Sabine. Nein, nicht die Kollegin aus der Nachbarabteilung. Wir sprechen vom Sturmtief um den 10. Februar 2020. Danach häuften sich wieder Anfragen der Art "Wenn ich nicht zur Arbeit kommen kann, dann bekomme ich das doch trotzdem bezahlt, oder?" Nun, so einfach ist das nicht.
Ich erinnere mich an eine Anfrage, die ich vor einigen Jahren (so etwas wird wegen des Klimawandels immer seltener) bekam: "Es hat stark geschneit, die Straßen sind nicht geräumt, ich komme nicht zu meiner Arbeitsstätte. Wie ist das denn mit bezahlter Freistellung?“. Nun, so einfach ist das nicht.
Corona (nein, nicht die Biermarke) allüberall und es dauert nicht lange, bis der erste Mitarbeiter sich überlegt, ob er nicht einen wertvollen Beitrag für das betriebliche Gesundheitsmanagement leisten kann, indem er tatkräftig mithilft, tückische Ansteckungsketten zu unterbrechen: "Ein Kollege von mir kommt gerade aus Mailand ins Büro zurück. Da bleibe ich besser mal zuhause!". Ein Fall für bezahlte Freistellung? Nun, so einfach ist das nicht.
Freistellung oder nicht, bezahlt oder unbezahlt: "Es kommt darauf an"
Die (bezahlte) Freistellung hat ihre Tücken. Geregelt ist sie in § 616 BGB. Bezahlte Freistellung gibt es, wenn der Arbeitnehmer "für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Dienstleistung verhindert wird". Oft ist die Freistellung von Beschäftigten tarifvertraglich geregelt – und das ist dann abschließend, heißt: Was nicht im Tarifvertrag steht, führt auch nicht zu einer (bezahlten) Freistellung. Gut, häufig genug finden wir dort die Formulierung: "Wenn der Arbeitnehmer wegen höherer Gewalt seine Arbeit nicht aufnehmen kann" oder ähnlich. Also: Was ist höhere Gewalt? Und wann ist sie vergütungspflichtig?
Vom Fluch rechtzeitiger Nachrichten, …
Ich komme auf die Fälle oben zurück. Zunächst: Sabine. Nun, unglücklicherweise ist "Sabine" bereits frühzeitig mit genügend Vorlauf angekündigt worden. Samstag und Sonntag standen den Arbeitnehmern zur Verfügung, um sich um ein Zugticket im Nahverkehr (ich weiß, der Fernverkehr wurde gestoppt) zu kümmern, um Fahrgemeinschaften zu organisieren, um den Wecker zu stellen und früher loszufahren (und in der Folge pünktlich zur Arbeit zu kommen). Denn, Entschuldigung, wer lesen kann ist klar im Vorteil: § 616 Abs. 1 BGB endet mit den Worten "ohne sein Verschulden an der Dienstleistung verhindert wird".
Wenn allgemein bekannt ist, dass ein Sturm kommt, muss man sich darauf einrichten. Bezahlte Freistellung? Nein.
… vom Glück des Schneefalls im Juli …
Nun, der Schneefall. Ja, unerwarteter Schneefall kann höhere Gewalt darstellen. Wenn im Juli in Mitteleuropa, ohne dass die Nachrichtensender zuvor davor warnen, ein, zwei Meter Schnee fallen, dann kommt keiner mehr durch.
Aber es ist etwas anderes, wenn es im Februar schneit, die Räumfahrzeuge nicht losfahren (weil der Bürgermeister meinte, die Umrüstung auf Schneepflug lohne sich nicht, weil es - der Klimawandel lässt grüßen - sicher wieder nicht schneie) und ich dann morgens mit meinen Sommerreifen den Anstieg mit sieben Prozent Steigung nicht hochkomme. Nein, das ist keine höhere Gewalt, wie man es auch dreht und wendet. Warum keine Winterreifen? Sollte man im Winter nicht immer mit Schnee rechnen und etwas eher losfahren? Wenn man die gewohnte Strecke mit siebenprozentiger Steigung nicht hochkommt, hat man auch eine andere Strecke versucht? Und warum bleibe ich dann zu Hause und versuche es zwei, drei Stunden später, wenn der Schnee endlich geräumt oder weggetaut ist, nicht noch einmal? Bezahlte Freistellung? Nein.
… und des Zufalls, wie und wo das Virus (hoffentlich nicht) zuschlägt
Corona. Das ist schon ein anderes Thema. Was mich dabei wundert ist, dass man putzmunter und angstfrei zu Fastnachtsveranstaltungen gepilgert ist, aber nun im Einzelfall allerhöchste Besorgnis walten lässt. Aber das ist (nur) eine Glaubwürdigkeitsfrage. Wichtig ist, dass wir es hier mit mehreren verschiedenen Ebenen zu tun haben.
Erster Fall: Wegen Corona kann im Betrieb nicht gearbeitet werden. Entweder sind notwendige Zulieferungen ausgeblieben, oder aber – hoffentlich tritt das nicht ein – große Teile der Belegschaft fehlen, sodass nicht sinnvoll gearbeitet werden kann. Die Betriebsrisikolehre sagt uns dann, dass der Arbeitgeber den Ausfall zu zahlen hat, wenn er aufgrund dessen die Arbeitnehmer nach Hause schicken muss. Das kann dann ein Fall für Kurzarbeit sein, für Festsetzung einer Betriebsruhe mit Urlaub, vielleicht auch für Abbau von Gleitzeitguthaben etc. – je nachdem, wie man sich mit der Belegschaft und/oder dem Betriebsrat einigen kann.
Zweiter Fall: Es gibt eine behördliche Quarantäne-Anordnung. Dann sollte man das Infektionsschutzgesetz kennen. Danach erhält der Arbeitnehmer in diesem Fall eine Leistung vergleichbar der Vergütung bei Arbeitsunfähigkeit – und der Arbeitgeber hat einen Erstattungsanspruch gegenüber der Behörde. Aber Achtung, das ist innerdeutsches Recht – wer im Ausland in Quarantäne "festgehalten" wird, für den gilt das nicht. Hier können wir von höherer Gewalt sprechen – mit dem kleinen Haken, dass die meisten Tarifverträge hier Entgeltzahlung maximal für einen Tag gewähren.
Dritter Fall: Der Mitarbeiter soll ins Ausland reisen. In eine Region die als Viren-Krisenregion bekannt ist. Hier wird es schon schwieriger: Einen Freistellungsanspruch hat der Arbeitnehmer auf keinen Fall. Muss er reisen? Nun, wenn der Chef uneinsichtig ist, hilft § 275 BGB weiter. Der Arbeitnehmer "kann die Leistung verweigern, wenn ….. sie ihm unter Abwägung des seiner Leistung entgegenstehenden Hindernisses mit dem Leistungsinteresse des Gläubigers nicht zugemutet werden kann". Ich denke, hier gibt es klare und weniger klare Fälle. Das Elternteil eines Kleinkindes (die besonders anfällig scheinen, bei Infektion auch tatsächlich zu erkranken) wird wohl ein überwiegendes Interesse daran haben, nicht "mit dem Virus im Gepäck" wieder nach Hause zu kommen und das eigene Kind anzustecken – ja, da sehe ich ein Leistungsverweigerungsrecht. Bei anderen Beschäftigten wird die Interessenabwägung zumindest schwieriger sein (was nicht heißen soll, dass ein vernünftiger Chef vielleicht versuchen sollte, die Dienstreise zu verhindern – jenseits von rechtlichen Fragestellungen). Der Haken: Es gibt keine Vergütung im Fall der berechtigen "Arbeitsverweigerung" - § 326 BGB!
Eindeutig ist nur (mein) letzter Fall, die Erkrankung am Virus - ohne Tätigkeitsverbot oder Quarantäne-Anordnung durch das Gesundheitsamt. Da ist allen klar: Sechs Wochen Entgeltfortzahlung, danach Krankengeld. Rechtlich der einfachste Fall.
Und das Fazit?
Was zeigt uns das? Man hat's nicht leicht. Die "Freistellungsmaterie" ist schwer zu durchblicken – das zeigen schon die wenigen genannten Beispiele. Für beide Seiten übrigens, Arbeitgeber wie Arbeitnehmer. "Überzieht" der Arbeitnehmer, kann er schon mal eine Abmahnung riskieren. Und der Arbeitgeber weiß auch oft nicht, wie er reagieren muss oder kann, wo er Zahlungen leisten muss und wo er sich diese gegebenenfalls erstatten lassen kann (es gibt beispielsweise im Katastrophendienst noch einige Erstattungsoptionen).
Der Auftrag an den Gesetzgeber? Macht es einfacher! Nicht an unzähligen Stellen Erstattungsansprüche, die keiner kennt und die höchst unterschiedlich ausgestaltet sind, sondern eine einzige Regelung. Ideal wäre, wenn nicht der Arbeitgeber in Vorleistung treten müsste, sondern der Arbeitnehmer bei einer einzigen (!) Stelle, etwa der Bundeagentur, seine Vergütung geltend machen könnte (die diese dann von den unterschiedlichsten Behörden wieder erstattet bekommt). Höre ich da "das ist zu aufwändig für die BA"? Ja, das mag sein; aber ist es für den Arbeitgeber etwa einfacher …???
Unser Kolumnist Alexander R. Zumkeller, Präsident des Bundesverbands der Arbeitsrechtler in Unternehmen (BVAU), blickt in seiner Kolumne aus der Unternehmenspraxis auf arbeitsrechtliche Themen und Trends.
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