Nachhaltigkeit als Kommunikationsrisiko

Nachhaltigkeitsaussagen in der Werbung sind heikel. Wer schummelt, riskiert Klagen und Image. Mit der Green Claims Directive will die EU Abhilfe schaffen. Und in der Zwischenzeit? Sollten „Grüne“ Botschaften 100 Prozent wasserdicht sein. Sind sie es nicht, sollten Unternehmen besser darauf verzichten.

Wussten Sie, dass Ocean Plastic niemals ein Meer gesehen hat?  Was danach klingt, als hätte man es aus dem Wasser gefischt und anschließend zu einer Shampoo-Flasche, Creme-Tube oder Turnschuhen verarbeitet, stammt in der Vergangenheit meist aus Abfällen, die an Land gesammelt wurden. Natürlich ist Plastikmüll einsammeln immer eine gute Sache. Auch an Land. Trotzdem bleibt die Bezeichnung „Ocean Plastic“ irreführend.

Es sind Sachverhalte wie diese, die die EU auf den Plan gerufen haben. Gut 50 Prozent aller Werbeaussagen, die sich ums Thema Nachhaltigkeit drehen, sind wahlweise rechtlich unsauber oder schlicht gelogen. Das gilt für Australien genauso wie für die USA oder eben für Europa. Die EU packt das Greenwashing-Problem an und wird die Regeln für Werbung mit umweltbezogenen Aussagen drastisch verschärfen. Manche Experten fürchten, dabei werde das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Dazu später mehr.

In Unternehmen fehlen valide Daten und Know-how

Noch laufen Verhandlungen, aber die Green Claims Directive wird voraussichtlich noch vor der Europawahl 2024 verabschiedet und wohl 2027 in Kraft treten. Und in der Zwischenzeit? Sollten Werbungtreibende sehr vorsichtig sein, und im Zweifel schon jetzt auf Kaufargumente wie „nachhaltig“, „grün“, „CO2-neutral“, „umwelt-“ oder „klima-“ bis hin zu „bienen-“ oder gar „Riff-freundlich“ verzichten. Es sei denn, sie können ihre Behauptung mit substanziellen Fakten belegen.

Dr. Constantin Eikel, Partner der Kanzlei Bird & Bird, hat eine ganze Sammlung von „Risikobegriffen“, die in der Kommunikation mit Vorsicht verwendet werden sollten. „Es ist eine feine Linie, auf der man tanzen muss“, sagt der Markenrechtsexperte. „Wenn Unternehmen einen Claim benutzen, ohne dazu Inhalte beizugeben, also die Grundlage des Claims darzustellen, sind sie praktisch schon in der Irreführung.“

Eikel, Constantin

Feigenblatt-Engagements – etwa der Kauf von CO2-Zertifikaten für Aufforstungsprojekte, die ohnehin stattgefunden hätten – sind mittlerweile schnell aufgedeckt. Wer derlei Claims nutzt und vor Gericht verliert, muss die so gekennzeichneten Produkte vom Markt nehmen und kann nur darauf hoffen, dass er eine Aufbrauchsfrist gewährt bekommt.

Oft, sagt Constantin Eikel, würden die Unternehmen gar nicht böswillig handeln, „das Gros der Leute in den Unternehmen ist mit den rechtlichen Anforderungen einfach überfordert“. Zudem fehlt es vielen Marketingverantwortlichen an verlässlichen Daten. Häufig gibt es keine Berechnungen zum genauen CO2-Fußabdruck eines Produkts. Zudem mangelt es an Know-how. Eikel zieht die Parallele zur Datenschutzgrundverordnung – als die eingeführt wurde, hätten Unternehmen auch erst einmal lernen müssen, wie sie damit umgehen. Unternehmen haben es also einmal mehr mit einem sich entwickelnden Rechtsgebiet zu tun.

Verbände klagen, Verbraucher sind misstrauisch

Für vorsichtige Zurückhaltung gibt es bei der Verwendung von Green Claims – mal abgesehen vom Anstand – schon jetzt zwei Gründe:

  • Verbraucherschutzorganisationen wie Foodwatch, Wettbewerbszentralen und Umweltschutzorganisationen haben das Thema Greenwashing im Fokus und sind klagebereit.
  • Konsumenten nehmen Unternehmen Falschaussagen in puncto Nachhaltigkeit sehr übel.

Das Klagerisiko: Erst Ende Juli entschied das Landgericht Karlsruhe in einem Rechtsstreit zwischen der Deutschen Umwelthilfe (DUH) und dm, dass die Drogeriemarktkette bestimmte Produkte nicht mehr als „klimaneutral“ oder „umweltneutral“ bewerben darf, wir berichteten. dm will den Greenwashing-Vorwurf nicht auf sich sitzen lassen und legte Berufung ein. dm-Chef Christoph Werner sagte gegenüber dem Südwestrundfunk: „Da die Rechtsprechung im Moment noch versucht zu definieren, was unter den einzelnen Auslobungen zu verstehen ist, sind wir der Meinung, dass die Position, die der Richter bei diesem Prozess eingenommen hat, durchaus überprüfungswürdig ist. Und zwar – wie verstehen Kunden heute eine Auslobung wie ‚klimaneutral‘ oder auch ‚umweltneutral‘. Deswegen haben wir uns entschieden, dieses Urteil noch einmal in einer nächsten Instanz überprüfen zu lassen.“ Derweil kündigte die Deutsche Umwelthilfe Klagen gegen acht weitere Unternehmen an. Der Vorwurf: irreführenden Klimaneutralitätsversprechen. Aufforderungen zu Unterlassungserklärungen gingen unter anderem an Fleurop AG, CEWE Stiftung und FC Mainz 05. Die Klimaklagen-Übersicht der DUH umfasst mittlerweile 34 Unternehmen. Es gibt, schrieb die FAZ unlängst mit Blick auf die Kernergebnisse des Berichts „Global Trends in Climate Change Litigation“, einen regelrechten Boom an Greenwashing-Klagen.

Das Image-Risiko: Gerät ein Unternehmen in Greenwashing-Verdacht, hat es nicht nur mit einem medialen Shitstorm zu tun. Auch der Vertrauensverlust bei Konsumenten ist erheblich: „Jedes dritte Unternehmen war bereits mit Greenwashing-Vorwürfen konfrontiert. Die damit verbundenen Risiken wiegen schwer: 7 von 10 Konsumenten wenden sich von solchen Unternehmen beziehungsweise Marken ab“, schreibt das Nürnberg Institut für Marktentscheidungen (NIM) in seiner aktuellen Studie „ Greenwashing versus Greenacting: Wünsche, Erwartungen und Perspektiven von Konsumenten und Marketingmanagern in acht Ländern“. „Nachhaltigkeitsversprechen vertrauen Konsumenten dann, wenn das damit werbende Unternehmen für sie glaubwürdig erscheint. Die Glaubwürdigkeit lässt sich auch durch Zertifizierungen, Transparenz und Zusammenarbeit mit externen Akteuren erreichen“, so ein Ergebnis. Das Institut sieht in der Green Claims Directive eine Chance: Sie könne für mehr Glaubwürdigkeit sorgen, effektiv umgesetzt Verbraucherinteressen und Unternehmen zusammenbringen und somit der Umgestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft hin zu mehr Nachhaltigkeit einen Schub verleihen.

Green Claims Directive: Idee gut, Ausgestaltung „krass“

„Effektiv umgesetzt“ – damit sind wir bei den Reizworten in der Debatte um die Green Claims Directive. Viele Unternehmen fürchten ein Bürokratiemonster, das im schlechtesten Fall dazu führen könnte, dass sie lieber gar nicht mehr über ihre Nachhaltigkeitsbemühungen kommunizieren. Dieses sogenannte Greenhushing ist in den USA schon verbreitet. Die Verunsicherung bei den Werbungtreibenden ist groß. Das schlägt sich unmittelbar auf den Arbeitsalltag von Dr. Constantin Eikel, Markenrechtsexperte bei Bird & Bird, nieder. Hat er bis vor kurzem ein, zwei Mal im Monat Rechts- und Marketingabteilungen zu juristischen Dos & Don’ts in der Nachhaltigkeitskommunikation geschult, macht er das mittlerweile mehrmals in der Woche.

Eikel hält die Idee der Green Claims Directive für gut und richtig, die Ausgestaltung geht ihm (Stand heute) allerdings deutlich zu weit. „Es ist krass, was da kommt“, so der Jurist.

Würde die Richtlinie in ihrer jetzigen Form umgesetzt, müssten alle Unternehmen ein sogenanntes Assessment durchführen, bevor sie einen Text-Claim oder ein Label mit Nachhaltigkeitsbezug benutzen. Dieses Assessment besteht aus elf Punkten; unter anderem müssen Unternehmen prüfen, was eigentlich ihr Wettbewerb so macht und dann belegen, dass die eigene Nachhaltigkeitsaktivität im Vergleich zum Wettbewerb tatsächlich einen besonderen Umweltvorteil darstellt. Und zwar „signifikant“. Allerdings, so Eikel, sei noch nicht definiert, was genau „signifikant“ eigentlich bedeutet.

Gute Vorbereitung ist gefragt

Sind alle Daten zusammengetragen, alle Angaben gesammelt und alle Assessment-Erfordernisse erfüllt, müssen Unternehmen die Unterlagen bei sogenannten Verifiern zur Prüfung einreichen. Verifier sind unabhängige Stellen. Das Problem: Diese Verifier gibt es noch gar nicht, die EU-Mitgliedsstaaten müssen sie erst einrichten. Denkbar ist, dass in Deutschland zum Beispiel der TÜV eine solche Funktion übernimmt. Ebenfalls unklar: Wie lange sich Verifier für die Bearbeitung Zeit lassen. Weiterhin nicht geklärt: Was passiert, wenn ein Unternehmen mit der Entscheidung des Verifiers nicht einverstanden ist? „Dieses Verifier-System ist im Werberecht ein Novum“, sagt Eikel.  Der Jurist hält das Procedere für einen „harten Eingriff, auch in die Kommunikationsfreiheit“. Er befürchtet, mit der Green Claims Directive könnten Nachhaltigkeitsaussagen in der Werbung so komplex werden, dass viele Unternehmen darauf verzichten, Stichwort Greenhushing.

Eikels Rat an alle, die heute schon in der Produktplanung stecken, die über das Jahr 2027 hinausgeht: sich jetzt schlau machen und sich gut auf die neue Richtlinie vorbereiten. Und in der Zwischenzeit nur mit maximal validen Nachhaltigkeitsaussagen werben.

Übrigens: Das recycelte Plastik, das fast im Meer gelandet wäre und wiederverwertet wird, heißt jetzt Ocean Bound Plastic.


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