Knappe sieben Seiten Arbeitsrecht


Arbeitsrecht im Koalitionsvertrag: Knappe sieben Seiten

Nun ist es also so weit. Der Koalitionsvertrag steht, alle Parteien haben zugestimmt, die Minister werden ernannt. Unser Kolumnist Alexander R. Zumkeller hat die arbeitsrechtlichen Pläne der Ampelkoalition genau unter die Lupe genommen und findet, die neue Regierung verpasst einige Chancen für sinnvolle Weichenstellungen.

Eigentlich wollte ich nicht über den Koalitionsvertrag schreiben, über das, was uns erwartet – oder nicht erwartet. An diesem Nikolausabend tue ich das trotzdem – vielleicht sind die zwei Becher Glühwein schuld, die ich getrunken habe (coronagerecht natürlich zu Hause). Das stimmt mich an dem einen oder anderen Punkt etwas gnädiger …

Frei und selbstbestimmt

Und gnädige Stimmung ist vonnöten. "Mehr Fortschritt wagen. Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit" - ja, sofort wird klar: "Genau das ist auch mein Programm!" Das Vertragswerk ist immerhin stolze 177 Seiten lang. Und wie ist es um das Arbeitsrecht bestellt?

Die ersten Seiten stimmen hoffnungsvoll: "Deutschland wird nur auf der Höhe der Zeit agieren können, wenn wir … modernisieren. … Handeln schneller und effektiver machen …  umfassende Digitalisierung … das Leben für die Bürgerinnen und Bürger leichter machen". Gekrönt vom Kernsatz: "Jede und jeder soll das eigene Leben frei und selbstbestimmt gestalten können." Endlich!

Wir treffen – allerdings erst ab Seite 65 – auf das, was ich suche, nämlich das Arbeitsrecht. Mit Spannung lese ich und finde, was ich erhofft hatte: Nach ein paar Buzz-Wörtern folgt die Ankündigung, ein "modernes Arbeitsrecht, das Sicherheit und fair ausgehandelte Flexibilität ermöglicht" schaffen zu wollen. Modern! Ausgehandelt! Flexibilität! Also endlich: das Individuum im Vordergrund, die Verhandlungsmaxime im Privatrecht, und obendrein die Zurückverlagerung von Regelungskompetenzen auf Betriebsräte und Tarifpartner und damit mehr Rechtssicherheit und Passgenauigkeit! Das jedenfalls ist es, was ich nach diesen wohlfeilen Worten erwarte!

Zu umständlich

Richtig so: Unterstützung bei mehr Flexibilität im Arbeitszeitrecht. Aber halt, die Koalition will "Arbeitgeber und Gewerkschaften unterstützen" … nicht die Arbeitgeber und Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen? Nur die Gewerkschaften – nicht die Betriebsräte und die Beschäftigten? "Betriebsvereinbarungen auf Grund von Tarifverträgen …" heißt es dann. Also schon wieder Handlungsspielräume nur über Öffnungsklauseln und einen Transaktionsmarathon. Erst muss die Gewerkschaft überzeugt werden, dann der Betriebsrat. Meine Wette war eine andere. Ein Tarifvertrag müsste ausreichen (der Betriebsrat hat dann im Rahmen des § 87 BetrVG ohnehin über die Verteilung der Arbeitszeit mitzubestimmen). Je nach Lesart dieses Absatzes kann man das - die Hoffnung stirbt zuletzt - auch so verstehen…

Von der Realität überholt

Richtig so: Abgrenzung von Telearbeit zu Homeoffice. Aber ein Erörterungsanspruch über mobiles Arbeiten und Homeoffice? Wo sind wir gelandet? Zurück in der Ära der "GroKo"? Längst haben Unternehmen ihren Beschäftigten weitreichende Möglichkeiten und gar Ansprüche auf mobiles Arbeiten eingeräumt, vielfach durch freiwillige Betriebsvereinbarungen. Eines sollte klar sein: Wenn solch ein antiquiertes Instrument, wie es die SPD bereits in der GroKo umsetzen wollte, eingeführt werden sollte, dann muss es Bestandsschutz für alle bereits bestehenden Regelungen geben, dann müssen endlich auch die Problemfelder Datenschutz, Informationsschutz und Berufsgenossenschaftsschutz im Mobile Office vernünftig gelöst werden und dann sollten Steuern und Sozialversicherung auch für mobiles Arbeiten aus dem (zunächst vielleicht mal: europäischen) Ausland erhoben werden!!!

Mindestlohn entzieht den Tarifvertragsparteien Verhandlungsmasse

Richtig so: Stärkung des Tarifsystems. Das heißt für mich, Deregulierung der Gesetzeslandschaft, Freiräume für Sozial- und Betriebspartner schaffen, um branchenspezifische Lösungen zu finden und um die Mitgliedschaft in der Gewerkschaft und im Arbeitgeberverband attraktiv zu machen. Ein klein wenig – oder vielleicht sogar etwas mehr? -  befindet sich die Ampelkoalition hier indes auf Irrwegen: "Mindestlöhne zur Stärkung des Tarifsystems". Wie bitte? Gesetzliche Vorschriften, um die Verhandlungspositionen zu stärken? Wenn da die drei Parteien mal nicht einem großen Bären aufgesessen sind! Denn das Gegenteil ist der Fall – schon wieder wird hier den Tarifpartnern Verhandlungsmasse – und damit potentielle Mitglieder - entzogen.

Richtig so: Wirklich modern ist der hehre Ansatz, dass Betriebsparteien selbst entscheiden sollen, wie weit sie digital arbeiten möchten. Endlich, das war überfällig! Wir stehen vor Betriebsratswahlen im Zeichen von Corona. Nur mit Briefwahl wird das zum Fiasko – bits und bytes müssen hier unbedingt - und schleunigst! - zugelassen werden.

Weniger gelungen

Nun in die Schmuddelecke. Anderes ist nicht gut, aber war zu erwarten – wie die zeitliche Eingrenzung der Befristung. Immerhin: Der "Selbstbedienungsladen öffentlicher Dienst" soll abgeschafft werden – haushaltsbedingte Befristungen sollen hier nicht mehr möglich sein. Oder die Arbeitskräftemobilität – gemeint ist die Einschränkung der Arbeitnehmerüberlassung. Was wir hier bräuchten, wäre mehr Rechtssicherheit für konzernweite grenzüberschreitende Arbeitnehmerüberlassung. Zu lesen ist auch: "Wir erarbeiten einen Mobbing-Report". Schön und gut, aber dabei gilt es erst einmal, das Kunstwort "Mobbing" zu definieren – das im (englischsprachigen) Ausland übrigens niemand versteht, auch wenn es englisch (und damit modern) klingt!

Und hoppla, auf Seite 72 ist das Arbeitsrecht schon wieder zu Ende, nach gerade mal knappen sieben Seiten mit großem Zeilenabstand!

Möglichkeiten für die Tarif- und Betriebspartner schaffen

Gut daran ist, dass es nicht verboten ist, etwas in Angriff zu nehmen, was nicht im Koalitionsvertrag steht. Schlecht hingegen ist, dass mir genau diese Hoffnung nach langen Jahren der GroKo abhandengekommen ist. Alles, was nicht ausdrücklich im Koalitionsvertrag stand, wurde nicht angepackt mit eben dieser Begründung: "Wir haben es nicht vereinbart". Ich hoffe, das in den nächsten vier – oder acht? – Jahren nicht wieder erleben zu müssen. Dafür ist unsere Zeit zu schnelllebig. Also: Mut ist gefragt, Deregulierung, Stärkung der Individualvereinbarung und der Möglichkeiten für Tarif- und Betriebspartner – und damit die Ermöglichung passgenauer und rechtssicherer Lösungen!

Es ist ein wenig schade, welche Chancen die neue Koalition von Anfang an liegen lässt.

Demnächst an dieser Stelle

Die nächsten Ausgaben der Kolumne werden sich damit befassen, was ich eigentlich diesmal schreiben wollte: Brauchen wir ein "Neues Arbeitsrecht"? Ich werde mich mit der Frage befassen, ob gut klingende "Diversity & Inclusion" in Wahrheit nicht Diskriminierung bedeutet – und wie man dieser Falle gesetzgeberisch entgehen kann. Neue Arbeitsformen und dabei insbesondere "future skills" werden Thema sein – wird es "den" Arbeitsplatz und "die" Ausbildung noch geben oder müssen Beschäftigte nicht verpflichtet werden, sich dauerhaft fort- und weiterzubilden? Lässt sich "Künstliche Intelligenz" im Arbeitsrecht sinnvoll nutzen, sodass Beschäftigte und Arbeitgeber davon profitieren? Und die Themen Arbeitszeitmodernisierung und modernes Betriebsverfassungsrecht werden sicher auch dazu gehören!

Und wenn ich dann endlich nach der Legalize-It-Kampagne der Ampelregierung keinen Glühwein mehr brauche, sondern Cookies essen darf, vielleicht schon 2022, dann finde ich vielleicht auch alle Geschlechterförderprogramme gut. Denn ist die Änderung des Geschlechtseintrags im Standesamt erst einmal durch Selbstauskunft möglich, habe ich es selbst in der Hand, zu welchem Geschlecht ich gehöre und kann damit meine eigene Statistik zaubern. Hex Hex!


Unser Kolumnist Alexander R. Zumkeller, Präsident des Bundesverbands der Arbeitsrechtler in Unternehmen (BVAU) sowie Vorstand und Arbeitsdirektor bei ABB, blickt in seiner Kolumne aus der Unternehmenspraxis auf arbeitsrechtliche Themen und Trends.