Dekarbonisierung in der Lieferkette

Studien zeigen: Bis zu 80 Prozent der Gesamtemissionen eines Unternehmens können aus seiner Lieferkette stammen. Die Dekarbonisierung der Lieferkette bietet daher enorme Potenziale zur Verringerung des CO₂-Fußabdrucks. Dieser Artikel beleuchtet die Herausforderungen und Chancen der Lieferketten-Dekarbonisierung und zeigt praktische Ansätze auf, wie Unternehmen ihre Emissionen entlang der gesamten Wertschöpfungskette reduzieren können.

Der Klimawandel stellt eine der größten Herausforderungen unserer Zeit dar, und Unternehmen spielen eine entscheidende Rolle bei der Bewältigung dieser Krise. Die Reduktion von Treibhausgasemissionen ist nicht mehr nur eine Option, sondern eine dringende Notwendigkeit. Unternehmen stehen zunehmend unter Druck, ihren ökologischen Fußabdruck zu verringern - sowohl durch regulatorische Vorgaben wie die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) als auch durch die wachsenden Erwartungen von Kunden, Verbrauchern und Investoren. Ein Schlüsselbereich für effektive Emissionsreduktionen liegt in der Lieferkette.

Um diese Potenziale zu nutzen, müssen Unternehmen maßgeschneiderte Strategien entwickeln. Die Emissionsquellen und Reduktionsmöglichkeiten variieren stark je nach Branche, Produkt und Lieferantenstruktur. Eine genaue Analyse der Lieferkette, die Identifikation von Hotspots und die Entwicklung spezifischer Maßnahmen sind entscheidend für eine erfolgreiche Dekarbonisierung.

CCF vs. PCF

Dieser Artikel beleuchtet zwei zentrale Aspekte der Dekarbonisierung. Zum einen wird die umfassende Dekarbonisierung eines Unternehmens als Ganzes am Beispiel der Steinbeis Papier GmbH dargestellt. Es wird gezeigt, wie das Unternehmen durch gezielte Maßnahmen in den Bereichen Energieverbrauch, Fertigung, Logistik und Produktdesign seine Treibhausgasemissionen reduziert und somit einen bedeutenden Beitrag zum Klimaschutz leistet. Diese Fallstudie verdeutlicht, wie ein Unternehmen durch innovative Ansätze und ein tief verwurzeltes Bekenntnis zur Nachhaltigkeit seine Emissionen erfolgreich senken kann.

Zum anderen wird die Methode der Erhebung des Product Carbon Footprints (PCF) bei der Dr. Schnell GmbH & Co. KGaA detailliert beschrieben. Diese Methode ermöglicht die präzise Erfassung der Kohlenstoffemissionen, die während des gesamten Lebenszyklus eines Produkts entstehen. Durch die Analyse und Optimierung der Emissionen entlang der Wertschöpfungskette können Unternehmen gezielte Maßnahmen ergreifen, um ihren Carbon Footprint zu reduzieren. Diese Fallstudie zeigt, wie die Implementierung digitaler Tools und spezifischer Verfahren zur Erhebung des PCF zu einer signifikanten Reduktion der Emissionen führen kann.

Dekarbonisierung in der Einkaufspraxis

Um den CO2e-Fußabdruck in der Lieferkette zu reduzieren, muss man ihn zunächst genau kennen. Eine fundierte Datenbasis ist unerlässlich, um darauf aufbauend wirksame Maßnahmen zu entwickeln und umzusetzen. Der Prozess folgt dem Muster „verstehen, messen, dekarbonisieren sowie integrieren und steuern“.

Bei Steinbeis Papier konzentrierte man sich zur Reduktion der CO2-Emissionen zunächst auf die Optimierung der Warenverteilung. Dabei wurden mehrere Schlüsselbereiche identifiziert:

  • Interne Logistik: Verbesserung der Umfuhren und Lagerungsprozesse
  • Transporttransparenz: Detaillierte Erfassung und Analyse aller Transportvorgänge
  • Effizienzsteigerung: Minimierung von Leerfahrten
  • Innovative Ausschreibungen: Förderung eines fairen Wettbewerbs durch intelligente Vergabeverfahren
  • Multimodale Logistik: Nutzung verschiedener Transportmittel, Einführung von Rundläufen und strategische Platzierung von Verteillagern
  • Kundenkooperation: Anreize für die Abnahme vollständig beladener LKWs

Diese Maßnahmen zielen darauf ab, die Logistikprozesse zu optimieren und somit den CO2-Fußabdruck in der Lieferkette signifikant zu reduzieren.

In einem zweiten Schritt widmete sich Steinbeis Papier der Analyse und Optimierung der Verpackungen, um sowohl ökonomische als auch ökologische Potenziale auszuschöpfen. Dabei konzentrierte man sich auf folgende Kernbereiche:

  • Verpackungsreduktion: Minimierung des Materialeinsatzes ohne Qualitätseinbußen
  • Materialinnovation: Erforschung und Einsatz umweltfreundlicherer Alternativen
  • Plastikfreiheit: Entwicklung von Verpackungslösungen ohne Kunststoffe
  • Holzreduktion: Verringerung des Holzanteils in Verpackungen
  • Innovationskultur: Kritisches Hinterfragen etablierter Praktiken und Förderung kreativer Lösungsansätze
  • Lieferanteneinbindung: Organisation von Workshops zur gemeinsamen Entwicklung nachhaltiger Verpackungskonzepte
  • Durch diese gezielte Herangehensweise strebt Steinbeis Papier eine signifikante Verbesserung der Umweltbilanz ihrer Verpackungen an, ohne dabei die wirtschaftlichen Aspekte aus den Augen zu verlieren.

In einem dritten Schritt analysierte Steinbeis Papier die Nachhaltigkeitsstrategie in der innerbetrieblichen Entsorgung. Dabei wurden folgende Aspekte in den Fokus gerückt:

  1. Eigene Kreislaufwirtschaft: Implementierung und Optimierung interner Recyclingprozesse
  2. Rücknahmesysteme: Einführung von Systemen wie IBC-Containern zur Wiederverwendung
  3. Mülltrennung: Verbesserung der Abfalltrennung durch klare Containerbeschriftungen
  4. Abfallvermeidung: Nutzung von Nachfüllsystemen, beispielsweise für Druckerpatronen
  5. Reststoffverwertung: Effiziente Nutzung von Reststoffen, etwa durch PFR (Papierfaserrecycling)
  6. Verpackungsvermeidung: Reduktion des Verpackungsmaterials, wo immer möglich

Diese Maßnahmen zielen darauf ab, die innerbetriebliche Entsorgung nachhaltiger zu gestalten und den ökologischen Fußabdruck des Unternehmens weiter zu reduzieren.

Digitale Unterstützung von unschätzbarem Wert

Digitale Ansätze sind bei der Analyse und Reduktion von CO2-Emissionen von unschätzbarem Wert. Sie ermöglichen sowohl die präzise Datenerhebung als auch die Optimierung operativer Prozesse. Neue Technologien fördern die Prozessdigitalisierung, datengetriebene Geschäftsentscheidungen und die Entwicklung innovativer digitaler Geschäftsmodelle. Eine zentrale IT-Lösung zur Berechnung des Produktfußabdrucks sind Carbon-Accounting-Anwendungen. Diese Tools erlauben es, den Klimaeffekt entlang der Lieferkette zu projizieren, indem sie auf relevante Daten zugreifen. Dadurch können Unternehmen die Emissionen ihrer Produkte und Dienstleistungen genau erfassen und gezielte Maßnahmen zur Reduktion ergreifen.

Etablierte Prozesse zu hinterfragen und sowohl Lieferanten als auch Kollegen einzubinden, ist entscheidend für eine nachhaltige Lieferkette. Dabei spielen bei Steinbeis Papier folgende Aspekte eine zentrale Rolle:

  1. Aktives Lieferantenmanagement und nachhaltige Warengruppenstrategien:
    Festlegen, messen und belohnen von Nachhaltigkeitszielen.
  2. Produktzertifizierung, Datentransparenz und Digitalisierung:
    Sicherstellen von Transparenz und Nachverfolgbarkeit entlang der Lieferkette.
  3. Carbon Footprint (PCF) Online-Tools:
    Diese ermöglichen eine detaillierte und umfassende Ermittlung der Treibhausgas-Emissionen auf Transaktionsebene bei vertretbarem internem Aufwand.
  4. Validierung durch unabhängige Dritte:
    schafft größtmögliches Vertrauen bei Kunden und interessierten Parteien wie Behörden und NGOs.
  5. Daten für das Reporting zur Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD):
    Die erhobenen Daten leisten einen wichtigen Beitrag zur Erfüllung der Berichtspflichten gemäß CSRD.

Diese Maßnahmen tragen dazu bei, die Nachhaltigkeitsstrategie eines Unternehmens effektiv umzusetzen und die CO2-Emissionen in der Lieferkette signifikant zu reduzieren.

Die Erstellung des Produkt Carbon Footprint als Grundlage für Produktinnovationen und Anforderungen des Marktes

Immer mehr Unternehmen setzen sich quantitative CO2-Einsparverpflichtungen - will man aber als Einkäufer zum Erreichen dieser CO2-Reduktionsziele beitragen, setzt das natürlich zuvorderst das Wissen um die Treibhausgasbilanzen der zu kaufenden Waren voraus. Unternehmen erhalten immer mehr Anfragen von Kunden nach den CO2-Emissonen der von ihnen bezogenen Produkte. Aber wie kann der dafür notwendige Produkt Carbon Footprint ermittelt werden?

Die Product Carbon Footprint (PCF)-Berechnung ist für Unternehmen relevant, wenn sie die Emissionen der von ihnen hergestellten Produkte verstehen möchten, wie sich Produktdesign oder einzelne Inhaltsstoffe und Rohstoffe auf die Emissionen auswirken und spezifische Reduktionsziele festlegt werden sollen. Mit dem PCF werden die emittierten Mengen an Treibhausgasen in einem Produktsystem erhoben und in CO2-Äquivalente umgerechnet, um den potenziellen Beitrag dieses Produktes zur Erderwärmung zu quantifizieren.

Das eigentliche Ziel einer PCF-Berechnung ist nicht das Wissen um die Höhe der CO2-Emission, sondern das Aufzeigen von Optimierungs- und Einsparpotenzial innerhalb der Zusammensetzung des Reinigungsmittels.

Um trotzdem für jeden Verkaufsartikel einen PCF bereitstellen zu können, erfolgte bei Dr. Schnell, einem Reinigungsmittelhersteller, die CO2-Bilanzierung aller eingesetzten und aller zum möglichen Austausch in Betracht zuziehenden Rohstoffe aus nachwachsenden Quellen (insgesamt ca. 600) und aller Gebinde und Etiketten (ca. 2.000) in Eigenregie durch die hauseigene Forschung und Entwicklungsabteilung (F&E).

Um eine valide Datengrundlage zu verwenden, wurde auf entsprechende Datenbanken und Studien zurückgegriffen, welche durch eine eigens dafür entwickelte Software automatisiert abgegriffen und somit immer auf dem aktuell verfügbaren Stand gehalten werden. Die Implementierung der berechneten Daten in die Rezepturverwaltungssoftware der F&E sowie in die ERP-Software folgte.

So kann die CO2-Bilanz jedes Verkaufsartikels automatisiert und tagesaktuell erstellt werden und alternative Rohstoffe beziehungsweise neue Rezepturen können mit einem Mausklick auf ihre tatsächliche Auswirkung auf die Umwelt untersucht werden.

Im Laufe der Ermittlung der CO2-Bilanzen konnten bei Dr. Schnell durch Optimierung in der Lieferkette und minimalen Rezepturanpassungen, welche ohne die diese Auseinandersetzung mit den Treibhausgasemissionen gar nicht bemerkt wurden wäre, bereits eine jährliche Einsparung von 2 Millionen kg CO2 erzielt werden.

Bei der Berechnung wurde der komplette Produktlebenszyklus nach dem Cradle to Grave-Ansatz - Herstellung der Einzelkomponenten, Transport, Produktion im Werk von Dr. Schnell und Entsorgung bzw. Recycling – berücksichtigt und die gesamte Bilanzierung der PCFs gemäß ISO 14067 „Carbon Footprint von Produkten - Anforderungen an und Leitlinien für Quantifizierung durchgeführt und erfolgreich durch das Unternehmen GUTcert zertifiziert, sodass eine Vergleichbarkeit mit anderen Reinigungsmitteln, welche nach diesem Standard bilanziert wurden, gegeben ist.

Es hat sich gezeigt, dass auch ein mittelständiges Unternehmen mit bereits heute verfügbaren Daten und Mitteln valide und von unabhängiger Stelle zertifizierte PCFs selbst berechnen kann – man muss nur einfach damit anfangen.

Durch die PCF-Ermittlung konnte ein Klimaidealsortiment geschaffen werden, das bezüglich des Anteils nachhaltiger Rohstoffe und geringerer CO2-Emissionen optimiert wurde. Kunden können ihr bezogenes Sortiment entsprechend anpassen lassen und so bis zu 50 Prozent tatsächliche CO2-Emissonen einsparen.

Fazit

Die Dekarbonisierung der Lieferkette erweist sich als strategischer Imperativ für das Top-Management moderner Unternehmen. Die Beispiele in diesem Artikel verdeutlichen, dass die Dekarbonisierung der Lieferkette weit mehr als eine Compliance-Aufgabe ist. Sie bietet Chancen für Kosteneinsparungen, Innovationen und Wettbewerbsvorteile. Unternehmen, die diese Aspekte berücksichtigen, können nicht nur ihre Klimaziele erreichen, sondern sich auch als Vorreiter in ihren Branchen positionieren. Die Dekarbonisierung der Lieferkette ist somit nicht nur eine ökologische Notwendigkeit, sondern auch ein entscheidender Faktor für langfristigen Geschäftserfolg und Resilienz in einer sich wandelnden Wirtschaftswelt.


Schlagworte zum Thema:  Lieferkette, Klimaschutz