Die Bedeutung von „Prozessen“ als Basis für Compliance und Automatisierung!
Neue Marktumfrage macht Erfolgsfaktoren für Operational Transfer Pricing transparent.
Als Fortsetzung des Artikels „Operational Transfer Pricing – Chancen nutzen!“ soll das Verständnis für Operational Transfer Pricing (OTP) in einer neuen Interviewserie weiter vertieft werden. Hierzu spricht Atakan Sen, Transfer Pricing Senior Manager bei Deloitte in Berlin mit Dr. Markus Rose, Transfer Pricing Partner bei Deloitte und Experte im Bereich Process Intelligence, Data Analytics und OTP über die wichtigsten Voraussetzungen, um die Festlegung und Dokumentation von Verrechnungspreisen im internationalen Unternehmen erfolgreich zu implementieren:
- Transparente Prozesse, die mit geeigneten Tools automatisiert werden können;
- Daten, die den steuerlichen Anforderungen genügen; und
- effektive Kontroll- und Governance-Systeme.
Seine Aussagen stützt Dr. Markus Rose dabei sowohl auf die jüngsten regulatorischen Entwicklungen im Bereich der Verrechnungspreise als auch auf eine aktuelle empirische Studie mit Mandanten. An dieser Studie haben im Rahmen einer Marktumfrage über 125 OTP-Experten aus verschiedenen globalen Branchen teilgenommen und Einblicke in ihre TP-Praxis gegeben. Die Teilnehmenden haben hierbei ihre spezifischen Erfahrungen aus den Bereichen Steuern/TP, Buchhaltung und Controlling einfließen lassen. In diesem ersten Interview-Teil liegt der Fokus auf dem Bereich „Prozess“.
Effizienz der VP-Gestaltung hängt von standardisierten und automatisierten Prozessen ab.
Markus, kannst Du uns zum Einstieg bitte Deine Sichtweise zum Zusammenhang zwischen Prozessen und der Umsetzung von Verrechnungspreisen erläutern?
Dr. Markus Rose: Unter dem Begriff „Prozess“ verstehen wir alle Phasen des Verrechnungspreis-Lebenszyklus. Dieser fängt an bei der Erkennung eines Verrechnungspreisereignisses (typischerweise eine konzerninterne Transaktion oder eine Änderung der regulatorischen Standards), und beinhaltet im weiteren Verlauf die Identifizierung der am besten geeigneten TP-Methodik, die Anwendung dieser Methodik zur Bestimmung des Verrechnungspreises und der sachgerechten Dokumentation. Die Höhe des Verrechnungspreises hängt hierbei wesentlich vom Zeitpunkt ab, zu dem der Verrechnungspreis (VP) bestimmt wird. Grundsätzlich wird im Rahmen des „Price-Settings“ der VP auf Basis von Planungsdaten für das kommende Geschäftsjahr initial festgelegt und dann im Laufe des Jahres überwacht und spätestens zum Jahresende so angepasst, dass er dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht (Outcome-Testing). Die regulatorischen Vorgaben sind hier jedoch unspezifisch, abhängig vom jeweiligen Land und im stetigen Wandel, so dass es in der Praxis viele unterschiedliche Prozessausprägungen gibt, die sowohl die (vagen) externen Vorgaben berücksichtigen, als auch den internen Anforderungen gerecht werden müssen. Interne Anforderungen sind zum Beispiel ein hoher Standardisierungsgrad, oder die Unabhängigkeit der innerbetrieblichen Geschäftssteuerung von den steuerlichen Verrechnungspreisen.
Und warum spielen diese Prozesse Deiner Meinung nach eine so entscheidende Rolle?
In vielen Ländern sind die Transparenzanforderungen im Bereich Verrechnungspreise in den vergangenen Jahren stetig gestiegen (z.B. durch BEPS-Anforderungen: TP Master File, Local Files, (public) Country-by-Country Reporting; Pillar 2). Ebenso wird dem Steuerpflichtigen immer weniger Zeit eingeräumt, diese Transparenz zu schaffen. Insofern müssen VP-Prozesse nicht nur sicherstellen, dass VP-Compliance gewährleistet ist, sondern sie müssen auch automatisierbar sein. Voraussetzung einer effizienten Automatisierung ist wiederum ein hoher Grad an Standardisierung (z.B. bei den konkreten VP-Berechnungen), und in manchen Fällen auch Zentralisierung, um diese Standardisierung effektiver durchzusetzen. Hier tut sich ein weiteres Spannungsfeld auf, das die Bedeutung der VP-Prozesse betonen: Der Wunsch nach effizienzgetriebener Standardisierung in einem komplexen internen Umfeld mit vielen Stakeholdern und in einem teilweise dynamischen regulatorischen Umfeld, das sich stetig verschärft.
Das hört sich nach keiner leichten Aufgabe an. Du hattest angesprochen, dass ihr eine Marktumfrage zur gelebten Praxis durchgeführt habt. Was sind denn die wesentlichen Aussagen, die ihr aus dieser Umfrage treffen könnt?
Wir haben unsere Kunden zu ihrer in der Praxis gelebten TP-Prozessen befragt. Die Erfahrung und das Fachwissen der Teilnehmer in ihren jeweiligen Bereichen waren von entscheidender Bedeutung, um ein umfassendes Bild zu erhalten. Wir haben die Ergebnisse der Übersichtlichkeit und Verständlichkeit halber in vier Hauptkategorien zusammengefasst:
- Etwa ein Viertel der Teilnehmer nimmt keine Jahresendanpassungen vor.
- Das VP-Management umfasst ein sehr breites Spektrum unterschiedlicher Detailebenen.
- Mehr als ein Drittel der Teilnehmer hält den Automatisierungsgrad für zu gering und sieht Handlungsbedarf.
- Jeder zweite Teilnehmer sieht eine Abhängigkeit zwischen TP und Business Performance Management.
Die Rolle der Jahresendanpassungen
Lass uns da mal tiefer einsteigen – startend bei der Aussage 1: Warum greifst Du das Thema der Jahresendanpassungen heraus?
Das Thema der Jahresendanpassungen ist von besonderer Relevanz, da es einen tiefen Einblick in die Praxis der Verrechnungspreisgestaltung multinationaler Unternehmen bietet. Die Tatsache, dass nur etwa ein Viertel der Teilnehmer Jahresendanpassungen vornimmt, ist bemerkenswert, insbesondere im Hinblick auf den Zeitpunkt des Fremdvergleichs. Der Fremdvergleichsgrundsatz ist ein zentraler Pfeiler der OECD Transfer Pricing Guidelines und der deutschen Verrechnungspreisrichtlinien. Dieser Grundsatz stellt sicher, dass die Bedingungen zwischen verbundenen Unternehmen denen entsprechen, die zwischen unabhängigen Unternehmen vereinbart worden wären.
Und weshalb hat die Jahresendanpassungen aus Compliance-Sicht in der Praxis besondere Relevanz hat?
Die jüngsten Verwaltungsgrundsätze in Deutschland (VWG VP 2023, 3.42) sowie der vorgeschlagene Richtlinienentwurf der Europäischen Kommission (Art. 7) deuten auf eine verstärkte Fokussierung der Steuerbehörden auf Jahresendanpassungen hin. Dies impliziert, dass ein Outcome Testing, also eine Überprüfung der Ergebnisse der Verrechnungspreisgestaltung zum Geschäftsjahresende, zunehmend an Bedeutung gewinnt.
Und wie sieht das in der Praxis aus?
Die Umfrageergebnisse zeigen, dass 76 % der Teilnehmer ihre Verrechnungspreise nach einer initialen Preisfestsetzung (i.d.R. im Rahmen des Budgetierungsprozesses) im Laufe des Geschäftsjahres aktiv managen (54 %), oder zumindest zum Jahresende eine Jahresendanpassung vornehmen (22 %). Dieses geschieht zum Beispiel durch eine regelmäßige Überprüfung der aktuellen (segmentierten) Margen oder dem Abgleich von Ist-Kosten mit Plan-Kosten. Laufen die Ist-Werte aus den Bandbreiten der Benchmarkwerte im Markt heraus oder liegen Plan- und Ist-Werte zu stark auseinander, so kann die Notwendigkeit zur Anpassung der Verrechnungspreise entstehen.
Aber wäre die Sicherstellung des Fremdvergleichsgrundsatzes auf diesem Wege nicht zu aufwendig für Unternehmen? Sie könnten doch einfach zum Jahresende gegebenenfalls größere Korrekturen vornehmen.
In der Theorie mag das zwar zutreffen, in der Praxis ist das jedoch problematisch. Eine unterjährige Überprüfung und Anpassung der Verrechnungspreise ist zwar aufwendig und kann zu Volatilität führen, vermeidet i.d.R. aber große Anpassungsbuchungen zum Jahresende, die in manchen Ländern sehr schwierig durchzusetzen sind. Ebenfalls schwierig gestalten sich in der Praxis häufig Jahresendanpassungen hinsichtlich der Zollbehandlung, insbesondere wenn diese als „Lump-Sum“ (also nicht heruntergebrochen auf einzelne Produkte/Artikel) gebucht werden.
Wie viele der befragten Unternehmen eurer Marktumfrage setzen diesen Prozess um? Und was sind die jeweiligen Konsequenzen für diese vor dem Hintergrund deiner vorangegangenen Erläuterungen?
Die Hälfte der befragten Unternehmen haben einen solchen unterjährigen Überwachungs- und Anpassungsmechanismus etabliert und vermeidet damit große Jahresendanpassungen, ein Viertel passt die Verrechnungspreise zum Jahresende an und ein weiteres Viertel arbeitet überhaupt nicht mit Jahresendanpassungen. Insbesondere dieses zuletzt genannte Viertel, die keine Jahresendanpassungen vornehmen, müssen möglicherweise ihre Verrechnungspreisprozesse überprüfen und verbessern, um den regulatorischen Anforderungen, insbesondere in Deutschland und der EU, zu entsprechen. Aber auch bei den Unternehmen, die ihre Verrechnungspreise unterjährig überprüfen und anpassen, gibt es in der Praxis erhebliches Verbesserungs- und Automatisierungspotenzial.
Der Detaillierungsgrad im VP-Management
Bezüglich des „VP-Management“ sagtest du, dass Eure Studie gezeigt hat, dass es ein sehr breites Spektrum bezüglich der Detailebene gibt, die das VP-Management in der Praxis umfasst. Kannst Du das bitte etwas genauer ausführen?
Es gibt sehr viele Beispiele, die belegen, wie unterschiedlich internationale Konzerne ihre Verrechnungspreisprozesse operationalisiert haben. Über die Bedeutung des Price-Settings und Outcome-Testings haben wir ja gerade schon gesprochen. Ein weiteres Beispiel für die Bandbreite unterschiedlicher Ansätze finden wir hinsichtlich des Aggregationslevels. Lass uns zunächst die materiell-rechtlichen (Mindest-)Anforderungen betrachten: Die deutschen Vorschriften sprechen von Geschäftsbeziehungen/-vorfällen (vgl. § 4 Abs. 1 Nr. 1a) GAufzV; Tz. 43 Verwaltungsgrundsätze 2020; § 2 Abs. 3 GAufzV) und lassen einen gewissen Interpretationsspielraum bezüglich der zu steuernden Verrechnungspreise. Auch die OECD TP Guidelines (vgl. A 3.1) sind hier nicht präziser und fordern keine super granulare VP-Steuerung/-Dokumentation.
Und wie gehen die Unternehmen in der Praxis damit um?
Unsere Studie zeigt, dass das Management von Verrechnungspreisen in der Praxis eine erhebliche Bandbreite an Detailebenen umfasst, die von hoch aggregierten Ansätzen bis hin zu sehr detaillierten Methoden reichen, wie wir festgestellt haben:
- 37 % der Teilnehmer managen Verrechnungspreise auf einer hoch aggregierten Basis, wie zum Beispiel auf Ebene von Transaktionsgruppen. Dieses würde den oben genannten Mindest-Anforderungen entsprechen.
- Weitere 31 % nutzen einen gemischten Ansatz, bei dem einige VP-Bereiche hoch aggregiert und andere sehr detailliert behandelt werden.
- 18 % der Teilnehmer managen Verrechnungspreise auf einer „pragmatischen Ebene“, die irgendwo zwischen Transaktionsgruppen und Material- bzw. Produktebene liegt.
- Dagegen steuern 14 % der Teilnehmer Verrechnungspreise auf einer sehr detaillierten Ebene, wie beispielsweise der Materialnummer, verwalten.
Für die zuletzt genannte Gruppe geht es dabei deutlich über die Mindest-Anforderungen aus TP-Sicht hinaus. Gründe für ein sehr detailliertes Managen der Verrechnungspreise sind in der Regel, dass es einfacher fällt, eine Überleitung zu Zoll- und Mehrwertsteuerthemen herzustellen, die per Definition einen höheren Detaillevel erfordern. Teilweise möchten Unternehmen für interne Steuerungszwecke ihre Verrechnungspreise auf Artikel- bzw. Produktebene transparent haben und steuern.
Diese Vielfalt spiegelt die Komplexität und die unterschiedlichen Anforderungen wider, die Unternehmen in Bezug auf die Verrechnungspreisgestaltung haben. Sie zeigt auch, dass es keine Einheitslösung gibt, sondern dass Unternehmen ihre Ansätze an ihre spezifischen Geschäftsmodelle, die Art ihrer Intercompany-Transaktionen und die Anforderungen der jeweiligen Steuerbehörden und internen Stakeholder anpassen müssen.
Die Anforderungen interner Stakeholder an die operativen VP-Prozesse können sehr unterschiedlich sein. Diese reichen von einer jährlich stattfindenden Preisfestsetzung auf aggregierter Ebene von „Geschäftsvorfällen“ bis hin zu einer unterjährigen Überwachung und Anpassung der Verrechnungspreise auf Artikelebene, um so mit höchster Granularität die Verrechnungspreise zu managen. Wie wird in diesem Umfeld das Thema „Automatisierung“ gesehen?
Wir haben gesehen, dass es nicht den einen Standard TP-Prozess gibt, der für alle Unternehmen funktioniert. Insofern gibt es auch nicht die eine „App“, die standardisierte TP-Prozesse „auf Knopfdruck“ durchführt. Aber es gibt großes Automatisierungspotential. Auch das hat unsere Umfrage gezeigt.
Weshalb ist die Automatisierung in Steuer-, hier im Besonderen in TP-Prozessen, so wichtig?
Angesichts der steigenden globalen Compliance-Anforderungen und des Kostendrucks ist die Automatisierung von Steuer- und Verrechnungspreisprozessen unerlässlich, um effiziente und effektive Abläufe zu gewährleisten. Trotz des hohen Bewusstseins für die Notwendigkeit der Digitalisierung und Automatisierung ist es überraschend, dass nur 11 % der Befragten den Automatisierungsgrad ihrer TP-Prozesse als hoch ansehen. 77 % bewerten den Grad der Automatisierung als eher niedrig, wobei die Hälfte von ihnen einen Bedarf zur Verbesserung der Effizienz sieht. Dies unterstreicht die Dringlichkeit, in Technologien zu investieren, die manuelle, repetitive und wenig wertschöpfende Aufgaben automatisieren können, um den Unternehmen zu ermöglichen, sich auf wertsteigernde Arbeiten zu konzentrieren.
Den Interessen aller Stakeholder gerecht werden
Viele unterschiedliche Stakeholder haben spezielle Anforderungen und Erwartungen an die konzerninternen TP-Prozesse. Könntest Du auf diesen Punkt bitte noch etwas genauer eingehen?
Innerhalb von multinationalen Unternehmen ist die Wechselwirkung zwischen Business Controlling und steuerlich motivierten Verrechnungspreisen ein stark diskutiertes Thema.
Hintergrund ist, dass die beiden dahinterstehenden Stakeholdergruppen sehr unterschiedliche Interessen und Aufsatzpunkte haben: Das Management Controlling will insbesondere über Key Performance Indikatoren (KPIs) Transparenz über den (finanziellen) Erfolg der Geschäftseinheiten auf Konzernebene schaffen. Häufig werden daran auch Vergütungs-Systeme gekoppelt. Steuerlich motivierte Verrechnungspreise fokussieren sich auf die lokalen Legaleinheiten und sollen dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechen, um steuerlich compliant zu sein und hierdurch eine Doppelbesteuerung zu vermeiden.
Hier besteht ein erheblicher Interessenskonflikt zwischen den beiden Parteien, oder?
Das ist richtig. Dennoch: Trotz dieser teilweise erheblichen Unterschiede in den Zielsetzungen hat unsere Analyse gezeigt, dass fast die Hälfte der Teilnehmer (45 %) Abhängigkeiten zwischen Transfer Pricing und Business Controlling sehen, wobei 19 % sogar angeben, dass ihr Leistungsmanagement und Anreizsystem stark von Verrechnungspreisen abhängig ist. Dieses kann in manchen Fällen problematisch werden, z. B. wenn der Geschäftsführer eines Auftragsfertigers am Geschäftsergebnis (z.B. EBIT-Marge) seiner Einheit gemessen wird.
Welche Konsequenz hat dieser Interessenskonflikt für betroffene Unternehmen? Und wie sollten diese Unternehmen im ersten Schritt damit umgehen?
Interne Konflikte zwischen lokalem Geschäftsführer und der Steuerabteilung über eine konzerninterne Kostenaufteilung sind hier vorprogrammiert und kosten wertvolle Zeit und Ressourcen. Es ist sehr wichtig, dass sich Konzerne mit diesen Themen beschäftigen und die Abhängigkeiten verstehen. Nur so kann es gelingen, über klar definierte Prozesse und Informationssysteme die unterschiedlichen Interessen interner und externer Stakeholder abzudecken.
Vielen Dank für diesen detaillierten und sehr spannenden Einblick in den Bereich „Prozesse“ im Operativen Transfer Pricing.