Auch vor Gericht muss Lachen erlaubt sein


Auch vor Gericht muss Lachen erlaubt sein

In der Justiz menschelt es: Es wird gebrüllt, Schwäbisch geschwätzt und sogar gedichtet. Manchmal passiert auch Peinliches in der sonst so nüchternen Disziplin. Unser Kolumnist Alexander R. Zumkeller lässt 30 Jahre ehrenamtliche Richtertätigkeit Revue passieren.

Wie beruhigend. Ein einmaliges Lachen eines ehrenamtlichen Richters stellt keine grobe Pflichtverletzung dar. So befand das LAG Berlin (Beschluss vom 28. Dezember 2022, Az. 2 SHa-EhRi 7013/22). Der Antragstellerin genügte es nicht, dass sie im Hauptsacheverfahren mit einem Befangenheitsantrag durchgekommen war, sondern sie wollte gar noch die Amtsenthebung des lachenden ehrenamtlichen Richters. Ehrlich? Ich finde das hochnotpeinlich. Und zwar den Antrag als solchen …

Zähle ich die Jahre, die ich bereits an Arbeitsgerichten tätig bin, komme ich auf nahezu 40. Davon fast 30 als ehrenamtlicher Richter. Erlebt habe ich während dieser Zeit viel, aber nicht ein einziges Mal einen Befangenheitsantrag. Und noch weniger einen Antrag auf Amtsenthebung.

Fremdschämen im Gerichtssaal

Allerdings gab es durchaus Fälle zum Fremdschämen, auf allen Seiten. Ein Richter an einem Landesarbeitsgericht meinte einmal, einem Beklagtenvertreter vorhalten zu müssen: "Ihre Erziehung mag abgeschlossen sein, aber leider nicht erfolgreich". Staunen und Ruhe im Saal – und Rückkehr zu einer gedeihlichen weiteren Verhandlung (die, wenn mein Erinnerungsvermögen mich nicht täuscht, mit einem Vergleich endete).

Ein Richter am Bundesarbeitsgericht hatte den gegnerischen Anwalt nach einer Vergleichsmöglichkeit gefragt. Als dieser antwortete: "Ich habe das mit meiner Mandantin nicht abgesprochen",  brüllte er den Anwalt an (ja, es war lautes Brüllen): "Sie kommen zum höchsten deutschen Arbeitsgericht und trauen sich zu sagen, dass Sie keine Vergleichsmöglichkeiten ausgelotet haben? Wo glauben Sie, dass Sie sich befinden?" Allseits betretenes Schweigen, Unterbrechung der Verhandlung, der Anwalt telefonierte hektisch seine Mandantschaft an und ein ordentlicher Vergleich wurde abgeschlossen.

Nicht viel besser der Richter eines Arbeitsgerichts, der eine neue Prozessbevollmächtigte des DGB-Rechtsschutzes anschrie: "Wer sind Sie überhaupt? Sie haben sich bei mir nicht vorgestellt! Glauben Sie, ich lasse das durchgehen? Kommen Sie wieder, nachdem Sie sich bei mir vorgestellt haben!". Zum Fremdschämen.

Wie bei der Papstwahl

Aber auch die Anwaltschaft ist mitunter mehr als peinlich. "Frau Vorsitzende, ich lese Ihnen einmal § 19 Abs.1 BetrVG vor." Die Richterin: "Ich kenne die Vorschrift, ich habe sie in der Vorbereitung gelesen". Doch der Anwalt blieb unbeirrt: "Also ich lese jetzt § 19 Abs.1 vor". Die Richterin wies ihn erneut darauf hin, dass sie den Paragraphen kenne und dass die Kammer und sie selbst ihn in der Vorbereitung intensiv erörtert hätten. Doch der Anwalt war nicht von seinem Vorlesungsvorhaben abzubringen und setzte noch zwei weitere Male an, bis die Richterin – Chapeau, Haltung bewahrend! – endlich meinte, dass die Kammer auch gleich entscheiden könne, dass auf das Vorlesen verzichtet werde und eine weitere Verhandlung nicht erforderlich sei, womit die Sitzung geschlossen war (die Anträge waren zu Beginn verlesen worden).

Immer wieder interessant auch das Auftreten von Übersetzern, seien sie noch so oft vereidigt. Italienisch gehört nicht zu meinen Stärken, ein wenig bekomme ich vielleicht mit und das war auch genug, um zu bemerken, dass der Übersetzer etwas vollständig anderes übersetzte, als von den Parteien oder dem Gericht gesagt wurde. Womit der Übersetzer allerdings nicht rechnete: der Vorsitzende Richter fing plötzlich in fließendem Italienisch an, den Übersetzer – höflich gesagt "in die Schranken zu verweisen", vulgo "zur Sau zu machen". Der Kläger hat nicht schlecht gestaunt.

Ein Arbeitsrichter beeindruckte damit, einen Vergleich zu diktieren, vorzuspielen und nach seiner Genehmigung zu fragen, obgleich die Parteien eigentlich weit entfernt von einer Einigung waren (dann waren sie das aber plötzlich nicht mehr, denn der Aufforderung des Richters konnte man nur schlecht widerstehen). Ähnlich resolut ein Vorsitzender, der die Parteien, die sich in geraumer Zeit nicht verständigen konnten, in das hinter dem Richter befindliche Zimmer beorderte mit den Worten "Wie bei der Papstwahl: Sie kommen erst raus, wenn weißer Rauch aufsteigt!" – und das Hinterzimmer hatte keinen anderen Ausgang als zum Richtertisch. Alles der Sache durchaus dienlich, objektiv und im Nachhinein betrachtet auch den Parteien.

Schwäbisch gschwätzt

Auch ich selbst war schon "Opfer" – oder Täter? Eine Verhandlung in Stuttgart, ganz normal, alle Parteien kannten sich gut – Vorsitzende (Ur-Schwäbin), DGB-Rechtsschutz-Vertreterin (Urschwäbin) und ich. Wir verhandeln, ich führe aus … Stille. Gefühlt eine Ewigkeit, in der Realität wohl nur fünf Sekunden. Beide sehen sich an – und lachen laut. Ich wusste nicht, was geschehen war, bis die Vorsitzende sich ein Herz nahm und auflöste: "Mensch, Sie schwätze ja au schwäbisch" – in der Tat war ich von Hochdeutsch (oder das, was ich dafür halte) unbewusst ins Schwäbisch verfallen …

Es menschelt. Vor Gericht (und hinter Gericht). Und das ist gut so. Und bevor mit standesrechtlichen Maßnahmen, Befangenheitsanträgen (im Übrigen: spätestens nach einem Befangenheitsantrag ist der Richter oder die Richterin befangen!) oder gar Amtsenthebungsanträgen agiert wird, sollte man sich schon fragen, ob man wirklich mittelaltergleich meint, das Zentrum des Universums zu sein oder ob es auch anders geht. Mit Menschenverstand zum Beispiel und mit dreimal tief Durchatmen. Im besten Fall kann man vielleicht einfach mitlachen.

Poesie am Gericht

Denn sonst blieben uns auch so wunderbare Eskapaden mancher Richtender verborgen, ich nenne nur das Stichwort "Richter als Dichter". Ich meine nicht E. T. A. Hoffmann, Kafka oder Goethe, ich meine, nur beispielsweise, das Amtsgericht Darmstadt, Beschluss vom 4. Mai 2011: "Der Angeklagte macht Verdruss, weil er nicht kommt, doch kommen muss. Und weil er heut ist nicht gekommen, wird in U-Haft er genommen". Oder das ArbG Detmold, Urteil vom 13. August 2007, Az. 3 Ca 842/07 endend mit: "Er hat – um auf den Punkt zu kommen – insoweit etwas wahrgenommen, was der, der die Gesetze kennt, "berechtigtes Interesse" nennt".

Nicht weniger kreativ das Landgericht Frankfurt vom 17. Februar 1982, Az. 2/22 O 495/81: "Denn der Beklagte konnte dem Schreiben entnehmen, er müsse sich endlich zur Zahlung bequemen, der Kläger sei – nach so langer Zeit – zu weiterem Warten nicht mehr bereit." Auch das Amtsgericht Höxter wusste den entscheidungserheblichen Sachverhalt reimend zu benennen: "Im Auto tat es duften wie in der ­De­s­tille, die Blut­probe ergab 1,11 Pro­mille"

Leider gibt es zu Anwälten, Prozessvertretern und dergleichen kein so nettes jeux des mots wie "Richter oder riecht er?". Sei's drum, Humor ist, wenn man trotzdem lacht und Größe ist, wenn man seinen Gram auch einmal in die Ecke stellen kann. In diesem Sinne bitte ich um allseits mehr Toleranz, auch und gerade im Gerichtssaal. Denn wir sind alle nur Menschen.


Unser Kolumnist Alexander R. Zumkeller, Präsident des Bundesverbands der Arbeitsrechtler in Unternehmen (BVAU), sowie Vorstand und Arbeitsdirektor bei ABB, blickt in seiner Kolumne aus der Unternehmenspraxis auf arbeitsrechtliche Themen und Trends.

Schlagworte zum Thema:  Arbeitsrecht, Urteil, Arbeitsgericht, Richter