Risikomanagement: KI in der Immobilientransaktion

Die Erfahrungen der Immobilienbranche mit Digitalisierung sind weiterhin sehr heterogen, und die allgemeinen Regeln des nicht analogen Marktzugangs werden oft vernachlässigt. Nun kommt der digitale Turbo auf den Tisch: die Künstliche Intelligenz (KI).

Hier ist eine Zäsur im Gange, die anders als gewohnt sehr kurzfristig sichtbar sein wird. Der Einfluss auf die Menschen und Unternehmen kann dabei nicht überschätzt werden, vorausgesetzt ist allerdings ein kritisch-distanziertes Verhältnis zur Statistik im Allgemeinen. Unabhängig davon, ob eine Immobilie gekauft oder verkauft werden soll, finden sich die Objekte und Kaufinteressenten mittlerweile in den meisten Fällen im Internet.

"Persönlich" sind häufig nur zwei Begegnungen: eine bei der Besichtigung, die andere beim Notar. Man könnte glauben, dass hier eher Transaktionen von Verbrauchern gemeint sind, aber bei den Profis sieht es nicht anders aus. Der bekannte Datenraum ist längst zu einer Transaktionsplattform geworden. Hier werden nicht nur alle Informationen gesammelt und geprüft, sondern auch Kontakte vermittelt. Zwischenmenschliche Beziehungen können Vertrauen trotz fehlender Informationen schaffen, aber wenn sich die Informationslage ändert, funktioniert das auch umgekehrt.

KI und Immobilienmarkt: Neue Chancen durch Datenanalyse

In kürzester Zeit wurden den Plattformen zur Darstellung des Marktgefüges wie Pricehubble, Geomap oder Quis zahlreiche neue Angebote zur Seite gestellt. Heute schließen unterschiedliche Angebote auf Basis von Satellitenbildern und Geodaten auf die Möglichkeiten zur Bebauung, messen dabei die Optionen zur Energieversorgung durch Photovoltaik und unterstützen bei der Projektkalkulation. Fragen zur Nachverdichtung oder zur Notwendigkeit von Sanierungen können für ganze Portfolien auf Knopfdruck erstellt werden. Hier zeigt sich auch das Potenzial der KI für die "transition to green" (deutsch: Übergang zur nachhaltigen Ökonomie). Der große Unterschied zu ähnlichen Methoden der Vergangenheit liegt in der steigenden Datenmenge und -verfügbarkeit.

Frederik Raspé, Mitgründer und Geschäftsführer von Acquirepad, einem digitalen Transaktionsmarktplatz für professionelle Investoren, stellt hierzu fest: "Der größte Hebel, den die Technologie hat, ist eine vergleichsweise hohe Präzision in sehr geringer Zeit. Bei hohen Gehältern und hohen Opportunitätskosten ist dieser Vorteil sehr viel wert. Hierbei genügt häufig schon einfaches maschinelles Lernen. Aktuelle Beispiele hierfür sind Acquirepad, Syte, Octoscreen, Einwert, PREA, Pricehubble und RIWIS."

Da die Potenzialsteigerung hier erheblich ist, handelt es sich nicht nur um eine Kostenoptimierung, sondern auch um einen sehr niedrigschwelligen Moment für die Disruption durch neue Marktakteure. Wurden Analysen in der Vergangenheit vor allem von den Vorständen größerer Projektentwickler beauftragt, können sie heute ad hoc in allen Prozessen zur Verfügung gestellt werden. "Die KI durchsucht große Daten- und Informationsmengen zum Beispiel in Exposés, Analysen oder Geschäftsberichten und stellt die Informationen in Unternehmensprofilen, Management Reportings und Summaries zur Verfügung", erläutert Raspé weiter und weist damit auch darauf hin, dass man die Daten, die man analysieren möchte, bereits haben muss.  

Der Einfluss von KI auf das Risikomanagement

Die Möglichkeit, große Datenmengen zu analysieren und jederzeit in Echtzeit abrufen zu können, lässt sich in jedem Teil des Risikomanagements nutzen. Angefangen bei der Definition des Risikorahmens, über die Risikoidentifikation, -analyse, -bewertung bis zur -behandlung hilft KI, umfassendere und dabei trotzdem dynamische Modelle zu erstellen. Der Vorteil von KI im Risikomanagement ist, dass mehr Daten erfasst und ausgewertet werden können und diese einfach zur Verfügung stehen.

Der Nachteil ist dabei auch immer der gleiche: Wenn die Qualität der Daten nicht bekannt ist und eine automatische Einschätzung mehr sein soll als eine weitere Hypothese, steigt die Gefahr von Fehlinterpretationen. KI ist als "Blackbox" nicht geeignet, um Informationen für wesentliche Entscheidungen beizusteuern, wenn man diese nicht gewissenhaft nachvollziehen kann.

Wo Unternehmen erfolgreich KI einsetzen können, ist auch über eine einfache Frage herauszufinden: Haben wir Daten? Prof. Dr. Carsten Lausberg ist Professor für Immobilienbanking an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen. Er forscht unter anderem zum Thema Risikomanagement und stellt fest: "Die Einschränkungen durch den Datenschutz sind in vielen Fällen groß. Vor allem wenn es um die Bonität von Mietern geht. Aber auch im Rahmen des Möglichen werden sinnvolle Methoden nicht genutzt und Daten nicht gesammelt."

Hiermit wird ein wesentliches Feld in diesem Zusammenhang angesprochen, denn es geht nicht nur um Daten, die es nicht gibt, sondern auch um Daten und Prozesse, für die ohne Not kein Anreiz besteht oder wo schlicht die Datenkompetenz fehlt, um deren Relevanz richtig einzuordnen. Lausberg attestiert den regulierten Unternehmen (offene Fonds) eine rege Tätigkeit, die sich wohl durch viele neue Automatisierungsmöglichkeiten weiter verbessern wird. Andere Unternehmensarten dürften allerdings einen Rückstand schon auf die bisherigen technologischen Möglichkeiten haben.

Grundvoraussetzung für KI-Nutzung: Datenzugang und Datenkompetenz

Alle diese Unternehmen stehen aktuell vor der Qual der Wahl aus zahlreichen neuen Methoden und Tools. Der Experte für Risikomanagement stellt außerdem fest: "Während Banken selbstverständlich Zugriff auf Bonitätsinformationen der Kreditnehmer haben, fehlen diese insbesondere Wohnungsvermietern nach der Erstvermietung komplett. Aber auch viele mögliche Maßnahmen bleiben bei Bestandshaltern ungenutzt."

Die Interpretation von Statistik durch den Menschen ist ihre größte Schwäche. Wir sind es gewohnt, Statistik für unsere Zwecke einzusetzen und sie darüber zu bewerten. Doch es kann passieren, dass statt einer neutralen, faktenbasierten Beschreibung Daten genutzt werden, um Emotionen zu bestätigen. Diese Informationen sind in den Daten aber nicht enthalten. Es entstehen so genannte "alternative Fakten". Dabei handelt es sich verwirrenderweise nicht um Fakten, sondern um eine Verbindung von Fakten und Emotionen.

Die fehlende Datenkompetenz und der Wunsch nach einer Bestätigung machen es uns häufig schwer, diesen Fehler zu erkennen. Die Überinterpretation von Daten oder eine bewusste Verbindung der Daten mit Emotionen ist nicht "teilweise" oder "ein bisschen" richtig. Sie ist falsch und ein eindeutiger Beleg für fehlende Kompetenz, nicht selten eine Lüge und regelmäßig auch Betrug. Der bewusste Missbrauch gehört zu den großen Gefahren der KI, aber auch der seriöse Einsatz von Statistik in der Öffentlichkeitsarbeit zeigt ihre Grenzen auf.

"Historischer Preissturz" oder "Wann kommt der Markt zurück"?

Ein Beispiel: Zuletzt waren die Preisentwicklungen bei Wohnimmobilien ein großes Thema. So lautete eine Nachricht im Februar dieses Jahres: "Stärkster Absturz nach 60 Jahren". Grundlage dafür waren die Daten der Gutachterausschüsse, die das Kieler Institut für Weltwirtschaft (ifW) unter dem Namen GREIX (German Real Estate Index) zur Verfügung stellt. Die Aussage bezog sich auf die Entwicklung ab einem Ausgangspunkt vor 14 Monaten (es geht um die Entwicklung der Preise ab Januar 2023), erweckte aber den Eindruck, als ginge es um die aktuelle Marktlage.

Tatsächlich war aber schon im Q4 teilweise eine Seitwärtsbewegung zu sehen, also dass die Preise auf ähnlichem Niveau bleiben. Hier wurden die aktuellen Daten zugunsten der aufmerksamkeitsstarken Aussage geringer bewertet und damit wurde das Potenzial dieser Daten regelrecht "versteckt".

Bei Transaktionsdaten handelt es sich nicht um "die besseren Marktdaten", sondern um die tatsächlichen Abschlüsse, also um einen anderen Untersuchungsgegenstand. Passen diese nicht zu den Angebotsdaten, kann man gegebenenfalls von einem dysfunktionalen Markt sprechen. Der GREIX ist also geeignet, zusammen mit den Angebotsdaten, dieses Marktdelta zu beschreiben, was eine deutlich wertvollere Information darstellt, aber aufgrund der angestrebten Reichweite mehr oder weniger unentdeckt bleibt.

KI und Datenkompetenz in der Finanzierung

KI kann uns hier unterstützen, Korrelationen zu finden, aber dafür benötigen wir die Kenntnisse, diese zu interpretieren und die Daten selbst, auf denen sie basieren. Da diese aus Gutachterausschüssen, über ganz Deutschland verteilt, äußerst heterogen zur Verfügung gestellt werden, ist die Datenlage nicht besonders konsistent.

"Datenkompetenz ist aktuell eine große Herausforderung für die Gesellschaft", meint auch Peter Sauer, Director Platform Technology bei der Europace AG. Das gut 200 Mitarbeitende starke Unternehmen stellt Technologie und Lösungen zur Vermittlung von Finanzierungen zur Verfügung. Die Kunden sind Finanzierungsberatungen, Spezialisten wie auch Banken. "KI kann sehr gut Muster in großen Datenmengen erlernen und uns damit in der Entscheidungsfindung unterstützen.

Je nach Einsatzzweck kommen unterschiedliche Ansätze in Frage. Nicht in jedem Prozessschritt ist eine Blackbox-KI möglich, da die von der KI generierten Antworten dann nicht mehr erklärbar sind", führt Sauer weiter aus. Europace zeigt hier, wie Daten und Digitalisierung die Wertschöpfungskette neu ordnen. Europace betrachtet die Bedürfnisse des Marktes aus Kundenperspektive und erschließt sich diese durch eine agile Arbeitsweise. Dieses Potenzial zeigt sich in der Immobilienwirtschaft an vielen Stellen, wenn man die Perspektive des Marktes einnimmt und in der Lage ist, darauf flexibel zu reagieren.

So bestätigt auch Sauer einen Einfluss von KI auf die Produktentwicklung: "Im digitalen Marktzugang werden Experimente gebraucht, um messen zu können, was Verbraucherinnen und Verbraucher verstehen und annehmen. KI unterstützt diese Prozesse sowohl in der Erstellung als auch in der Beobachtung." Seiner Meinung nach wird sich die Arbeitsweise verändern – von der Assistenz durch KI-Tools über Prozesse bis hin zu den Stellenbeschreibungen der Mitarbeitenden.

Den kompletten Beitrag "Risiko und Chance: KI in der Immobilientranskation" lesen Sie in der Ausgabe 02/2024 der "Immobilienwirtschaft". 


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