Nachhaltigkeit als Sinngeber und Treiber für die Digitalisierung
Herr Szilinski, früher war die esentri AG auf Digitalisierung spezialisiert. Nun sprechen Sie immer mehr über Nachhaltigkeit. Haben Sie schlicht Ihren Geschäftsbereich erweitert?
Uns geht es um viel mehr. Wir hatten Nachhaltigkeit schon immer in unserer DNA. Gesellschaftliche Verantwortung beinhaltet aber nicht nur ökologische Nachhaltigkeit, sondern auch soziokulturelle Faktoren. Zum Beispiel im Bereich Gender Pay waren wir schon immer stark. Irgendwann haben wir uns allerdings gefragt, in welche Richtung wir uns weiterentwickeln wollen. Wir können Technologie zweifach einsetzen: Digitalisierung kann helfen, Effizienz und Profit, etwa durch Automatisierung, zu erhöhen. Das nennen wir kalte Digitalisierung. Oder wir nutzen Technologie zum Wohle der Menschen. Das heißt bei uns warme Digitalisierung. Ein Beispiel: Mithilfe von KI könnten wir die Deutsche Bank vielleicht eine Milliarde reicher machen. Genauso könnten wir damit aber auch den CO2-Footprint in der Gesellschaft massiv reduzieren. Wir haben uns für die warme Digitalisierung entschieden und dafür, unsere Technologie zum Wohle aller zu nutzen.
Nachhaltigkeit als Frage der Haltung, nicht der Technologie
Ist die nachhaltige Transformation also eine rein technologische Frage?
Nein, am Ende des Tages ist das eine Frage der Haltung, von Geschäftsführenden, Mitarbeitenden und der Gesellschaft. Technologisch ist heute schon viel mehr möglich, als wir nutzen. Wenn es nicht umgesetzt wird, scheitert das alles also nicht an der Technologie, sondern eher an der Grundhaltung.
Manche Unternehmer:innen sehen die Chance, die Digitalisierung angesichts der nachhaltigen Transformation „erstmal abzuhaken“.
Solche Sprüche habe ich schon oft gehört. Auch vor der Coronapandemie hatten viele das Gefühl, die Digitalisierung werde wieder verschwinden. Leider muss ich diese Menschen enttäuschen, denn das ist nicht der Fall. Zum ersten Mal haben wir mit der Nachhaltigkeit einen massiven Sinngeber und Treiber für die Digitalisierung. Und diese nachhaltige Transformation wird ohne Digitalisierung im kommenden Compliance-Tsunami nicht gelingen. Das lässt sich mit manueller Datensammlung und anderen Prozessen nicht mehr bewältigen. Heute brauchen Unternehmen eine klare digitale Strategie, wie sie Daten zusammenstellen und wie sie compliant werden.
Die nachhaltige Transformation wird ohne Digitalisierung im kommenden Compliance-Tsunami nicht gelingen.
Twin Transformation: Nicht ein Weg, nicht eine Erklärung
Das große Schlagwort bei der esentri AG ist die „Twin Transformation“. Können Sie das kurz erklären?
Es gibt nicht den einen Weg und nicht die eine Erklärung, was das für ein Unternehmen bedeutet. Fakt ist, die beiden Trends Nachhaltigkeit und Digitalisierung verstärken und bedingen sich gegenseitig – daher „Twin“ für die doppelte Transformation, die notwendig ist. Wenn wir Transformation denken, dann bewegen wir Unternehmen und die Wirtschaft in eine Zukunft, die wir uns heute noch nicht vorstellen können. Was künstliche Intelligenz heute kann, können viele Unternehmer:innen noch nicht einschätzen. Was genau ESG-Compliance heißt, was die CSRD wirklich mit sich bringt und was Net Zero nachher bedeutet, auch das ist für viele noch weit weg. Und wenn ich Kreislaufwirtschaft – die absolute Champions League – gestalten möchte, dann muss ich mein Unternehmen schrittweise verändern. Dieser Weg ist in jedem Unternehmen anders und ich kann nur raten, beide Themen gleichzeitig anzupacken und Synergien zu nutzen. Nachhaltigkeit geht nicht ohne Digitalisierung.
Sie betonen immer wieder die Rolle der Mitarbeitenden. Was meinen Sie damit konkret?
Die Erfahrung zeigt, dass digitale Transformationsprojekte nie an der Technik, sondern an der Angst der Menschen vor Veränderung scheitern. Das meine ich nicht negativ, aber wir sollten darauf schauen, was Technologie mit Menschen macht. Der technologische Wandel ist schnell, das Wachstum im Bereich KI ist exponentiell. So etwas können viele Menschen gar nicht mehr begreifen. Wenn wir es nicht schaffen, ein Warum zu transportieren und andere für eine erstrebenswerte Zukunft zu begeistern, dann werden wir so viele Widerstände in einem solchen Transformationsprozess haben, dass es schlichtweg nicht gelingen wird.
Können Sie das anhand eines Beispiels erläutern?
Stellen wir uns ein Unternehmen vor, das Maschinen produziert und verkauft. In einer zirkulären Wirtschaft geht es nicht mehr nur um den einmaligen Verkauf, sondern auch um nachhaltiges Betreiben und Wiederverwerten dieser Maschinen und Materialien. Und dann muss ich bei den Mitarbeitenden erst einmal die Erkenntnis fördern, dass das Unternehmen künftig sein Geld nicht mehr nur über den Verkauf, sondern über andere Mehrwertservices oder über eine dauerhafte Vermietung verdient. Diesen Veränderungsprozess gilt es zu begleiten.
Nachhaltiges Handeln verbindlich im Unternehmen verankern
Über die esentri AG sagten Sie zu Beginn, die Nachhaltigkeit liege schon immer in der DNA des Unternehmens. Das behaupten einige von sich selbst. Was tun Sie konkret?
Wir verstehen uns als Pioniere. Und das heißt für mich, etwas zu machen, was in meinem Umfeld sonst noch keiner gemacht hat, und zu zeigen, dass es trotzdem geht. So sind wir schon früh ins Thema Fair Pay eingestiegen, haben eine rein elektrische Automobilflotte eingeführt. Wir haben freiwillig einen Nachhaltigkeitsbericht veröffentlicht, obwohl wir das noch lange nicht müssen. Und wir haben uns dafür entschieden, nachhaltiges Handeln verbindlich im Unternehmen zu verankern.
Wir verstehen uns als Pioniere. Und das heißt für mich, etwas zu machen, was in meinem Umfeld sonst noch keiner gemacht hat, und zu zeigen, dass es trotzdem geht.
Was bedeutet das für die Unternehmensstrategie?
Letztes Jahr haben wir dafür die Zertifizierung als B Corporation gemacht. Dahinter steckt eine strenge Auditierung. Laut B Corp müssen wir uns kontinuierlich verbessern, sonst können wir keine B Corporation bleiben. Wir haben sogar die Satzung unserer AG geändert, so dass wir uns bei Geschäftsentscheidungen nicht mehr nur den Shareholdern, sondern auch Stakeholdern wie der Umwelt und der Gesellschaft verpflichtet fühlen. Und hier trennt sich die Spreu vom Weizen. Ein Unternehmen kann viel behaupten, aber was wird wirklich gelebt? Wenn Sie online recherchieren, wie Mitarbeitende uns bewerten und wie Kund:innen über uns sprechen, sieht man, dass das echt und authentisch ist. Wir wollen mit Taten inspirieren und als Vorbild vorangehen.
Auf Ihrer Website ist die Rede von einer Initiative aus Mitarbeitenden, die Nachhaltigkeit bei allen Maßnahmen prüft. Was passiert da?
Wir haben vor einigen Jahren die Selbstorganisation und das Konzept der kollegialen Führung eingeführt, demnach legen wir Wert auf Partizipation in allen wichtigen Unternehmensentscheidungen. In den eigenverantwortlichen Organisationskreisen können alle Mitarbeitenden Veränderungsvorschläge machen: Wie können wir ein plastikfreies Büro werden? Wie können wir die Automobilflotte umstellen? Eine Kollegenguppe, die sich bewusst aus ganz verschiedenen Bereichen zusammensetzt, diskutiert diese Vorschläge und unterstützt bei der Umsetzung. Diese Gruppe kümmert sich auch zukünftig um die Re-Zertifizierung als B Corporation und zieht die Geschäftsführung nur bei Bedarf hinzu. Außerdem gibt es in einer B Corporation die „B People“, Beauftragte für Nachhaltigkeit, die sich firmenübergreifend über Best Practices austauschen. So haben wir es geschafft, Nachhaltigkeit und Verantwortung tief im Unternehmen zu verankern. In klassischen Unternehmen gibt nur die Geschäftsführung vor, wohin die Reise geht. Wir haben eine Kollegengruppe zum Thema Nachhaltigkeit und diese gibt gewissermaßen auch den Takt vor.
Die Verantwortung bleibt bei der Geschäftsführung
Nachhaltigkeit ist bei der esentri AG also keine Chefsache?
Doch. Es ist wichtig, dass die Geschäftsführung eine zukunftsgerichtete Haltung dazu entwickelt. Wenn sie aber unklare Signale aussendet und Initiativen stoppt, weil es nicht sofort optimal läuft, dann werden strategische Ziele sofort wieder begraben. Das alles muss also oben anfangen und über Lippenbekenntnisse hinausgehen. Allerdings können sie die Verantwortung dafür nicht einfach abgeben, sie muss immer bei der Geschäftsführung bleiben. Und dafür braucht es eine klare Führungshaltung.
Es ist wichtig, dass die Geschäftsführung eine zukunftsgerichtete Haltung entwickelt. Wenn sie aber unklare Signale aussendet und Initiativen stoppt, weil es nicht sofort optimal läuft, dann werden strategische Ziele sofort wieder begraben.
An welchen Baustellen müssen Sie künftig noch ausbessern?
Sobald man sich in den Kaninchenbau begibt, stellt man fest, was man alles verbessern kann. Wir sehen das als dauerhaften Prozess. Als Digitalunternehmen versuchen wir Nachhaltigkeitsziele durch Technologie zu erreichen, mit unserer Expertise helfen wir auch unseren Kund:innen. Den Energieverbrauch und die CO2-Emissionen können wir mithilfe von KI reduzieren, indem wir beispielsweise feststellen, ob Maschinen auf einer vollen Last laufen müssen oder ob auch weniger reicht. In Wahrheit ist KI aber auch einer der größten Emissionstreiber. Wenn wir das ernst nehmen, sollten wir uns überlegen, wie die IT selbst grüner werden kann. Das schaffen wir selbst noch nicht umfassend. Deshalb nehmen wir an der „CO2-Challenge“ für die Digitalwirtschaft teil, die ich mit initiiert habe: In diesem Zuge versuchen wir unseren Footprint um 40 Prozent zu reduzieren, nicht aus anderen Bereichen wie der Firmenflotte, sondern bewusst aus dem digitalen Bereich heraus. Das ist eine immense Herausforderung, aber auch unser größter Hebel.
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