"Mit Strukturwandel haben wir viel Erfahrung, wir können uns auf Veränderung einlassen"
Bochum belegt im Smart City Index 2021 den siebten Platz, im Vergleich zum Vorjahr hat die Stadt elf Plätze gut gemacht. Was haben Sie in der Ruhrmetropole anders gemacht?
Denes Kücük: Bochum gehört vielleicht nicht zu den Städten, an die man in diesem Bereich zuerst denkt. Bei einem Blick auf die umgesetzten Projekte wird aber deutlich, dass die Stadt viel Digitales anbietet. Zusammen mit den städtischen Beteiligungsunternehmen haben wir die Smart City Innovation Unit gegründet, in der wir mit zahlreichen Projekten das Konzept Smart City weiterentwickeln und die Digitalisierung vorantreiben. Bei uns fahren über 20 Elektrobusse, eine der größten Flotten in Deutschland. Wir haben über 150 Parkscheinautomaten mit digitalen, kontaktlosen Bezahlmöglichkeiten. Ein städtisches Start-up digitalisiert die Fallbearbeitung in der Verwaltung. Zudem gibt es ein Serviceportal, einen neuen Internetauftritt sowie ein Portal, wo Eltern Kita-Plätze voranmelden können.
Welchen Platz hat die Entwicklung von Mitarbeitenden in diesem Prozess?
Philipp Schröder: Konsequente Personal- und Organisationsentwicklung ist in der Bochum Strategie, unserer gesamtstädtischen Entwicklungsstrategie, verankert und wird von der gesamten Organisation getragen. Die Projekte orientieren wir an den Anforderungen an die Tätigkeiten, den Bedürfnissen unserer Mitarbeitenden und an der Vision einer smarten City.
Homeoffice und Use Your Own Device waren hier schon vor der Pandemie möglich.
Mit einem E-Mail-Kodex regeln wir, wie Mitarbeitende mit Massen an Nachrichten umgehen. Wir führen eine neue Software ein, die besonders in der Pandemie das digitale Lernen in flexiblen Zeiteinheiten ermöglicht. Wichtig ist für uns aber auch das Verlernen von Verhaltensweisen und das Ersetzen durch funktionalere Alternativen. Das betrifft zum Beispiel den Umgang mit Fehlern, Resilienz und gesundheitsförderliches Verhalten sowie Feedback und Delegationsverhalten.
Was brauchen Ihre Mitarbeitenden, um fit für die Zukunft zu sein?
Philipp Schröder: Wir wollen erreichen, dass die Kolleginnen und Kollegen digitale Angebote nutzen und beispielsweise durch simples Googlen geeignete Lösungen für auftauchende Probleme finden. Dazu braucht es Mut und einen gewissen Entdeckergeist. Mit Strukturwandel haben wir im Ruhrgebiet viel Erfahrung, wir können uns auf Veränderungen einlassen. Wichtig ist uns auch die Kompetenz, immer mehr Informationen zu verarbeiten und zwischen mehr und weniger Relevantem zu unterscheiden. Das gilt für die individuelle Organisation von Aufgaben, aber auch für das Multiprojektmanagement. Zuletzt wollen wir das erlebnisorientierte Lernen fördern. Zum Beispiel werden Mitarbeitende in einem Projekt agile Methoden sowie agiles Mindset erleben und für ihre Aufgaben zusammenstellen.
Denes Kücük:
Die Mitarbeitenden, aber auch die Verwaltungsspitze, sollten Lust auf Zukunft und auf aktive Gestaltung ihrer Stadt haben.
Dienstleister wie IT oder der Personalbereich müssen und wollen sich dafür öffnen, neue Sachen auszuprobieren. Immer mehr Mitarbeitende fordern das aktiv ein und teilen uns ihre Ideen mit. Diesen Prozess fördern wir in der Verwaltung mit verschiedenen Projekten. Aber auch durch den Smart-City-Prozess erhalten wir neue Impulse für die Stadt und die Verwaltung. Die Lust auf Zukunft ist in Bochum jedenfalls schon sehr gut ausgeprägt.
Öffentlicher Dienst: Mehr als nur sichere Arbeit
Können Sie als öffentlicher Arbeitgeber noch mit der privaten Wirtschaft konkurrieren?
Philipp Schröder: Laut aktueller Studien schreiben junge Menschen einem öffentlichen Arbeitgeber vor allem Sicherheit zu. Das ist unser großer Vorteil. Die Folgen der Coronapandemie haben dies sicherlich noch verstärkt. Darüber hinaus ist bei uns Vieles möglich. Wir sind unter anderem bis zur letzten Nachkommastelle teilzeitfähig, haben vielfältige Angebote im Gesundheitsmanagement und umfassende Maßnahmen, die unsere Attraktivität fördern. In diesen Punkten müssen wir uns gegenüber wenigen Arbeitgebern verstecken.
Wir suchen nicht unbedingt nach Menschen, die rund um die Uhr arbeiten wollen. Da setzen wir einen anderen Fokus.
Für uns zählt, dass wir die Stellen besetzen, die wir besetzen wollen, und zwar mit Menschen, die unsere Anforderungen erfüllen. Dafür müssen wir digital gut aufgestellt sein und uns durch Personalmarketing und Recruiting sichtbar machen.
Denes Kücük: Für zwei Stellenausschreibungen im Bereich Smart City hatten wir über 120 Bewerbungen, von denen wir 15 Bewerbende zum Vorstellungsgespräch einluden. Aus dieser starken Auswahl hätten wir fast alle gerne genommen, am Ende mussten wir uns für die Besten entscheiden. Auch als öffentlicher Arbeitgeber können wir also sehr attraktiv sein. Unsere neue Dienstvereinbarung erlaubt bis zu achtzig Prozent Remote Work und Homeoffice, in der aktuellen pandemischen Lage natürlich auch 100 Prozent. Mittlerweile setzen wir fast vollständig auf mobile Geräte und bieten den Mitarbeitenden ein modernes Tool-Set an. Mit einer Whiteboard-Software können sie Workshops veranstalten, sie können verschiedene Software für Videokonferenzen und für Remote Work nutzen. Wir bieten nicht nur die Sicherheit des öffentlichen Dienstes, sondern auch flexible, digitale und sinnstiftende Arbeit.
Wie profitieren Bürgerinnen und Bürger vom Smart City Prozess?
Denes Kücük: Bei der Entwicklung unserer digitalen Dienstleistungen nehmen wir die Nutzerinnen und Nutzer in den Fokus. In dem User-zentrierten Internetauftritt bochum.de können sie schnell und einfach Informationen zu Dienstleistungen und Angeboten finden, beispielsweise zu Corona-Regelungen oder zum Parkausweis. Die Website wirkt weniger wie Stadtmarketing und stellt eher die Dienstleistungen in den Mittelpunkt. Das entlastet am Ende unsere Bürgerservices, die gute Terminzeiten anbieten und schnelle Durchlaufzeiten haben. Um die Bevölkerung niederschwellig für digitale Angebote zu interessieren und sie auf dem Weg zu mehr Digitalisierung zu befähigen, planen wir derzeit das Haus des Wissens. In einem alten Gebäude, welches komplett umgebaut wird, finden künftig die Bibliothek und die Volkshochschule ein neues Zuhause. In diesem digital und modular konzipierten Haus lassen sich die Räume je nach Bedürfnissen verändern, zum Beispiel für die Produktion von Podcasts oder Videoformaten.
Mit der digitalen Transformation kommen immer neue Herausforderungen. Worauf bereiten Sie sich in Zukunft vor?
Denes Kücük: Die Geschwindigkeit der digitalen Entwicklung nimmt zu. Und wir müssen ehrlich sein, wir brauchen uns im öffentlichen Dienst nicht als absolute Frontrunner der Digitalisierung sehen. Dafür ist unser Auftrag zu verwaltend und durch Gesetze festgelegt.
Die Arbeit unserer Mitarbeitenden verändert sich immer schneller und häufiger. Sie können sich etwa nicht darauf verlassen, dass sie zehn Jahre mit der gleichen Software verbringen.
Im laufenden Betrieb kommen ständig neue Funktionen dazu oder fallen weg. Auf so etwas müssen Organisation und Mitarbeitende reagieren. Gleichzeitig wollen wir Services und Prozesse digital abbilden und in Teilen auch neu denken.
Philipp Schröder: Der Personalbereich wird verstärkt mit People Analytics und Künstlicher Intelligenz umgehen müssen. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen zum Datenschutz gilt es mit den Möglichkeiten von Big Data zusammenzubringen. Den Widerspruch zwischen der DSGVO, der damit verbundenen Datensparsamkeit und der Nutzung großer Datenmengen im Personalbereich können wir als öffentliche Verwaltung nur schwer auflösen. Über dieses Problem werden wir aber vermutlich in zehn Jahren noch diskutieren.
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