AGG: Wann Übergewichte nach EU-Recht diskriminiert werden

Nicht selten streiten sich die Parteien vor dem Arbeitsgericht, ob Arbeitgeber übergewichtige Mitarbeiter aufgrund ihrer Statur benachteiligen. Nun beschäftigt sich auch der EuGH damit – und entscheidet demnächst, wann eine Diskriminierung wegen Übergewichts gegen EU-Recht verstößt.

In Deutschland musste zuletzt beispielsweise das Arbeitsgericht Darmstadt entscheiden, ob ein gemeinnütziger Verein aus dem Gesundheitsbereich eine Bewerberin wegen angeblichen Übergewichts ablehnen durfte. Die Entschädigungsklage der abgewiesenen Kandidatin scheiterte. Zu Recht, sagte etwa die Arbeitsrechtlerin Dr. Alexandra Henkel im Interview mit der Haufe Online-Redaktion: "Eine Entschädigungs- und Schadensersatzpflicht aufgrund Diskriminierung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, dem AGG, erfordert die Benachteiligung wegen eines im AGG aufgezählten Merkmals." Das Gericht begründete das Urteil gerade damit, dass die Bewerberin tatsächlich nicht so übergewichtig sei, dass eine Behinderung im Sinne des AGG in Betracht käme.

EuGH: Verbietet EU-Recht Diskriminierung wegen Adipositas?

Im aktuellen Fall fragt ein dänisches Gericht beim EuGH an, ob Adipositas, also Fettleibigkeit, unter den Begriff der Behinderung in der EU-Richtlinie zur Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf fällt. Darüber hinaus sollen die Luxemburger Richter klarstellen, ob das Unionsrecht, insbesondere der EU-Vertrag und die Charta, ein eigenständiges Verbot von Diskriminierungen wegen Adipositas enthält.

In den Schlussanträgen bezog nun der zuständige Generalanwalt Niilo Jääskinen dazu Stellung. Zwar sind diese Ausführungen für den Gerichtshof nicht bindend, sie fließen jedoch in die gegenwärtigen Beratungen der Richter ein. Denn die Aufgabe des Generalanwalts ist es, dem Gerichtshof in Unabhängigkeit einen Entscheidungsvorschlag für die betreffende Rechtssache zu unterbreiten.

Behinderung, aber kein allgemeiner Grundsatz

Die Antworten von Jääskinen auf die beiden Fragen aus Dänemark: Es gebe keinen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts, der Diskriminierungen wegen Adipositas untersagt, so die Einschätzung des Generalanwalts. Denn alle Rechtsakte der EU, die benachteiligendes Verhalten verbieten, bezögen sich auf bestimmte Diskriminierungsgründe in bestimmten Sachgebieten, die keinen generellen Ausschluss jeder diskriminierenden Behandlung vorsehen.

Jedoch könne morbide Adipositas unter den Begriff "Behinderung" fallen, meint Jääskinen. Vorausgesetzt, sie sei so gravierend, dass sie ein Hindernis für die gleichberechtigte Teilhabe am Berufsleben darstelle. Nach Auffassung des Generalanwalts könne nur eine schwere, extreme oder morbide Adipositas, also ein BMI von über 40, zu Problemen bei Mobilität, Belastbarkeit und Stimmung führen. Diese Einschränkungen stellten eine Behinderung im Sinne der Richtlinie dar.

Tagesvater hofft auf Schadenersatz

Im konkreten Sachverhalt hatte ein Tagesvater 15 Jahre lang für die dänische Gemeinde Billund in deren Heim fremde Kinder betreut. Im November 2010 wurde seine Beschäftigung beendet. Die Kündigung begründete die Gemeinde damit, dass die Anzahl der zu betreuenden Kinder rückläufig sei. Weshalb jedoch gerade der entlassene Tagesvater gehen musste und nicht etwa ein anderer Mitarbeiter, blieb jedoch unklar.

Der Gekündigte klagte auf Schadenersatz, da nach seiner Ansicht die Entlassung auf einer rechtswidrigen Diskriminierung wegen seines Gewichts beruhe – was die Gemeinde jedoch bestreitet. In den gesamten 15 Jahren brachte der Tagesvater regelmäßig 160 Kilogramm oder mehr auf die Waage. Mit einem BMI von 54 war er daher als adipös einzustufen.

Ob der EuGH den gewichtigen Argumenten des Generalanwalts folgen wird und welche Auswirkungen sich daraus auf AGG-Ansprüche in Deutschland ergeben, wird sich letztlich erst nach der Entscheidung in den kommenden Monaten zeigen.


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