Was der digitale Wandel für Steuerberater bedeutet
Haufe: Herr Land, Sie bezeichnen sich selbst als "Digitalen Darwinisten und Evangelisten". Was genau muss man sich darunter vorstellen?
Land: Charles Darwin hat ja die Evolutionslehre definiert und Evolution heißt "djust or die", also "pass dich an oder stirb" oder auch "survival of the fittest". Wir glauben, dass es eine digitale volution gibt. Diese geht allerdings sehr viel schneller. Betrachten Sie nur mal das "iPhone": Das "iPhone" ist gerade acht Jahren alt geworden und wir haben bereits die siebte Geräte-Generation. Haben Sie eine Geräte-Evolution verpasst, fehlen ihnen bestimmte "Features" und Leistungen.
Die Hälfte der Arbeit fällt weg
Haufe: Eine Evolution wie die Digitalisierung fordert auch ihre Opfer. Für welche Berufsgruppen wird es Ihrer Ansicht nach eng?
Land: Die Hälfte der Arbeit, die wir heute so kennen, wird es in 15 bis 20 Jahren nicht mehr geben. Die Berufsgruppen, die diesmal am stärksten betroff en sein werden, werden nicht die in der Produktion sein, sondern eher die im Büro – also Dienstleistung, Vertrieb, Marketing, Steuerberatung, Banken bzw. alles, was mit Filialen zu tun hat. Die Regel ist immer: "Alles was sich digitalisieren lässt, wird digitalisiert werden. Dann kann ich es vernetzen. Und wenn es digitalisiert und vernetzt ist, dann kann ich es auch automatisieren". Das ist der Dreiklang. Nehmen wir das Beispiel Auto: Das Auto wird digitalisiert, dann vernetzt, dann kann es autonom fahren. Dann brauche ich also keinen Taxi- oder Lkw-Fahrer mehr. Wenn der Lkw autonom fährt, braucht es auch niemanden mehr, der die Routen plant. Damit werden auch die ganzen Folgejobs wie Spediteur, Frachtratenplaner, Tourenplaner etc. wegfallen, weil sie automatisiert werden. Gut für Auslastung und Effizienz, schlecht für den Menschen, denn den braucht man nicht mehr in dem Spiel. Im Gegenteil: Der Mensch verlangsamt und behindert. Wo es früher an der Börse noch Trader gab, werden die Aktien heute tausend Mal in der Sekunde gehandelt – von Algorithmen. Versuchen Sie das mal als Mensch…
Oder nehmen wir Berufsgruppen wie Bankangestellte: Es gibt heute rund 35.000 Bankfilialen; meine These ist, dass wir in 10 Jahren nur noch 5.000 – 7.000 haben. Glauben Sie, dass dann die ganzen Bankangestellten aus den Filialen in die Konzernzentralen versetzt werden?
Auch bei den Steuerberatern werden Geschäftsfelder wegbrechen
Haufe: Wie sieht es mit den Steuerberatern aus?
Land: Steuerberater/Wirtschaftsprüfer ist auch so ein Jobprofil. Alles, was mit Zahlen zu tun hat, kann ich digitalisieren, vernetzten und automatisieren. Dann kommt noch ein bisschen künstliche Intelligenz dazu und ich brauche den Steuerberater für diese Tätigkeiten nicht mehr. Selbst den Abschlussbericht kann ein Textverarbeitungsprogramm mit künstlicher Intelligenz schneller und besser machen.
Steuerberater müssen dem Mandanten helfen, sein Geschäft besser zu machen
Haufe: Sie haben doch sicher selbst einen Steuerberater. Wie stellen Sie sich seine Kanzlei in 5 bis 10 Jahren vor?
Land: Ein Großteil der Arbeit wird wegfallen, also z.B. Reporting, Erfassung von Belegen etc. Der Steuerberater wird sich mehr um die Inhalte kümmern, also die Beratung im Sinne von "wie mache ich das Geschäft des Mandanten besser". Ein Beispiel: Viele Unternehmen nutzen Skonto nicht richtig, da sie kein vernünftiges Cash-Management haben. Sie zahlen also so spät wie möglich und nutzen das Skonto nicht aus. In Zukunft werden die Steuerberater sagen "Du verlierst soundsoviel Euro im Jahr, weil du Skonto nicht nutzt", also sie werden mehr zum Berater, zum Consultant. Sie müssen mehr aus den Daten lernen und dem Mandanten Vorschläge machen, wie er sein Geschäft besser gestalten kann und nicht dieses platte "Ich buche deine Belege". Die Belege sind alle digital erfasst oder waren schon immer digital, das braucht dann keiner mehr einzugeben.
Je geringer die Wertschöpfung, umso schlechter für die Kanzlei
Haufe: Welche Erwartungen haben Sie als Mandant an die "Steuerkanzlei der Zukunft"?
Land: Sie soll mir helfen, mein Geschäft besser zu machen, sprich: sie soll mich unterstützen, mir Hinweise geben, wo nutze ich Zahlungsziele nicht aus, wo kann ich Steuern sparen, wo verschwende ich Geld. Wir machen z. B. auch Softwareentwicklung. Da ist schon die Frage der Aktivierung essenziell, also, kann ich sie über x Jahre abschreiben oder die Kosten sofort abziehen. Da erwarte ich von meinem Steuerberater, dass er mir hilft, mein Business besser zu machen. Also eine Verlagerung hin zur Beratung, und zwar zur hochwertigen Beratung. Je geringer die Wertschöpfung ist, umso schlechter für die Kanzlei.
Künstliche Intelligenz dringt in alle Bereich ein
Haufe: Welche Rolle werden intelligente Informationssysteme, wie z. B. Watson von IBM, Ihrer Meinung nach in der Steuerberatung künftig spielen?
Land: Künstliche Intelligenz dringt in alles ein, ins Auto, in die Beratung, selbst bei Google oder bei Facebook spielt das eine Rolle in Zukunft. Das wird alles verändern – und natürlich in der Steuerberatung/Wirtschaftsprüfung ganz besonders. Der Steuerberater berät mich im Zweifelsfall zwei Mal im Jahr. Mitte und Ende des Jahres gibt es ein Gespräch. Die künstliche Intelligenz durchforstet die Zahlen aber permanent. Sie kann mich auf Betrugsversuche, auf Zahlungsziele oder auf ungewöhnliche Abweichungen hinweisen. Die Algorithmen überwachen alles im Detail und das 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche. Das kann der Mensch gar nicht, aber die Software macht das ständig und gut. Deshalb wird die künstliche Intelligenz eine ganz essenzielle Rolle spielen.
Haufe: Kann künstliche Intelligenz den Berater langfristig ersetzen oder wird sie ihn eher unterstützen?
Land: In vielen Bereichen wird es tatsächlich passieren, dass künstliche Intelligenz den Berater ersetzt. In anderen Bereichen wird sie ihn nur ergänzen können. Das muss man ganz nüchtern betrachten. Das hängt damit zusammen, wie die Systeme dann laufen und wie letztendlich der Mensch mit den Dingen umgeht. Beim autonom fahrenden Auto beispielsweise wird ganz klar der Taxifahrer oder der Lkw-Fahrer ersetzt. Ein "Watson" wird bei vielen Dingen unterstützen, aber bei manchen Dingen, insbesondere den ganzen "lästigen Kleinigkeiten", wird er den Menschen ersetzen.
Haufe: Das wird dann insbesondere die Kanzleimitarbeiter betreffen, die für die weniger beratungsintensiven Leistungen wie kontieren und buchen zuständig sind.
Land: Absolut. Je geringer die Qualifikation, umso übler wird es für den Mitarbeiter.
Die Gesellschaft wird sich nachhaltig verändern
Haufe: Viele Steuerberater haben aufgrund der demografischen Entwicklung heute schon Schwierigkeiten geeignete Mitarbeiter zu finden. Wird sich dieses Problem durch den digitalen Wandel eher entspannen oder verschärfen?
Land: Unsere Gesellschaft wird sich sehr nachhaltig verändern. Wenn die Hälfte der Arbeit in 15 - 20 Jahren weg ist, ist die Hälfte der Menschen arbeitsfrei. Entweder haben wir dann Regelungen gefunden, um die Arbeit anders zu verteilen, dann arbeiten wir nur noch zwei bis drei Tage pro Woche statt fünf. Das wäre übrigens auch eine normale Entwicklung, wenn man bedenkt, dass wir im Jahr 1825 noch 80 Stunden die Woche an 7 Tagen gearbeitet haben. Die zweite mögliche Entwicklung ist das bedingungslose Grundeinkommen, für das ich mich schon seit Längerem einsetze und das auch von Leuten wie Siemens-Aufsichtsrat Peter Löscher oder Tesla-CEO Elon Musk gefordert wird. Wir müssen uns mit dieser Thematik auseinandersetzen, das wird nicht anders gehen in unserer Gesellschaft. Unser nächstes Buch wird daher heißen "Die unangenehme Wahrheit – Die Gesellschaft nach der Arbeit", denn irgendwann wird keiner mehr arbeiten.
Es wird nur noch zwei Arten von Steuern geben
Haufe: Bedeutet das, dass wir letztendlich die Roboter besteuern müssen?
Land: Genau. Es wird sogar nur noch zwei Arten von Steuern geben, nämlich Maschinensteuern und Transaktionssteuern. Das Steuersystem wird also extrem einfach. Gleichzeitig wird es uns ermöglichen, allen ein bedingungsloses Grundeinkommen zu bezahlen – davon bin ich fest überzeugt.
Mitarbeiter mit höheren Qualifikationen sind gefragt
Haufe: Welche Fähigkeiten müssen Kanzleimitarbeiter in Zeiten des digitalen Wandels mitbringen?
Land: Sie müssen sich besser qualifizieren im Sinne von „Beratung“. Statt buchen sollten sie eher Schlussfolgerungen ziehen und den Kunden beim Erreichen seiner Ziele z. B. mehr Umsatz, bessere Auslastung, höhere Effizienz etc. unterstützen. Das wird ganz deutlich zugunsten der Höherqualifizierten gehen, also in Richtung "Data Scientist", "Analytics", "Reporting" etc. Aber auch das nur für eine bestimmte Zeit, denn irgendwann wird das auch die künstliche Intelligenz besser machen.
Haufe: Wird es IT-, Prozess- und Steuerrechts-Spezialisten geben oder sind eher Generalisten gefragt, die all diese Fähigkeiten vereinen?
Land: Beides. Wir werden die Generalisten sehen, aber es wird sich mittelfristig sehr zu den Spezialisten hin verlagern. Für die Mandanten ist es dagegen wichtig, einen Ansprechpartner zu haben, der den Überblick über alles hat. Digitalisierung heißt auch "Bist du noch im Geschäft oder schon draußen?"
Haufe: Heutzutage kommen rund 80 % der Mandanten über persönliche Empfehlungen zu ihrem Steuerberater. Wird sich das in Zukunft ändern?
Land: Empfehlungen werden auch künftig eine wichtige Rolle spielen. Aber es wird auch auf die Leistungen ankommen. Ein Beispiel: Als wir bei unserer Beratungsfirma "neuland" ein neues System zur automatischen Erfassung und Verbuchung von Belegen eingeführt haben, ist unserem Steuerberater ein Auftragsvolumen von 6.000 – 8.000 EUR weggefallen. Wenn nur 50 Mandanten auch so ein System einführen, da kommt schon was zusammen. Soll heißen: Der Steuerberater, der die Automatisierung nicht treibt, wird gnadenlos zu teuer sein. Wenn dein Konkurrent es tut und du tust es nicht, wirst du nicht mehr konkurrenzfähig sein. Du wirst dann nicht mehr empfohlen und wenn doch, bist du so gnadenlos teuer, dass du trotzdem keine Aufträge bekommst. Digitalisierung heißt auch "Bist du noch im Geschäft oder schon draußen?".
Social Media ist wichtig, sollte aber nicht überschätzt werden
Haufe: Die Art der Kommunikation hat sich in den letzten Jahren durch das Aufkommen der "Social Media" massiv verändert. Viele Steuerberater sind auf diesen Zug schon aufgesprungen, es gibt aber vermehrt kritische Stimmen, die sagen „das bringt alles nichts“. Wie sehen Sie das?
Land: Social Media ist sicher ein wichtiger Kanal, allerdings bezweifle ich, dass alle Kanäle gleich wichtig sind. Wir sind sehr aktiv auf LinkedIn und auf XING; da finden wir auch tatsächlich Kontakte, die interessant sind – auf Facebook eher weniger. Und Twitter ist eher ein Newskanal. Man muss sich sehr genau anschauen, wofür das Medium eigentlich gedacht ist. Auf jeden Fall sollte man Vorsicht walten lassen und die Dinge nicht überschätzen, die da passieren.
Vertrauen bleibt wichtig
Haufe: Für viele Mandanten ist der Steuerberater der erste Ansprechpartner in finanziellen Dingen, zum Teil sogar in sehr persönlichen Fragen. Wie können Steuerberater von diesem Vertrauensvorschuss im digitalen Zeitalter profitieren?
Land: Indem der Steuerberater auch wirklich Partner des Unternehmens ist. Er muss "design thinking" betreiben. Er muss nicht überlegen, wie er sein Geschäft retten kann, sondern wie er dem Mandanten helfen kann, dass dieser sein Geschäft besser macht. Er muss überlegen, welche Services der Mandant noch von ihm braucht und diese dann anbieten. Er darf nicht denken, "wenn das jetzt für mich schlecht ist, dann mach' ich das nicht, dann wird für mich schon alles gut werden". Das wird so nicht funktionieren. Digitalisierung bringt auch Transparenz über die Leistungsfähigkeit des Einzelnen.
Die Art des persönlichen Kontakts wird sich ändern
Haufe: Wie sieht der persönliche Kontakt zum Mandanten in Zukunft aus? Wird das persönliche Gespräch vor Ort durch Videotelefonate oder sonstige Formate bis hin zum Treffen zweier Avatare im virtuellen Raum ersetzt?
Land: Ich bin fest davon überzeugt, dass das so kommen wird, also dass die Menschen auch auf diese Art und Weise miteinander kommunizieren werden. Das ist eine ganz logische Konsequenz und natürlich wird die persönliche Beziehung dadurch auch ein bisschen geschmälert. Das ist einfach so.
Haufe: Vielleicht wird es in einigen Jahren auch ganz natürlich sein, so zu kommunizieren, sodass man es gar nicht mehr als unpersönlich empfindet?
Land: Genau. Schauen Sie sich nur an, wie man "WhatsApp" heute nutzt. Wer hätte das vor 5 Jahren gedacht? Der Treiber ist "convenience" (Bequemlichkeit). In diese Richtung geht es immer mehr.
Wer hinterherläuft, wird es schwer haben
Haufe: Ein Steuerberater bittet Sie, ihm in einem Satz zu sagen, wie er sich dem digitalen Wandel am besten stellen sollte. Was raten Sie ihm?
Land: Den digitalen Wandel pro-aktiv angehen, also "vorneweg sein". In der digitalen Welt, wo wir über Plattform-Ökonomie und Sharing-Ökonomie reden, gilt die Regel "the winner takes it all". Der, der vorneweg geht, hat eine echte Chance zum "leader" zu werden. Wer hinterherläuft, also immer nur das macht, was er gerade machen muss, um zu überleben, für den wird es sehr tragisch enden. Das ist meine Prognose. Also Vorweggehen, die Möglichkeiten suchen und das im Interesse des Mandanten.
Haufe: Herr Land, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Über Karl-Heinz Land
Karl-Heinz Land, Digitaler Darwinist , Evangelist und Gründer der Strategieberatung neuland, erhielt 2006 den "Technology Pioneer Award" des "Time Magazine" auf dem World Economic Forum (WEF) in Davos und ist Co-Autor des Bestsellers "Digitaler Darwinismus – Der stille Angriff auf Ihr Geschäftsmodell und Ihre Marke".
Als Impulsgeber, Coach, zitierter Vordenker und internationaler Redner schafft er ein Bewusstsein für das sich rasant verändernde Marktgeschehen und die Dringlichkeit der Veränderung.
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