Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten beim Entgelt

Das BAG hat den EuGH zu einer Regelung in einem Manteltarifvertrag befragt, nach der teilzeitbeschäftigte Pflegekräfte für geleistete Überstunden erst bei einer Überschreitung der Arbeitszeit von Vollzeitkräften einen Zuschlag erhalten. Der EuGH erkannte eine mögliche Diskriminierung.

Der EuGH hatte zuletzt bereits auf Vorlage des Bundesarbeitsgerichts (BAG) entschieden, dass teilzeitbeschäftigte Piloten bei der Zahlung einer tariflichen Mehrflugstundenvergütung nicht schlechter behandelt werden dürfen. Auch vor der Entscheidung, ob einer in der Pflege teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmerin eine Zeitgutschrift auf ihrem Arbeitszeitkonto sowie die Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG zusteht, befragte das BAG zunächst den EuGH. Die Beschäftigte hatte geltend gemacht, dass Überstundenzuschläge bereits bei Überschreitung ihrer arbeitsvertraglichen Arbeitszeit anfallen müssten und nicht erst bei der Überschreitung der Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten.

Der Fall: Teilzeitkraft macht Diskriminierung geltend 

Eine Arbeitnehmerin ist für ihren Arbeitgeber, einen bundesweit tätigen ambulanten Dialyseanbieter, als Pflegekraft in Teilzeit mit einer Arbeitszeit von 40 Prozent der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit einer Vollzeitkraft beschäftigt. Nach dem für das Arbeitsverhältnis geltenden Manteltarifvertrag (MTV) sind solche Überstunden mit einem Zuschlag von 30 Prozent zuschlagspflichtig, die über die kalendermonatliche Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers hinaus geleistet werden und im jeweiligen Kalendermonat der Arbeitsleistung nicht durch Freizeitgewährung ausgeglichen werden können. Alternativ zu einer Auszahlung des Zuschlags ist eine Honorierung durch entsprechende Zeitgutschriften im Arbeitszeitkonto vorgesehen.

Mehrarbeit gleich Überstunden?

Das Arbeitszeitkonto der Pflegekraft wies Ende März 2018 ein Arbeitszeitguthaben von 129 Stunden und 24 Minuten aus. Hierbei handelt es sich um die von der Pflegekraft über die arbeitsvertraglich vereinbarte Arbeitszeit hinaus geleisteten Stunden. Der Arbeitgeber hat der Arbeitnehmerin für diese Stunden weder Überstundenzuschläge gezahlt, noch hat er in ihrem Arbeitszeitkonto eine den Zuschlägen entsprechende Zeitgutschrift vorgenommen.

Die Pflegekraft verklagte ihren Arbeitgeber daraufhin und forderte eine den Zuschlägen entsprechende Zeitgutschrift in ihrem Arbeitszeitkonto von 38 Stunden und 49 Minuten sowie die Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG. Sie vertrat dabei die Auffassung, sie werde durch die Anwendung der tarifvertraglichen Regelung in unzulässiger Weise als Teilzeitbeschäftigte gegenüber Vollzeitbeschäftigten benachteiligt. Zugleich werde sie als Teilzeitbeschäftigte mittelbar wegen des Geschlechts benachteiligt, denn der Arbeitgeber beschäftige überwiegend Frauen in Teilzeit.

BAG legt dem EuGH-Fragen zur Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten vor

Das Arbeitsgericht hatte die Klage der Pflegekraft in erster Instanz abgewiesen. Das zuständige Landesarbeitsgericht hatte in der nächsten Instanz den Arbeitgeber verurteilt, dem Arbeitszeitkonto der Arbeitnehmerin die geforderten Stunden gutzuschreiben. Die Berufung hinsichtlich einer Entschädigung nach dem AGG hat es zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgte die Beschäftigte ihr Begehren auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG weiter. Der Arbeitgeber beantragte die Zurückweisung der Revision und im Wege der Anschlussrevision die Abweisung des Anspruchs auf die Zeitgutschrift. Der Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts sah sich nicht imstande, den Fall unmittelbar zu entscheiden, und ersuchte den EuGH, vorab entscheidungserhebliche Fragen zur Auslegung europäischen Rechts zu beantworten.

Entscheidung aus Luxemburg

Der Europäische Gerichtshof stellte in seinem Urteil fest, dass eine tarifvertragliche Regelung, die eine Zahlung von Überstundenzuschlägen an Teilzeitbeschäftigte nur für Arbeitsstunden vorsieht, die über die regelmäßige Arbeitszeit von vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmenden hinaus geleistet werden, Teilzeitbeschäftigte benachteiligt.

Wenn erwiesen sei, dass diese Regelung einen signifikant höheren Anteil Frauen als Männer benachteilige, stelle dies eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts dar. Dafür müsse die Gruppe der durch diese Regelung nicht benachteiligten Arbeitnehmer – die Vollzeitbeschäftigten –auch nicht gleichzeitig aus erheblich mehr Männern als Frauen bestehen, verdeutlichte der Gerichtshof.

Eine solche Diskriminierung könne auch nicht dadurch gerechtfertigt werden, dass auf der einen Seite das Ziel verfolgt werde, den Arbeitgeber davon abzuhalten, für Arbeitnehmende Überstunden anzuordnen, die über die individuell in ihren Arbeitsverträgen vereinbarte Arbeitszeit hinausgehen, und auf der anderen Seite das Ziel, zu verhindern, dass Vollzeitbeschäftigte gegenüber Teilzeitbeschäftigten schlechter behandelt werden.
 

Wie geht es weiter? Das BAG hat nun eine abschließende Entscheidung unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des EuGH zu treffen.

Hinweis: EuGH, Urteil vom 29.Juli 2024, Az. C-184/22 und 185/22, KfH Kuratorium für Dialyse und Nierentransplantation e.V; Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 28. Oktober 2021, Az. 8 AZR 370/20 (A) 


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