EuGH: Bezahlter Urlaub auch nach dem Tod
Bislang war die Richtung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) bei der Vererblichkeit von Urlaubsansprüchen klar: Stirbt ein Arbeitnehmer und endet dadurch das Arbeitsverhältnis, so verwirkt auch der Urlaubsanspruch des Mitarbeiters. Der Urlaub, den der Verstorbene bis zu seinem Tod nicht angetreten hatte, ist also regelmäßig verfallen – ohne finanziellen Ausgleich.
Eine Wandlung des Urlaubsanspruchs in einen sogenannten Abgeltungsanspruch nach § 7 Abs. 4 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) kam nicht infrage. Unternehmen mussten den Erben der verstorbenen Mitarbeiter den noch ausstehenden Resturlaub nicht abgelten.
EuGH: Bezahlter Jahresurlaub auch für Erben
Diesem Ergebnis widerspricht nun der Europäische Gerichtshof (EuGH). Die Richter stellten fest: Das Unionsrecht steht einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten entgegen, die für den Fall des Todes des Arbeitnehmers die Abgeltung für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub ausschließen (Rechtssache C-118/13). Die bisherige Praxis des BAG in diesen Fällen scheint also nicht mit EU-Recht vereinbar.
In der Begründung stützt sich der Gerichtshof auf den Grundsatz der praktischen Wirksamkeit ("Effet Utile"). Der hier maßgebliche Begriff des bezahlten Jahresurlaubs in der europäischen Richtlinie 2003/88 bedeute, dass für die Dauer des Jahresurlaubs das Entgelt des Arbeitnehmers fortzuzahlen sei, stellten die Richter des EuGH fest. "Schließlich erweist sich ein finanzieller Ausgleich, wenn das Arbeitsverhältnis durch den Tod des Arbeitnehmers geendet hat, als unerlässlich, um die praktische Wirksamkeit des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub sicherzustellen, der dem Arbeitnehmer nach der Richtlinie 2003/88 zusteht." Letztlich darf also der unwägbare Eintritt des Todes des Arbeitnehmers nicht rückwirkend zum vollständigen Verlust des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub führen.
BAG: Urlaub als höchstpersönlicher Anspruch
Noch im Jahr 2011 hatte dies das BAG anders entschieden (Urteil vom 20.9.2011 - Az. 9 AZR 416/10). Das höchste deutsche Arbeitsgericht begründete dies damit, dass mit dem Tod einerseits die höchstpersönlichen Leistungspflichten untergehen, andererseits aber auch die von der Arbeitspflicht befreienden Ansprüche – wie eben beispielsweise der Urlaubsanspruch. Der Zweck der Urlaubsabgeltung knüpfe an die Person des Arbeitnehmers an.
Das Entstehen des Anspruchs setze daher voraus, dass die Abgeltung noch (zu Lebzeiten) der Person des ausscheidenden Arbeitnehmers zukommen kann, argumentierten die Bundesrichter 2011. Nur wenn der Arbeitnehmer also verstirbt, nachdem er aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden ist, fällt der Abgeltungsanspruch in den Nachlass.
Konkreter Fall: Über 140 Urlaubstage noch offen
Zumindest für den konkreten Fall hegte das LAG Hamm an dieser Rechtsprechung offensichtlich Zweifel. Die Landesrichter hatten beim EuGH angefragt und dessen Entscheidung ausgelöst. Im konkreten Fall vor dem LAG Hamm ging es um einen Mitarbeiter, der von 1998 bis zu seinem Tod im November 2010 bei einem deutschen Unternehmen beschäftigt war. Die Zweifel der Landesrichter beruhten eventuell auch auf der Tatsache, dass der Mitarbeiter von 2009 bis zu seinem Tod aufgrund einer schweren Erkrankung mit Unterbrechungen arbeitsunfähig war. Bis er starb hatte er 140,5 Tage offenen Jahresurlaub angehäuft.
Die Witwe des Arbeitnehmers forderte nun vom Arbeitgeber, den nicht genommenen Jahresurlaub abzugelten. Das Unternehmen wies die Forderung zurück und äußerte Zweifel an der Vererbbarkeit einer Abgeltung. Mit der jetzigen Entscheidung des EuGH dürften nun die Chancen der Witwe, Geld für die noch offenen Urlaubsansprüche zu erhalten, erheblich gestiegen sein. Ob jedoch der gesamte noch offene Urlaub tatsächlich abzugelten ist, muss nun das LAG entscheiden.
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