Großer Nachholbedarf bei Digitalisierung der Verwaltung
Der NKR prüft als unabhängiges Beratungsgremium der Bundesregierung seit 2006 die transparente und nachvollziehbare Darstellung der Bürokratiekosten aus Informationspflichten und seit 2011 die gesamten Folgekosten in allen Gesetzes- und Verordnungsentwürfen der Bundesregierung. Darüber hinaus berät er die Bundesregierung in Sachen „Bessere Rechtsetzung“. In dieser Funktion erstellte das Gremium den nun veröffentlichten 5. Monitor Digitale Verwaltung.
Elektronische Verwaltungsleistungen laut Gesetz bis Ende 2022
Das zum Ende der letzten Legislaturperiode verabschiedete Onlinezugangsgesetz (OZG) verpflichtet Bund, Länder und Gemeinden, bis Ende des Jahres 2022 „ihre Verwaltungsleistungen auch elektronisch über Verwaltungsportale anzubieten“ und diese „miteinander zu einem Portalverbund zu verknüpfen“. Bis 2023 muss dies für die wichtigsten Leistungen sogar europaweit geschehen (Single Digital Gateway Verordnung der EU). Im Koalitionsvertrag hatten die Regierungsparteien bekräftigt, die Digitalisierung von Staat und Verwaltung voranzutreiben.
Coronakrise offenbart Defizite
Deutschland tut sich schwer, die Digitalisierung im öffentlichen Sektor voranzutreiben, so die Verfasser des Berichts. Schon die Flüchtlingskrise 2015 hatte die Dringlichkeit aufgezeigt. Noch schonungsloser deckt aber die aktuelle Coronakrise auf, wieviel Nachholbedarf tatsächlich noch besteht. Angesichts der doppelten Systemrelevanz, die eine moderne, digitale Verwaltung für Krisenbewältigung und Politikvertrauen hat, stellt sich die Frage, was strategisch getan werden muss, um die Modernisierungsfähigkeit der öffentlichen Hand substanziell zu stärken.
Die Analyse des Berichts zeigt: Deutschland steckt – in der Pandemiebekämpfung genauso wie bei der Verwaltungsdigitalisierung – in einer Komplexitätsfalle.
Vorschlag: Mehr Standards schaffen
Standards sind der Schlüssel zur Komplexitätsreduktion. Sie geben Orientierung und senken Transaktionskosten. Damit Standardisierung funktioniert, muss sie zügig erfolgen und verbindlich sein. Nötig sind schlanke Standardfestsetzungsstrukturen sowie die konsequente Einbindung von Praktikern in die Erstellung und Anwendung. Der NKR schlägt eine Standardisierungsplattform vor, die – gerade im OZG-Kontext – alle Standardisierungsbemühungen bündelt und auf ein industrielles Niveau hebt. Die Deutsche Industrienorm DIN könne hier Vorbild sein.
Der 5. Monitor digitale Verwaltung enthält folgende Kernbotschaften:
Digitalisierung muss ausgeweitet werden
Trotz der sich ausbreitenden Skepsis besteht weiterhin die Hoffnung, dass 2021 den Wechsel von der Aufwärm- in die Leistungsphase der OZG-Umsetzung markiert. Den Beweis der Flächendeckung und Skalierungsfähigkeit muss die derzeitige OZG-Governance-Struktur aber noch erbringen.
Zwar gehen erste Onlinelösungen an den Start, die großen Stückzahlen und vor allem die flächendeckende Umsetzung stehen aber weiterhin aus. Bisher sind 71 Leistungen aus dem OZG-Programm online. Davon sind 14 Leistungen des Bundes flächendeckend verfügbar. Zuletzt haben die Abstimmungen zur Verwendung der Konjunkturpaketsmittel, zum OZG-Dachabkommen und den zugehörigen Einzelvereinbarungen Kraft gekostet. Gleiches gilt für die Feinjustierung der Konzepte von Portalverbund, Unternehmenskonto und eID oder der Einer-für-Alle-Leistungen (EfA) sowie für aufwändige Grundlagenbeschlüsse wie dem Registermodernisierungsgesetz.
Der Bund hat angekündigt, die 115 Bundesleistungen bis Ende des Jahres digitalisiert zu haben. Föderal sollen in diesem Jahr über 200 EfA-Leistungen zur Nachnutzung zur Verfügung stehen.
Weiterentwicklung in Richtung industrieller Produktionsmuster
Die gegenwärtigen Governance-Strukturen erzeugen erhebliche Orientierungs- und Koordinierungsaufwände. Es müssen laut dem Bericht des NKR all jene Bemühungen gestärkt werden, die Transaktionskosten und Koordinierungsaufwände senken, die Schnelligkeit von Softwareentwicklungen erhöhen, ihre Nachnutzung vereinfachen und gleichzeitig Innovationskraft und Wettbewerb aufrechterhalten.
Nach Auffassung des NKR erfordert dies noch mehr strategische Aufmerksamkeit für Fragen der Standardisierung und des Architekturmanagements, der Bereitstellung von Plattformen und Verbindungsmechanismen (Middleware) sowie für die vereinfachte Beschaffung bzw. die Nachnutzung standardisierter Lösungen. Das deutsche Gesamtsystem Verwaltungsdigitalisierung müsse schnellstmöglich in Richtung industrieller Produktionsmuster weiterentwickelt werden.
Einführung eines modernen Datenmanagements
Nutzerfreundlich und effizient sind Onlineleistungen dann, wenn die notwendigen Daten nicht immer wieder händisch eingegeben und Nachweise herausgesucht und in Papierform oder als Scan verarbeitet werden müssen. Aus diesem Grund beinhaltet Reifegrad 4 der OZG-Umsetzung die Verwirklichung des Once-Only-Prinzips. Nutzerdaten und Nachweise sollen mit Zustimmung des Antragstellers durch Registerabfragen ersetzt werden. Auch zukünftige Automatisierungspotenziale lassen sich nur mit einem guten Datenmanagement erschließen, so der NKR.
Um Registerdaten nutzen zu können, müssen diese inhaltlich und technisch zu dem passen, was digitale Verwaltungsverfahren als Input verlangen. Dies beruht auf rechtlichen Vorgaben und fachlichen Definitionen, die – wie z.B. beim Einkommensbegriff – bisher über Rechtsbereiche hinweg nur unzureichend harmonisiert und auf die verfügbare Datenbasis abgestimmt worden sind.
Benötigt wird ein „Metadaten-Repository“, eine Übersicht, die aufzeigt, in welchen Registern, welche Daten, in welcher Weise vorliegen und abgerufen werden können. Grundlage könnte die Verwaltungsdateninformationsplattform des Statistischen Bundesamtes sein. Ein weiteres Hilfsmittel ist laut dem NKR-Bericht das Föderale Informationsmanagement (FIM).
Stellungnahme des dbb zum NKR-Bericht
„Durch die Corona-Pandemie sind die schon länger bestehenden Defizite bei der Digitalisierung der Verwaltung jetzt auch für jeden sichtbar geworden", betonte der Chef des Beamtenbundes dbb Ulrich Silberbach. "Die Kolleginnen und Kollegen im öffentlichen Dienst arbeiten am Limit und leisten unter den gegebenen Bedingungen und in diesen schweren Zeiten hervorragende Arbeit – an ihnen liegt es nicht, dass wir bei der Digitalisierung nicht vorankommen." Ursache für die jetzt deutlich gewordenen digitalen Defizite sei, dass man über Jahre den öffentlichen Dienst kaputtgespart habe. Es sei viel zu wenig in die digitale Infrastruktur, die technische Ausstattung und das Personal investiert worden.
Zum Problem komplizierter Abstimmungsrunden zwischen Bund, Ländern und Kommunen sowie fehlender Digitaltauglichkeit von Gesetzen sagte Silberbach: "Wenn wir bei der Digitalisierung vorankommen wollen, muss das Kompetenzwirrwarr zwischen Bund und Ländern sowie verschiedenen Behörden beendet werden." Die Politik tue außerdem zu wenig dafür, dass die Gesetze auch zeitnah umsetzbar sind und Verwaltung, Bürgerinnen und Bürger nicht frustriert zurücklassen, so der dbb-Chef. "Es ist sehr bedauerlich, dass die Bundesregierung in dieser Legislaturperiode von einer generellen Einführung eines Digital-Checks für Gesetze abgesehen hat."
Detaillierte Informationen finden Sie hier: 5. Monitor Digitale Verwaltung
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