Was Unternehmen aus dem BMW-Marokko-Fall lernen können

Seit Anfang 2023 greift in Deutschland das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG). Unternehmen müssen Menschenrechts- und Umweltstandards in Lieferketten genau prüfen und auf Verbesserungen hinwirken. Der Greenwashing-Verdacht gegen einen Kobalt-Lieferanten von BMW in Marokko zeigt: Im Risikomanagement sind neue Strategien gefragt.

BMW gilt als Role Model im Nachhaltigkeitsmanagement. Doch Expertinnen und Experten blickten mit gemischten Gefühlen auf den gewagten Move, für die Herstellung von Elektromotoren kein Kobalt mehr aus dem Kongo zu beziehen, sondern aus Marokko. Dafür muss man wissen, dass im Kongo der Kobaltabbau häufig mit Kinderarbeit, Gewalt und Verstößen gegen europäische Umweltstandards einhergeht. Die Arbeitsbedingungen sind nur schwer überprüfbar, da viele Menschen illegal Kobalt schürfen. Es gibt zahlreiche Zwischenhändler, bis das Material beim direkten Zulieferer und bei Abnehmern wie der Automobilindustrie in Europa landet. 

In Marokko ist das anders: Im Jahr 2020 schloss BMW Direktverträge mit dem marokkanischen Rohstoffkonzern Managem. Ein Fünftel des benötigten Kobalts kommt aus der Bou-Azzer-Mine, die eine Tochterfirma der Managem Group betreibt. Ein solcher Rückzug aus einem Lieferland, auch als „Disengagement“ bezeichnet, ist gleichwohl umstritten. Vielen sehen darin nur einen letzten Ausweg, da es die Lebensgrundlage der Menschen im Rückzugsland gefährden kann. 

Fakt ist aber auch: Durch die direkte Lieferbeziehung (first tier) in Marokko ging BMW in die Verantwortung – auch rechtlich. Denn das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz besagt: Je direkter ein Unternehmen mit einem Zulieferer zusammenarbeitet, desto größer sind die Sorgfaltspflichten in Bezug auf Menschenrechts- und Umweltstandards. Diese Verpflichtung steigt noch weiter, wenn ein Unternehmen Hauptabnehmer von einem Lieferanten ist. Auch Renault unterschrieb im Juni 2022 eine Absichtserklärung, ab 2025 Kobalt von Managem zu beziehen. Über die genauen Absatzmengen ist nichts bekannt. Beide Unternehmen hoben in ihrer Kommunikation die ethische Beschaffung des Kobalts hervor.

Medienberichte über Verstöße gegen Umwelt- und Arbeitsschutzregeln 

Und nun das. Bereits im Juli 2023 berichtete das französische Medium Reporterre ausführlich über eine völlig andere Realität: schlechte Arbeitsausrüstung, keine Schulungen, kaum Schutz gegen giftigen Staub, der beim Abbau von Kobalt entsteht, sowie mit Arsen vergiftetes Wasser in den nahegelegenen Oasen. Beschäftigte, die diese Umstände anprangern, müssten mit Jobverlust rechnen. Eine Gewerkschaft stehe unter Korruptionsverdacht. 

Erst einige Monate später folgte ein großes Medienecho in Deutschland. Am 13. November veröffentlichten NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung ihre gemeinsamen Recherchen mit Reporterre und dem marokkanischen Medium Hawamich. Diese legen nahe, dass von der Mine Bou Azzer große Mengen Arsen in die Umwelt gelangen. Die Journalistinnen und Journalisten hatten ihre Proben vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Magdeburg analysieren lassen. Beschäftigte erzählten ihnen von fehlenden Arbeitsschutzmaßnahmen, Kettenverträgen und Krankheiten, die zu Entlassungen führen.

Der Zulieferer Managem wies die Vorwürfe zurück. Und BMW prüft noch. Dass jedoch selbst ein Unternehmen, das für seine hohen Umwelt- und Menschenrechtsstandards bekannt ist, nicht vor einem derartigen Vorfall und dem damit einhergehenden Imageschaden gefeit ist, sollte andere hellhörig machen. Der Fall zeigt, wo mögliche Lücken im Risikomanagement liegen. Was können wir daraus bereits jetzt ableiten?

Sechs Schritte zu größerer Sorgfalt in Lieferketten

1. Nicht auf Compliance, sondern auf die Wirkung kommt es an

Unternehmen sollten sich nicht allein auf Zertifikate und Audits verlassen. Im vorliegenden Fall hatten BMW und Renault zumindest die Medien darauf verwiesen. Die Managem Group ist demnach etwa von der Responsible Minerals Initiative (RMI) zertifiziert und hat sich der Nachhaltigkeitsbewertungsmethodik der Plattform Ecovadis unterzogen. Die BMW Group versicherte gegenüber Reporterre, dass sie „regelmäßige Audits an den Standorten ihrer Zulieferer durchführt, um die Einhaltung der Sozial- und Umweltstandards des Unternehmens zu überprüfen“. „Viele Unternehmen und selbst Medien betrachten Zertifikate und die vermeintliche Überwachung von Zulieferern als Inbegriff der Sorgfaltspflicht. Das gaukelt falsche Sicherheit vor“, findet Johannes Blankenbach, Referent beim Business & Human Rights Resource Centre in Berlin. Unternehmen haben entsprechende Systeme und Instrumente für Compliance etabliert. Aber das spricht sie nicht von ihren Sorgfaltspflichten und der Verantwortung frei. „Es kommt auf wirksame Maßnahmen für Rechteinhabende und Umwelt an.“ 

2. Blindspots von Audits können gefährlich werden

Die meisten Audits sind nicht explorativ. Das heißt, die Standards beruhen auf geschlossenen Fragen, die es abzuhaken gilt. Das funktioniert dann gut, wenn man weiß, was passieren kann. Allerdings ist das kaum zu leisten, denn selbst fundierte Audits haben einen bestimmten Fokus und können nie alles abdecken. Wer sich auf Sozialaudits verlässt, übersieht möglicherweise die Risse in einem Produktionsgebäude. So kommt es trotzdem zu Tragödien wie dem Einsturz von Rana Plaza in Bangladesch oder dem Brand bei Ali Enterprises in Pakistan. Beide Unternehmen wurden kurz vor dem Vorfall auditiert. 

In einer Studie von Germanwatch von 2022 wurden Zertifizierungen der Rohstoffindustrie untersucht. Demnach bewertet etwa der Due Diligence Standard der Responsible Mineral Initiative (RMI), „inwieweit Rohstoffschmelzen und Raffinerien Managementprozesse der menschenrechtlichen Sorgfalt gemäß den OECD-Leitlinien in ihren Lieferketten umsetzen, ohne jedoch die Produktionsstätten selbst auf die Einhaltung von ESG-Belangen hin zu überprüfen“. RMI beauftrage zwar selbst den Zertifizierungsdienstleister mit dem Audit, so dass es den Einfluss des zertifizierten Unternehmens reduzieren könne. Doch es beziehe die Rechteinhabenden (Beschäftigte oder Menschen, die vor Ort leben) nicht ein und mache die Ergebnisse der Zertifizierung auch nicht transparent. Dass die Umwelt einer Mine nicht mit Arsen verseucht ist, kann ein solches Zertifikat also nicht bescheinigen. Zudem fokussiert sich die RMI auf die OECD Due Diligence Guidance for Minerals from Conflict-Affected and High-Risk Areas (CAHRAs). Damit sind menschenrechtliche Sorgfaltspflichten nur in beschränktem Ausmaß abgedeckt und auf Hochrisikoländer beschränkt, die gemäß der eigenen Methodologie als solche definiert sind. 

Generell sollten Unternehmen bedenken, worauf Audits beruhen und wie sie ablaufen:

  • Welche Standards und Teile der Menschenrechts- und Sorgfaltspflichten in der Lieferkette deckt das Audit ab?
  • Inwiefern ist das Audit angekündigt oder haben Unternehmen die Möglichkeit, vorab auf anderen Wegen davon zu erfahren und mögliche Missstände zu verschleiern?
  • Führt eine unabhängige Partei (third party) das Audit durch oder sind die Auditorinnen und Auditoren vom Zulieferer selbst beauftragt und bezahlt?
  • Beziehen Besuche und Befragungen die Rechteinhabenden ein und beruhen sie auf Interviews, die in entsprechenden Schutzräumen oder vertrauensvollen Rahmenbedingungen stattfinden?
  • Welche Expertise bringen die Auditorinnen und Auditoren mit?
  • In welchem Turnus finden die Audits statt (in der Regel alle ein bis drei Jahre)?

Die Standards und Zertifizierungen bilden inzwischen ein eigenes Ökosystem und Geschäftsfeld. Manche ergänzen sich gegenseitig. Der Zertifikate-Dschungel ist nicht einfach zu durchschauen, wobei hier vor allem große Unternehmen schon viel Erfahrung und Expertise haben. Dennoch bleiben Blindspots. Der Helpdesk Wirtschaft & Menschenrechte, das Unternehmen eine unabhängige Beratung anbietet, brachte 2022 ein Infopaket zur Rolle von Audits im Sorgfaltsprozess heraus. „Bei einem Audit [...] handelt es sich stets um eine Momentaufnahme, die Auskunft über die übliche Situation vor Ort geben kann, aber nicht muss", heißt es in dem Papier. Zeitgründe, Gefälligkeit gegenüber dem Auftraggeber, zu gering qualifiziertes Personal oder Korruption – all das kann die Ergebnisse beeinflussen und dazu führen, dass Unternehmen die tatsächlichen Verhältnisse vor Ort falsch einschätzen. „Ein Zertifikat ist bestenfalls ein gutes Abbild im Moment, schlechtestenfalls ein reines Feigenblatt“, resümiert auch Johannes Blankenbach.

3. Es gibt keine „sicheren Zulieferer-Länder“ 

Vermutlich hat BMW laut LkSG in Bezug auf das Risikomanagement vieles richtig gemacht. Es sieht vor, dass man eine Risikoanalyse erstellt und bestehende Risiken priorisieren darf. Die Frage ist, ob das Automobilunternehmen das Risiko in einem Land wie Marokko, wo es erstmals in großem Stil Rohstoffe bezog, richtig und sorgfältig eingeschätzt hat. 

Es gibt Indikatoren dafür, wie es in bestimmten Ländern um Umweltschutz und Menschenrechte bestellt ist. Marokko steht auf dieser Liste nicht gerade weit oben. Zum Beispiel belegt das Land auf dem Environmental Performance Index Platz 160 von 180. Zum Vergleich: Australien, woher BMW den größten Teil des für Elektroautos benötigten Kobalts bezieht, liegt auf Platz 17. Daraus folgt zwar einerseits, dass Unternehmen sich die Umweltschutzmaßnahmen in Marokko genauer anschauen sollten. Anderseits ist man selbst in Australien oder Europa nicht vor Verstößen gefeit. „Risiken lassen sich nicht ausschließlich anhand von geographischen Grenzen erschließen“, sagt Alex Graf, Senior Consultant von Kumi Consulting, einer Beratung, die unter anderem auf Due-Diligence-Prüfungen in Lieferketten spezialisiert ist. Ländergrenzen könnten zwar als Indikator dienen, meint Graf und betont: „Es geht letztlich aber darum, eine wirklich neutrale Risikoanalyse als solche vorzunehmen und sich selbst objektiv mit dem Kontext auseinanderzusetzen.“ 



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