Kreislaufwirtschaft in der Praxis
Herr Glaz, was verbirgt sich hinter dem Begriff: „Circular Economy“? Oft wird dieser als Synonym für Nachhaltigkeit verwendet, aber da gibt es durchaus Unterschiede, oder?
Genau, der Nachhaltigkeitsbegriff ist historisch gewachsen und kommt ursprünglich aus der Forstwirtschaft. Es handelt sich dabei um einen Sammelbegriff, der aktuell beliebig dehnbar ist und man kann darunter alles und nichts fassen. Deswegen bevorzugen wir es, relevante Teilaspekte deutlich konkreter zu fassen, z. B. mit dem Begriff „Circular Economy“ oder Kreislaufwirtschaft. Das bezeichnet, sehr vereinfacht ausgedrückt, den Kreislauf der Dinge zum Schutz von Ressourcen und Klima. Dahinter steht eine ganze Reihe weiterer Prozesse, die weit über den einfachen Kreislauf von Ressourcen hinausgehen. Jedenfalls bevorzugen wir diesen Begriff, weil er transparenter abbildet, für was sich das Unternehmen einsetzt und was es selbst umsetzt. Im Endeffekt geht es um den Kreislauf von Materialien, sowohl in Produkten als auch in Verpackungen. Gelebte Kreislaufwirtschaft bedeutet, dass man die gesamte Wertschöpfungskette analysiert und prüft, wo man Verluste vermeiden kann, damit Materialien im Kreislauf gehalten werden können.
„Halbherzige Zugeständnisse führen nicht weit“
Wie funktioniert Kreislaufwirtschaft und wie geht Werner & Mertz dabei vor? Welche Vorteile ergeben sich daraus?
Wenn man in Kreisläufen denkt, schafft das zunächst einmal ein Bewusstsein dafür, wie ein Lebenszyklus von Anfang bis Ende aussieht. Es geht darum zu hinterfragen, wo die Produkte herkommen, woraus sie bestehen, durch wie viele Hände sie gehen und wo sie nach der Verwendung landen. Dabei ist vor allem die Frage entscheidend, wie man Materialien im Kreislauf halten kann. Dies kann man gut am Thema Verpackungen erklären: Wir verwenden für unsere Produkte recycelte und recycelbare Verpackungen. Der Kreislauf bei diesem konkreten Beispiel bedeutet vereinfacht: Aus einer leeren Verpackung wird durch hochwertiges Recycling wieder eine neue Verpackung für den gleichen Zweck in gleichwertiger Qualität erzeugt. Unserer Auffassung nach geht es darum, dass das Bewusstsein für den Kreislauf in allen Schritten mitgetragen wird. Für Einkäufer, v.a. für die professionelle Anwendung, stehen bspw. Einkaufspreis und Anwendbarkeit im Vordergrund. Unsere Aufgabe ist es, solche Aspekte mit einzubeziehen und praktische sowie ökologisch sinnvolle Lösungen zu entwickeln, wie etwa Nachfüll-Konzepte. Außerdem sind Elemente wie Haltbarkeit und Handhabbarkeit zu berücksichtigen. Wenn man für den Anwender mitdenkt, steigen die Chancen, dass Materialien (in diesem Fall die Verpackung) auch wirklich zurück in den Kreislauf geführt werden. Wir entwickeln Lösungen, die für alle (für uns wie auch für die Anwender) einen Mehrwert bieten. Der Ansatz von Werner & Mertz beruht darauf, Produkte und Verpackungen ganzheitlich zu denken. Das bedeutet, dass man sich eingehend mit sämtlichen Prozessen auseinandersetzen muss – auch über die Unternehmensgrenzen hinaus (z.B. Lieferanten etc.). Halbherzige Zugeständnisse führen da nicht weit, wenn kein umfassendes Bewusstsein geschaffen wird. Wenn man nicht wirklich verstanden hat, was man verbessern will und warum, entsteht kein echtes Bewusstsein für Transformation. Nur notdürftig an Symptomen herumzudoktern, nach dem Motto: „Wir machen mal eine grüne Limited Edition“, führt nicht weit. Man muss sich klar darüber werden, worauf man hinauswill und dann einsteigen, um weiterzumachen, in eine klar definierte Richtung.
Wie kann Unternehmen der Einstieg in die Kreislaufwirtschaft gelingen und wo sollte man im ersten Schritt ansetzen?
Wir sind eingestiegen, indem wir bei EMAS (Eco-Management and Audit Scheme) und Cradle to Cradle gelernt haben, wie unsere Unternehmens-Prozesse genau aussehen und welche Wirkungen sie im ökologischen, bzw. ressourcenrelevanten Bereich haben. Wenn man diese Daten hat, kann man zielgerichtet Prozesse steuern. Man kann auch selbst ansetzen und sich diese Themen verdeutlichen. Als Einstieg eignet sich beispielsweise die Optimierung der Verpackungen, weil es da schon eine Reihe von Lösungen und Anbietern gibt. Oder etwa bei den Etiketten: Wenn ich weiß, dass diese im Recyclingprozess ein Problem darstellen (z.B. durch die Druckfarbe oder den Kleber), muss ich mich der Thematik annehmen und genau analysieren, wie schnell man daran etwas ändern kann. Aber auch Wasser ist ein relevantes Thema für alle. Also fragt man sich, wie und mit welchem Aufwand man eingreifen kann, um diese Ressource zu schonen. Hier gibt es zahlreiche Ansätze. Es geht themenübergreifend darum, die eigenen Möglichkeiten einzuschätzen und für die Zukunft strategisch zu planen. Dabei lässt sich nicht pauschal sagen, wo hier konkret der erste Schritt liegt, denn erst wenn man das Gesamtbild analysiert hat, kann man potenzielle Hotspots identifizieren und in Angriff nehmen. Das sollte differenziert und unternehmensbezogen betrachtet werden.
Zwei Ansätze zur Abfallvermeidung
Für die meisten Unternehmen stehen die Themen Plastik und Abfallvermeidung im Fokus. Welche Rolle spielen diese für Werner & Mertz?
Abfallvermeidung wäre definitiv ein Fortschritt im Sinne der Umwelt. Wir haben Prognosen, dass sich die Kunststoffproduktion bis 2060 verdreifachen wird – da reden wir von über 1,2 Mrd. Tonnen. Das ist verrückt und nach heutigem Stand der Infrastruktur kann man nicht davon ausgehen, dass Recycling oder Kreislaufwirtschaft das kompensieren können. Vielmehr muss man davon ausgehen, dass sich diese Werte weitestgehend auf Neuware beziehen, die ohnehin schon sehr viel Energie verbraucht und dadurch CO2-Emissionen verursacht (pro Gramm Neuplastik bis zu 9 Gramm CO2). Um einen großen Schritt weg von dieser Entwicklung hin in Richtung Ressourcen- und Klimaschutz zu gehen, sollte die Neuproduktion von Kunststoff möglichst vermieden werden. Für Werner & Mertz haben sich hierzu zwei Ansätze herauskristallisiert: Der erste Ansatz bezieht sich auf die Vermeidung von Abfall, indem Kunststoffe im Kreislauf gehalten werden. Durch den Einsatz von Recyclat können wir zwischen 60-70 % CO2 einsparen. Zwar brauchen wir immer noch CO2, weil auch das Sammeln, Sortieren und Extrudieren (=das Aufschmelzen) energieaufwendige Schritte sind. Im Vergleich zur Neuproduktion von Kunststoff sind hier die Emissionen aber deutlich geringer. Der zweite Ansatz ist, dass wir uns auf Nachfüll-Konzepte konzentrieren. Unsere Nachfüllbeutel sparen im Vergleich zu einer Flasche etwa 70 % Kunststoff ein. Wir sparen hier also nicht nur Neuplastik, sondern auch den Einsatz von Recyclat. Dafür werden die Flaschen so produziert, dass sie entsprechend lange haltbar sind. Auch die Nachfüllbeutel sind aus Monomaterial, damit auch sie hochwertig recycelt werden können. Das Beispiel zeigt, wie man Schritt für Schritt tiefer in die Optimierung eintauchen kann, mit stetig dazugewonnener Expertise.
Wird Ihrer Meinung nach in der Politik genug für die Kreislaufwirtschaft getan?
Es ist erkannt worden, dass Kreislaufwirtschaft einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leisten kann. Das findet sich mittlerweile auch im Koalitionsvertrag wieder. Der öffentliche Diskurs hat das Bewusstsein in der Politik dafür gefördert, dass dieses Thema nicht allein das Umweltministerium, sondern genauso die Wirtschaft betrifft. Insofern ist es eine günstige Fügung, dass Umwelt- und Wirtschaftsministerium in der Verantwortung derselben Partei liegen. Ein zentraler Punkt ist da der öffentliche Einkauf. Wenn es um das sogenannte „Green Public Procurement“, also den öffentlichen Einkauf nachhaltiger Produkte geht, sind sowohl das Umwelt- als auch das Wirtschaftsministerium gefordert, um Veränderungen in der Gesetzgebung zu realisieren. Mit dem Kreislaufwirtschaftsgesetz sollte es öffentlichen Beschaffern ermöglicht werden, sich für nachhaltige Produkte zu entscheiden. Leider gab es da in den letzten Zügen aufgrund politischer Interventionen Änderungen an der zuletzt verabschiedeten Änderung des Gesetzes, die das Thema nicht unbedingt weitergebracht haben. Für Beschaffer müsste ein klares Regelwerk mit konkret definierten Kriterien geschaffen werden, damit Einkäufer qualifizierte Entscheidungen treffen können. Das ist ein großer Hebel für eine wirtschaftliche Transformation. Auch die Symbolkraft ist nicht zu unterschätzen, denn wenn der Gesetzgeber die Regeln, die er der Wirtschaft vorgibt, für seine eigenen Beschaffungen nicht einhält, macht er sich unglaubwürdig. Aber es stimmt mich optimistisch zu hören, dass das Problem bekannt ist und erneut angegangen wird.
--
Das Interview wurde ursprünglich in Ausgabe April 2023 des Magazins „ Kleine Kniffe –Das betriebliche Magazin für einen nachhaltigen Einkauf“ veröffentlicht.
-
Kreislaufwirtschaft - die "7 R"
78
-
Nachhaltigkeit durch Künstliche Intelligenz: Was ist möglich?
40
-
Marginal Abatement Cost Curve (MACC): Vorteile und Anwendung
30
-
Green Claims: EU-Parlament fordert empfindliche Strafen bei Verstößen
28
-
Science Based Targets – das wissenschaftsbasierte Klimasiegel
23
-
ISO 14068-1:2023: Der Weg zur Klimaneutralität
22
-
Nachhaltige Batterien: Wie Graphit die Mobilitätswende prägt
21
-
Scope 1-3, CSRD, SBTi & PEF - Wie fangen Unternehmen konkret an?
20
-
Biodiversität: Auswirkungen und Pflichten für Unternehmen
19
-
Transitionsrisiken managen: Der Nutzen eines internen CO2-Preises
19
-
Nachhaltige Verpackungen: EU-Beschluss zur Müllreduzierung
17.12.2024
-
Neues Projekt zum Übergang zu zirkulären Geschäftsmodellen
12.12.2024
-
Handreichung für Aufsichtsräte: Biodiversität im Fokus
09.12.2024
-
Das grüne Krankenhaus: Nachhaltigkeit im Gesundheitssektor
06.12.2024
-
13. Bundespreis Ecodesign würdigt zehn zukunftsweisende Ideen
02.12.2024
-
Schutz der Biodiversität: Im ureigenen ökonomischen Interesse
26.11.2024
-
Deutschland rutscht im Klimaschutz-Ranking leicht ab
21.11.2024
-
EUDR: Gesetz weiter in der Diskussion
21.11.2024
-
So setzen Unternehmen die Vorgaben der EUDR um
05.11.2024
-
Klimaanpassung: Wie Unternehmen und Kommunen SDG 11 umsetzen können
01.11.2024