Makler: Hochhaussiedlungen gegen Wohnungsnot unrealistisch

Die Wohnungsnot ist groß in Deutschland. Nun schlägt Bundeskanzler Olaf Scholz vor, bundesweit 20 neue Stadtteile mit Hochhäusern auf der grünen Wiese aus dem Boden zu stampfen – wie in den 1970er Jahren. Immobilienmakler halten das weder für zielführend noch für realistisch.

Das Maklerunternehmen Aengevelt hat sich den Vorschlag von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) – in Deutschland 20 neue Stadtteile mit Hochhäusern auf der grünen Wiese zu bauen, um die Wohnungsnot zu beheben – genauer angeschaut und sieht die Idee kritisch. Was spricht dagegen?

Hochhaussiedlung gegen Wohnungsnot

Dass sich in vielen Großstädten eine neue Wohnungsnot entwickelt hat, ist unstrittig. Die Zahl der Baufertigstellungen ist von jährlich rund 600.000 Wohnungen in den 1990er Jahren auf zirka 295.000 im Jahr 2022 gesunken. Aengevelt Research prognostiziert für 2024 ein Fertigstellungvolumen von nur noch 180.000 neuen Wohnungen – der jährliche Mindestersatzbedarf liegt bei zirka neuen 217.000 Einheiten. Entsprechend sind die Neubaumieten, die einen Knappheitsindikator darstellen, seit 2008 bundesweit um mehr als 60 Prozent gestiegen, in den Großstädten sogar um mehr als 70 Prozent. Eine Trendumkehr ist laut Aengevelt nicht erkennbar.

Der Wohnungsnot mit dem Bau von Großsiedlungen an den Stadträndern zu begegnen, sieht Aengevelt kritisch. Zum einen bestehe die Gefahr, dass sich neue Großsiedlungen wieder zu Problemquartieren entwickeln, wie das bei einem Teil der Hochhausgebiete aus den 1970er Jahren zu beobachten war und ist, zum anderen zweifeln die Makler daran, dass sich für große Wohnungsbauprojekte in neuen Stadtteilen Investoren finden, wenn die Schere zwischen Herstellkosten und erzielbaren Mieten weiterhin markant auseinanderklafft. Eine Voraussetzung wäre demnach außerdem, dass erforderliche komplexe Infrastrukturen, wie Schulen, medizinische Versorgung, ÖPNV, Einkaufsmöglichkeiten und Dienstleistungsangebote schon vorhanden wären, was der Ansiedlungsrehenfolge widerspricht.

Probleme bei Großsiedlungen

Aengevelt ist der Ansicht, dass Hochhaussiedlungen auf der grünen Wiese mit zahlreichen Problemen verbunden sind. Das sind Argumente:

  • In Hochhäusern ist die Bildung von Nachbarschaftseinheiten untypisch. Hohe Anonymität und schwieriges bis unzureichendes Objektmanagement befeuern latente Trends bis zu Verwahrlosung und Vandalismus, wenn keine funktionierenden halböffentlichen Zonen existieren, in die sich die Bewohner identitäts- und damit qualitätsstiftend und -erhaltend einbringen.
  • Großsiedlungen auf der grünen Wiese leiden unter unzureichender und mangelnder Infrastruktur, was ebenfalls zur sozialen Sterilität beiträgt und die Attraktivität der Siedlungen nachhaltig reduziert.
  • Uniformität des Wohnungsmixes führt zu sozial einseitigen Bewohnerstrukturen. Die Forschung zeigt, dass sozial gemischte Bewohnerstrukturen für die gesellschaftliche Integration vorteilhafter sind. Die erfolgreiche soziale Mischung setzt eine qualitätssichernde Mischung von unterschiedlichen Gebäudetypen (einschließlich Einfamilienhäusern), von Miete und Eigentum, verschiedenen Qualitäts- und Preisniveaus sowie unterschiedlichen Wohnungstypen (einschließlich Seniorenwohnungen) voraus.
  • Hochhäuser mit mehr als vier bis fünf Geschossen haben negative Auswirkungen auf das Stadtklima, weil sie oft die Frischluftversorgung blockieren und die Aufheizung begünstigen.
  • An den Stadträndern gelegene Siedlungen steigern den Pendelverkehr und erfordern den Ausbau und den Erhalt der Verkehrsinfrastruktur, der mit Zeitverzögerung gegenüber der Errichtung neuer Wohnungen erfolgt.

Verdichtung statt Flächenfraß: Ein Argument?

Dass die bessere Grundstücksnutzung durch hohe Verdichtung ein Vorteil sei, hat sich Aengevelt zufolge in der Praxis als fragwürdig erwiesen. Nach einer Untersuchung der Berliner Senatsverwaltung erreichen die bis zu elfgeschossigen Großwohnsiedlungen und Punkthochhäuser eine Geschossflächenzahl (GFZ) von lediglich 1,39 – während die entkernte vier- bis fünfgeschossige Blockrandbebauung aus der Zeit nach 1945 auf eine deutlich höhere Dichte von 1,92 kommt. Der moderne Geschosswohnungsbau, der seit den 1990er Jahren betrieben wird, erreicht eine durchschnittliche GFZ von 1,17 – das ließe sich laut Aengevelt aber optimieren. Ein intelligent-sparsamer Umgang mit Grund und Boden lasse sich auch mit viergeschossiger Bebauung erreichen.

Wohnhochhäuser auf der grünen Wiese mit der benötigten Erschließung und Infrastruktur erfordern demnach zudem längere Vorlaufzeiten als die Bebauung innerstädtischer Brachen, Baulücken oder Umnutzungen in Anspruch nehmen. "Der Bau von Großsiedlungen ist nicht die Lösung. Wenn wir den in zahlreichen Wachstumskernen und Ballungsräumen herrschenden drastischen Wohnungsmangel bekämpfen wollen, müssen wir die Förderbedingungen wieder auf das Niveau der 1990er heben", resümiert Dr. Wulff Aengevelt, geschäftsführender Gesellschafter von Aengevelt Immobilien. Und die Kommunen müssten  vermehrt komplikationslos für den Neubau bedarfsgerechtes Bauland ausweisen – bevorzugt im innerstädtischen Bereich und sekundär bei vorhandener oder synchron herstellbarer Infrastruktur auch an den Stadträndern.


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Schlagworte zum Thema:  Nachverdichtung, Hochbau, Berlin