Bilanz: Dokumentation bei abweichender Rechtsauffassung

Bleibt einem Unternehmer ein Bilanzansatz verwehrt, weil die Finanzverwaltung diesen für unzulässig erklärt, sollte er dies sorgfältig dokumentieren und die Dokumentation beim Finanzamt zusammen mit seiner Steuererklärung einreichen.

Andernfalls verliert der Unternehmer bei einer späteren Rechtsprechungsänderung die Möglichkeit der rückwirkenden Bilanzberichtigung.

Eine Bilanzberichtigung (§ 4 Abs. 2 Satz 1 EStG) setzt voraus, dass

  • ein Bilanzansatz dem Grunde oder der Höhe nach
  • wegen Verstoßes gegen eine handels- oder steuerrechtliche Bilanzierungs- oder Bewertungsregel
  • objektiv unzutreffend ist und
  • der Steuerpflichtige die Fehlerhaftigkeit subjektiv bis zum Tage der Bilanzaufstellung erkennen konnte.

Der Fall

A beantragt, dass in seiner Bilanz zum 31.12.2011 eine Rückstellung für einen Sachverhalt gebildet wird, für den nach bisheriger Verwaltungsauffassung und nach herrschender Meinung der Kommentarliteratur die Bildung einer Rückstellung unzulässig war. Im darauf folgenden Jahr 2012 hat der Bundesfinanzhof (BFH) jedoch in einer Grundsatzentscheidung eine Rückstellungsverpflichtung für den betreffenden Sachverhalt erstmalig bejaht.

Bilanzberichtigung wegen Änderung der Verwaltungsauffassung?

Fraglich ist, ob Bilanzen - soweit die Bescheide noch änderbar sind - berichtigt werden dürfen (§ 4 Abs. 2 Satz 1 EStG), wenn

  • die Finanzverwaltung einen Bilanzansatz für einen bestimmten Sachverhalt (z.B. eine Rückstellung) bisher nicht akzeptierte, und
  • später seine Auffassung (z. B. auf Grund von Rechtsprechung) doch zu Gunsten der Steuerpflichtigen ändert.

BFH: Keine Berichtigung bei Bilanzierung nach kaufmännischer Sorgfalt

Laut BFH soll jede der kaufmännischen Sorgfalt entsprechende Bilanzierung als „richtig“ angesehen werden, wenn im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung noch keine Rechtsprechung zu der betreffenden Bilanzierungsfrage ergangen ist.

Denn: Entspricht die vorgenommene Bilanzierung im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung kaufmännischer Sorgfalt, wird sie durch eine klärende Rechtsprechung nicht nachträglich unrichtig. Eine Bilanz kann laut BFH nicht nur deshalb berichtigt werden (§ 4 Abs. 2 Satz 1 EStG), weil sie bei rückschauender Betrachtung objektiv gegen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung verstößt.

Hinweis: Ein Bilanzansatz ist „richtig“, wenn er denjenigen Kenntnisstand widerspiegelt, den der Kaufmann im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung bei pflichtgemäßer und gewissenhafter Prüfung haben konnte. Das gilt auch dann, wenn in der Folgezeit Erkenntnisse gewonnen werden, welche die Bilanzierung später als objektiv fehlerhaft erscheinen lassen.

Fall-Lösung laut BFH: Eine rückwirkende Bilanzberichtigung scheidet aus, weil der Bilanzansatz (die Nichtpassivierung der Rückstellung) im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung 2011 subjektiv richtig war (BFH, Urteile v. 5.4.2006, I R 46/04, BStBl 2006 II S. 688 und v. 5.6.2007, I R 47/06, BStBl 2007 II S. 818). Dabei ist es unerheblich, ob die Gewinnfeststellung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erfolgt ist oder nicht.

Finanzverwaltung: Berichtigung mit entsprechender Dokumentation möglich

Eine Bilanzberichtigung ist bei einer Änderung der Verwaltungsauffassung auf Grund höchstrichterlicher Rechtsprechung zulässig, wenn

  • der Steuerpflichtige entsprechend der im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung bestehenden Verwaltungsauffassung bilanziert,
  • einen davon abweichenden Ansatz für richtig hält,
  • durch Zusätze oder Vermerke bei der Bilanzaufstellung dokumentiert (hat), dass er einen von der Verwaltungsauffassung abweichenden Ansatz „begehrt“ und
  • diese Dokumentation zusammen mit der Steuererklärung beim Finanzamt einreicht.

Tipp: Wer eine streitige Auseinandersetzung vermeiden will, sollte in solchen Fällen daher immer dokumentieren, dass er die Auffassung der Finanzverwaltung nicht für richtig hält und diesen Hinweis dem Finanzamt zusammen mit der Steuererklärung einreichen. Auf diese Weise hält er sich im Fall einer Rechtsprechungsänderung die Möglichkeit einer rückwirkenden Bilanzberichtigung offen.

Entscheidung des Großen Senats bleibt abzuwarten

Der I. Senat des BFH hat sich dafür ausgesprochen, für den Bereich des Bilanzsteuerrechts den sog. „subjektiven Fehlerbegriff“ auf Rechtsfragen nicht mehr anzuwenden. Im Klartext: Er hat dem Großen Senat des BFH die Frage vorgelegt, ob das Finanzamt an die Auffassung gebunden ist, die der vom Steuerpflichtigen aufgestellten Bilanz zu Grunde liegt, wenn

  • im Rahmen der ertragsteuerlichen Gewinnermittlung
  • in Bezug auf zum Zeitpunkt der Bilanzaufstellung ungeklärte bilanzrechtliche Rechtsfragen
  • die Rechtsauffassung aus der Sicht eines ordentlichen und gewissenhaften Kaufmanns vertretbar war.

(BFH, Beschluss v. 7.4.2010, I R 77/08, BStBl 2010 II S. 739; Az. des GrS: GrS 1/10)

Ausblick

Sollte der Große Senat des BFH die Auffassung im Vorlagebeschluss teilen, wären höchstrichterliche Urteile, die nach Bilanzaufstellung ergehen, zu Gunsten wie zu Lasten der Steuerpflichtigen anzuwenden. Bei einer Änderung zu Lasten der Steuerpflichtigen könnte allerdings die Vertrauensschutzregelung greifen (§ 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO).


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