Bundeskabinett beschließt Hinweisgeberschutzgesetz

Bereits zum 17. Dezember 2021 hätte die EU-Hinweisgeberschutzrichtlinie umgesetzt sein müssen. Gegen die Bundesrepubik läuft deswegen bereits ein Vertragsstrafenverfahren der EU. Nun hat das Bundeskabinett am 27. Juli 2022 den Regierungsentwurf für ein neues Hinweisgeberschutzgesetz beschlossen. Was damit auf die Unternehmen zukommt und wo der Gesetzgeber im Gesetzgebungsverfahren noch nachbessern kann,  beleuchtet Rechtsanwalt Dr. Philipp Byers.

Haufe Online-Redaktion: Die Bundesregierung hat am 27. Juli 2022 den Entwurf des neuen Hinweisgeberschutzgesetzes beschlossen, der demnächst vom Bundestag verabschiedet werden soll. Was bringt das neue Gesetz?

Philipp Byers: Das Hinweisgeberschutzgesetz setzt zunächst einmal EU-Recht um, was überfällig ist. Die EU-Whistleblower-Richtlinie hätte eigentlich schon zum 17. Dezember 2021 umgesetzt werden müssen, sodass die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet hat. Durch den Gesetzesentwurf wird nun hoffentlich diese Hängepartie zeitnah beendet werden können. Erklärtes Ziel des Hinweisgeberschutzgesetzes ist es, den Schutz von Whistleblowern zu stärken. Dieses gesetzgeberische Ziel ist zunächst uneingeschränkt zu begrüßen. Oftmals können nur durch Hinweisgeber Rechtsverstöße aufgedeckt werden, sodass ein Hinweisgebersystem ein wichtiger Bestandteil eines Compliance-Management-Systems vieler Unternehmen ist. Ein Hinweisgebersystem kann in der Praxis aber nur funktionieren, wenn der Hinweisgeber ausreichend vor unberechtigten Repressalien geschützt ist.

Hinweisgeberschutzgesetz: Missbrauch nicht ausgeschlossen

Haufe Online-Redaktion: Ist der Schutz, den das Gesetz Hinweisgebern bietet, ausreichend oder gibt es Lücken?

Byers: Das Hinweisgeberschutzgesetz schafft weitgehenden Schutz, da es Repressalien und Vergeltungsmaßnahmen gegen den Whistleblower verbietet. Wird ein Hinweisgeber im Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit "benachteiligt", wird vermutet, dass diese Benachteiligung eine Repressalie aufgrund seiner Meldung darstellt. Es greift damit eine Beweislastumkehr zu Gunsten des Whistleblowers.  Dem Unternehmen drohen Schadenersatzansprüche, sofern es nicht nachweisen kann, dass die nachteilige Maßnahme unabhängig von der Meldung des Hinweisgebers erfolgt ist.

Zu Repressalien zählen ungerechtfertigte Nachteile wie Kündigung, Abmahnung, Auslaufen eines befristeten Arbeitsverhältnisses oder eine verwehrte Beförderung. Der Whistleblower kann sich bereits auf den Benachteiligungsschutz berufen, wenn er zum Zeitpunkt der Meldung hinreichend Grund zur Annahme hatte, dass die gemeldete Information der Wahrheit entspricht und Verstöße betreffen, die unter den Anwendungsbereich des Hinweisgeberschutzgesetzes fallen. Der Gesetzesentwurf verwendet hier unbestimmte Rechtsbegriffe, die einen Missbrauch der Meldung nicht wirksam ausschließen. Stattdessen wäre eine ausdrückliche gesetzliche Regelung sinnvoll, wonach der Benachteiligungsschutz in Fällen entfällt, bei denen der Hinweisgeber eine falsche Meldung aus Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit abgibt. Andernfalls lässt sich gerade in "konfliktbeladenen" Arbeitsverhältnissen ein Missbrauch des Hinweisgeberschutzgesetzes nicht ausschließen. Das Hinweisgeberschutzgesetz mit seiner Beweislastumkehr darf nicht zu einer "standardmäßigen Waffe" des Mitarbeiters in arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen mutieren.

Der Gesetzesentwurf verwendet hier unbestimmte Rechtsbegriffe, die einen Missbrauch der Meldung nicht wirksam ausschließen. Stattdessen wäre eine ausdrückliche gesetzliche Regelung sinnvoll, wonach der Benachteiligungsschutz in Fällen entfällt, bei denen der Hinweisgeber eine falsche Meldung aus Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit abgibt. - Philipp Byers

Haufe Online-Redaktion: Nach dem Regierungsentwurf besteht keine Verpflichtung, interne und externe Meldekanäle so zu gestalten, dass sie die Abgabe anonymer Meldungen ermöglichen. Wäre die Möglichkeit, anonyme Hinweise geben zu können, nicht eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg eines Meldesystems?

Byers: Es stellt in der Tat einen zentralen Schwachpunkt des Gesetzesentwurfs dar, dass keine Verpflichtung besteht, die Abgabe anonymer Meldungen zu ermöglichen. Im vorherigen Referentenentwurf war sogar vorgesehen, dass anonyme Meldungen explizit ausgeschlossen sein sollten. Diesem Vorschlag ist der Regierungsentwurf glücklicherweise nicht gefolgt, sondern die Abgabe anonymer Meldungen ist grundsätzlich möglich. Allerdings darf die "vorrangige Bearbeitung namentlicher Meldungen" dadurch nicht gefährdet werden. Auch besteht für Unternehmen keine Verpflichtung, anonymen Meldungen nachzugehen. Eine solche Regelung ist absolut unzureichend. Gerade für ein wirkungsvolles Hinweisgebersystem ist die Schaffung anonymer Meldemöglichkeiten sehr wichtig. Dadurch wird die Hemmschwelle zur Abgabe einer Meldung so gering wie möglich gehalten. Um ein wirkungsvolles Hinweisgebersystem zu gewährleisten, sollte der Gesetzgeber nachbessern und die Einrichtung eines anonymen Meldesystems verpflichtend vorsehen.     

Unternehmen sollten bei der Umsetzung des Gesetzes keine Zeit verlieren

Haufe Online-Redaktion: Unternehmen, die gegen interne Whistleblower vorgehen, riskieren maximal ein Bußgeld in Höhe von 100.000 Euro. Ist das – man denke an ein Unternehmen wie Wirecard – nicht zu wenig angesichts der finanziellen Möglichkeiten großer Konzerne?

Byers: In § 40 Abs. 2 des Regierungsentwurfs ist vorgesehen, dass ein Bußgeld in Höhe von bis zu 100.000 Euro demjenigen droht, der eine Meldung oder die darauffolgende Kommunikation verhindert bzw. dies versucht. Ein gleicher Bußgeldrahmen gilt, wenn eine unberechtigte Repressalie gegen den Hinweisgeber ergriffen wird oder eine Verletzung des Vertraulichkeitsgebot stattfindet. Daneben ist ein Bußgeld in Höhe von bis zu 20.000 Euro vorgesehen, wenn ein internes Meldesystem nicht eingerichtet oder nicht betrieben wird. Die in dem Regierungsentwurf genannten Bußgelder mögen auf den ersten Blick gering wirken. Allerdings verweist § 40 Abs. 5 des Gesetzesentwurfs auf die Anwendbarkeit von §§ 30, 130 OWiG. Durch den Verweis auf diese Normen können Unternehmen mit einer Geldbuße sanktioniert werden, wenn eine Leitungsperson gegen die Regelungen des Hinweisgeberschutzgesetzes verstößt. Durch § 30 OWiG ist es möglich, dass bei gravierenden Verstößen die Höchstgrenze für Geldbußen verzehnfacht werden kann. Dies würde dann einem Maximalbußgeldrahmen von 1.000.000 Euro entsprechen. Auf diese Weise kann eine gewisse abschreckende Wirkung erzielt werden.

Weiter darf man nicht vergessen, dass das Hinweisgeberschutzgesetz nur Verstöße gegen eine nicht ordnungsgemäße Einrichtung des Meldesystems und einen rechtswidrigen Umgang mit Meldungen sanktioniert. Der Rechtsverstoß, der durch den Hinweisgeber gemeldet wird, hat sein eigenes Sanktionsregime und kann empfindliche Bußgelder vorsehen (z.B. bei Kartellrechtsverletzungen oder DSGVO-Verstößen). Unternehmen sind gut beraten, ein funktionierendes Hinweisgebersystem – unabhängig von dem Bußgeldrahmen des Hinweisgeberschutzgesetzes – einzurichten. Dadurch wird die Aufdeckung von Rechtsverstößen erleichtert und Compliance-Risiken, die erhebliche rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen können, wirkungsvoll minimiert.

Weiter darf man nicht vergessen, dass das Hinweisgeberschutzgesetz nur Verstöße gegen eine nicht ordnungsgemäße Einrichtung des Meldesystems und einen rechtswidrigen Umgang mit Meldungen sanktioniert. Der Rechtsverstoß, der durch den Hinweisgeber gemeldet wird, hat sein eigenes Sanktionsregime und kann empfindliche Bußgelder vorsehen (z.B. bei Kartellrechtsverletzungen oder DSGVO-Verstößen). - Pjilipp Byers

Haufe Online-Redaktion: Was müssen Arbeitgeber jetzt konkret tun, um die Vorgaben des Gesetzes umzusetzen?

Byers: Unternehmen, die mindestens 50 Mitarbeiter beschäftigen und damit unter das Hinweisgeberschutzgesetz fallen werden, sollten sich bereits jetzt eindringlich mit dem Gesetzesentwurf auseinandersetzen. Das Hinweisgeberschutzgesetz wird schon drei Monate nach Verkündung und damit wohl spätestens Anfang des Jahres 2023 in Kraft treten. Zwar soll für Unternehmen, die zwischen 50 und 249 Arbeitnehmer beschäftigen, noch eine "Schonfrist" hinsichtlich der Umsetzung bis zum 17. Dezember 2023 bestehen. Die Umsetzung des Hinweisgeberschutzgesetzes ist aber komplex, sodass entsprechende Vorbereitungshandlungen sehr zeitnah eingeleitet werden sollten. Unternehmen mit mindestens 250 Arbeitnehmern müssen dagegen sofort handeln, da für sie das Gesetz mit Inkrafttreten gelten wird.

Insbesondere sollte bereits jetzt damit begonnen werden, eine interne Meldestelle im Unternehmen einzurichten. In Konzernstrukturen kann überlegt werden, ob eine konzernweite zentrale Meldestelle errichtet wird, da dies das Hinweisgeberschutzgesetz – trotz geäußerter europarechtlicher Bedenken – ermöglicht. Ebenfalls müssen klare Vorgaben im Unternehmen erlassen werden, wie man verfahrenstechnisch mit Meldungen des Hinweisgebers umgeht. Sollte bereits eine Meldestelle und Vorgaben bzgl. des Umgangs mit Meldungen im Unternehmen bestehen, muss geprüft werden, ob diese im Einklang mit den Regelungen des Hinweisgeberschutzgesetzes stehen. In Unternehmen mit Betriebsrat ist regelmäßig ein längerer Vorlauf einzuplanen. Dem Betriebsrat stehen bei der Ausgestaltung des Hinweisgebersystems Mitbestimmungsrechte zu, sodass die Betriebsparteien hier eine Betriebsvereinbarung abzuschließen haben.

Dr. Philipp Byers ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei Watson Farley & Williams LLP, München.


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Schlagworte zum Thema:  Whistleblowing, EU-Richtlinie, Gesetz, Compliance