Bitte ein BID
An einem Wochenende im Juli zeigt sich die Hansestadt von ihrer besten Seite: Am Ballindamm schmücken tausende bunte Lampions die Bäume am Ufer der Binnenalster, das leise Schwappen des Wassers mischt sich mit dem weißen Rauschen des Verkehrs, und beinahe wie von selbst spült einen die sonnenbebrillte Touristenmenge über den Jungfernstieg auf den Neuen Wall.
Hunderte Bäumchen, Gräser und Blüten locken hier zahlungskräftige Kunden in die exklusiven Geschäfte, oder zumindest vor die edel dekorierten Schaufenster, und leiten den Weg bis zum Gänsemarkt, wo eine 3,50 Meter große Gans aus Blumen ein gefragtes Motiv für Selfies bietet.
"Die Sommergärten sind eine Kooperation mehrerer Business Improvement Districts (BIDs) der Innenstadt", erklärt Leonie Hinzen, BID-Beauftragte der Hamburger Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen (BSW). "Eine sehr erfolgreiche noch dazu."
Neues Leben für Innenstadtlagen
Was vor wenigen Jahren als kleines Projekt startete, erstreckt sich mittlerweile über die gesamte Innenstadt – alles dank privater Initiativen, denn die sommerliche Gestaltung ist keine Marketingmaßnahme des Senats.
Die Elbmetropole ist in Deutschland unangefochtener Spitzenreiter beim Schaffen solcher BIDs, wie die Districts abgekürzt werden. Sie verabschiedete nicht nur das bundesweit erste BID-Gesetz, hier wurden seitdem auch die meisten BIDs ins Leben gerufen. Seit 2005 beläuft sich die Zahl auf insgesamt 46 dieser rein privatwirtschaftlichen Initiativen. 13 davon mit aktuellen Laufzeiten, weitere vier befinden sich in Vorbereitung.
Business Improvement District |
Vorzeige-BID: Der Neue Wall in Hamburg
"Wenn man begreifen will, was ein BID ist, muss man auf den Neuen Wall", sagt Franziska Dedekind, Prokuristin der Otto Wulff BID Gesellschaft. Der Neue Wall ist das deutschlandweit erste in einer Innenstadtlage geschaffene BID und wird von dem Hamburger Unternehmen als Aufgabenträger seit der ersten Stunde begleitet – wie aktuell auch acht weitere Districts. Als Vorbild dienten ihm die nordamerikanischen Pendants, die als Public-Private-Partnership-Modell (PPP) schon in den 1980er Jahren beliebt waren.
Der Neue Wall steht heute für Luxus. Die Straße ist gleichermaßen Aushängeschild der Stadt wie Flaggschiff der BID-Aktivitäten von Otto Wulff. Aigner, Breitling, Cartier – für jeden Buchstaben des Alphabets findet sich hier eine bekannte (und teure) Marke. Zwischen Alster- und Bleichenfleet gebettet und in den Jungfernstieg mündend, genießen aber nicht nur die Geschäfte des Einzelhandels die Hamburger Bestlage, auch Gastronomiebetriebe und Büros haben sich angesiedelt und lassen sich die Adresse auf dem Briefkopf einiges kosten. Auf 250 Euro pro Quadratmeter bezifferte Jones Lang LaSalle die Spitzenmiete am Neuen Wall zum Jahreswechsel, der Filialisierungsgrad lag bei 72 Prozent.
Während es in anderen Innenstadtlagen bundesweit kriselt, lässt sich die 580 Meter lange Shoppingmeile davon nichts anmerken. Dabei war das Einkaufsvergnügen nicht immer so schön: Wo heute flaniert wird, stolperten Gutbetuchte Anfang der 2000er Jahre noch über unebenes Pflaster, und wo Scharen von Touristen die mal üppig, mal minimalistisch, aber immer exklusiv dekorierten Schaufenster bestaunen, parkten vor nicht allzu langer Zeit noch Autos kreuz und quer.
Das ist längst nicht mehr so. Schlendert man heute den Neuen Wall entlang, läuft man auf edlem hellem Granit. Auch außerhalb der "Sommergarten"-Zeit geben sich Grundeigentümer wie Gewerbetreibende sichtlich Mühe, die eher nüchterne Straße einladend zu gestalten. Neue Stadtmöbel wie Fahrradbügel, Mülleimer oder Terrakotta-Pflanzkübel sorgen für eine hohe Aufenthaltsqualität, ein Beleuchtungskonzept spült besonders in der umsatzstarken Weihnachtszeit Geld in die Kassen der Luxusmarken.
"Die Maßnahmen, die in den BIDs umgesetzt werden, folgen häufig derselben Grundlogik", erklärt Dedekind, die das BID-Team bei Otto Wulff leitet. In der ersten Laufzeit konzentrierten sich die Projektpartner meist auf bauliche Maßnahmen, in späteren Laufzeiten gehe es dann um das Pflegen und Vermarkten der Standorte. Für den Neuen Wall hat dieses Konzept – stetig angepasst und weiterentwickelt – bisher bestens funktioniert. Das BID befindet sich bereits in der fünften Laufzeit.
Public + Private = Partnership?
"Im BID Mönckebergstraße haben wir in der ersten Laufzeit nicht im klassischen Sinn gebaut", räumt Dedekind ein. Stattdessen flossen die mehr als zehn Millionen Euro BID-Abgaben, auf die die Partner sich in ihrem Finanzierungskonzept verständigt hatten, in andere Maßnahmen – knapp die Hälfte davon in die Produktentwicklung für eine neue Weihnachtsbeleuchtung.
Auf der Suche nach Inspiration flogen die BID-Partner dafür bis nach New York City. Doch nicht nur deshalb war die U.S.-Metropole einen Abstecher wert: "Als wir 2006 die BID-Verwaltungsstelle bei der BSW eingerichtet haben, war New York City mit dem damaligen BID Commissioner ein gutes Vorbild", erinnert sich Frithjof Büttner, Hinzens Vorgänger bei der BSW. Das zeigte auch ein späterer Besuch, bei dem sich viele Übereinstimmungen zwischen den beiden Städten ergaben.
Bis heute sind in Hamburg insgesamt mehr als 70 Millionen Euro von Privaten in den öffentlichen Raum investiert worden – allein in den Districts, die Otto Wulff betreut. "Über alle 46 seit 2005 entstandenen BIDs hinweg beläuft sich die Summe auf mehr als 100 Millionen Euro", sagt Hinzen. Finanzspritzen für die Quartiere, die ohne die Initiative der Grundeigentümer und Gewerbetreibenden nicht zusammengekommen wären.
In der Hansestadt scheint man diese Form von Public-Private-Partnership für sich entdeckt zu haben, doch ein kurzer Weg dorthin war es nicht. Viele Akteure waren und sind an den Kooperationen beteiligt: von der Handelskammer Hamburg, die das Modell der "Business Improvement Districts" 2000 erstmals vorstellte, bis zum damaligen Ersten Bürgermeister Ole von Beust, während dessen Amtszeit das erste deutsche BID-Gesetz schließlich am 1. Januar 2005 in Kraft trat.
Die Rechtsverordnungen für das BID Sachsentor – das eigentlich erste BID der Stadt, aber nicht innerstädtisch gelegen – und das BID Neuer Wall folgten im im selben Jahr. Seitdem sind die privatwirtschaftlichen Initiativen und Investitionen aus der Stadt nicht mehr wegzudenken.
Vorteil von Business Improvement Districts: Keine Trittbrettfahrer
Aber ist es eine Partnerschaft, wenn einer der Partner alle Ausgaben trägt, während der andere sie nur verwaltet? "Das Gros der Aufgaben und des Aufwands liegt sicherlich bei den Eigentümern, das ist aber auch so gedacht", sagt Dedekind. Hinzen ergänzt: "BIDs sind private Initiativen. Eine finanzielle Förderung durch die Stadt entspricht nicht der Grundidee." Trotzdem sind sich beide einig, dass die BIDs ein wertvolles Instrument sowohl für die Stadtentwicklung in der Hansestadt als auch für die im BID vertretenen Eigentümer und Unternehmen sind.
"Ein Vorteil gegenüber bloßen Interessengemeinschaften ist, dass es keine Trittbrettfahrer, aber finanzielle Planungssicherheit gibt", betont Dedekind. Trittbrettfahrer können vor allem deshalb ausgeschlossen werden, weil ein BID nur dann gesetzlich eingerichtet wird, wenn ein Großteil der ansässigen Eigentümerschaft einverstanden ist. Das bedeutet: Die mit dem BID einverstandenen Eigentümer müssen über mindestens 33 Prozent der am Standort gelegenen Grundstücke verfügen, und deren erfasste Fläche muss mindestens 33 Prozent der im BID gelegenen Gesamtgrundstücksfläche betragen.
Sind diese Voraussetzungen erfüllt, kann ein Aufgabenträger wie etwa Otto Wulff einen entsprechenden Antrag auf Einrichtung des BIDs einreichen. Wird dieser genehmigt, sind alle im BID gefassten Eigentümer verpflichtet, eine kommunale Abgabe zur Finanzierung eines vorher erarbeiteten Maßnahmenplans zu leisten – dabei ist diese Abgabe aber auch für diejenigen verpflichtend, die möglicherweise gegen die Einrichtung eines BIDs in dem jeweiligen Gebiet waren.
So mag Trittbrettfahrern zwar vorgebeugt werden, da kein Eigentümer vor Ort von Maßnahmen profitieren kann, die er oder sie nicht auch selbst mitfinanziert hat, gleichzeitig kann es aber durchaus vorkommen, dass Eigentümer oder auch Mieter ansässiger Immobilien, auf die die Abgabe gegebenenfalls umgelegt wird, in eine Partnerschaft gezwungen werden.
"Am Anfang eines BIDs steht oft eine Vision von Initiatoren aus dem jeweiligen Eigentümerkreis", meint Dedekind. Natürlich komme es auch mal vor, dass Einzelne diese Vision nicht teilen. "Die Akzeptanz ist nach der Einrichtung eines BIDs in aller Regel höher als möglicherweise noch zu Beginn der Initiative." Besonders, seitdem die Gesetzesgrundlage im Juni 2017 nochmals überarbeitet wurde: Die Berechnung der BID-Abgaben erfolgt jetzt nicht mehr aufgrund von Einheitswerten, sondern auf Grundlage der Grundstücksfläche und Geschosszahl.
BIDs verleihen Quartieren Identität
Vor Ort bekommt man von möglichen Streitereien nichts mit. Gerade der Neue Wall hat die Maßnahmen der späteren Laufzeiten nutzen können, um mithilfe von Marketingmaßnahmen sein Image als Designermeile zu festigen und einen Markenkern herauszubilden. Alles wirkt hier wie aus einem Guss, von den Fassaden bis zu den Bügelfalten an den Mannequins.
Etwas anders ist das in einer ebenso bekannten Hamburger Straße, denn was sich nachts hinter Betrunkenen und Leuchtreklame noch gut verstecken lässt, wird bei Tageslicht umso offensichtlicher: An der Reeperbahn ist nichts aus einem Guss. Was ihr Kohäsion verleiht, ist eine Mischung aus zertretenen Kaugummis, abblätternden Plakaten, Graffiti und häufig Erbrochenem.
"Service und Reinigung über die Leistungen der Stadtreinigung hinaus sind in der Regel immer Teil des Maßnahmenkonzeptes, das ist quasi eine der Brot-und-Butter-Maßnahmen jedes BIDs", kommentiert Dedekind. Es wäre aber zu kurz gegriffen, die Arbeit des BIDs Reeperbahn+, aktuell in der zweiten Laufzeit, auf solche Maßnahmen zu reduzieren. Hier geht es vielleicht nicht um Luxus, aber trotzdem um Identität. So ist die "Lieb sein"-Kampagne eine der bekannteren Marketingmaßnahmen des BIDs; auch die Aktion "St. Pauli pinkelt zurück", für die Hauswände mit superhydrophobem Lack Wildpinkler abschrecken sollen, ist hier entstanden.
Hamburger BID-Gesetz ist bis nach Japan bekannt
Bleibt die Frage, warum sich BIDs in Hamburg seit 20 Jahren so großer Beliebtheit erfreuen, während andere Bundesländer das Stadtentwicklungsinstrument eher stiefmütterlich anwenden und fünf der 16 noch nicht einmal die entsprechende gesetzliche Grundlage geschaffen haben. Lohnt es sich nicht?
"Die hohe Anzahl an Folge-BIDs ist ein Indikator für ihren Erfolg und Impact auf die Standortentwicklung", sagt Dedekind. Ein probates Modell zur Evaluierung, etwa zum Zusammenhang zwischen BIDs und Passantenfrequenz, fehle noch. In Hamburg scheint dies jedoch weder Eigentümer noch Senat daran zu hindern, immer wieder Laufzeiten zu erneuern oder neue Gebiete einzurichten.
"Die privaten Akteure übernehmen im Rahmen der BIDs nicht nur einen erheblichen Finanzierungsanteil, sondern auch aktiv Verantwortung für das eigene Quartier", resümiert Hinzen die Perspektive des Senats. "Hamburg hat 2005 ein gutes Gesetz gemacht", ergänzt Büttner, der die Hamburger BIDs bis 2023 über 18 Jahre betreute. So gut, dass es sogar als Vorbild für die landesweite japanische BID-Gesetzgebung gedient habe.
Für Dedekind liegt die erfolgreiche Kooperation vor allem an guter Kommunikation. Vielleicht auch hanseatischem Commitment. Dass das in der Hansestadt Hamburg, einem Stadtstaat nicht ohne Bürokratie, aber mit kurzen Wegen, leichter gelingt, verwundert nicht. Vom Neuen Wall sind es bis zur Reeperbahn knapp 20 Minuten.
Dieser Artikel ist erschienen in "Immobilienwirtschaft", Ausgabe 4/2024.
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