Sind Ruhepausen Arbeitszeit nach europäischem Recht?


Sind Ruhepausen Arbeitszeit nach europäischem Recht?

Werden einem Arbeitnehmer während seiner täglichen Arbeitszeit Ruhepausen gewährt, in denen er ggfs. innerhalb von zwei Minuten einsatzbereit sein muss, sind auch diese nach einem neuen Urteil des EuGH „Arbeitszeit“.

Voraussetzung: Die Gesamtwürdigung der relevanten Umstände ergibt, dass die dem Arbeitnehmer während dieser Ruhepausen auferlegten Einschränkungen so sind, dass sie objektiv gesehen ganz erheblich die Möglichkeit des Arbeitnehmers beschränken, die Zeit, in der seine berufliche Leistung nicht in Anspruch genommen wird, frei zu gestalten und sie seinen eigenen Interessen zu widmen.

Der Fall: Ruhepausen eines Feuerwehrmanns

Die Parteien streiten vor dem nationalen Gericht über die Höhe der Vergütung für die Tätigkeit des Arbeitnehmers als Betriebsfeuerwehrmann. Seine tägliche Arbeitszeit enthielt zwei Essens- und Ruhepausen von jeweils 30 Minuten. Während dieser Ruhepausen wurde er nicht ersetzt, sondern verfügte über ein Funkgerät, um ihn im Fall eines Einsatzes zu alarmieren, damit er seine Pause unterbrechen und sich innerhalb von zwei Minuten zum Einsatzfahrzeug begeben konnte.

Die Ruhepausen wurden auf seine Arbeitszeit nur angerechnet und vergütet, wenn sie von einem Einsatz unterbrochen wurden. Gegen diese Berechnung seiner Vergütung wehrte er sich. Er war der Ansicht, dass auch die nicht unterbrochenen Ruhepausen als Arbeitszeit zu vergüten seien.

Das dem EuGH vorlegende Gericht legte diesem Fragen zur Vorabentscheidung vor. Es wollte vom EuGH u. a. wissen, ob Pausenzeiten, in denen der Arbeitnehmer im Fall eines plötzlichen Einsatzes innerhalb von zwei Minuten zur Verfügung stehen muss, als Arbeitszeit i. S. d. Art. 2 RL 2003/88/EG anzusehen sind. Zudem stellte es die Frage, ob dabei der Umstand, dass die Unterbrechung der Pause bloß zufällig und unvorhersehbar ist, eine Rolle spiele.

EuGH: Bereitschaftszeit entweder Arbeitszeit oder Ruhezeit

Bereitschaftszeit kann nach Ansicht des EuGH (Urteil vom 9.9.2021 (Az. C-107/19)) entweder Arbeitszeit oder Ruhezeit i. S. d. RL 2003/88/EG sein. Beide Kategorien schließen sich gegenseitig aus; eine Zwischenkategorie, in die der Bereitschaftsdienst eingeordnet werden könnte, gibt es nicht. Auch solche Zeiten des Bereitschaftsdienstes, in denen der Arbeitnehmer für den Arbeitgeber tatsächlich nicht tätig wird, können Arbeitszeit sein und müssten nicht zwingend als Ruhezeit eingestuft werden:

  • Ist der Arbeitnehmer während der Bereitschaftszeit verpflichtet, zur sofortigen Verfügung des Arbeitgebers an seinem Arbeitsplatz zu bleiben, muss er sich außerhalb seines familiären und sozialen Umfelds aufhalten und kann weniger frei über seine Zeit verfügen, sodass der gesamte Zeitraum unabhängig von einer Arbeitsleistung Arbeitszeit ist.
  • Arbeitszeit liegt auch dann vor, wenn der Arbeitnehmer während der Bereitschaftszeit zwar nicht an seinem Arbeitsplatz bleiben muss, die ihm von seinem Arbeitgeber auferlegten Einschränkungen aber erhebliche Auswirkungen auf seine persönlichen und sozialen Interessen haben.
  • Es liegt hingegen keine Arbeitszeit vor, wenn es dem Arbeitnehmer – unter Berücksichtigung der ihm zur Wiederaufnahme seiner beruflichen Tätigkeit eingeräumten sachgerechten Frist – möglich ist, seine persönlichen und sozialen Aktivitäten zu planen.

Der Begriff Arbeitszeit i. S. d. Art. 2 RL 2003/88/EG erfasst nach dem Urteil des EuGH sämtliche Bereitschaftszeiten, und damit auch Ruhepausen, in denen dem Arbeitnehmer Einschränkungen solcher Art auferlegt werden, die seine Möglichkeit objektiv gesehen ganz erheblich beeinträchtigen, die Zeiten, in denen seine Leistung nicht in Anspruch genommen wird, frei zu gestalten und sie seinen eigenen Interessen zu widmen.

Wird dem Arbeitnehmer eine Reaktionsfrist von nur wenigen Minuten eingeräumt, ist die Bereitschaftszeit grundsätzlich in vollem Umfang Arbeitszeit, da der Arbeitnehmer weitgehend davon abgehalten wird, irgendeine auch nur kurzzeitige persönliche Aktivität zu planen.

Praxistipp

Diese Arbeitszeitmodelle sind gesundheitlich extrem belastend. Sie stehen deswegen nicht umsonst im Fokus von Gesetzgebung und Rechtsprechung. Dabei kommen wichtige Anstöße auch vom EuGH!

Ob eine Rufbereitschaft nach deutschem Verständnis arbeitszeitrechtlich Arbeitszeit oder Ruhezeit ist, muss bezogen auf den Einzelfall entschieden werden. Für Ruhepausen nach § 4 ArbZG verlangt das BAG übrigens, dass der Arbeitnehmer weder Arbeit zu leisten noch sich dafür bereitzuhalten hat (Urteil vom 29.10.2002, Az. 1 AZR 603/01). Die Vergütung solcher Zeiten ist gesondert zu prüfen.

Schlagworte zum Thema:  Pausen, Arbeitszeit, Arbeitsschutz, Rechtsprechung