Mieterstrom & Co.: BGH definiert Kundenanlage näher
Die beiden Leitsatzentscheidungen des Kartellsenats des BGH sind nicht nur für die Immobilienwirtschaft, sondern auch für die örtlichen Verteilnetzbetreiber wichtig. (BGH Beschlüsse v. 12.11.2019 – EnVR 65/18 u. EnVR 66/18 – Kundenanlage Leitsatzentscheidung).
Die Entscheidungen
In der ersten Konstellation handelte es sich um zwei Wohnkomplexe im Bestand mit 457 beziehungsweise 515 zu versorgenden Letztverbrauchern bei einer räumlichen Ausdehnung (ohne Verkehrsflächen) von 44.631 beziehungsweise 53.000 Quadratmetern. In beiden Fällen sollte jeweils ein Blockheizkraftwerk (BHKW) mit 140 Kilowatt (kW) Leistung die Mehrfamilienhäuser mit Wärme und Strom versorgen und zugleich an die vorgelagerte Stromnetzinfrastruktur angeschlossen werden.
Der BGH lehnte die Einstufung beider Projekte als Kundenanlage mit der Begründung ab, dass es sich bei den genannten Größenordnungen – Wohneinheiten, Flächen und Anzahl der Gebäude – jeweils um Einheiten handelt, die auf Grund ihrer Größe und ihrer wirtschaftlichen Bedeutung in einem Ausmaß Einfluss auf den ansonsten regulierten Netzbetrieb nehmen, dass auch sie selbst als Teil eines natürlichen Monopols der Netzinfrastruktur ebenfalls der Regulierung unterstellt werden müssen.
Als entscheidungserhebliche Kriterien berücksichtigt der BGH die Zahl der Letztverbraucher, die geografische Ausdehnung, die Menge der durchgeleiteten Energie sowie weitere Merkmale wie etwa die konkrete Vertragsausgestaltung und gegebenenfalls zusätzliche andere angeschlossene Kundenanlagen.
Konkret benennt der Beschluss Anlagen, die eine Fläche von mehr als 10.000 Quadratmetern versorgen, an die mehrere hundert Letztverbraucher angeschlossen sind und bei denen die durchgeleitete Energie voraussichtlich 1.000 Megawattstunden pro Jahr (MWh/a) übersteigt. Die Bewertung beziehungsweise die Gewichtung der einzelnen Kriterien zueinander obliegt der gerichtlichen Entscheidung im konkreten Einzelfall und bietet somit lediglich Anhaltspunkte, jedoch keine allgemein verbindliche Schablone. Auch hinsichtlich der Anzahl der angeschlossenen Gebäude bestehen Interpretationsspielräume.
Wichtiges Detail: Abweichend von den Einschätzungen des OLG Düsseldorf wäre die Einstufung des einen Quartiers jedoch nicht an dem Umstand gescheitert, dass das Gebiet von einer mehrspurigen Straße durchquert wird, die nicht zuletzt auch dem Durchgangsverkehr dient.
Gebiet darf von Straße durchquert werden
Im zweiten Fall handelte es sich um eine Projektentwicklung von 20 Einfamilienreihenhäusern, die im Verhältnis 14/6 von einer öffentlichen Infrastruktureinrichtung durchquert werden und die aus einem gemeinsamen BHKW mit Elektrizität und Wärme unter stromseitiger Anbindung an die vorgelagerte Netzinfrastruktur versorgt werden. In diesem Fall bestätigte der BGH das Vorliegen einer Kundenanlage.
Beide Verfahren beschäftigten zunächst die Bundesnetzagentur, da der jeweilige örtliche Netzbetreiber die Einstufungen der Projekte vor Ort als Kundenanlage verweigerte. Im Ergebnis bestätigte der BGH sowohl die Einschätzungen der BNetzA als auch die erstinstanzliche Entscheidungen des OLG Düsseldorf.
Allerdings finden sich in den Beschlüssen des BGH weitergehende Auslegungskriterien zugunsten der jeweiligen immobilienwirtschaftlichen Projekte. Dies gilt insbesondere für die Frage, ob ein räumlich zusammengehöriges Gebiet von Straßen durchquert werden darf und welchen Umfang derartige Durchquerungen annehmen dürfen, ohne die Annahme einer Kundenanlage zu verhindern. Während zunächst noch darauf abgestellt wurde, ob es sich lediglich um kleine Wege handelt, die nur der Erschließung von Objekten der jeweiligen Kundenanlage dienen, bejaht der BGH die Einstufung als Kundenanlage unabhängig davon, ob derartige Straßen mehrspurig sind und ggf. auch dem Durchgangsverkehr dienen.
Zusammenfassend liegt ein räumlich zusammengehörendes Gebiet im Sinne einer Kundenanlage auch dann vor, wenn es sich über mehrere Grundstücke erstreckt und diese Grundstücke nahezu ausschließlich über diese Kundenanlage versorgt werden, soweit die Grundstücke aneinander grenzen, nicht verstreut liegen und ein in sich geschlossenes, von äußeren Grundstücksgrenzen begrenztes Gebiet abbilden. Hierbei ist es unschädlich, wenn im Einzelfall auch Grundstücke eingeschlossen werden, die nicht durch die Kundenanlage versorgt werden, wenn deren Bedeutung im Rahmen einer Gesamtabschätzung als gering einzustufen ist.
Relevanz für die Praxis
Im Zusammenhang mit Aspekten der Energieeinsparung und des Klima- und Ressourcenschutzes – vor allem der Reduzierung von CO2-Emissionen – rücken Kundenanlagen und Quartiersansätze zunehmend in den Blickpunkt der Immobilienwirtschaft. In beiden Beschlüssen konkretisiert der BGH den Begriff der Kundenanlage aus dem Energiewirtschaftsgesetz und erleichtert somit die Einordnung konkreter Projekte in der Praxis von Entwicklungen in Neubau und Bestand. Allerdings bedarf es nach wie vor einer Gesamtabwägung der einzelnen Voraussetzungen unter jeweiliger Berücksichtigung des konkreten Einzelfalls vor Ort.
Somit liefern die Beschlüsse des BGH keine einheitliche verbindliche Schablone, die sich ungeprüft auf alle möglichen Fallkonstellationen übertragen lässt. Gleichwohl liefert der BGH erstmals Leitplanken, die eine Zuordnung erleichtern. In jedem Fall sollte die Einstufung einer Kundenanlage im Vorfeld der Realisierung einzelner Projekte abschließend geklärt werden – nicht zuletzt um etwa Überdimensionierungen von Blockheizkraftwerken und unnötige Investitionen zu vermeiden.
Auftragsgemäß entschied der BGH vorliegend nur über den räumlichen Zusammenhang und den Begriff der Kundenanlage auf der Rechtsgrundlage des EnWG. Offen bleibt somit die Frage, ob die genannten „rechtlichen Leitplanken“ auch zur Auslegung räumlicher Zusammenhänge, Quartiersansätze, gebäudeübergreifender Versorgungsstrukturen vor dem Hintergrund des EEG und der EnEV herangezogen werden können. Im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsordnung und der Rechtssicherheit bei Planung und Umsetzung entsprechender Bauvorhaben wäre es sinnvoll, wenn der Gesetz- bzw. Verordnungsgeber im Rahmen anstehender Novellierungen gesetzesübergreifend allgemein gültige Voraussetzungen definiert. Als zeitnaher Anknüpfungspunkt bietet sich hierzu etwa das Gebäudeenergiegesetz an.
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