Stimmanteile von „Geisterwohnungen“ können reduziert werden
Hintergrund: Bauträger errichtet nicht alle geplanten Gebäude
Ein Bauträger teilte im Jahr 1994 ein Grundstück in Wohnungs- und Teileigentum auf. Nach der Teilungserklärung sollten in vier Bauabschnitten auf dem Grundstück vier Häuser gebaut werden.
Der Bauträger errichtete jedoch nur zwei der vier geplanten Häuser (Bauabschnitte 1 und 2) mit 120 Wohnungen. Eigentümer der weiteren 120 Wohnungs- und Teileigentumseinheiten in den beiden nicht errichteten Häusern (Bauabschnitte 3 und 4) ist nach wie vor der Bauträger.
Nach der Teilungserklärung richten sich die Verteilung der gemeinschaftlichen Kosten sowie das Stimmrecht nach der Wohnfläche. Auf die nicht errichteten Wohnungen entfällt ein Wohnflächenanteil von 48 Prozent, sodass dem Bauträger ein entsprechender Stimmkraftanteil zusteht.
Auf Antrag einiger Eigentümer ordnete das Amtsgericht an, dass sich die Stimmkraft für Wohnungen, die noch nicht bezugsfertig errichtet sind, nicht nach Wohnfläche, sondern nach dem betreffenden Miteigentumsanteil richtet. Dies hat im Ergebnis zur Folge, dass sich der Stimmkraftanteil des Bauträgers auf 36 Prozent reduziert, solange die Bauabschnitte 3 und 4 nicht errichtet sind. Das Landgericht hat die Entscheidung des Amtsgerichts bestätigt. Der Bauträger will dies nicht akzeptieren.
Entscheidung: Stimmkraft kann reduziert werden
Der BGH bestätigt die Reduzierung des Stimmkraftanteils für die nicht errichteten Wohnungen.
Die übrigen Eigentümer haben einen Anspruch aus § 10 Abs. 2 Satz 3 WEG auf Abänderung der Stimmkraftregelung. Diese Vorschrift begründet einen Anspruch jedes Wohnungs- oder Teileigentümers gegen die anderen Miteigentümer auf Abschluss einer Vereinbarung, wenn ein Festhalten an der geltenden Regelung aus schwerwiegenden Gründen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Rechte und Interessen der anderen Wohnungseigentümer, unbillig erscheint.
Solche schwerwiegenden Gründe liegen hier darin, dass dem Bauträger aufgrund der Teilungserklärung, die von einer zeitnahen Fertigstellung aller Wohnungen der Wohnanlage ausgeht, fast die Hälfte aller Stimmen zukommt, obwohl er die Bauabschnitte 3 und 4 seit mehr als 20 Jahren nicht errichtet und kein Sondereigentum an einer tatsächlich vorhandenen Wohnung hat. Damit hat der Bauträger faktisch eine Mehrheit, denn bei einer Gemeinschaft mit etwa 120 Mitgliedern wird die Anwesenheit sämtlicher Eigentümer auch mit Stimmvollmachten regelmäßig nicht zu erreichen sein. In wichtigen Angelegenheiten wie der Verwalterbestellung oder der Beschlussfassung über den Wirtschaftsplan und die Jahresabrechnung werden die Eigentümer somit fremdbestimmt durch einen Eigentümer mit faktischer Mehrheitsmacht, der aber keine Wohnungen hat und daher von der Verwaltung des Gemeinschaftseigentums allenfalls am Rande betroffen ist. Es ist daher unbillig, die übrigen Eigentümer an einer Stimmrechtsregelung festzuhalten, nach der die nicht errichteten Einheiten bei der Bemessung der Stimmkraft voll zu berücksichtigen sind.
Auf Rechtsmissbrauch kommt es nicht an
Es kommt nicht darauf an, ob der Bauträger seine faktische Stimmenmehrheit rechtmissbräuchlich ausübt, etwa durch die Blockade erforderlicher Beschlüsse oder Beschlussfassungen, die ordnungsgemäßer Verwaltung widersprechen. Dem wäre mit Rechtsbehelfen wie der Anfechtungsklage zu begegnen, die den Minderheitenschutz im Einzelfall gewährleisten. Entscheidend ist vielmehr, dass die Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums den Wohnungseigentümern gemeinschaftlich zusteht, faktisch aber durch einen Miteigentümer beherrscht wird, der selbst nicht Eigentümer einer tatsächlich vorhandenen Wohnung ist.
Maßvolle Reduzierung der Stimmkraft
Dem Umstand, dass das Stimmrecht der Wohnungseigentümer zum Kernbereich elementarer Mitgliedschaftsrechte gehört und nur ausnahmsweise und lediglich unter eng begrenzten Voraussetzungen eingeschränkt werden kann, ist dadurch Rechnung zu tragen, dass die Stimmkraft des Eigentümers von „Geisterwohnungen“ nur maßvoll und nur vorübergehend bis zur Fertigstellung der verbleibenden Sondereigentumseinheiten beschränkt wird. Das ist hier der Fall.
(BGH, Urteil v. 18.1.2019, V ZR 72/18)
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