Fernwärme: Schweizer Taschenmesser der Wärmewende

Wenn er die Fernwärme das Schweizer Taschenmesser der Wärmewende nennt, macht das den Vize-Geschäftsführer John Miller dann zum MacGyver des Energieeffizienzverbands für Wärme, Kälte und KWK (AGFW)? 3 Fragen zu Multifunktionswerkzeugen, Kostenneutralität und einer möglichen Preisaufsicht.

Fernwärme ist, zumindest was die Energiewende betrifft, in aller Munde. Mal ganz böse gefragt: Warum eigentlich? Das Ziel lautet zwar, dass die Fernwärme aus erneuerbaren Energiequellen stammen soll, aber der Anteil erneuerbarer Energie in der Fernwärme ist doch wohl noch recht gering.

John Miller: Sie haben vollkommen recht. Die Recherche zeigt allerdings, dass wir in den Wärmenetzen schon einen Anteil von 30 Prozent an klimaneutralen und erneuerbaren Energien haben. Wenn man sich den gesamten Wärmemarkt in Deutschland anguckt, dann sind wir hier gerade mal bei 15 Prozent. Insofern hat die Fernwärme einen gewissen Vorsprung. Den gilt es jetzt auszubauen und das ist ja auch vorgeschrieben in den Gesetzen.

Wieso die Fernwärme in aller Munde ist, kann man vielleicht damit begründen, weil sie das Schweizer Taschenmesser der Wärmewende ist. Sie bietet vielfältige Möglichkeiten, wie die Wärme erzeugt wird – angefangen bei Geothermie, Solarthermie und Biomasse, um die neuen Energieträger zu nennen. Aber es ist auch immer ein lokales Gut. Deswegen ist es wahrscheinlich auch immer eine lokale Frage: "Wie kommt die Fernwärme lokal an?".

Sie haben gesagt, Sie warten auf die Wärmelieferverordnung. Was hat es damit auf sich und warum kommt die nicht?

Warum die nicht kommt, ist wahrscheinlich noch ein Zusatzkapitel. Aber Fakt ist: Laut Zielvereinbarung sollen wir 100.000 Gebäude pro Jahr (an die Fernwärme, Anm. d. Red.) anschließen. Wenn man mal guckt, was heute im Markt passiert und wie viel angeschlossen wird, dann sehen wir, dass die Fernwärme im Neubaubereich sehr gut angenommen wird. Hier schließen wir rund 20.000 Gebäude pro Jahr an.

Dann haben wir den Bestand und da wird's dann schnell etwas dünn. Da haben wir rund 10.000 Gebäude, die wir pro Jahr anschließen mit der Fernwärme. Das heißt, wir haben ein Delta von 70.000 Gebäuden. Das geht natürlich nicht von jetzt auf gleich. Diese Gebäude anzuschließen, das erfordert Zeit. Das erfordert Hochlauf, auch bei den Versorgern: Die müssen sich erst mal darauf einstellen, die müssen Leitungen bauen und das nimmt so ein bisschen die die Zeit in Anspruch.

Vor allen Dingen müssen sie natürlich auch die Möglichkeit haben, Wärmeverträge zu schließen. Gerade im Bestand, denn im Neubaubereich wird sich wahrscheinlich nicht viel ändern an den 20.000. Das heißt, wir müssen den Anschluss an Bestandsgebäude um das Siebenfache erhöhen.

Ökologische Fernwärme: Gelingt die Umstellung kostenneutral?

Die Wärmelieferverordnung hat das eine Problem, dass sie sagt "Okay, wenn ich im Mietwohnbereich eine bestehende Heizung (auf Fernwärme, Anm. d. Red.) umstelle, dann muss das kostenneutral für den Mieter erfolgen". Wenn man selbst Mieter ist, denkt man, das ist eine hervorragende Sache. (...)

Aber das ist natürlich eine Illusion, denn es wird in einen neuen Anschluss investiert und es kommt die Verpflichtung dazu, auf teurere erneuerbare Brennstoffe umzustellen. Das kostenneutral hinzubekommen, das kriegen die wenigsten hin. Deswegen haben wir gesehen, dass gerade das Thema Erneuerbare Energien et cetera sich sehr stark auf den Neubaubereich konzentriert hat. Nicht nur bei der Fernwärme, sondern auch bei den Kontraktoren.

Das ist ein Manko, das beseitigt werden muss. Man muss die Kosten, die man in puncto Investition und Umstieg auf andere Brennstoffe hat, mit einbringen können. Aber genau das verhindert die Wärmelieferverordnung. Seit 2013 ist sie in Kraft, eine Novelle war schon 2017 vorgesehen und es ist bis jetzt nichts passiert. Leider sehen wir da auch nicht mehr Dynamik an der Stelle.

Der Bundesverband Verbraucherzentrale hat die Einführung einer unabhängigen Preisaufsicht gefordert. Wer kontrolliert denn eigentlich die Preispolitik, sind das die Landeskartellbehörden, ist es das Bundeskartellamt und braucht es eine unabhängige Preisaufsicht?

Unserer Meinung nach nein. Wir haben schon genügend, die drauf gucken: Wir haben einmal das Bundeskartellamt, das regelmäßig eine eigene Sektoruntersuchung an der Stelle macht, und dann haben wir die Landeskartellämter, die sich spezifisch einzelne Fälle rauspicken und kontrollieren, ob alles mit rechten Dingen zugeht (…).

Wenn man sich mal die Historie und auch die Verbraucherbeschwerden anguckt (…), dann sieht man, dass die Fälle, in denen sich über Fernwärme beschwert wurde, in der Vergangenheit äußerst gering sind. Zumindest bis 2020 / 2021, bevor wir diese riesigen Peaks beim Thema Gas hatten, war Fernwärme im Ranking "Welche Heizungsart gefällt uns am besten?" immer ganz vorne dabei.

"Wieso habt ihr denn so hohe Preise?"

Das ist jetzt natürlich thematisiert worden. Im Grunde genommen hat es damit zu tun, dass wir beim Gaspreis einen Spike hatten, und es hat etwas damit zu tun, wie Fernwärmeversorger ihre Preise anpassen. Die passen ihre Preise nicht monatlich an, sondern teilweise jährlich, halbjährlich oder quartalsweise und je weiter dieser Preisanpassungszeitpunkt liegt, desto weniger kriege ich diese Spitzen, die kurzfristig auftreten, geglättet.

Das hat in der Vergangenheit gut funktioniert. Aber diese Spitze, die wir in der Gaskrise hatten, war doch sehr extrem. Das hat dazu geführt, dass Versorgungsunternehmen in der Gaskrise zwar teilweise sehr niedrige Preise hatten, ein Jahr später aber plötzlich einen Preisanstieg, den keiner mehr so richtig nachvollziehen konnte. Wo jeder gesagt hat, "Wie geht das denn, der Gaspreis ist doch schon längst wieder unten, wieso habt ihr denn so hohe Preise?". Das ist einfach dieser Mechanismus.

Wenn der Bund es ernst gemeint hätte mit der Wärmepreisbremse, dann hätte er die Wärmepreisbremse für die Fernwärme noch für einen ganz bestimmten Zeitraum verlängert. Und dann wären wir auch vielfach nicht in der Diskussion, in der wir heute sind.