Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz gilt – und jetzt?

Es ist noch ziemlich frisch und leider in manchen Punkten schwammig: Weshalb sich Unternehmen, auch wenn es sie (noch) nicht unmittelbar trifft, mit dem Lieferkettengesetz beschäftigen sollten, haben wir Thomas Sommereisen, Director Sustainability Consulting bei Scholz & Friends Reputation, gefragt.

Am 1. Januar 2023 ist das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, kurz: Lieferkettengesetz oder LkSG, für Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitenden in Kraft getreten. Ab dem kommenden Jahr gilt es auch für Firmen ab 1.000 Beschäftigten. Eigentlich aber betrifft es heute schon sehr, sehr viele deutsche Firmen jeder Größe: nämlich alle Zulieferer der großen Unternehmen. Es ist also wichtig, sich mit dem LkSG auseinanderzusetzen.

Zumindest in einem Punkt gibt es einen großen Konsens: Die Idee hinter dem Lieferkettengesetz ist gut, richtig und sinnvoll. Es will ja nichts anderes, als dass all die Güter, die wir in Deutschland konsumieren, unter anständigen Bedingungen hergestellt werden. Dazu gehört unter anderem, dass keine Kinder für uns schuften. Dass die Arbeitsbedingungen für Erwachsene in Ordnung sind. Dass es in Unternehmen Beschwerdestellen gibt, an die sich Arbeiterinnen und Arbeiter wenden können, um Missstände aufzuzeigen. Dass keine Menschenrechtsverletzungen begangen werden. Dass der Umweltschutz gewahrt ist. Es gibt wohl niemanden, der sich diesen Zielen öffentlich verweigern würde.

Die Herausforderung ist das Gesetz selbst. Es ist schwammig, in vielen Punkten unklar, und es ist, sagen Expertinnen und Experten, „handwerklich ausbaufähig“ und praxisfern. Hinzu komme, dass die Aufsichtsbehörde, das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA), mit ihren „Handreichungen“ über den Gesetzeswortlaut hinausgehe.

LkSG sorgt noch für Verunsicherung

All das führt dazu, dass viele Unternehmen verunsichert sind, was konkret zu tun ist. Die Folge? Es gibt welche, die sich nicht vorbereiten und nichts oder zu wenig tun. Das ist eine schlechte Idee, die sehr teuer werden kann. Und es gibt Unternehmen, die komplett neue Abteilungen – und damit ein neues Silo – hochziehen. Das ist auch keine gute Idee und ebenfalls sehr teuer.

Worum geht es? Der Gesetzgeber hat im LkSG Sorgfaltspflichten formuliert. Sie gelten für den eigenen Geschäftsbereich, für das Handeln eines Vertragspartners und das Handeln mittelbarer Zulieferer. Um diesen Pflichten nachzukommen, müssen Unternehmen unter anderem

  • ein Risikomanagement etablieren
  • eine jährliche Risikoanalysen vornehmen
  • Präventionsmaßnahmen verankern
  • ein Beschwerdemanagement einführen
  • eine Grundsatzerklärung formulieren
  • ihr Lieferkettenmanagement dokumentieren und regelmäßig darüber berichten.

Wird ein Missstand im Unternehmen selbst, bei einem direkten oder indirekten Zulieferer bekannt, muss das Unternehmen aktiv werden, um ihn zu beheben oder doch zumindest zu minimieren. Dafür gibt es eine Bemühenspflicht. Das Unternehmen muss also nachweislich alles in seiner Macht Stehende tun, um die Missstände abzustellen. Verstößt dann aber beispielsweise ein Zulieferer trotz dieser Bemühungen gegen Menschenrechte, wird das Unternehmen nicht zur Rechenschaft gezogen.

Was heißt das für die Praxis? Dass zum Beispiel entsprechende Klauseln, Anpassungen und Standards in den Verträgen verbindlich festgehalten werden, dass Zulieferer regelmäßig auditiert werden – und dass es jemanden im Unternehmen gibt, der das Ganze im Auge behält. Auch wichtig: ein gutes Management all der Daten, die bei diesem Prozessen anfallen.

Es geht um Transparenz

Neben „Handreichungen“ zu einzelnen Aspekten des Lieferkettengesetzes stellt die BAFA einen detaillierten Fragenkatalog zur Berichterstattung gemäß § 10 Abs. 2 LkSG bereit. Es ist hilfreich, sich diesen Fragebogen anzuschauen und Testläufe zu machen, ob und wie das eigene Unternehmen die Fragen beantworten kann.

Fest steht: Es kommt viel auf die Unternehmen zu. „Es ist wichtig für Unternehmen, sich intensiv mit den Sorgfaltspflichten auseinanderzusetzen“, sagt Thomas Sommereisen, Director Sustainability Consulting bei Scholz & Friends Reputation. Auf der Grundlage dieser Auseinandersetzung sollten Firmen unternehmensindividuell und mit Augenmaß vorgehen, rät der Nachhaltigkeitsexperte. 

Thomas Sommereisen

Pauschallösungen und Patentrezepte gibt es nicht. Hauptziel muss es sein, Transparenz in die eigene Lieferkette zu bringen. Dabei hilft zuerst einmal eine Bestandsaufnahme, für die Unternehmen Mitarbeitende aus verschiedenen Abteilungen – Legal & Compliance, CSR, HR und Einkauf – an einen Tisch holen sollten, rät Thomas Sommereisen. Sobald der Status Quo ermittelt ist, müssten sich Unternehmen detailliert mit den Sorgfaltspflichten wie Risikoanalyse und möglichen Präventions- und Abhilfemaßen beschäftigen.

Das Schwarze Loch: Die mittelbaren Zulieferer


Es gibt ja auch noch die Lieferanten der Lieferanten, sogenannte mittelbare oder indirekte Zulieferer. Und die könnten den Unternehmen das Leben schwer machen, denn: Wenn diese indirekten Zulieferer gegen Menschenrechte und Umweltauflagen verstoßen, müssen Unternehmen Maßnahmen ergreifen, diese Verstöße abzustellen – wenn sie denn eine „substantiierte“ Kenntnis davon haben.

Und hier kommen die NGOs ins Spiel. Viele Experten hatten erwartet, dass die Nicht-Regierungs-Organisationen direkt nach Inkrafttreten des LkSG zig Unternehmen über Missstände bei indirekten Zulieferern informieren und sie damit zu umgehendem Handeln zwingen. Diese Info-Welle ist bislang ausgeblieben. 

Die EU wird nachlegen


Die EU erarbeitet derzeit ihrerseits eine Richtlinie zu den Lieferketten, die noch deutlich weitreichender sein könnte als das LkSG – und das ist ein weiterer wichtiger Grund, warum sich kleine und mittlere Unternehmen mit den Anforderungen an die Lieferketten befassen sollten.

Das Gute daran: Wird die EU-Richtlinie umgesetzt, entsteht ein europäisches Level Playing Field, in dem Wettbewerber in der EU unter gleichen Bedingungen wirtschaften.

Schlagworte zum Thema:  Lieferkette, Compliance, Menschenrecht