Arbeitsschutzrechtliche Folgen der Corona-Krise
Eine stabile Situation im Umgang mit Corona könnte im Herbst, ggfs. aber auch erst im Winter 2021 erreicht sein. Das hängt maßgeblich davon ab, wann die sog. „Herdenimmunität“ erreicht ist. Im selben Zeitraum wird eine gewisse Normalität in die Betriebe einkehren können, die
- auf der Basis bereits geimpfter Mitarbeiter:innen,
- einer Test-Strategie und
- der konsequenten Einhaltung der Abstands- und Hygieneregeln beruhen kann.
Warum besteht Handlungsbedarf?
Gleichwohl wird das Virus auch weiterhin eine Gefährdung darstellen, der vor allem durch regelmäßige Nachimpfungen begegnet werden kann.
Unbestritten kann man feststellen, dass Politik und Gesellschaft im Winter 2019/2020 vollkommen unvorbereitet mit der Corona-Pandemie konfrontiert worden sind (die Bundesregierung war nach Medienberichten bereits 2012 gewarnt). Obwohl in der betrieblichen Praxis rasch reagiert wurde, sah sich der Gesetzgeber als gezwungen an, durch gesetzliche Vorgaben ein nachhaltiges Handeln der Unternehmen zu erreichen (so zuletzt durch die SARS-CoV2-Arbeitsschutzverordnung mit ihren drei Änderungsverordnungen und der Änderung des IfSG).
Ein „weiter-so“ wie vor der Krise wird es absehbar nicht geben. Die Veränderungen der letzten Monate haben Prozesse in Gang gesetzt und beschleunigt, die zum Teil schon vorher diskutiert wurden oder aber schon praktiziert wurden. Es ist jetzt erforderlich, Veränderungen zu bewerten und daraus Konsequenzen zu ziehen, und zu prüfen, ob pandemiebedingte Maßnahmen nicht als solche die betriebliche Praxis auch zukünftig vorteilhaft prägen können.
Hygienemaßnahmen
Eine der ersten Corona-Maßnahmen waren die Einführung von Abständen und die Aufforderung, sich an Hygienemaßnahmen zu halten („AHA“).
Das regelmäßige und regelgerechte Waschen der Hände und der Einsatz von Desinfektionsmitteln hat in der betrieblichen Praxis durchaus positive Aufnahme gefunden und die Virenlast sicher begrenzt. Diese Maßnahmen sollten deswegen auch zukünftig fortgesetzt werden, was z.B. arbeitgeberseitig durch die Zurverfügungstellung von Hygienemitteln und durch geeignete Informationen und Schulungen gefördert werden kann. Dabei ist zu bedenken, dass diese Maßnahmen der Bekämpfung viraler Gefährdungen jedweder Art dienen können.
Raumbelegung
Platzmangel in Unternehmen ist alltäglich. Gerade im Büro- und Dienstleistungsbereich haben hohe Mieten, die eine räumliche Expansion verhinderten, arbeitgeberseitige Fehlvorstellungen hinsichtlich der Belegungsfähigkeit von Büroräumen mit Arbeitsplätzen und sonstige räumliche Zwänge häufig zu überaus engen Verhältnissen geführt, die u.a. eine angemessene Produktivität eher behinderten und das Arbeitsklima belasteten.
Die Pandemie und die damit verbundenen Beschränkungen bei der Bürobelegung haben das Rad hier zurückgedreht. Zusammen mit einem vernünftigen Homeoffice-Konzept (s. dazu unten) entstehen praktisch „wie von selbst“ wieder freie Kapazitäten, die zukünftig vor allem unter dem Aspekt gesundheitlicher Verträglichkeit genutzt werden sollten.
Die Vorschriften der Anmerkung zu § 3 ArbStättV A 1.2 sind diesbzgl. als überholt zu betrachten. Sie beachten lediglich räumliche Vorgaben als es sich um Wege, Belüftung etc. handelt (Kollmer/Klindt/Schucht, Arbeitsschutzgesetz, ArbStättV, Anhang Anforderungen und Maßnahmen für Arbeitsstätten nach § 3 Abs. 1). Entgegen der Bereitschaft des Gesetzgebers, sich auch mit den psychischen Belastungen der Arbeitswelt zu befassen (s. z.B. § 4 Nr. 1 ArbSchG), sind diese in den einschlägigen Regelungen der ArbStättV nicht ausreichend berücksichtigt (es wird nur von „Wohlbefinden“ gesprochen, s. Schucht in Kollmer/Wiebauer/Schucht, Arbeitsstättenverordnung
4. Auflage 2019, Anhang 1.2). So wird bei der Frage der Raumbelegung die psychische Belastung, die sich aus überbelegten Räumen ergeben kann, nicht thematisiert, obwohl sie durchaus bekannt ist.
Praxistipp: Es empfehlen sich in durch mehrere Personen belegten Büroräumen gezielte Gefährdungsbeurteilungen hinsichtlich der damit verbundenen psychischen Belastungen für die Beschäftigten.
Besprechungen und „Besprechungstourismus“, Fortbildungen
Als gefährliche Quelle von Corona-Ansteckungen hatte sich von Anfang an die virale Belastung anlässlich von internen Besprechungen, Sitzungen und auswärtigen Konferenzterminen (diese noch potenziert durch Reisetätigkeiten) dargestellt. Während vor der Pandemie aufwändige und teure Videokonferenz-Anlagen die Zahl der Besprechungen, die darüber einzusparen waren, in Grenzen hielten, wurden im Frühjahr 2020 sehr schnell die Möglichkeiten erkannt, die sich aus internetbasierten Konferenztools wie z.B. MS-Teams, Webex, Zoom usw. ergeben. Betriebsräten wurde es rasch nach § 129 BetrVG sogar gesetzlich gestattet, so zu tagen.
Arbeitsschutzrechtlich stellen diese Alternativen keine besondere Herausforderung dar. Damit sind sie aber im Rahmen eines ganzheitlichen Arbeitsschutzkonzeptes als risikoärmere Möglichkeit, den gesundheitsschützenden Anforderungen gerecht zu werden, hervorzuheben.
Auch Fortbildungen und Seminare haben sich während der Pandemie sofort in die virtuelle Welt verlagert. Auch hier ist eine deutliche Risikominimierung, insbesondere auch hinsichtlich der damit verbundenen Reisetätigkeiten, festzustellen.
Wichtig: Aus Gründen der veränderten Abläufe solcher Online-Seminare zeichnet sich eine verstärkte körperliche Belastung der Teilnehmer ab (insbesondere eine schnellere Ermüdung), ganztägige Veranstaltungen sind hier deswegen zu vermeiden.
Praxistipp: Auch arbeitsschutzrechtliche Unterweisungen nach § 12 ArbSchG können bei einem geeigneten Unterweisungsinhalt ohne Probleme elektronisch durchgeführt werden.
Homeoffice
Die Arbeit im Homeoffice und an mobilen Arbeitsplätzen war bereits vor der Pandemie breit thematisiert worden. Den vielfältigen Vorteilen für Arbeitnehmer stand allerdings eine geschlossene Front von Arbeitgebern gegenüber, die Homeoffice ablehnten, innerhalb weniger Monate jedoch erfahren mussten, dass es durchaus anders gehen kann bzw. muss.
Als im zweiten Lockdown die Zahlen der im Homeoffice befindlichen Mitarbeiter noch immer zu wenig dazu beitrugen, die Kontaktmöglichkeiten im öffentlichen Nahverkehr und an den Arbeitsplätzen zu reduzieren, wurden gesetzliche Verpflichtungen erst der Arbeitgeber, anschließend der Arbeitnehmer rasch umgesetzt.
Trotz der überschaubaren Wirksamkeit der Regelungen in der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung bzw. in § 28b IfSG hat sich das Homeoffice nach einer DAK-Studie (FD-ArbR 2021, 438352) etabliert und mehr als 30 % der Arbeitnehmer haben im Frühjahr 2021 dort gearbeitet. Obwohl nach dieser Studie 45 % der Arbeitsplätze für Homeoffice geeignet seien, sei - so die Studie - das Potenzial bei der Bereitschaft der Arbeitnehmer, dort auch arbeiten zu wollen, wohl ausgeschöpft.
Homeoffice und mobile Arbeit sollten damit auch nach dem Abklingen der Pandemie zum Standard gehören, wenn es um moderne Arbeitsplätze geht. Diese Arbeitsplätze bleiben arbeitsschutzrechtlich eine Herausforderung. Insbesondere stellen sie sich auch unter psychischen Aspekten (ungeeignetes Arbeitsumfeld, Entfremdung, Vereinsamung, Entgrenzung der Arbeitszeiten usw.) als schwierig dar.
Praxistipp Befragung: Wenn Homeoffice als attraktive Arbeitsform nach der Pandemie fortgesetzt werden soll, empfiehlt sich ein eigenständiges Arbeitsschutzkonzept, wobei besondere Herausforderungen z.B. durch gezielte Befragungen der ArbeitnehmerInnen (zu Belegschaftsbefragungen s. Schwede, ArbRAKtuell 2016, 82), die während der Pandemie dort gearbeitet haben, herausgearbeitet werden können.
Praxistipp IT-Infratstruktur: Bei Homeoffice-Arbeitsplätzen sind viele Rahmenbedingungen zu beachten. So muss neben einer vernünftigen Ausstattung des Arbeitsplatzes eine ausreichende technische Unterstützung vorhanden sein (Hardware, Software, Telefone, Rufumleitung usw.) und auch die Software-Anbindung (z.B. VPN) muss stabil funktionieren. Bei zukünftigen betriebsinternen IT-Projekten ist zu beachten, dass auf alle Fälle eine externe Anbindung der Homeoffice-Mitarbeiter gewährleistet ist (z.B. durch web-basierte Lösungen).
Impfungen
Die Corona-Krise wurde zu dem Zeitpunkt bekämpfbar als Impfstoffe verfügbar waren und im größeren Rahmen auch verimpft wurden. Im Zuge dessen haben von Anfang an Betriebsärzte ihre Bereitschaft zu Impfungen erklärt und sind voraussichtlich ab Juni 2021 mit den Impfungen betraut.
Diese Impftätigkeit wurde in vielen Unternehmen bereits vor der Pandemie im Rahmen von Grippeimpfungen durch Betriebsärzte wahrgenommen und könnte nun breiter aufgestellt auch die erforderlichen Nachimpfungen hinsichtlich Corona umfassen. Dabei ist auch zu erwägen, dass Betriebe, die auf diesem Wege noch keine Grippe-Impfungen angeboten haben, ihr Angebot entsprechend erweitern.
Praxistipp: Arbeitgeber, die viele Arbeitnehmer beschäftigen, die in der freien Natur tätig sind, sollten in diesem Rahmen auch Zeckenschutz-Impfungen anbieten.
„Pandemie-Managementsystem“
Während zunächst die Gefahren durch Corona auf breiter Front unterschätzt worden sind, war spätestens im März 2020 klar, dass hier eine gefährliche Situation bestand, die auf betrieblicher Ebene sofortige Maßnahmen notwendig machten. Diese sind im Laufe des folgenden Jahres mit zunehmenden Erfahrungswerten weiter angepasst und nachgeschärft worden. Dieses Wissen, das angesammelt werden musste, kann nun zum großen Teil in die zuvor genannten Maßnahmen einfließen, jedoch auch einen grundsätzlichen - zukunftsorientierten - Prozess auslösen.
Im Bereich des betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes sollten
- die Maßnahmen gesammelt werden, die die Pandemie notwendig gemacht hat,
- diese bewertet (einmalig erforderlich oder grundsätzlich verbessernder Prozess?) werden und
- als Grundlage für weitere Prozessveränderungen oder bei der Einführung neuer Prozesse im Rahmen jeder Gefährdungsbeurteilung dokumentiert werden.
So kann bei erneuten pandemischen Lagen, die ja keinesfalls - und sei es „nur“ im Rahmen von Corona-Mutationen - auszuschließen sind, auf strukturiert vorliegende Maßnahmenbündel zugegriffen werden.
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