Personalgewinnung: Neue Wege im öffentlichen Dienst

Die Personalgewinnung im öffentlichen Sektor verläuft noch zu stark auf ausgetretenen Pfaden. Es wird höchste Zeit für Neues: Echte Zielgruppenorientierung und die Arbeit mit Personas sind gefragt, meint Gastautor Stefan Döring. Und warum nicht auf Mundpropaganda der MitarbeiterInnen setzen?

Fachkräftemangel ist real

Haben Sie Fachkräftemangel? Diese Frage stelle ich auf vielen meiner Vorträge und Workshops zu Personalgewinnung und Employer Branding. 90 Prozent der Teilnehmenden bejahen diese Frage – mit steigender Tendenz. Kein Wunder, fehlt es doch deutschlandweit auf Kommunal-, Landes- und Bundesebene an Lehrkräften, Erziehungs- und Pflegepersonal, Ärzten und Verwaltungskräften. Auch Stellen für Schulhausmeister oder für die Lebensmittelkontrolle bleiben unbesetzt. Die Aufzählung könnte ich endlos fortführen.

Ich halte dennoch dagegen: So schlimm kann es nicht sein! Denn sonst würde man doch längst neue Wege in der Personalgewinnung einschlagen. Hier folgen meine vier Tipps, wie das aussehen kann.

Neue Zielgruppen fürs Personalmarketing

Wenn wir ehrlich sind, stellen sich Führungskräfte und Personalabteilungen zu wenig die Frage: Wer kann den Job (noch)? Die Leitung der Fachabteilung mit Studienrichtung Germanistik sucht – natürlich – einen Germanisten. Wenn die Stelle seit zig Jahren von Verwaltungskräften besetzt war, sucht man wieder eine. Warum können nur Prädikats-Juristen Führung und höheren Dienst? Quereinsteigern wird immer noch viel zu selten eine Chance gegeben. Eine vertane Chance.

In vielen Berufen gibt es durchaus eine Alternative. Dafür bedarf es der gründlichen Analyse, worauf es auf der Stelle wirklich ankommt. Dann eröffnen sich ganz neue Zielgruppen.

In vielen Berufen gibt es durchaus eine Alternative. Dafür bedarf es der gründlichen Analyse, worauf es auf der Stelle wirklich ankommt. Dann eröffnen sich ganz neue Zielgruppen. Nicht wenige Bürgermeister oder Geschäftsleiter setzen bereits auf Anwaltsgehilfen in der Kommune, weil es an Fachkräften im mittleren Verwaltungsdienst mangelt. Und sie sind hochzufrieden. Auch eine Ausbildung eines Seiteneinsteigers mit 45 Jahren bedeutet noch über 20 Jahre Leistung im neuen Beruf, und das mit wertvoller Berufserfahrung.

Anforderungen herunterschrauben

Neben der Umorientierung auf andere Zielgruppen bedeutet Fachkräftemangel auch, die Anforderungen herunterzuschrauben. Aber in den Stellenanzeigen wird ein Studium vorausgesetzt, wo Erfahrung reichen würde. Gefordert wird jahrelange Erfahrung, wo ein Berufseinsteiger sich einarbeiten kann.

Frau sitzt vorm Computer und wartet

Ich bin immer wieder überrascht, wenn ich dieselbe Stellenanzeige das zweite, dritte oder auch fünfte Mal sehe – und jedes Mal mit einer Aufzählung von 10, 15 oder 20 Anforderungen. Wenn ich dann nachfrage, heißt es oft: „Kandidaten müssen nicht alles mitbringen. Wir wollten nur man sehen, was der Markt hergibt.“ Das weiß aber der Kandidat nicht. Effektiver kann man seine Stellenanzeige kaum im Bewerbermarkt verbrennen.

Was ist wirklich, wirklich wichtig für die Position? Reichen da nicht auch zwei oder drei Anforderungen? Den Rest kann man schulen. Und schon trauen sich Kandidaten, sich zu bewerben. Es bedarf mehr Mut, etwas auszuprobieren, um im Fachkräftemangel zu bestehen.

Was ist wirklich, wirklich wichtig für die Position? Reichen da nicht auch zwei oder drei Anforderungen? Den Rest kann man schulen.

Natürlich gibt es auch die Berufe, bei denen man wenig Spielraum hat. Dann lohnt der Blick ins Ausland. Arbeitgeber, die die Anerkennung ausländischer Abschlüsse rasch und unkompliziert selber übernehmen, anstatt auf die Einreichung der Unterlagen von Bewerberseite zu warten, werden hier die Nase vorn haben.

Das bessere Angebot machen

Ist der Kopf frei für alternative Wege, geht es in die Analysephase. Nicht selten erleben meine Kunden in Behörden und Ämtern einen Schock, wenn ich ihnen zeige, dass die bisher beworbene, ach so besondere Arbeitgeberleistung alle anderen auch bieten. Oder noch schlimmer: Die Konkurrenz bietet deutlich mehr. Bevor jetzt wild neue Attraktivitätsfaktoren „geschnitzt“ werden, lohnt sich ein Blick auf die Zielgruppe. Was sind das für Menschen und in welcher Lebenssituation befinden sie sich?

Wir müssen weg von der Massen-Stellenanzeige, die niemanden mehr hinter dem Ofen hervorlockt. Es zählt das passgenaue Angebot.

Die Personamethode eignet sich sehr gut, ein Bewusstsein für diese Fragen zu schaffen. Plätze im Betriebskindergarten sind gut, aber vielleicht noch nicht für Berufseinsteiger und nicht mehr so dringend für die Zielgruppe über 50. Homeoffice mag auch nicht jeder, und die tollen Karrieremöglichkeiten sind nur für die interessant, die Karriere machen wollen. Das Ergebnis einer Analyse von Zielgruppe und deren Lebenssituation sind also punktgenaue Angebote, die für die gesuchten Kandidaten attraktiv sind und nicht für potenziell alle. Wir müssen weg von der Massen-Stellenanzeige, die niemanden mehr hinter dem Ofen hervorlockt. Es zählt das passgenaue Angebot.

Individuelle Ansprache

Auf Stellenbörsen sind die unterwegs, die einen neuen Job suchen. Das ist gut, aber in Zeiten der steigenden Konkurrenz um die wenigen Fachkräfte ist das zu wenig. Mit der Personamethode ergeben sich auch Antworten auf die Frage: Wo informieren Sie sich meine Zielgruppen? So können potenzielle Kandidaten individuell angesprochen werden – auch wenn diese noch gar nicht darüber nachgedacht haben, sich beruflich umzuorientieren.

Quietscheentchen im Regal

Das ist nicht neu, sondern Standard in der Werbung. So verfolgen uns Produkte oder Dienstleistungen, über die wir uns informiert haben, oft wochenlang im Internet. Und plötzlich konfigurieren wir ein neues Auto, obwohl wir gestern mit dem alten noch ganz zufrieden waren. Individualisierte Werbung funktioniert so gut, dass die Personalgewinnung hier schnell lernen sollte. Jedenfalls hat das ineffektive und teure Schalten von Anzeigen auf den immer selben Portalen – vollkommen unabhängig von der gesuchten Fachlichkeit – hoffentlich bald ein Ende. Die Zielgruppe definiert den Ausschreibungskanal! Und das muss längst nicht mehr eine Stellenanzeige auf einem Jobportal bedeuten.

Denn dann werden ganz neue Kanäle interessant: Werbung im Internet mit sogenannten Ads, einen Stand nicht nur auf Karriere-, sondern auch auf Fachmessen, das Verteilen von Flyern vor den Werkstoren der Konkurrenz, Plakatwände, Fachzeitschriften, Werbung in den sozialen Medien. Haben Sie schon mal über eine Job-Annonce bei Ebay-Kleinanzeigen nachgedacht? Je nach Zielgruppe individuelle Kanäle zu nutzen, ist deutlich effektiver, als die Stellenanzeige unter Tausenden anderen auf einem Jobportal zu verstecken.

Genaue Kenntnis der Zielgruppe für erfolgreiches Recruiting

Das bedarf der genauen Kenntnis der Zielgruppe. Der Personalsachbearbeiter ist dann nicht mehr für Abteilung 1, Team A zuständig, sondern für IT, Erziehungspersonal oder Verwaltung. Inzwischen gibt es auch Dienstleister, die nicht eine Summe x für das Schalten einer Anzeige nehmen, sondern sich für Klicks der vorab definierten Zielgruppe auf die Stellenanzeige (pay per klick) oder sogar pro Bewerber (pay per application) bezahlen lassen.

Personalgewinnung wird sozial

Die individuellste Art der Personalgewinnung ist die Empfehlung im Freundes- und Familienkreis. Mitarbeiter werben Mitarbeiter ist hoch effektiv, denn Basis der Empfehlung ist Vertrauen. Wer würde schon guten Gewissens einen Arbeitgeber (aber auch einen Handwerker oder Arzt) einem Familienmitglied oder einem Freund empfehlen, von dem man selber nicht überzeugt ist? Eben!

Dennoch melden mir viele Organisationen, die dies bereits nutzen, ernüchternde Erfahrungen mit solchen Programmen. Das hat in der Regel drei Gründe:

Zum einen ist der Arbeitgeber doch nicht ganz so attraktiv, dass er weiterempfohlen wird. Eine sehr wichtige Erkenntnis, um erfolgreich zu rekrutieren. Messen Sie also zunächst die Weiterempfehlungsbereitschaft in Ihrer Organisation und gehen Sie bei schlechtem Abschneiden im Rahmen des Employer Branding auf die Suche nach den Ursachen.

Zweitens mangelt es oft an interner Kommunikation. Viele Beschäftigte wissen gar nicht, welches Personal aktuell gesucht wird und welche Stelle zu besetzen ist. So kann das nicht funktionieren.

Jede Organisation kann sich eigentlich glücklich schätzen, wenn Mitarbeiter von sich aus beginnen, den eigenen Arbeitgeber im Netz zu vermarkten und offene Stellen zu bewerben. Wenn diese Kollegen dann noch Reichweite haben, nennt man sie Markenbotschafter. Das ist aber – drittens – in vielen Behörden verboten: Kommunikation liegt ausschließlich in den Händen der Pressesprecher! Es wäre ja noch schöner, wenn jeder und jede so einfach über ihre Arbeit berichten! Eine verpasste Chance, schade.

Jede Organisation kann sich glücklich schätzen, wenn Mitarbeiter von sich aus den eigenen Arbeitgeber im Netz zu vermarkten und offene Stellen zu bewerben. Das ist aber in vielen Behörden verboten. Eine verpasste Chance, schade.

Ein großer Fan von bezahlten Mitarbeiter-Empfehlungen bin ich nicht. Ich bezweifle, dass jemand eine bezahlte Empfehlung ausspricht, wenn er diese nicht auch intrinsisch motiviert machen würde. Dennoch ist es ein nettes Dankeschön, wenn die Behördenleitung die neuen Kollegen und die Werbenden besonders würdigt. Das geht auch ohne Prämie.

Zu der Rubrik „soziales Recruiting“ zählt übrigens auch die Rückbesinnung auf ehemalige Kollegen. Eine Wiedereinstellung passiert noch zu selten und ist dann noch zu oft dem Zufall geschuldet. Die Rekrutierung ganzer Teams gehört ebenfalls in diese Kategorie. Nicht ganz so persönlich, so ist das Active Sourcing, also die Suche und Direktansprache geeigneter Kandidaten, auch eine soziale Komponente der Personalgewinnung. Diesem Thema widme ich mich in einem weiteren Beitrag. Bleiben Sie neugierig!


Schlagworte zum Thema:  Recruiting, Employer Branding, Personalmarketing