muss abgewartet werden, welche Regelungen rückwirkend zum 1.1.2024 in Kraft gesetzt werden.
Steuerbefreiung für Verfahrenspfleger nach § 4 Nr. 16 UStG
Nach der neu in § 4 Nr. 16 Buchst. m UStG eingeschoben Regelung sollen auch Verfahrenspfleger (nach §§ 276, 297, 298, 317 und 419 FamFG ) steuerfreie Leistungen erbringen, soweit Preise genehmigt sind oder genehmigte Preise nicht überstiegen werden.
Nach der Gesetzesbegründung werden mit der Ergänzung alle die im Rahmen eines Betreuungs-, Unterbringungs- oder Freiheitsentziehungsverfahrens nach dem 3. oder 7. Buch des FamFG zur Unterstützung einer hilfsbedürftigen Person tätigen Verfahrenspfleger als begünstigte Einrichtungen anerkannt. Dazu zählen insbesondere die Verfahrenspflegerbestellungen im Vorfeld der Bestellung eines Betreuers, wie die vor Anordnung oder Genehmigung einer Unterbringungsmaßnahme (§ 312 FamFG), wie auch die Bestellungen nach § 298 Abs. 2 und § 297 Abs. 5 FamFG, sowie vor Anordnung einer Freiheitsentziehung.
Praxis-Tipp: Nach gefestigter Rechtsprechung des EuGH umfasst der Begriff "Einrichtungen" i. S. d. Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL unabhängig von der Rechts- oder Organisationsform des Leistungserbringers sowohl natürliche als auch juristische Personen.
Die Gesetzesänderung folgt der Rechtsprechung (BFH, Urteil v. 25.11.2021, V R 34/19, BFH/NV 2022 S. 561) und befreit künftig alle die in diesem Rahmen erbrachten Pflegschaftsleistungen von den zum Verfahrenspfleger bestellten Personen. Der BFH hatte festgestellt, dass an der Tätigkeit eines Verfahrenspflegers in Betreuungs- und Unterbringungssachen ein besonderes Gemeinwohlinteresse besteht. In diesen Verfahren geht es fast ausschließlich um intensive Grundrechtseingriffe gegenüber hilfsbedürftigen Personen. Entsprechendes gilt für die Tätigkeit eines Verfahrenspflegers in Freiheitsentziehungssachen. Betroffene Unternehmer können sich aber auch schon vor Verabschiedung der Regelung auf die Rechtsprechung und das Unionsrecht berufen.
Steuerbefreiung für Verfahrensbeistände nach § 4 Nr. 25 UStG
Die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 25 Satz 3 Buchst. d UStG wird der Vollständigkeit halber um die im Rahmen einer Unterbringung oder freiheitsentziehender Maßnahmen nach § 167 Abs. 1 i. V. m. § 317 FamFG für Minderjährige tätigen Verfahrensbeistände ergänzt (Neuaufnahme des § 167 FamFG in die Aufzählung).
Erweiterung der Vertrauensschutzregelung zu § 13b UStG
Für bestimmte, der Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers (Reverse-Charge-Verfahren) unterfallende Umsätze enthält § 13b Abs. 5 Satz 8 UStG eine Vertrauensschutzregelung, wonach der Leistungsempfänger als Steuerschuldner gilt, wenn der leistende Unternehmer und der Leistungsempfänger für diesen Umsatz die Regelung des § 13b Abs. 2 UStG angewandt haben, obwohl dies nach Art der Umsätze unter Anlegung objektiver Voraussetzungen nicht zutreffend war.
Hinweis: Die Vertrauensschutzregelung setzt voraus, dass die Vertragsparteien in den Zweifelsfällen das Reverse-Charge-Verfahren anwenden. Es gibt keine Vertrauensschutzregelung zur Nichtanwendung des Reverse-Charge-Verfahrens.
In die Vertrauensschutzregelung sind aber nur die ausdrücklich in § 13b Abs. 5 Satz 8 UStG erfassten Umsätze einbezogen.
Zum 1.1.2023 wurde § 13b Abs. 2 Nr. 6 UStG um die Übertragung von Emissionszertifikaten nach § 3 Nr. 2 BEHG (Brennstoffemissionshandelsgesetz) ergänzt. Die Vertrauensschutzregelung soll jetzt auch für die unter diese Vorschrift fallenden Umsätze gelten. Erfasst werden aber nicht nur die unter das BEHG fallenden Umsätze, sondern sämtliche in § 13b Abs. 2 Nr. 6 UStG erfassten Umsätze der Übertragung von Emissionsrechten.
Änderungen im Zusammenhang mit der Abgabe von Jahressteuererklärungen und Voranmeldungen
Im Zusammenhang mit der Verpflichtung zur Abgabe von Jahressteuererklärungen und Voranmeldungen sollen sich in § 18 UStG verschiedene Änderungen ergeben – dies sind zum Teil redaktionelle Änderungen, zum Teil aber auch wichtige inhaltliche Änderungen.
- In § 18 UStG wird redaktionell geändert, dass die Jahressteuererklärung bzw. die Voranmeldung über die amtlich bestimmte Schnittstelle zu übermitteln ist. Bisher war in diesem Zusammenhang die Übertragung "durch Datenfernübertragung" vorgegeben.
- § 18 Abs. 1 Satz 1 UStG wird dahingehend geändert, dass Unternehmer, die die Kleinunternehmerbesteuerung nach § 19 Abs. 1 UStG in Anspruch nehmen, in die Aufzählung der Ausnahmen von der Verpflichtung, eine Umsatzsteuer-Voranmeldung abgeben zu müssen, aufgenommen werden. In bestimmten Fällen muss der Kleinunternehmer aber dennoch eine Voranmeldung (für einen bestimmten Meldezeitraum) abgeben; vgl. dazu unten.
- In § 18 Abs. 2 UStG ist bestimmt, in welchem Turnus der Unternehmer die Voranmeldung abgeben muss. Regelmäßig ist die Voranmeldung quartalsweise abzugeben. In den Fällen, in denen die Umsatzsteuer im Vorjahr mehr als 7.500 EUR betragen hat, ist die Voranmeldung monatlich abzugeben. Dies bleibt so bestehen. Das Finanzamt kann aber einen Unternehmer von der Verpflichtung, eine Voranmeldung abgeben zu müssen, befreien, wenn die Umsatzsteuer im Vorjahr nicht mehr als 1.000 EUR betragen hat (§ 18 Abs. 2 Satz 3 UStG). Diese Grenze soll zum 1.1.2024 auf 2.000 EUR angehoben werden. Hinweis: Wenn die Umsatzsteuer des Unternehmers im Jahr 2023 nicht mehr als 2.000 EUR betragen hat, kann er sich ab 2024 von der Verpflichtung, eine Voranmeldung abgeben zu müssen, befreien lassen. In der Praxis erfolgt dies meist automatisiert von der Finanzverwaltung. Voraussetzung für 2024 ist, dass die Regelung noch zeitnah zum Jahreswechsel verabschiedet wird.
- § 18 Abs. 3 Satz 1 UStG wird dahingehend geändert, dass Unternehmer, die die Kleinunternehmerbesteuerung nach § 19 Abs. 1 UStG in Anspruch nehmen, in die Aufzählung der Ausnahmen von der Verpflichtung, eine Jahressteuererklärung abgeben zu müssen, aufgenommen werden. In bestimmten Fällen muss der Kleinunternehmer aber dennoch eine Steuererklärung abgeben; vgl. dazu unten.
Änderungen bei der Kleinunternehmerbesteuerung
Korrespondierend zu den Änderungen in § 18 Abs. 1 und Abs. 3 UStG wird in § 19 Abs. 1 Satz 4 UStG klarstellend geregelt, dass die Erklärungspflichten nach § 18 Abs. 1 - Abs. 4 UStG (Jahressteuererklärung sowie Voranmeldung) nicht gelten, wenn § 19 UStG angewendet wird.
Hinweis: Wenn der Unternehmer die Kleinunternehmerbesteuerung nach § 19 Abs. 1 UStG in Anspruch nimmt, gilt die Befreiung von der Verpflichtung, eine Jahressteuererklärung abzugeben, auch schon für die Jahressteuererklärung für 2023 (§ 27 Abs. 38 UStG). Voraussetzung für 2024 ist, dass die Regelung noch zeitnah zum Jahreswechsel verabschiedet wird.
In bestimmten Fällen kann aber auch ein Kleinunternehmer weiterhin verpflichtet sein, Voranmeldungen – grundsätzlich oder nur für bestimmte Meldezeiträume – und Jahressteuererklärungen abgeben zu müssen:
- Der Kleinunternehmer kann von der Finanzverwaltung nach § 149 Abs. 1 Satz 2 AO zur Abgabe von Erklärungen aufgefordert werden.
- Voranmeldungen oder Jahressteuererklärungen sind abzugeben, wenn steuerbare i.g. Erwerbe (§ 1 Abs. 1 Nr. 5 UStG) vorliegen, Umsatzsteuer nach § 13b UStG (Reverse-Charge-Verfahren) oder als Käufer im Rahmen der zweiten Lieferung bei einem innergemeinschaftlichen Dreiecksgeschäft (§ 25b Abs. 2 UStG) geschuldet wird. Da der Kleinunternehmer bei der bei ihm entstehenden Umsatzsteuer aufgrund der Regelung zur Kleinunternehmerbesteuerung nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, kommt es in diesen Fällen immer zu einer Steuerzahllast für den Kleinunternehmer.
Hinweis: Die Änderung beruht auf Art. 272 Abs. 1 Buchst. d MwStSystRL. Danach können die Mitgliedstaaten Steuerpflichtige, die die Steuerbefreiung für Kleinunternehmer nach den Art. 282 - 292 MwStSystRL in Anspruch nehmen, von bestimmten oder allen Pflichten nach den Kapiteln 2 - 6 des Titel XI MwStSystRL – worunter auch die Verpflichtung nach Art. 250 MwStSystRL sowie die Ermächtigung nach Art. 261 MwStSystRL fallen – befreien.
Liegen die Voraussetzungen für die Kleinunternehmerbesteuerung vor, muss der betroffene Unternehmer keinen Antrag stellen, er unterliegt der Kleinunternehmerbesteuerung. Er kann aber auf die Anwendung der Kleinunternehmerbesteuerung nach § 19 Abs. 2 UStG verzichten. Die gesetzliche Regelung zum Verzicht auf die Kleinunternehmerbesteuerung soll geändert werden.
Bisher war der Verzicht auf die Anwendung der Kleinunternehmerbesteuerung bis zur Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung möglich. Nach der neuen Regelung in § 19 Abs. 2 UStG kann bis zum Ablauf des zweiten auf den Besteuerungszeitraum folgenden Kalenderjahrs gegenüber dem Finanzamt erklärt werden, dass die Kleinunternehmerbesteuerung nicht in Anspruch genommen werden soll.
Praxs-Tipp: Keine Änderung ergibt sich bei der Bindungswirkung. Erklärt der Kleinunternehmer, dass er die Regelung des § 19 UStG nicht in Anspruch nehmen möchte, ist er 5 Kalenderjahre an die Regelbesteuerung gebunden.
Anhebung der Umsatzgrenze für die Istbesteuerung
Der Unternehmer kann die Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten (Istbesteuerung) anwenden, soweit er die Voraussetzungen nach § 20 Satz 1 UStG erfüllt. Die wichtigste Regelung des § 20 Satz 1 UStG ist Nr. 1, nach der der Unternehmer, der im vorangegangenen Kalenderjahr eine bestimmte Gesamtumsatzgrenze nicht überschritten hat, sich auf Antrag die Istbesteuerung gestatten lassen kann. Die Gesamtumsatzgrenze war zuletzt zum 1.1.2020 auf 600.000 EUR angehoben worden.
Hinweis: Die Umsatzgrenze des § 20 Satz 1 Nr. 1 UStG hängt systematisch mit der Grenze zur Buchführungspflicht nach § 141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO zusammen. Diese Grenze soll ebenfalls zum 1.1.2024 angehoben werden.
Zum 1.1.2024 soll die Gesamtumsatzgrenze in § 20 Satz 1 Nr. 1 UStG von 600.000 EUR auf 800.000 EUR angehoben werden.
Praxis-Tipp: Die Anhebung soll schon für die Anwendung der Istbesteuerung im Kalenderjahr 2024 gelten: Hat der Unternehmer im Jahr 2023 die Gesamtumsatzgrenze von 800.000 EUR nicht überschritten, kann er sich für das Jahr 2024 die Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten gestatten lassen. Voraussetzung für 2024 ist, dass die Regelung noch zeitnah zum Jahreswechsel verabschiedet wird.
Durchschnittssteuersatz für Land- und Forstwirte
Der Durchschnittssteuersatz für die land- und forstwirtschaftlichen Erzeuger nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Satz 3 UStG, der in den letzten Jahren kontinuierlich abgesenkt wurde , soll zum 1.1.2024 erneut abgesenkt werden, auf nunmehr 8,4 %. Da die Regelung aufgrund der zugrundeliegenden Datenlage umstritten war und auch (voraussichtlich) nicht mehr in 2023 verabschiedet wird, wird die Absenkung des Durchschnittssteuersatzes für 2024 voraussichtlich nicht umgesetzt werden.
Hinweis: Land- und Forstwirte können seit dem 1.1.2022 die Durchschnittssatzbesteuerung nach § 24 UStG nur noch anwenden, wenn der Gesamtumsatz im vorangegangenen Kalenderjahr nicht mehr als 600.000 EUR betragen hat.
Änderungen des Umsatzsteuerrechts zum 1.1.2025 (eRechnung)
Hinweis: Die folgenden Änderungen sollen zum 1.1.2025 in Kraft treten, soweit die Regelungen nach Abschluss des Vermittlungsverfahrens so verabschiedet werden sollten – teilweise sollen sich aber noch Übergangsregelungen bis 2027 ergeben. Der Bundesrat und auch diverse Experten bei der Anhörung im Finanzausschuss des Deutschen Bundesrats hatten für eine generelle Verschiebung zum 1.1.2027 plädiert, dies wurde aber vom Bundestag nicht aufgenommen, lediglich die Übergangsvorschriften sind verlängert worden.
Erhebliche Veränderungen sollen sich – aber erst ab 2025 – bei der Verpflichtung zur Ausstellung von Rechnungen ergeben. Für nationale Leistungen zwischen Unternehmern (B2B) soll verpflichtend die Abrechnung durch eine elektronische Rechnung (eRechnung) vorgeschrieben werden.
Hinweis: Die Einführung einer verpflichtenden Abrechnung durch eRechnung bei Inlandsumsätzen entspricht derzeit nicht den Vorgaben des Unionsrechts. Deutschland hat sich hier aber eine Ermächtigung beim Rat der Europäischen Union eingeholt, eine vom gemeinsamen Mehrwertsteuersystem abweichende Sondermaßnahme einzuführen. Die Regelung würde somit nicht gegen Unionsrecht verstoßen.
Allgemeine Rahmenbedingungen
Sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene wird seit einiger Zeit die Einführung der sog. eRechnung diskutiert. Auf europäischer Ebene soll dies (geplant ab 2028 – allerdings nur für EU-grenzüberschreitende Leistungen) im Rahmen der ViDA-Planungen (VAT in the Digital Age) umgesetzt werden. National soll dies ab 2025 durch eine auf Inlandsumsätze beschränkte Verpflichtung realisiert werden.
Die Neuregelung wird zu einer vollständigen Neuausrichtung bei der Abrechnung zwischen Unternehmern im Inland führen.
Rechnungsdefinition
In § 14 Abs. 1 UStG wird eine neue Definition der Rechnung vorgegeben:
- Elektronische Rechnung: Rechnung, die in einem strukturierten elektronischen Format ausgestellt, übermittelt und empfangen wird und eine elektronische Verarbeitung ermöglicht. Die Rechnung muss der europäischen Norm für die elektronische Rechnungsstellung und der Liste der entsprechenden Syntaxen gemäß der Richtlinie 2014/55/EU vom 16.4.2014 entsprechen. Eine eRechnung kann neben der europäischen Norm auch in einem zwischen Rechnungsaussteller und Rechnungsempfänger vereinbarten elektronischen Format erstellt werden, wenn das Format die richtige und vollständige Extraktion der nach dem UStG erforderlichen Angaben aus der elektronischen Rechnung in ein Format ermöglicht, das der europäischen Norm entspricht oder mit dieser interoperabel ist (diese vom Finanzausschuss hinzugefügte Möglichkeit der elektronischen Rechnung soll die geforderte "Technologieoffenheit" ermöglichen).
- Sonstige Rechnung: Rechnung, die in einem anderen elektronischen Format oder auf Papier übermittelt wird.
Hinweis: Eine per E-Mail übermittelte PDF-Datei stellt ab Inkrafttreten der Neuregelung keine "elektronische Rechnung" mehr dar. Die eRechnung muss in einem "strukturierten elektronischen Format" ausgestellt, übermittelt und empfangen werden.
Eine elektronische Rechnung, die nicht den Anforderungen nach den unionsrechtlichen Vorgaben (CEN-Format EN 16931) oder einer damit interoperablen Datenstruktur entspricht, ist dann als "sonstige Rechnung" einzuordnen. Allerdings hat die Finanzverwaltung schon klargestellt, dass die bisherigen elektronischen Formate, die für die Abrechnung gegenüber öffentlichen Auftraggebern verwendet werden (XRechnung oder ZUGFeRD) diesem Format entsprechen. Im Zuge der Anhörungen im Finanzausschuss ist an die Regierung appelliert worden, für kleinere Unternehmen kostenfreie Zugangsmöglichkeiten bereit zu stellen, um die Akzeptanz zu erhöhen.
Bisher war die Ausstellung der Rechnung auf Papier vorrangig – dieser Vorrang für die papiergebundene Rechnung wird gestrichen. Allerdings bleibt weiterhin die Zustimmung des Leistungsempfängers (Rechnungsempfängers) für die Abrechnung mittels einer elektronischen Rechnung notwendige Voraussetzung. Dies gilt allerdings nicht für die Fälle, in denen ab dem Inkrafttreten der Regelung (bzw. nach Ablauf der Übergangsregelungen) die Ausstellung der elektronischen Rechnung zwingend vorgeschrieben ist.
Verpflichtung zur Rechnungsausstellung
Unverändert bleibt nach § 14 Abs. 2 UStG, dass der Unternehmer in jedem Fall berechtigt ist, mittels einer "Rechnung" abzurechnen, soweit er Leistungen ausführt. Neu strukturiert werden die Fälle, in denen der Unternehmer verpflichtet ist, eine Rechnung auszustellen. Unverändert bleibt auch die Verpflichtung, eine Rechnung binnen 6 Monaten nach Ausführung der Leistung auszustellen, soweit eine Rechnungsausstellungsverpflichtung besteht.
Der Unternehmer ist verpflichtet, eine Rechnung auszustellen, wenn er eine steuerbare Leistung ausführt, die auch nicht nach § 4 Nr. 8 - Nr. 29 UStG steuerfrei ist und der Leistungsempfänger
- ein Unternehmer ist, der die Leistung für Zwecke seines Unternehmens bezieht,
- eine juristische Person ist, die nicht Unternehmer ist oder
- es sich bei Ausführung an einen anderen Leistungsempfänger (regelmäßig also gegenüber Nichtunternehmern) um eine steuerpflichtige Werklieferung nach § 3 Abs. 4 Satz 1 UStG oder eine sonstige Leistung i. Z. m. mit einem Grundstück handelt.
Hinweis: Eine elektronische Rechnung in dem neuen "strukturierten" Format ist nur auszustellen, wenn eine Verpflichtung zur Rechnungsausstellung besteht, der Leistungsempfänger ein Unternehmer ist, der die Leistung für Zwecke seines Unternehmens bezieht und sowohl der leistende Unternehmer als auch der Leistungsempfänger im Inland oder in einem in § 1 Abs. 3 UStG genannten Gebiet (Freihäfen Bremerhaven und Cuxhaven sowie Gewässer und Watten zwischen der jeweiligen Strandlinie und der Hoheitsgrenze) ansässig sind. Dies kann auch Fälle betreffen, in denen die Leistung im Inland ausgeführt ist, aber steuerfrei nach § 4 Nr. 1 - Nr. 7 UStG ist.
Obwohl es wahrscheinlich nicht notwendig wäre, ist in § 14 Abs. 2 UStG auch definiert, wann der leistende Unternehmer und der Leistungsempfänger im Inland ansässig sind: Ein im Inland oder in einem der in § 1 Abs. 3 bezeichneten Gebieten ansässiger Unternehmer ist ein Unternehmer, der in einem dieser Gebiete seinen Sitz, seine Geschäftsleitung, eine Betriebsstätte, die an dem Umsatz beteiligt ist, oder in Ermangelung eines Sitzes seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat.
Hinweis: Sind der leistende Unternehmer und/oder der Leistungsempfänger nicht im Inland ansässig, kann die Rechnung auch als sonstige Rechnung (auf Papier oder in einem anderen elektronischen Format) ausgestellt werden.
Allgemeine Anforderungen an das Rechnungswesen
In § 14 Abs. 3 UStG werden die Regelungen zur Echtheit der Herkunft, zur Unversehrtheit des Inhalts und der Lesbarkeit einer Rechnung zusammengefasst. Bislang waren diese Voraussetzungen in den Absätzen 1 und 3 geregelt. Inhaltliche Veränderungen ergeben sich daraus nicht.
Hinweis: Bei elektronischen Rechnungen gelten unbeschadet anderer zulässiger Verfahren die Echtheit der Herkunft und die Unversehrtheit des Inhalts als gewährleistet, wenn eine qualifizierte elektronische Signatur oder das EDI-Verfahren (EU) verwendet wird.
Ermächtigungsvorschriften
In dem neu angefügten § 14 Abs. 6 Satz 2 UStG wird eine Verordnungsermächtigung aufgenommen, um mögliche Änderungen der MwStSystRL hinsichtlich der Anforderungen an eine elektronische Rechnung und Anpassungen des CEN-Formats EN 16931 auch im Hinblick auf das zukünftige Meldesystem kurzfristig umsetzen zu können.
Auswirkungen auf Kleinbetragsrechnungen und Fahrausweise
Sowohl Kleinbetragsrechnungen (nicht mehr als 250 EUR; § 33 UStDV) als auch Fahrausweise (als Rechnungen; § 34 UStDV) können immer als sonstige Rechnungen erstellt werden – dies gilt aus Praxisgründen notwendigerweise auch bei B2B-Umsätzen. Klargestellt wird dies durch Aufnahme einer Ausnahme sowohl in § 33 Satz 4 UStDV zur Kleinbetragsrechnung als auch in § 34 Abs. 1 Satz 2 UStDV für die Fahrausweise als Rechnung.
Diverse redaktionelle Folgeänderungen
In Folge der Änderungen in § 14 UStG ergeben sich in Folgevorschriften redaktionelle Änderungen. Diese führen aber nicht zu systematischen Änderungen.
Übergangsregelungen
Die verpflichtende Einführung der eRechnung wird durch Übergangsregelungen begleitet, die nach den Beratungen im Finanzausschuss des Bundestags noch erweitert wurden.
Soweit die gesetzliche Umsetzung tatsächlich zum 1.1.2025 erfolgen sollte, kann grundsätzlich für Umsätze, die zwischen dem 1.1.2025 und dem 31.12.2026 ausgeführt werden, weiterhin mit einer "sonstigen Rechnung" abgerechnet werden, selbst wenn eigentlich verpflichtend eine eRechnung erstellt werden müsste (§ 27 Abs. 39 Satz 1 Nr. 1 UStG). Dies gilt aber nur, wenn die Rechnung dann auch bis zum 31.12.2026 übermittelt wird. Wenn mit einer anderen elektronischen Rechnung abgerechnet wird, ist die Zustimmung des Leistungsempfängers (wie bisher) notwendig.
Für kleinere Unternehmer, deren Gesamtumsatz im Vorjahr (hier 2026) nicht mehr als 800.000 EUR betragen hat, wird diese Ausnahmeregelung für Umsätze, die in der Zeit zwischen dem 1.1.2027 und dem 31.12.2027 ausgeführt werden, bis zum 31.12.2027 verlängert (§ 27 Abs. 39 Satz 1 Nr. 2 UStG).
Wichtig: Die Übergangsregelungen betreffen nur die Ausstellung von eRechnungen. Grundsätzlich bleibt aber nach der Regelung die Verpflichtung des Leistungsempfängers bestehen, eine elektronische Rechnung entgegenzunehmen. Dies betrifft auch kleinere Unternehmen und Rechnungen in den Jahren 2025 und 2026.
Durch die Regelung des § 27 Abs. 39 Satz 1 Nr. 3 UStG wird weiterhin ermöglicht, dass zu einem im Jahr 2027 ausgeführten Umsatz befristet bis zum 31.12.2027 statt einer eRechnung auch eine sonstige Rechnung in einem anderen elektronischen Format ausgestellt werden kann, wenn diese mittels dem elektronischen Datenaustausch nach Art. 2 der Empfehlung 94/820/EG der Kommission vom 19.10.1994 über die rechtlichen Aspekte des elektronischen Datenaustausches (EDI-Verfahren) übermittelt wird. Dies bedarf der Zustimmung des Empfängers. Damit soll dem Wunsch der Wirtschaft Rechnung getragen werden, dass das EDI-Verfahren noch länger angewendet werden kann.
Hinweis: In der durch den Finanzausschuss vorgelegten und vom Bundestag verabschiedeten Fassung wird hier – wie auch schon in der in 1. Lesung verabschiedeten Gesetzesvorlage – auf Umsätze im Jahr 2026 und 2027 abgestellt. Da aber durch den Finanzausschuss die allgemeine Übergangsregelung in § 27 Abs. 39 Satz 1 Nr. 1 UStG auf die Umsätze im Jahr 2025 und 2026 erweitert wurde, macht die Regelung in § 27 Abs. 39 Satz 1 Nr. 3 UStG nur für Umsätze im Jahr 2027 Sinn.
Weitere Änderungsvorschläge
Im Zusammenhang mit der Corona-Krise und der aufgrund des Kriegs gegen die Ukraine ausgelöste Energiekrise waren befristete Sondermaßnahmen auch im Umsatzsteuerrecht ergriffen worden, die demnächst auslaufen. Es wurde darüber diskutiert, diese zu verlängern bzw. vorzeitig zu verändern:
Für die Restaurant- und Verpflegungsdienstleistungen wurde zum 1.7.2020 der Steuersatz auf 7 % abgesenkt ( 12 Abs. 2 Nr. 15 UStG). Dies gilt aber nur für die Abgabe von Speisen, nicht für Getränke. Derzeit ist die Absenkung nach zweimaliger Verlängerung befristet bis 31.12.2023.
Hinweis: Die Opposition im Bundestag ist für eine "Entfristung"; der Bundesfinanzminister wollte erst nach der letzten Steuerschätzung 2023 entscheiden. Ein "Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes" (BT-Drs. 20/5810) zur Entfristung der Absenkung wurde am 21.9.2023 im Bundestag mit den Stimmen der Regierungskoalition abgelehnt. Nach dem Urteil des BVerfG zum 2. Nachtragshaushaltsgesetz 2021 (BVerfG, Urteil v. 15.11.2023, 2 BvF 1/22) bestehen aber kaum finanzielle Spielräume, sodass es wohl nicht zu einer Verlängerung dieser Maßnahme kommen wird. Eine Verlängerung oder Entfristung wird sich deshalb zum 1.1.2024 nicht ergeben.
Praxis-Tipp: Wenn es nicht doch noch zu einer Verlängerung kommen sollte, gilt für die Restaurant- und Verpflegungsdienstleistungen ab 2024 wieder ein Steuersatz von 19 %. Es muss in der Praxis dann rechtzeitig zum 1.1.2024 an die Umstellung der Kassensysteme gedacht werden. Für die Silvesternacht lässt die Finanzverwaltung (BMF, Schreiben v. 21.12.2023) zu, dass noch der ermäßigte Steuersatz (7 %) angewendet wird (gilt nicht für die Abgabe von Getränken).
Für Lieferung von Gas über ein Gasleitungsnetz (§ 28 Abs. 5 UStG) und der Lieferung von Wärme (§ 28 Abs. 6 UStG) ist der Steuersatz für die Zeit vom 1.10.2022 bis 31.3.2024 auf den ermäßigten Steuersatz abgesenkt worden. Die Bundesregierung wollte die Absenkung vorfristig schon zum 31.12.2023 beenden, da die Energiepreise wieder deutlich gesunken sind. Nach der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses des Bundestags sollte die Absenkung des Steuersatzes aber nur um 1 Monat verkürzt werden, sodass dann die Absenkung zum 29.2.2024 auslaufen würde. Da das Wachstumschancengesetz bisher nicht verabschiedet wurde und diese Verkürzung der Frist auch nicht in das Kreditzweitmarktförderungsgesetz ausgegliedert wurde, könnte es bei der bisherigen Befristung (zum 31.3.2024) bleiben.
Praxis-Tipp: Unter die "Lieferung von Gas oder Wärme" fällt auch das Legen eines Gas- oder Wärmeanschlusses für ein Haus. Gerade in diesem Bereich sollte auf die korrekte Abrechnung geachtet werden. Eine Verkürzung der Zeit, in der der abgesenkte Steuersatz gilt, wäre gerade wegen Angebotserstellung von Baufirmen problematisch.
Steuererklärung 2023
Der Unternehmer hat – unabhängig von der Abgabe der Umsatzsteuer-Voranmeldungen –eine Jahressteuererklärung über die amtlich bestimmte Schnittstelle (bisher: nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz durch Datenfernübertragung zu übertragen) zu übermitteln. Die Abgabefrist für die Steuererklärung endet gem. § 149 Abs. 2 AO regelmäßig 7 Monate nach Ablauf des Besteuerungszeitraums (dies wäre der 31.7.2024). Aufgrund der Nachwirkungen der Corona-Pandemie ist die reguläre Abgabefrist für die Jahressteuererklärung 2023 aber auf den 31.8.2024 verschoben worden (da der 31.8.2024 ein Samstag ist, endet die Frist am 2.9.2024). Soweit Angehörige steuerberatender Berufe die Erklärungen erstellen, verlängert sich diese Frist grundsätzlich bis Ende Februar des übernächsten Jahres, ebenfalls wegen der Corona-Pandemie ist die Abgabefrist aber bis zum 31.5.2025 verlängert worden (da der 31.5.2025 ein Samstag ist, endet die Frist am 2.6.2025).
Die Abgabefrist der Jahressteuererklärung hat auch einen Einfluss auf die Möglichkeit des Unternehmers, bezogene Leistungen, die er sowohl für unternehmerische als auch für private Zwecke verwenden möchte, seinem Unternehmen ganz oder nur teilweise zuzuordnen. Nach der Rechtsprechung des BFH muss innerhalb dieser Zuordnungsfrist die Zuordnungsentscheidung durch objektive Nachweise dokumentiert werden (z. B. ableitbar aus Bauantragsunterlagen bei Bau eines Hauses, Abschluss eines Stromlieferungsvertrags bei Anschaffung einer Photovoltaikanlage).
Hinweis: Eine Zuordnungsentscheidung ist aber nur dann zu treffen, wenn ein Zuordnungswahlrecht vorliegt. Gegenstände, die ausschließlich für unternehmerische Zwecke verwendet werden, stellen Unternehmensvermögen dar (sog. Zuordnungsgebot); Gegenstände die gar nicht oder zu weniger als 10 % für unternehmerische Zwecke verwendet werden, können dem Unternehmen nicht zugeordnet werden (sog. Zuordnungsverbot).
Für den Veranlagungszeitraum 2023 hatte die Finanzverwaltung im Dezember 2022 die Erklärungsvordrucke für die Jahressteuererklärung 2023 vorgestellt. Inhaltlich angepasst ist die Jahressteuererklärung 2023 an den seit dem 1.1.2023 (von 9,5 % auf 9,0 %) abgesenkten Durchschnittssteuersatz nach § 24 UStG für Land- und Forstwirte sowie an den neuen Nullsteuersatz für die Lieferung und Installation der nach § 12 Abs. 3 UStG begünstigten Photovoltaikanlagen.
Hinweis: Angaben zum neuen Nullsteuersatz sind in der Jahressteuererklärung sowohl bei den steuerbaren und steuerpflichtigen Lieferungen und sonstigen Leistungen, bei den unentgeltlichen Wertabgaben, den innergemeinschaftlichen Dreiecksgeschäften als auch bei den steuerbaren und steuerpflichtigen innergemeinschaftlichen Erwerben zu machen.
Die Jahressteuererklärung ist darüber hinaus an den zum 1.1.2023 in Kraft getretenen Wegfall der allgemeinen Durchschnittssatzbesteuerung nach § 23 UStG angepasst worden.
Wichtige Nichtbeanstandungsregelungen
Im Laufe des Jahres werden von der Finanzverwaltung Änderungen im Umsatzsteuerrecht vorgenommen bzw. werden gesetzliche Regelungen oder Veränderungen aufgrund der Rechtsprechung umgesetzt. Häufig ergeben sich dabei Übergangs- oder Nichtbeanstandungsregelungen, die in der Praxis gerade im Zusammenhang mit einem Jahreswechsel zu beachten sind.
Vorkosten oder Vermarktungskosten, die ein Unternehmer einem Vorlieferanten weiterbelastet, stellen nach der Rechtsprechung des BFH (BFH, Beschluss v. 13.9.2022, XI R 8/20, BStBl 2023 II S. 728 und BFH, Beschluss v.19.1.2023, XI R 12/20, BFH/NV 2023 S. 274) kein Entgelt für eine eigenständige Leistung gegenüber dem Vorlieferanten dar, sondern eine Minderung der Bemessungsgrundlage. Die Finanzverwaltung hat die Beschlüsse des BFH in den UStAE (Abschn. 1.1 Abs. 26 UStAE) aufgenommen. Sie beanstandet es aber nicht, wenn bis zur Veröffentlichung des Schreibens (diese erfolgte im BStBl am 21.7.2023) die Weiterberechnung der Vorkosten abweichend von den dargestellten Grundsätzen als eigenständige Leistung behandelt worden ist.
Mit Schreiben vom 15.12.2023 (BMF, Schreiben v. 15.12.2023, III C 2 – S 7100/19/10004 :005) hat die Finanzverwaltung die Rechtsprechung des EuGH (Urteil v. 20.1.2022, C-90/20 (Apcoa Parking Danmark), UR 2022 S. 172) zur Behandlung von "Gebühren" bei Verstößen gegen die Nutzungsbedingungen auf privaten Parkplätzen mit in den UStAE (Abschn. 1.3 Abs. 16b UStAE) aufgenommen. Die Kontrollgebühren, die ein mit dem Betrieb privater Parkplätze betrauter Unternehmer von den Nutzern der Parkplätze für die Nichtbeachtung der allgemeinen Nutzungsbedingungen dieser Parkplätze erhebt, stellen danach eine steuerbare Vergütung für die Erbringung einer entgeltlichen Dienstleistung vom Unternehmer an die Parkplatznutzer dar. Für bis zum 15.12.2023 eingegangene Zahlungen kann der Unternehmer dies aber noch als nicht steuerbaren Schadensersatz erfassen.
Nachdem zum 1.1.2020 in § 4 Nr. 25 UStG und zum 1.1.2021 in § 4 Nr. 16 UStG Änderungen bei der Begünstigung von der Sozialfürsorge dienenden Leistungen eingetreten waren, hatte die Finanzverwaltung (BMF, Schreiben v. 12.7.2023, BStBl 2023 I S. 1505) den UStAE entsprechend angepasst. Gleichzeitig wurde auch zwischenzeitlich ergangene Rechtsprechung – insbesondere im Zusammenhang mit der mittelbaren Tragung von Kosten – mit in den UStAE aufgenommen. Die Vergütung nach § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. m UStG kann in bestimmten Fällen auch bei einer mittelbaren (durchgeleiteten) Kostentragung vorliegen (Abschn. 4.16.3 Abs. 3a UStG mit Hinweis auf BFH, Urteil v. 13.6.2018, XI R 20/16, BFH/NV 2018 S. 1217 und BFH, Urteil v. 24.2.2021, XI R 30/20, BFH/NV 2021 S. 1158). Die bloße Möglichkeit, Verträge über Betreuungs- und Pflegeleistungen mit den Trägern und Einrichtungen der sozialen Sicherheit abschließen zu können, genügt nicht für die Anerkennung als Einrichtung mit sozialem Charakter. Die Finanzverwaltung beanstandet es aber hinsichtlich der Grundsätze aus der Rechtsprechung des BFH für alle bis zum 31.12.2023 ausgeführten Umsätze nicht, wenn der Unternehmer abweichend davon die Umsätze steuerpflichtig behandelt hat, wenn dem nicht die zum 1.1.2020 bzw. 1.1.2021 umgesetzten Gesetzesänderungen entgegenstehen.
Nachdem der BFH (Urteil v. 29.11.2022, XI R 13/20, BStBl 2023 II S. 938) entschieden hatte, dass auch die kurzfristige Vermietung von Wohncontainern an Erntehelfer unter den ermäßigten Steuersatz (§ 12 Abs. 2 Nr. 11 UStG) für "Beherbergungsleistungen" fallen kann, hat die Finanzverwaltung (BMF, Schreiben v. 12.7.2023, BStBl 2023 I S. 1505) dieses Urteil in den UStAE aufgenommen. Die Entscheidung des BFH ist aber abzugrenzen von der Vermietung von Wohnmobilen und Hausbooten, bei denen die Beförderung und nicht die Unterbringung im Vordergrund steht. Die Finanzverwaltung beanstandet es nicht – auch für Zwecke des Vorsteuerabzugs des Leistungsempfängers –, wenn der Unternehmer für Leistungen, die bis zum 31.12.2023 ausgeführt werden, den Regelsteuersatz anwendet.
Der BFH (Urteil v. 21.4.2022, V R 2/22, BStBl 2023 II S. 460) hatte entschieden, dass Holzhackschnitzel dem ermäßigten Steuersatz unterliegen, wenn sie bei richtlinienkonformer Auslegung entsprechend Art. 122 MwStSystRL Brennholz i. S. der Warenbeschreibung der Anlage 2 Nr. 48 Buchst. a zum UStG darstellen. Dem steht das Fehlen der hierfür erforderlichen zolltariflichen Voraussetzung nicht entgegen, wenn die Holzhackschnitzel und das die zolltarifliche Voraussetzung erfüllende Brennholz austauschbar sind. Die Finanzverwaltung (BMF, Schreiben v. 4.4.2023, BStBl 2023 I S. 733) hatte das BFH-Urteil veröffentlicht, aber klargestellt, dass diese Entscheidung ausschließlich auf die Lieferung von Holzhackschnitzeln anzuwenden ist, es sei denn, es ergibt sich aus der Art der Aufmachung oder der Menge der Abgabe beim Verkauf, dass diese nicht zum Verbrennen bestimmt sind. Eine ursprünglich für vor dem 1.1.2023 ausgeführte Lieferungen aufgenommene Nichtbeanstandungsregelung ist bis zum 31.12.2023 verlängert worden (BMF, Schreiben v. 29.9.2023, BStBl 2023 I S. 1702). Bis dahin beanstandet es die Finanzverwaltung nicht, wenn bei den nach bisheriger Rechtsauffassung nicht dem ermäßigten Steuersatz unterliegenden Holzhackschnitzeln 19 % Umsatzsteuer berechnet wurde – dies gilt entsprechend für den Vorsteuerabzug des Leistungsempfängers.
Nachdem der BFH (Urteil v. 18.12.2019, XI R 23/19, BStBl 2023 II S. 984) 2019 aufgrund der Vorgaben durch den EuGH festgestellt hatte, dass medizinische Laborleistungen nicht nur nach § 4 Nr. 14 Buchst. b UStG, sondern auch nach Buchst. a steuerfrei sein können, hatte die Finanzverwaltung ( BMF, Schreiben v. 10.10.2023, BStBl 2023 I S. 1794) den UStAE entsprechend angepasst. Die Finanzverwaltung beanstandet es aber für Leistungen bis zum 31.12.2023 nicht, wenn solche Leistungen steuerpflichtig behandelt werden, soweit nicht die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 Buchst. b Satz 2 Doppelbuchst. bb oder cc UStG vorliegen sollte.
Aufgrund des Erdbebens in der Türkei und in Syrien hatte die Finanzverwaltung (BMF, Schreiben v. 27.2.2023, BStBl 2023 I S. 335) umfassende Billigkeitsmaßnahmen bis zum 31.12.2023 veröffentlicht, von denen auch einige die Umsatzsteuer betreffen. Die Billigkeitsmaßnahmen der Finanzverwaltung betreffen den Verzicht auf die Besteuerung unentgeltlicher Wertabgaben und die Vorsteuerabzugsberechtigung für die zum Zweck der Hilfe bezogenen Leistungen:
- Bei der unentgeltlichen Bereitstellung von Gegenständen und Personal für humanitäre Zwecke durch Unternehmen an Einrichtungen, die einen unverzichtbaren Einsatz zur Bewältigung der Auswirkungen und Folgen bei den von dem Erdbeben Geschädigten leisten, wird von der Besteuerung einer unentgeltlichen Wertabgabe im Billigkeitswege abgesehen. Wichtig: Exemplarisch führt die Finanzverwaltung hier Hilfsorganisationen, Einrichtungen für geflüchtete Menschen, zur Versorgung Verletzter sowie weitere öffentliche Institutionen an.
- Beabsichtigt ein Unternehmer bereits beim Leistungsbezug, die Leistungen ausschließlich und unmittelbar für die genannten Zwecke zu verwenden, sind die anfallenden Vorsteuerbeträge unter den übrigen Voraussetzungen des § 15 UStG im Billigkeitswege entgegen Abschn. 15.15 Abs. 1 UStAE zu berücksichtigen. Die daraus folgende unentgeltliche Wertabgabe wird nicht besteuert. Hinweis: Grundsätzlich wäre der Unternehmer – unabhängig von seinen ansonsten ausgeführten Leistungen – nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt, soweit er Leistungen bezieht, die er dem Grunde nach ausschließlich und unmittelbar für eine der Besteuerung unterliegende Wertabgabe nach § 3 Abs. 1b oder Abs. 9a UStG verwenden möchte.
Die Finanzverwaltung hatte 2020 (BMF, Schreiben v. 9.4.2020, BStBl 2020 I S. 498) bestimmte Sondermaßnahmen aufgrund der Corona-Pandemie geregelt und diese – teilweise ertragsteuerrechtlich, teilweise umsatzsteuerrechtlich – ausgerichteten Maßnahmen mehrfach (BMF, Schreiben v. 14.12.2021, BStBl 2021 I S. 2500; BMF, Schreiben v. 12.12.2022, BStBl 2022 I S. 1677) – zuletzt bis zum 31.12.2023 – verlängert. Dies betrifft die folgenden Leistungen:
- Für die unentgeltliche Bereitstellung von medizinischem Bedarf und für unentgeltliche Personalgestellungen für medizinische Zwecke durch Unternehmen an Einrichtungen, die einen unverzichtbaren Einsatz zur Bewältigung der Corona-Krise leisten (z. B. Krankenhäuser, Kliniken, Arztpraxen, Rettungsdienste, Pflege- und Sozialdienste, Alters- und Pflegeheime sowie weitere öffentliche Institutionen wie Polizei und Feuerwehr), wird von der Besteuerung einer unentgeltlichen Wertabgabe im Billigkeitswege abgesehen. Hinweis: Beabsichtigt ein Unternehmer bereits beim Leistungsbezug, die Leistungen ausschließlich und unmittelbar für die genannten begünstigten Zwecke zu verwenden, können die entsprechenden Vorsteuerbeträge unter den übrigen Voraussetzungen des § 15 UStG im Billigkeitswege entgegen Abschn. 15.15 Abs. 1 UStAE berücksichtigt werden. Die folgende unentgeltliche Wertabgabe wird im Billigkeitswege nicht besteuert.
- Die umsatzsteuerbare Überlassung von Sachmitteln und Räumen sowie von Arbeitnehmern sind unter den weiteren Voraussetzungen des § 4 Nr. 14, 16, 18, 23 und 25 UStG als eng verbundene Umsätze der steuerbegünstigten Einrichtungen untereinander umsatzsteuerfrei. Hinweis: Ergänzend stellt die Finanzverwaltung fest, dass die Steuerbefreiung nur für die Überlassung zwischen Einrichtungen gilt, deren Umsätze nach der gleichen Vorschrift steuerbefreit sind, also z. B. für Überlassungen zwischen den in § 4 Nr. 16 UStG genannten Einrichtungen. Für die Anwendung der genannten Umsatzsteuerbefreiungen ist eine Anerkennung als gemeinnützige Einrichtung nicht erforderlich.
- Stehen Nutzungsänderungen bei Unternehmen der öffentlichen Hand i. Z. m. der Bewältigung der Corona-Pandemie, wird von der Besteuerung einer unentgeltlichen Wertabgabe nach § 3 Abs. 9a UStG und einer Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG abgesehen, wenn die Nutzungsänderung pandemiebedingt ist. Leerstand aufgrund von Kontaktbeschränkungen führt nicht zu Nutzungsänderungen im Verhältnis zu früheren Zeiträumen. Dies gilt entsprechend auch für Vorsteuerbeträge aus laufenden Kosten. Sofern Nutzungen pandemiebedingt unentgeltlich erfolgen, ist die Billigkeitsregelung auch auf in privater Rechtsform betriebene Unternehmen der öffentlichen Hand anzuwenden.
Bis zum 11.1.2024 können die Betreiber von Photovoltaikanlagen, die bis zum 31.12.2022 angeschafft wurden ("Altanlagen"), noch die rückwirkende Entnahme aus dem Unternehmen zum 1.1.2023 erklären ( BMF, Schreiben v. 30.11.2023, III C 2 – S 7220/22/10002 :013; vgl. dazu oben).
Für die aufgrund des Kriegs gegen die Ukraine getroffenen Sondermaßnahmen vgl. unten.
Nach der Neuregelung der unternehmerischen Betätigung von juristischen Personen des öffentlichen Rechts (jPdöR) in § 2b UStG hatten sich in der Praxis verschiedene Fragen im Zusammenhang mit Friedhöfen in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft ergeben, zu denen die Finanzverwaltung 2020 Stellung genommen hatte (BMF, Schreiben v. 23.11.2020, BStBl 2020 I S. 1335). Von besonderer Bedeutung ist es für die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung der Leistungen, ob die jPdöR unternehmerisch tätig ist oder nicht. Aufgrund der gesetzlichen Änderung zur Beurteilung der Unternehmereigenschaft der jPdöR im Zusammenhang mit der Einführung der Regelung des § 2b UStG, hatte die Finanzverwaltung es nicht beanstandet, wenn bei Verträgen, die noch unter der Anwendung von § 2 Abs. 3 UStG bzw. innerhalb der Übergangsregelung des § 27 Abs. 22 und Abs. 22a UStG abgeschlossen wurden und die unter Anwendung des § 2b UStG steuerbar und steuerpflichtig wären, keine Nachversteuerung nach § 27 Abs. 1 UStG erfolgt. Da die Frist für die optionale Anwendung des § 2 Abs. 3 UStG in § 27 Abs. 22a UStG durch das Jahressteuergesetz 2022 um weitere 2 Jahre – bis zum 31.12.2024 – verlängert worden war, hat die Finanzverwaltung die Nichtbeanstandungsfrist ebenfalls um 2 Jahre verlängert. Soweit die Träger noch die Altregelung des § 2 Abs. 3 UStG zur Beurteilung der Unternehmereigenschaft anwenden, können sie bis 31.12.2024 noch Verträge nach altem Muster im Bereich des Friedhofs- und Bestattungswesens abschließen (BMF, Schreiben v. 14.3.2023, BStBl 2023 I S. 626).
Bei der Ausführung von Reiseleistungen nach § 25 UStG hatte die Finanzverwaltung (BMF, Schreiben v. 29.1.2021, BStBl 2021 I S. 250) im Jahr 2021 festgestellt, dass für Unternehmer mit Sitz im Drittlandsgebiet die Besteuerung nach § 25 UStG nicht anzuwenden ist. Eine schon mehrfach verlängerte Nichtbeanstandungsregelung ist jetzt bis zum 31.12.2026 verlängert worden (BMF, Schreiben v. 27.6.2023, BStBl 2023 I S. 1124). Drittlandsunternehmer können danach noch für alle bis Ende des Jahres 2026 ausgeführten Leistungen die Sonderregelung des § 25 UStG in Anspruch nehmen – dies führt wegen der am Sitzort ausgeführten Leistungen zu nicht steuerbaren Umsätzen im Inland. Allerdings ist der Vorsteuerabzug (Vorsteuervergütung) für evtl. in Deutschland in Anspruch genommene Reisevorleistungen ausgeschlossen.
Zum Jahreswechsel zu beachten
Zum Jahreswechsel sollte noch einmal für die Veranlagungen der vergangenen Jahre überprüft werden, ob evtl. strittige Sachverhalte zu Änderungen des Umsatzsteuerrechts führen könnten. In diesem Zusammenhang sollten immer die wichtigen, gerade beim EuGH oder beim BFH anhängigen Verfahren beachtet werden – um ggf. für Vorjahre noch durch einen Einspruch die Festsetzungsverjährung zu hemmen. Wichtige Fragen, die derzeit vom EuGH bzw. vom BFH zu klären sind, sind insbesondere:
Die Frage der Nebenleistung in der Immobilienwirtschaft beschäftigt immer noch den BFH. Die grundsätzliche Frage, ob und in welchem Umfang Nebenkosten i. Z. m. Vermietungsleistungen Nebenleistungen darstellen, wird – nachdem der EuGH 2015 (EuGH, Urteil v. 16.4.2015, C-42/14 (Wojskowa Agencja Mieszkaniowa w Warszawie), BFH/NV 2015 S. 941) zumindest in bestimmten Fällen eine eigenständige Leistung für möglich hielt – den BFH beschäftigen. Nachdem das FG Münster (Urteil v. 6.4.2021, 5 K 3866/18 U) den Vorsteuerabzug aus einer neu errichteten Heizungsanlage gewährt hatte, muss der BFH (anhängig unter V R 15/21) nun darüber entscheiden, ob die Energielieferung, die ein Wohnungsvermieter an seine Wohnungsmieter erbringt, dann keine (steuerfreie) Nebenleistung zur Vermietungsleistung darstellt, wenn die Energielieferungen über Mietnebenkostenabrechnungen gesondert für jeden Mieter abgerechnet werden und die Mieter den Energieverbrauch individuell regeln können.
Der EuGH (Urteile v. 1.12.2022, C-141/20 (Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie), BFH/NV 2023 S. 253 sowie C-269/20 (S), UR 2023 S. 36) hatte 2022 einige Fragen zur nationalen Umsetzung der Organschaft geklärt. Allerdings ergab sich aufgrund der Feststellungen des EuGH eine weitere Rechtsfrage, die die bisherige nationale Konsequenz der Nichtbesteuerung der Umsätze innerhalb des Organkreises (Innenumsätze) in Frage stellte. Der BFH hat daraufhin den EuGH angerufen und fragt, ob Innenumsätze innerhalb eines Organkreises der Umsatzsteuer unterliegen bzw. ob die die Nichtbesteuerung von bestimmten Voraussetzungen abhängig ist (BFH, Beschluss v. 26.1.2023, V R 20/22, BFH/NV 2023 S. 679; beim EuGH anhängig unter C-184/23 (S)).
Hinweis: Der weitere Fortgang des Verfahrens muss zwar aufmerksam beobachtet werden, da dies die bisherigen nationalen Grundsätze für die Organschaft grundlegend ändern würde. Bis zu einer Entscheidung sind aber noch keine praktischen Konsequenzen zu ziehen, da die Nichtbesteuerung zu keinen wirtschaftlichen Nachteilen für die betroffenen Unternehmer führt.
Ebenfalls beim EuGH anhängig sind Grundsatzfragen zur Besteuerung einer unentgeltlichen Wertabgabe aus dem Unternehmen. Verwendet ein Unternehmer Gegenstände (hier als Gegenstände geltende Wärme) unentgeltlich für Zwecke, die außerhalb seines Unternehmens liegen, gilt dies als Lieferung gegen Entgelt (§ 3 Abs. 1b Satz 1 UStG). Dies setzt aber nach der Rechtsprechung (EuGH, Urteil v. 16.9.2020, C-528/19 (Mitteldeutsche Hartstein-Industrie), UR 2020 S. 842 sowie nachfolgend BFH, Urteil v. 16.12.2020, XI R 26/20, BFH/NV 2021 S. 896) die Gefahr eines unbesteuerten Endverbrauchs voraus. Zur Frage der Besteuerung der unentgeltlichen Abgabe der Prozesswärme bei dem Betrieb einer Biogasanlage an einen Spargelbauern, der die Wärme zur Beheizung seiner Spargelfelder nutzt, hat der BFH jetzt den EuGH angerufen (BFH, Beschluss v. 22.11.2022, XI R 17/20, BFH/NV 2023 S. 686; beim EuGH anhängig unter C-207/23 (Y-KG)) .
Praxis-Tipp: In dem Vorlageverfahren stellt der BFH akribisch die bisherigen Erkenntnisse bei den verschiedenen Motiven der unentgeltlichen Wertabgabe dar. Zumindest in den Fällen, in denen Gegenstände aus unternehmerischen Gründen unentgeltlich aus dem Unternehmen abgegeben werden (§ 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 UStG) , sollten derzeit Sachverhalte offen gehalten werden.
Der EuGH (Urteil v. 13.6.2019, C-420/18 (IO), BFH/NV 2019 S. 1053 sowie auch BFH, Urteil v. 27.11.2019, V R 23/19, BStBl 2021 II S. 542) hatte 2019 entschieden, dass Aufsichtsräte nicht unternehmerisch tätig sind, wenn sie eine tätigkeitsunabhängige Festvergütung erhalten. Die Finanzverwaltung (BMF, Schreiben v. 8.7.2021, BStBl 2021 I S. 919) hatte dies entsprechend der Vorgabe der Rechtsprechung umgesetzt. Jetzt ist beim EuGH (unter C-288/22 (TP)) ein Verfahren anhängig, in dem es um einen Verwaltungsrat (in Luxemburg) geht, der offensichtlich auch erfolgsabhängige Vergütungen (Tantiemen) erhielt. In dem Verfahren hat die deutsche Generalanwältin vorgeschlagen, dass sich aus dem Grundsatz der Rechtsformneutralität ergibt, dass eine natürliche Person, die Mitglied eines gesetzlich zwingend vorgesehenen Organs einer Gesellschaft ist und für diese Tätigkeit als Mitglied des Organs eine Vergütung erhält, insoweit nicht als selbständig wirtschaftlich tätig angesehen werden kann. Soweit der EuGH dem Schlussantrag folgen sollte, würde sich unabhängig davon, ob eine tätigkeitsabhängige bzw. erfolgsabhängige oder eine davon nicht abhängige Zahlung erfolgt, keine Unternehmereigenschaft bei einer einem (zwingenden) gesetzlichen Organ einer Gesellschaft zugehörigen Person ergeben.
Zur Frage der Behandlung von Mitgliedsbeiträgen, die an Fitnessstudios während coronabedingter Schließungszeiten weiter gezahlt worden waren, sind beim BFH zwei Revisionsverfahren (unter XI R 5/23 und XI R 36/22) anhängig. Es geht dabei um die Frage, ob es sich bei diesen Zahlungen um nicht steuerbare Einnahmen der Fitnessstudios oder um der Besteuerung unterliegende (Voraus-)Zahlungen handelt. Finanzgerichte hatten hier teilweise unterschiedlich entschieden.
Praxis-Tipp: Sachverhalte, bei denen es um die Besteuerung während pandemiebedingter (Zwangs-)Schließungszeiten weiter gezahlter Mitgliedsbeiträge bei Fitnessstudios oder vergleichbarer Einrichtungen geht, sollten bis zur Entscheidung des BFH offen gehalten werden.
Nachdem der EuGH (Urteil v. 4.5.2023, C-516/21 (Y), BFH/NV 2023 S. 943; nachfolgend BFH, Beschluss v. 17.8.2023, V R 7/23, BFH/NV 2023 S. 1386) im Zusammenhang mit der Verpachtung von Grundstücken mit darin befindlichen Betriebsvorrichtungen entschieden hatte, dass es – soweit dies als Haupt- und Nebenleistung anzusehen ist – zu keiner Aufteilung dieses einheitlichen Umsatzes kommen kann, hat der BFH verschiedene Verfahren zur Anwendung des sog. Aufteilungsgebots bei Hotelübernachtung und den damit zusammenhängenden Leistungen wieder aufgenommen (XI R 11/23 zur Frage Frühstück und Parkplatz, XI R 12/23 zu Verpflegungsdienstleistungen eines gemeinnützigen Vereins, XI R 13/23 zu Frühstücksleistungen und XI R 14/23 zu Fitness, Parkplatz und WLAN).
Hinweis: Es bleibt zwar abzuwarten, wie der BFH hier entscheiden wird, aufgrund der recht klaren Aussagen des EuGH ist aber wohl davon auszugehen, dass es auch bei der Anwendung des § 12 Abs. 2 Nr. 11 UStG zu Veränderungen kommen wird. Allerdings muss sicher auch noch einmal geprüft werden, was im Übernachtungsbereich tatsächlich als Nebenleistung anzusehen ist, oder in welchem Umfang nicht vielleicht doch mehrere trennbare parallel erbrachte Hauptleistungen vorliegen können.
Sonderregelungen aufgrund des Kriegs gegen die Ukraine
Die Finanzverwaltung hatte 2022 steuerliche Sondermaßnahmen aufgrund des Kriegs gegen die Ukraine verkündet. In einem umfassenden Schreiben (BMF, Schreiben v. 17.3.2022, BStBl 2022 I S. 330), in dem auch ertragsteuerrechtliche Sonderregelungen veröffentlicht wurden – insbesondere im Umgang mit Spenden bei begünstigten Einrichtungen –, wurden von der Finanzverwaltung auch Nichtbeanstandungsregelungen zur Umsatzsteuer getroffen. Diese Regelungen wurden noch ergänzt um Hilfeleistungen, die zur Beseitigung von Schäden an der kriegsbeschädigten Infrastruktur dienen (BMF, Schreiben v. 13.3.2023, BStBl 2023 I S. 404). Die Finanzverwaltung hat zur Umsatzsteuer Folgendes geregelt:
- Steuerbegünstigte Körperschaften: Soweit nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG begünstigte Körperschaften entgeltliche Leistungen (Personalüberlassung, Räume, Sachmittel etc.) für die Bewältigung der Auswirkungen und Folgen des Kriegs zur Verfügung stellen, kann dies dem Zweckbetrieb nach § 65 AO zugeordnet werden. Dies gilt unabhängig davon, welchen steuerbegünstigten Zweck die Körperschaft verfolgt.
- Steuerbefreiung für Hilfeleistungen: Einrichtungen, die steuerfreie Leistungen nach § 4 Nr. 14, 16, 18, 23 und 25 UStG ausführen, können Sachmittel, Räume und Personal als eng verbundene Umsätze steuerfrei an Einrichtungen überlassen, die Umsätze nach derselben Vorschrift steuerfrei ausführen. Für Entgelte aus öffentlichen Kassen oder von anderen steuerbegünstigten Körperschaften wird es nicht beanstandet, wenn umsatzsteuerliche Sondervorschriften (z. B. § 4 Nr. 18, 23, 24 oder 25 sowie § 12 Abs. 2 Nr. 8 UStG), die auf vergleichbare Leistungen an andere Leistungsempfänger (z. B. Obdachlose) bereits Anwendung finden, auch auf Leistungen dieser Einrichtungen angewendet werden, die der Betreuung und Versorgung von Kriegsflüchtlingen dienen.
- Unentgeltliche Bereitstellung von Gegenständen oder Personal: Bei unentgeltlicher Bereitstellung von Gegenständen und Personal für humanitäre Zwecke an Einrichtungen (dies sind insbesondere Hilfsorganisationen, Einrichtungen für geflüchtete Menschen und zur Versorgung Verwundeter sowie weitere öffentliche Institutionen), die einen unverzichtbaren Einsatz zur Bewältigung der Auswirkungen und Folgen bei den vom Krieg in der Ukraine Geschädigten leisten, wird von einer Besteuerung einer Wertabgabe (Lieferung nach § 3 Abs. 1b UStG oder sonstige Leistung nach § 3 Abs. 9a UStG) abgesehen. Für Leistungen, die für diese Zwecke bezogen werden, verbleibt es – entgegen Abschn. 15.15 UStAE – unter den weiteren Voraussetzungen des § 15 UStG bei einem Vorsteuerabzug.
- Vorsteuerabzug bei Nutzungsänderung: Bei Unternehmen der öffentlichen Hand – sowie auch bei in privater Rechtsform betriebenen Unternehmen der öffentlichen Hand – wird von der Besteuerung einer unentgeltlichen Wertabgabe (§ 3 Abs. 9a UStG) sowie einer Vorsteuerberichtigung (§ 15a UStG) bei der Nutzungsänderung von Räumlichkeiten abgesehen, wenn und soweit der Sachverhalt in einer unentgeltlichen Nutzung zur Bewältigung der Auswirkungen und Folgen des Kriegs in der Ukraine begründet ist. Dies gilt entsprechend auch für Vorsteuerbeträge aus laufenden Kosten.
- Unentgeltliche Überlassung von Wohnraum: Private Unternehmen, die Räume unentgeltlich an Personen überlassen, die aufgrund des Kriegs in der Ukraine geflüchtet sind, müssen diese Leistungen nicht besteuern. Sollten die Räume ansonsten für vorsteuerabzugsberechtigende Leistungen verwendet werden, ist keine Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG vorzunehmen. Für Leistungen, die für diese Zwecke bezogen werden, verbleibt es – entgegen Abschn. 15.15 UStAE – unter den weiteren Voraussetzungen des § 15 UStG bei einem Vorsteuerabzug.
- Bei unentgeltlichen Leistungen, die unmittelbar der Reparatur kriegsbeschädigter Infrastruktur in der Ukraine dienen, wird von der Besteuerung einer unentgeltlichen Wertabgabe im Billigkeitswege abgesehen. Wichtig: Darunter fällt die unentgeltliche Bereitstellung von Baumaterialien, Baumaschinen, technischer Einrichtung und Personal einschließlich der notwendigen Transportleistungen.
- Beabsichtigt der Unternehmer bereits beim Leistungsbezug, die Leistungen ausschließlich und unmittelbar für die genannten Zwecke zu verwenden, sind die anfallenden Vorsteuerbeträge unter den übrigen Voraussetzungen des § 15 UStG im Billigkeitswege entgegen Abschn. 15.15 Abs. 1 UStAE zu berücksichtigen. Die daraus folgende unentgeltliche Wertabgabe wird nicht besteuert.
Die Regelungen gelten für alle ab dem 24.2.2022 ausgeführten Leistungen, die Befristung wurde aktuell bis zum 31.12.2024 verlängert (BMF, Schreiben v. 24.10.2023, z. Zt. nur im Internet).
Weitere wichtige Änderungen im Umsatzsteuerrecht
Wichtige gerichtliche Entscheidungen
Sowohl der EuGH als auch der BFH haben in diversen Verfahren das Umsatzsteuerrecht fortentwickelt. Insbesondere sind hier die folgenden Entscheidungen zu nennen:
Zur Organschaft sind verschiedene Entscheidungen ergangen:
- Zur Frage der Eingliederung einer Personengesellschaft in einen einheitlichen Organkreis hat der BFH (Urteil v. 16.3.2023, V R 14/21, BFH/NV 2023 S. 790) jetzt entsprechend den Vorgaben des EuGH (Urteil v. 15.4.2021, C-868/19 (M-GmbH), BFH/NV 2021 S. 925) entschieden. Der BFH hat entschieden, dass eine Personenhandelsgesellschaft mit einer "kapitalistischen Struktur" Organgesellschaft sein kann, wenn neben dem Organträger Gesellschafter der Gesellschaft auch Personen sind, die in das Unternehmen des Organträgers nicht finanziell eingegliedert sind. Insoweit können keine anderen Grundsätze gelten als bei der Eingliederung einer Kapitalgesellschaft in einen Organkreis. Allerdings ist noch ein weiteres Revisionsverfahren zu dieser Rechtsfrage beim BFH (unter V R 5/23) anhängig. Die Finanzverwaltung hat sich noch nicht geäußert.
- Nachdem der EuGH (Urteil v. 1.12.2022, C-141/20 (Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie), BFH/NV 2023 S. 253) entschieden hatte, dass für die finanzielle Eingliederung vom Grundsatz her nur auf die Anteilsmehrheit und nicht zusätzlich auf die Stimmenmehrheit des Organträgers bei der potenziellen Organgesellschaft abzustellen ist, hat der BFH (Urteil v. 18.1.2023, XI R 29/22, BFH/NV 2023 S. 675) in seinem Folgeurteil hier aber nur einen "Sonderfall" gesehen. Grundsätzlich soll es bei dem Eingliederungskriterium der Stimmenmehrheit bleiben. Wenn aber in besonderen Fällen keine Stimmenmehrheit vorliegt, kann – wie im vorliegenden Fall – die erforderliche Willensdurchsetzung dadurch gesichert sein, dass Anteilsmehrheit besteht und der Organträger den alleinigen Geschäftsführer stellt. Damit kann eine nicht vollständig ausgeprägte finanzielle Eingliederung durch andere Kriterien kompensiert werden. Hinweis: Zu der wichtigen nationalen Frage, ob innerhalb eines einheitlichen Organkreises Leistungen als nicht steuerbare Innenumsätze unionsrechtlich vorliegen können, ist ein neues Vorabentscheidungsersuchen beim EuGH anhängig (BFH, Beschluss v. 26.1.2023, V R 20/22, BFH/NV 2023 S. 679; beim EuGH anhängig unter C-184/23 (S)); vgl. dazu vorne.
Zur Abgrenzung von echtem Gesellschafterbeitrag und Leistungsaustausch bei einer Holdingstruktur haben EuGH (Urteil v. 8.9.2022, C-98/21 (W-GmbH), BFH/NV 2022 S. 1279) und nachfolgend der BFH (Urteil v. 15.2.2023, XI R 24/22, BStBl 2023 II S. 940) eine wichtige – missbrauchsverhindernde – Entscheidung getroffen. In dem entschiedenen Fall bezog die Klägerin (Holdingmutter) Leistungen mit Umsatzsteuer. Die Leistungen wurden tlw. als echter Gesellschafterbeitrag gegen Gewinn nicht steuerbar in die Holdinggesellschaften eingebracht, tlw. gegen Sonderentgelt steuerbar und steuerpflichtig gegenüber den Holdinggesellschaften ausgeführt. Die Holdinggesellschaften führten selbst steuerfreie Leistungen aus, die den Vorsteuerabzug ausschlossen. Obwohl die Holdingmutter mit den von ihr bezogenen Leistungen im hohen Umfang nicht steuerbare echte Gesellschafterbeiträge an ihre Holdinggesellschaften ausführte, begehrte sie den vollständigen Vorsteuerabzug. Der EuGH und nachfolgend der BFH haben den Vorsteuerabzug insoweit versagt, als die Eingangsleistungen in die echten Gesellschafterbeiträge eingegangen sind. Die Vorsteuer steht in diesem Fall in keinem Zusammenhang mit eigenen Umsätzen und ist auch kein Kostenelement der eigenen Umsätze.
Der EuGH musste sich mit der Frage der wirtschaftlichen Tätigkeit einer Kurortgemeinde auseinandersetzen, die Kureinrichtungen bereitstellte, die sowohl von „zahlenden Kurgästen“ als auch von nicht kurtaxepflichtigen Personen genutzt werden konnten. Der EuGH (Urteil v. 13.07.2023, C-344/22 (Gemeinde A), UR 2023 S. 648) hat entschieden, dass kein steuerbarer Leistungsaustausch vorhanden ist, da kein wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen einer Leistung und einer Zahlung vorliegt. Aufgrund der Entscheidung des EuGH dürfte in gleichartigen Fällen ein Vorsteuerabzug aus der Einrichtung und Unterhaltung von Kureinrichtungen auch nicht mehr anteilig möglich sein. Andererseits muss dann in diesen Fällen auch in Ermangelung eines Leistungsaustauschs die Besteuerung der Kurtaxe entfallen. Anders kann es aber sein, wenn die Zahlung der Kurtaxe die notwendige Voraussetzung für die Nutzung bestimmter Einrichtungen ist. In diesen Fällen kann ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Zahlung des Leistungsempfängers und der von der Kurgemeinde ausgeführten Leistung hergestellt werden, sodass dann die einschränkenden Ergebnisse aus der Rechtsprechung des EuGH nicht zur Anwendung kommen dürften.
Der EuGH (Urteil v. 5.10.2023, C-505/22 (Deco Proteste – Editores Lda), BFH/NV 2023 S. 1479) hat sich zur Frage der Abgabe von Werbegeschenken (Handys bzw. Tablets) im Zusammenhang mit dem Abschluss von Abonnementverträgen geäußert. Der EuGH sah – unter Bedingungen – eine unselbstständige Nebenleistung zum Abschluss des (Zeitschriften-)Abonnements, sodass es nicht zur Besteuerung einer eigenständigen unentgeltlichen Wertabgabe (in Deutschland § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 UStG) bzw. zur Versagung des Vorsteuerabzugs aus dem Bezug der Werbegeschenke kommt. Die Abo-Prämie darf für den Kunden keinen eigenständigen Zweck entfalten. Da das Gerät aber auch dazu diente, die elektronische Fassung der Zeitschrift zu lesen, war die Voraussetzung erfüllt. Die Abo-Prämie darf darüber hinaus im Verhältnis zur Hauptleistung nur einen geringen Wert haben (hier wohl "Geschenke-Grenze"; in Deutschland derzeit (2023) 35 EUR). Unerheblich ist aber nach Auffassung des EuGH, dass die Kunden gleich wieder kündigen können. Die Prämie dient im Ergebnis dem Zweck, den Gewinn des Verlags zu steigern.
Zur Frage des sog. "Aufteilungsgebots" bei der Vermietung/Verpachtung von Grundstücken mit Betriebsvorrichtungen hat der EuGH (Urteil v. 4.5.2023, C-516/21 (Y), BFH/NV 2023 S. 943) eine richtungsweisende Entscheidung getroffen. Der EuGH hat in seinem Urteil festgestellt, dass die Rückausnahme zur Steuerbefreiung (Art. 135 Abs. 2 Satz 1 Buchst. c MwStSystRL; § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG) keine Anwendung findet, wenn die Vermietung der Betriebsvorrichtung eine Nebenleistung zu einer steuerfreien Verpachtung eines Gebäudes darstellt. Voraussetzung ist, dass die Leistung eine wirtschaftlich einheitliche Leistung bildet. Das nationale Gericht musste prüfen, ob es sich bei dem vorliegenden Sachverhalt um eine wirtschaftlich einheitliche Leistung handelt – hier hat der EuGH aber recht eindeutig den Weg gewiesen, in dem er wörtlich festgestellt hat, dass dies in dem vorliegenden Fall „nahe zu liegen scheint“. Weiterhin musste das nationale Gericht prüfen, ob es sich bei der Verpachtung der Betriebsvorrichtung um die Nebenleistung handelt oder ob es sich um die Hauptleistung handelt. Der BFH (Beschluss v. 17.8.2023, V R 7/23, BFN/NV 2023 S. 1386) hat sich insoweit wenig überraschend der Entscheidung des EuGH angeschlossen und in dem vorgelegten Fall eine einheitliche steuerfreie Verpachtungsleistung gesehen, bei der das Grundstück die Hauptleistung darstellt.
Der BFH (Urteil v. 17.8.2023, V R 12/22, DStR 2023 S. 2438) musste sich mit einem Fall beschäftigen, bei dem bei einem Unternehmer, der seine Umsätze nach vereinnahmten Entgelten (Istbesteuerung nach § 20 UStG) besteuerte, ein Entgelt für eine steuerpflichtige Leistung am 2.1. tatsächlich dem Konto gutgeschrieben wurde, dies aber mit rückwirkender Valuta zum 31.12. des Vorjahrs erfolgte. Das Finanzamt wollte die Einnahme schon im Jahr der Wertstellung (Valuta) erfassen, der Kläger im Jahr der tatsächlichen Gutschrift. Nach dem Urteil des BFH liegt eine Vereinnahmung erst mit tatsächlicher Gutschrift am 2.1. vor, da erst dann über den Betrag verfügt werden kann.
Eine wichtige Entscheidung hat der EuGH im Zusammenhang mit dem sog. Direktanspruch (auch sog. "Reemtsma-Anspruch" aufgrund einer Grundsatzentscheidung des EuGH, Urteil v. 15.3.2007, C-35/05 (Reemtsma Cigarettenfabriken), BFH/NV Beilage 2007 S. 293) gefällt. Ein sog. Direktanspruch stellt einen Anspruch an die Finanzverwaltung auf Rückzahlung einer rechtsgrundlos an einen Leistenden gezahlten Umsatzsteuer dar, bei der eine Korrektur – und damit eine Rückzahlung einer unrichtig ausgewiesenen Umsatzsteuer – durch den leistenden Unternehmer z. B. wegen zwischenzeitlich eingetretener Insolvenz nicht erfolgen kann. Die Finanzverwaltung (BMF, Schreiben v. 12.4.2022, BStBl 2022 I S. 652) hatte sich 2022 sehr zurückhaltend zur Umsetzung des Direktanspruchs geäußert, sodass ein solcher Anspruch kaum durchsetzbar erschien. Der EuGH (Urteil v. 7.9.2023, C-453/22 (Michael Schütte), BFH/NV 2023 S. 1391) hat dementgegen einem Kläger dem Grunde nach den Anspruch gegen die Verwaltung bestätigt und ihm auch einen Verzugsschaden zugesprochen, wenn keine Erstattung in angemessener Frist erfolgt. In dem Fall war dem Kläger für die eigentlich dem ermäßigten Steuersatz unterliegende Lieferung von Holz der Regelsteuersatz berechnet worden. In einer später durchgeführten Außenprüfung wurde ihm der Vorsteuerabzug entsprechend gekürzt. Da der leistende Unternehmer aufgrund zivilrechtlicher Verjährung eine Korrektur ablehnte, machte der Kläger den Direktanspruch gegen die Finanzverwaltung geltend. Der EuGH bestätigte dies und stellte fest, dass der Anspruch auf Erstattung dem Unternehmer zusteht, wenn es für ihn unmöglich oder übermäßig schwierig ist, von dem leistenden Unternehmer die Umsatzsteuer zu erhalten. Die Insolvenz des leistenden Unternehmers ist nur eine der Alternativen für die Unmöglichkeit. Der Erstattungsanspruch kann nur bei Betrug oder Missbrauch versagt werden.
Hinweis: Auch die Möglichkeit, dass der leistende Unternehmer dem Grunde nach die unrichtig ausgewiesene Umsatzsteuer berichtigen und bei seinem Finanzamt zurückverlangen kann, steht dem Erstattungsanspruch nicht entgegen. Der Erstattungsanspruch des leistenden Unternehmers wäre nach den Feststellungen des EuGH dann missbräuchlich, wenn dieser sich vorher auf Verjährung berufen hätte und wäre deshalb abzulehnen.
Beim EuGH ist zur Frage des Direktanspruchs noch ein weiteres Verfahren (C-83/23 (H-GmbH)) anhängig.
Der BFH (Urteil v. 10.5.2023, V R 16/21, BFH/NV 2023 S. 1161) hat sich zur Frage der Vorsteuerabzugsberechtigung bei Betriebsveranstaltungen geäußert. Er bestätigt die auch von der Finanzverwaltung bisher vertretene Auffassung, dass die seit Jahren im Ertragsteuerrecht für die Abgrenzung einer im überwiegenden betrieblichen Interesse von einer im Interesse des Personals durchgeführten Veranstaltung vorhandene Wertgrenze von 110 EUR umsatzsteuerrechtlich als Freigrenze anzusehen ist (ertragsteuerrechtlich handelt es sich um einen Freibetrag). Wird die Grenze von 110 EUR pro teilnehmender Person überschritten, sind die mit der Veranstaltung im Zusammenhang stehenden Aufwendungen vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen.
Hinweis: Bisher wird – bei maximal 2 Veranstaltungen – von einer Grenze von 110 EUR pro teilnehmender Person für jede Veranstaltung ausgegangen. Der BFH spricht im (amtlichen) Leitsatz seiner Entscheidung allerdings von einer "Freigrenze von 110 EUR je Arbeitnehmer und Kalenderjahr", ohne im weiteren Verlauf des Urteils darauf Bezug zu nehmen.
Zur Besteuerung von Reiseleistungen (§ 25 UStG) hat der EuGH (Urteil v. 29.6.2023, C-108/22 (C. sp. z o.o.), BFH/NV 2023 S. 1183) entschieden, dass auch der Einkauf und Verkauf von Hotelkontingenten (Beherbergungsleistungen) im eigenen Namen und auf eigene Rechnung zur Anwendung des § 25 UStG führt, dies entspricht einer Fortführung seiner schon zur Vermietung von Ferienhäusern getroffenen Entscheidung. Damit hat der leistende Unternehmer nur die Differenz (Marge) zwischen Verkaufs- und Einkaufspreis als Bruttobetrag für die Besteuerung heranzuziehen, darf aber keine Umsatzsteuer bei dem Weiterverkauf der Kontingente in der Rechnung ausweisen und hat aus dem Leistungsbezug keinen Vorsteuerabzug.
Nachdem sich der EuGH schon 2018 mit der Frage der Differenzbesteuerung (§ 25a UStG) nach einem innergemeinschaftlichen Erwerb beschäftigen musste, war derselbe Sachverhalt dem EuGH im zweiten Durchgang vorgelegt worden. Der EuGH (Urteil v. 29.11.2018, C-264/17 (Harry Mensing), UR 2019 S. 32) hatte 2018 entschieden, dass ein Unternehmer, der Kunstgegenstände aus anderen Mitgliedstaaten erwirbt und im Inland einen innergemeinschaftlichen Erwerb besteuert, den Verkauf des Kunstgegenstands der Differenzbesteuerung entsprechend § 25a Abs. 2 UStG unterwerfen kann. Der Vorsteuerabzug aus der Erwerbsteuer ist dann aber ausgeschlossen. Nunmehr musste sich der EuGH damit befassen, ob die nicht abzugsfähige Erwerbsteuer des Händlers bei der Berechnung der Marge abzugsfähig ist oder nicht. Der EuGH (Urteil v. 13.7.2023, C-180/22 (Harry Mensing II), BFH/NV 2023 S. 1184) hat festgestellt, dass die Erwerbsteuer keinen Bestandteil des Einkaufspreises dieses Gegenstands i .S. d. Art. 312 Nr. 2 MwStSystRL darstellt, sodass kein Anlass besteht, den Betrag dieser Steuer von der Steuerbemessungsgrundlage jener späteren Lieferung auszunehmen.
Wichtige Veröffentlichungen der Finanzverwaltung
Auch die Finanzverwaltung hat sich in den vergangenen Monaten wieder zu umsatzsteuerrechtlichen Fragen geäußert. Neben den schon zuvor genannten mit Nichtbeanstandungsregelungen versehenen Verwaltungsanweisungen hat die Finanzverwaltung die folgenden Feststellungen getroffen:
Die Finanzverwaltung (BMF, Schreiben v. 11.1.2023, BStBl 2023 I S. 179) hat ihre Aussagen zum Vorliegen eines durchlaufenden Postens geändert, wenn Beträge (z. B. Gebühren, Abgaben etc.) der Gesamtschuldnerschaft unterliegen. Die Finanzverwaltung hat den Hinweis aufgehoben, dass ein durchlaufender Posten bei einer gesamtschuldnerischen Haftung nicht vorliegen kann. Ersetzt wird dies dadurch, dass bei Gesamtschuldnerschaft der Nachweis über die Funktion als Mittelsperson dem Unternehmer obliegt. In diesem Zusammenhang wurde ein Schreiben aus dem Jahr 2000 zu Deponiegebühren (BMF, Schreiben v. 11.2.2000, BStBl 2020 I S. 360) aufgehoben.
In der Praxis können sich Schwierigkeiten bei der zutreffenden Ermittlung des Vorsteuerabzugs bei Forschungseinrichtungen ergeben. Die Finanzverwaltung (BMF, Schreiben v. 27.1.2023, BStBl 2023 I S. 314) nimmt erstmals konkret zur Frage der unternehmerischen Tätigkeit von Forschungseinrichtungen Stellung und gibt eine schematische Berechnungsmöglichkeit für den Vorsteuerabzug vor.
Zum 1.1.2020 wurden durch die sog. "Quick Fixes" der Europäischen Union Regelungen zu den innergemeinschaftlichen Reihengeschäften aufgenommen. In Deutschland wurden diese Vorgaben noch erweitert um Drittlandssachverhalte gesetzlich umgesetzt. Die Finanzverwaltung (BMF, Schreiben v. 25.4.2023, BStBl 2023 I S. 778) hat ihre ausführlichen Erläuterungen zu dem Themenkomplex der Reihengeschäfte umfassend überarbeitet und an die gesetzlichen Vorgaben angepasst. Gegenstand war eine vollständige Überarbeitung von Abschn. 3.14 UStAE.
Seit dem 1.1.2021 können Organisationseinheiten von juristischen Personen des öffentlichen Rechts eine eigenständige Besteuerung durchführen. Die Finanzverwaltung (BMF, Schreiben v. 22.5.2023, BStBl 2023 I S. 803) gibt in einem umfangreichen Schreiben Hinweise zur Umsetzung. Insbesondere gelten in diesen Fällen Umsatzgrenzen (Bagatellgrenzen) als überschritten. Dies betrifft u. a. die Erwerbsschwellenregelung (§ 1a Abs. 3 UStG), die Kleinunternehmerregelung (§ 19 Abs. 1 UStG), die Umsatzschwellenregelung für innergemeinschaftliche Fernverkäufe (§ 3c Abs. 4 UStG) und bestimmte sonstige Leistungen an Nichtunternehmer in anderen Mitgliedstaaten (§ 3a Abs. 5 UStG) sowie die Grenzwerte zur Abgabe von Voranmeldungen und Zusammenfasenden Meldungen.
Zum 1.1.2020 und zum 1.1.2021 traten verschiedene Änderungen im Zusammenhang mit der Steuerbefreiung der eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundenen Umsätze in Kraft. Die Finanzverwaltung (BMF, Schreiben v. 12.7.2023, BStBl 2023 I S. 1505) hat den UStAE entsprechend angepasst und die Hinweise zu § 4 Nr. 16 und § 4 Nr. 25 UStG umfassend überarbeitet. Darüber hinaus wurden Konsequenzen aus der Rechtsprechung mit in den UStAE eingearbeitet.
Die Finanzverwaltung (BMF, Schreiben v. 9.9.2023, BStBl 2023 I S. 1709) hat erstmals umfassende Regelungen zur Fiskalvertretung in den UStAE mit aufgenommen. Dies stellt im Wesentlichen eine Aktualisierung eines Schreibens aus dem Jahr 1999 (damals zur Einführung der Fiskalvertreterregelung) dar, das nicht in die damaligen Richtlinien aufgenommen wurde. Jetzt wurden die Abschn. 22a.1 - 22e.1 UStAE aufgenommen.
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