EU-Lieferketten-Richtlinie: Wäre ein Aus gut für Unternehmen?
Eigentlich schien alles in trockenen Tüchern, nachdem sich Mitte Dezember die EU-Staaten und das Europäische Parlament auf einen Entwurf der europäischen EU-Lieferketten-Richtlinie geeinigt hatten. Die Zustimmung des Rates und die weiteren Schritte gelten als Standardprozedere. Umso mehr hat es viele Beteiligte überrascht, als die FPD Anfang des Jahres zum Gegenzug ausholte: Sie will ihre Zustimmung verweigern. Ende nächster Woche, am 9. Februar, soll im Rat der EU abgestimmt werden. Bleibt die FDP bei ihrem Nein, was inzwischen als sicher gilt, müsste sich Deutschland enthalten – und könnte damit einige andere Länder mitziehen.
Erstaunlich ist, dass die FDP sich erst jetzt gegen den Entwurf wendet. Denn die CSDDD ist eng zwischen den beteiligten Ressorts – neben dem Arbeitsministerium, das bei der Richtlinie federführend ist, auch dem Finanzministerium von Christian Lindner und dem Justizministerium von Marco Buschmann – abgestimmt worden. Laut Handelsblatt beruft sich die FDP nun bei ihrer Blockadehaltung auf den Koalitionsvertrag. Darin hatten sich die Koalitionspartner verpflichtet, eine Überforderung für kleine und mittlere Unternehmen auszuschließen. Ob diese mit der CSDDD wirklich gegeben ist oder ob die Gründe der Verweigerung eigentlich woanders liegen, darüber gehen die Meinungen jedoch auseinander.
Steckt mehr oder weniger Bürokratie in der CSDDD?
Zwar werden von der CSDDD mehr Unternehmen betroffen sein als vom deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (kurz LkSG) – künftig fallen auch Unternehmen mit 500 Mitarbeitenden und in Risikosektoren sogar Firmen über 250 Mitarbeitende unter die Regelung. Aktuell betrifft das LkSG 5.200 Unternehmen, für die Zukunft geht die EU-Kommission laut Table.Media europaweit von 13.000 Unternehmen aus. Doch die Richtlinie folgt einer anderen Logik als das deutsche Lieferkettengesetz. Während im LkSG lediglich die direkten Zulieferer im Fokus des Risikomanagements stehen, umfasst die europäische Richtlinie die gesamte Lieferkette. Allerdings müssen Unternehmen nicht pauschal für mögliche Verstöße gegen Menschenrechte oder Klimaauflagen von ihren Zulieferern haften. Sie dürfen sich auf diejenigen konzentrieren, die ein besonders großes Risiko bergen und auf die sie Einfluss ausüben können. Das bedeutet beispielsweise auch, dass es Erleichterungen in Bezug auf Staaten mit hohem „Rechtsdurchsetzungsniveau“ mit sich bringt. Kommen Zulieferer aus anderen EU-Ländern, müssen sie diese nicht auf Menschenrechtsverletzungen und Umweltverhalten prüfen. Die Idee des CSDDD ist also: Mehr vor Ort für die Menschen erreichen, weniger Bürokratie für Unternehmen. Ob dies gelingt, wird sehr davon abhängen, wie die nationalen Gesetze gestaltet sind. Zudem kann der Bürokratieaufwand durch die CSDDD je nach Unternehmen ganz verschieden sein. Dabei kommt es nicht nur auf die Unternehmensgröße an, sondern auch darauf, wie risikoreich ihr Geschäftsfeld ist und wie ihr Lieferantennetzwerk aufgebaut ist. Pauschale Aussagen, dass das Gesetz zu mehr Bürokratie führen wird, sind deshalb nicht richtig.
Kein sicherer Hafen
Für ihre Verweigerungshaltung nennen die Minister Lindner und Buschmann in einem Schreiben vom Donnerstag zehn Punkte. Neben der vermeintlich größeren Bürokratie und dem erweiterten Anwendungsbereich pochen sie auf weniger strenge Umweltklauseln und Berichtspflichten. Vor allem die Haftungsfragen scheinen der FDP und deutschen Unternehmensverbänden ein Dorn im Auge zu sein. Dies legen unter anderem Correctiv-Recherchen nahe. Die CSDDD enthält in der aktuellen Form keine „Safe-Habour“-Klausel. Also kein „sicherer Hafen“ in Sicht. Eine solche Regelung, auf die Deutschland im EU-Rat mehrfach gepocht hatte, sollte die Unternehmen vor Schadenersatzklagen schützen, wenn sie sich Brancheninitiativen anschließen oder über anerkannte Zertifikate und Prüfsiegel verfügen. Dass Zertifizierungen und Brancheninitiativen nicht zum Schutz von Rechteinhabenden ausreichen und problembehaftet sind, zeigt zum Beispiel der BMW-Fall in Marokko.
Fakt ist aber auch, dass Unternehmen sehr wohl Audits ins Feld führen können und Brancheninitiativen Teil ihres Risikomanagements darstellen. Wie im LkSG haben Unternehmen auch gemäß der geplanten EU-Lieferketten-Richtlinie eine „Bemühenspflicht“. Sie müssen nicht für alle Aktivitäten ihrer Lieferanten haften, wenn sie nachweisen können, dass sie sich bemüht haben, Risiken zu vermeiden – nach dem Motto: tun, was man kann, und nicht für alles verantwortlich sein. Schon heute besteht dem LkSG zufolge die Möglichkeit für zivilrechtliche Klagen, wenn kein Bemühen erkennbar ist. Doch Opfern von Menschenrechtsverletzungen in den Lieferketten europäischer Unternehmen soll der Zugang zu Gericht erleichtert werden. „Der ist bislang so kompliziert, dass es de facto kaum zu Verfahren kommt“, heißt es auf Table.Media. Anscheinend möchte man hier einen Freifahrtschein für Unternehmen durchboxen und den Anschein erwecken, dass sie ansonsten für wirklich alles haften müssten.
FDP agiert als ausführende Kraft der Unternehmensverbände
Die Forderungen im aktuellen Ministerschreiben der FDP hatten seit November 2023 Unternehmensverbände wie Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK), Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) und Gesamtmetall in verschiedenen Schreiben an die zuständigen Politiker gestellt. Es ist auffällig, wie sich die Wortwahl und die Forderungen decken. Die FDP stellt sich in der Öffentlichkeit als Retterin der Unternehmen dar, als Beschützerin vor unsinnigen Regelungen. In einem Phoenix-Interview vom vergangenen Sonntag sagte Christian Lindner, dass durch das CSDDD eine sehr große Bürokratie entstehe, vor der „die ganze deutsche Wirtschaft warnt“.
Verschiedene Studien zum deutschen Lieferkettengesetz besagen allerdings, dass es besser ist als sein Ruf in den Wirtschaftsverbänden. So ergab etwa eine repräsentative Umfrage des Handelsblatt Research Institute (HRI) im Auftrag von Creditreform bei 2000 Unternehmen in Deutschland, dass nur sieben Prozent der Betriebe die Verpflichtung aus dem LkSG ablehnen. Knapp 44 Prozent der Befragten achten demnach bereits heute auf Nachhaltigkeit in ihrer Lieferkette, weitere 37 Prozent tun dies schon teilweise, nur elf Prozent tun gar nichts. Darauf angesprochen sagt Christian Lindner in dem Phoenix-Interview: „Mir scheint, dass diejenigen, die hier noch keine Befürchtungen geäußert haben, sich noch nicht damit vertraut gemacht haben, was die Europäische Kommission hier geplant hat, was auch auf die mittelständischen Betriebe zugekommen wäre.“ Außerdem hätten die deutschen Spitzenverbände unisono gewarnt.
Gespaltene Unternehmerschaft
Diese Aussagen machen deutlich, dass Christian Lindner Verbandspolitik betreibt, aber nicht unbedingt Unternehmenspolitik. Eine Multistakeholder-Initiative begleitet seit Jahren die Entwicklung der EU-Richtlinie. Unabhängig davon haben sich zudem einige Unternehmen als Befürworter des aktuellen Kompromisses positioniert – darunter etwa Vaude, Tchibo, Aldi Süd, Ikea oder Unilever. In einem Schreiben wandten sich Geschäftsführer:innen und Sustainability Manager:innen direkt an Bundeskanzler Scholz – sie sprechen beispielsweise für die Unternehmen Deltex, Hakro, KiK, Olymp und die s. Oliver Group. Allerdings sind die Pro-Unternehmen deutlich leiser als die großen Verbände. Sie wollen sich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Offensichtlich befürchten einige, dass ihnen zu starkes öffentliches Engagement an der Stelle auf die Füße fallen könnte. Denn eine Garantie dafür, dass die nationale Umsetzung nicht weitere Überraschungen bringt, gibt es (noch) nicht. Unsicherheitsfaktoren bleiben.
Die Frage ist, ob sie sich mit ihrem zaghaften Verhalten einen Bärendienst erweisen. Denn so kann sich das Narrativ der FDP als offizielle Haltung der Gesamtwirtschaft weiter verbreiten. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), der bei der europäischen Lieferketten-Richtlinie federführend ist, hatte zwar noch eine Übergangsregelung vorgeschlagen. Er wäre bereit gewesen, die Berichtspflichten nach dem LkSG für ein Jahr auszusetzen, bis die Unternehmen sowieso ihren Berichtspflichten gemäß den Vorgaben der europäischen Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) nachkommen müssen. Zudem hätte er laut Spiegel auch ermöglicht, dass die Teile in der EU-Richtlinie, die gegenüber dem LkSG eine Erleichterung für Unternehmen bedeuten, sofort Anwendung finden. Allerdings werten Insider dies nicht als direkte Antwort auf das jüngste FDP-Schreiben. Damit hat er die Blockadehaltung der FDP nicht aufbrechen können. Ohne Veränderungen in Richtung einer Safe-Habour-Regelung oder eine reduzierte Liste der Hochrisikosektoren scheint hier kein Einlenken in Sicht.
Was Unternehmen nun erwartet
Diese Woche wird sich zeigen, wie Deutschland im Rat abstimmt und wie viele Länder bei einer möglichen Enthaltung folgen. Table.Media zufolge gelten Spanien, Portugal, die Niederlande und Malta als Befürworter. Sechs weitere Mitgliedstaaten hätten sich positiv geäußert. Schweden hingegen möchte die Richtlinie ablehnen und Tschechien, Estland, Litauen und die Slowakei wollen bislang „nicht zustimmen“. Andere prüfen derzeit noch. Italien könnte das Zünglein an der Waage sein.
Was würde ein Stopp der europäischen Lieferketten-Richtlinie für Unternehmen bedeuten? Fakt ist, dass der rechtliche Flickenteppich in der EU dann bestehen bleibt. Das LkSG geht auch bei einer Ablehnung der CSDDD nicht weg (auch wenn die FDP dies voraussichtlich zum Wahlkampfthema machen möchte). Entfallen würden vielmehr alle positiven Ansätze zu Bürokratieabbau und Erleichterungen für Unternehmen. Denn dass sich in der nächsten Legislaturperiode der EU die politische Stimmung für ein europäisches Lieferkettengesetz verbessert, ist nicht zu erwarten. Mit der Nachberichterstattung laut CSRD-Regelung wird ein großer Brocken auf Betriebe zukommen. Wer seine Lieferketten dafür nicht analysiert hat, bekommt ein Problem.
Update vom 05.02.24, 11:00 Uhr: Aus gegebenem Anlass wurde der Kommentar noch einmal aktualisiert.
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