Sie kennen diese Kleinstwagen, die schon mit dem"S"-Führerschein ab 16 Jahren gefahren werden dürfen? Sogenannte "Leicht-Kraftfahrzeuge": Die Höchstgeschwindigkeit ist 45 km/h (also mit Toleranz bergab wohl 50 km/h). Damit fahren Sie dann mal in die Stadt und passieren das Ortsschild (korrekt "Verkehrszeichen Zeichen Nr. 310") und wissen, dass Sie nun höchstens 50 km/h fahren dürfen. Kaum dahinter ist ein Tempolimit ("Zeichen 274 Geschwindigkeitsbegrenzung") mit 50 km/h Höchstgeschwindigkeit. Dahinter kommt ein Blitzer ("Einseitensensor S3"), und ein Streifenwagen fährt hinter Ihnen her ("Geschwindigkeitskontrolle durch Nachfahren"). Außerdem verordnet Ihnen (noch nicht) der Bundesverkehrsminister einen Fahrtenschreiber.
Das "Gesetz für mehr Lohngleichheit" – nichts als ein Leicht-Kraftfahrzeug
Was das mit Arbeitsrecht zu tun hat? Nun, die Parallele zum "Leicht-Kraftfahrzeug" fiel mir ein, als ich den Referentenentwurf des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) "für mehr Lohngleichheit zwischen Frauen und Männern" in die Hand bekommen habe. Auch hier soll wohl das Motto gelten: mehrfach hält besser.
Die Ähnlichkeit der Leicht-Fahrzeug-Geschichte mit der Lohngleichheit fängt mit dem Allgemeinen Gleichheitssatz aus Artikel 3 Grundgesetz an (Ortsschild) und führt sich mit Artikel 21 der EU-Grundrechts-Charta (Tempo-50-Schild) fort. Außerdem haben wir natürlich Tarifbindung (das "Leicht-Kraftfahrzeug"), §§ 2, 3 und 7 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (der Blitzer) sowie §13 ff AGG (der hinterherfahrende Streifenwagen). Nicht zu vergessen: §§ 75, 80 Betriebsverfassungsgesetz (der Fahrtenschreiber).
Nun muss die Analogie zum Verkehrsfall leider aufhören, denn die Regierung hat nun noch etwas Zusätzliches im Petto: das Lohngerechtigkeitsgesetz. Und so unbedeutende Regelungen wie ILO-Konventionen und UN-Charta habe ich nicht mal aufgeführt.
Keine Ungleichbehandlung, keine Prüfverfahren?
Daher die Highlights des Entwurfs in Kürze: Für gleiche oder gleichwertige Arbeit darf nicht "wegen des Geschlechts" unterschiedliches Entgelt bezahlt werden. Der Grundsatz ist hehr, nachvollziehbar, und in Ordnung. Ungleiche Vergütung für vergleichbare Arbeit, das geht gar nicht.
Jedoch: Offenbar reichen dem BMFSFJ nicht das AGG mit seinen Ansprüchen, die Rechtsprechung des EuGH zur mittelbaren Diskriminierung oder auch die Tarifverträge die heute in keinem Fall mehr zwischen Frauen und Männern differenzieren. Nicht zu vergessen der Betriebsrat, der dazu, zur Eingruppierung oder zu den Entlohnungsgrundsätzen mitbestimmt. Das BMFSFJ stellt alle Betriebsräte unter Generalverdacht des Zusammenwirkens mit dem Arbeitgeber, Lohndiskriminierung zu betreiben. Auch eine Sichtweise…
Und in der Betriebspraxis zumindest größerer Unternehmen ist alles aus vielen Gründen längst umgesetzt. Prüfverfahren sieht der Entwurf aber nur für Betriebe ab 500 Beschäftigten vor. Passt das wirklich?
Lohngleichheit für gleichwertige Tätigkeit
Ein weiterer Inhalt des Entwurfs: Weibliche und männliche Beschäftigte üben eine vergleichbare Tätigkeit aus, wenn "unter Zugrundelegung einer Gesamtheit von Faktoren, wie Art der Arbeit, Ausbildungsanforderungen, Arbeitsbedingungen" sie als gleichwertig angesehen werden können.
Wieder einmal Dank an den Gesetzgeber dafür, eine Legaldefinition zu normieren – also zumindest, es zu versuchen. Nochmals langsam: Eine Arbeit ist vergleichbar, wenn sie als gleichwertig angesehen werden kann. So genau wollten wir es gar nicht wissen. Wäre da nicht der Hinweis – übrigens nichts anderes als die Spiegelung der meisten Entgelttarifverträge – sinnvoller, dass unter Beachtung summarisch oder analytisch anerkannter Arbeitsbewertungsmethoden die Vergleichbarkeit evaluiert werden soll?
Prüfverfahren: Vergleichbare Beschäftigtengruppen bilden
Werfen wir nochmals einen genaueren Blick auf die bereits genannten Prüfverfahren: Laut Entwurf sind Arbeitgeber verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Dies gilt als erfüllt wenn ein "betriebliches Prüfverfahren", das zertifiziert ist, eingeführt ist.
Prüfverfahren sind immer aufwändig. Die Referenten des BMFSFJ stellen sich wohl vor, man drückt aufs Knöpfchen, und dann hat man alle erforderlichen Grunddaten. Das ist leider ein wenig naiv: In meinem Unternehmen zum Beispiel gibt es die sogenannten "ERA-Beschreibungen", die Bezeichnung aus dem "SV-Tätigkeitsschlüssel", eine Bezeichnung aus dem unternehmensinternen "Job Catalogue", eine Berufsbezeichnung, eine Tätigkeitsbezeichnung, und eine für die Visitenkarte.
Klingt das gut? Das einzig für diese Zwecke valide Kriterium ist wohl die ERA-Bezeichnung. Die anderen sind zu pauschal ("juristischer Mitarbeiter", "HR Specialist" – dahinter stecken sehr, sehr unterschiedliche Tätigkeiten) oder zu beliebig (während ich zum Beispiel nur "Head" bin, darf sich ein Kollege, der eines geringeren Grades sogar "Director" nennen). Wohl also dem Unternehmen, das wenigstens die tarifliche Eingruppierung als System hat. Bisher gab es allerdings keinen Zwang, einen Tarifvertrag anzuwenden (Tariffreiheit nannte man das). Folgt nun durch die Hintertür doch eine Zwangseinführung?
Diskriminierung verantwortlich für die Entgeltlücke?
Eine weitere Vorgabe aus dem Entwurf: Beim Prüfverfahren sind valide statistische Methoden anzuwenden. Das findet jeder gut, klar. Aber warum soll die Praxis valide Methoden anwenden, wenn das BMFSFJ zur Begründung des Entwurfs andere Methoden anwendet?
Der Gesetzesentwurf begründet seine Erforderlichkeit mit dem sogenannten "Gender Gap". Ja, das ist sicher richtig, dass das durchschnittliche Stundenentgelt eine Lücke aufweist. Das BMFSFJ gibt diese mit 22 Prozent an. Aber die Conclusio, dass dies mit Lohndiskriminierung zu begründen sei, ist nicht einmal vermeintlich logisch. Ja, es werden auch "rollenstereotypische Berufswahlen" genannt. Ja, das ist der Ansatzpunkt: an den Ursachen, nicht an den Symptomen kurieren. Wann endlich kommen diskriminierungsfreie Schulbücher? Wann endlich macht der Staat "typische Frauenberufe" multi-gender-tauglich?
Auskunftsanspruch der Arbeitnehmer
Ein weiterer wichtiger Baustein des Entwurfs: Beschäftigte können Auskunft verlangen. Das Auskunftsersuchen ist denklogisch richtig und der Entwurf sieht diesen Anspruch nur alle zwei Jahre vor. Das ist zu begrüßen. Der "statistische Median einer Gruppe von mindestens fünf" Andersgeschlechtlichen ist zu nennen. Leider lässt der Entwurf offen, was passiert, wenn es keine fünf gibt. Oder wenn der Arbeitgeber das nur meint.
Die "Kriterien und Verfahren" für die Entgeltfestlegung müssen ebenso mitgeteilt werden. Ein Unternehmen kann damit lahmgelegt werden: Ich schätze einmal den Aufwand pro Person – sehr niedrig – mit 30 Minuten ein. Bei 500 Beschäftigten sind das 250 Stunden. Bei einer 35-Stunden-Woche sind das rund acht Wochen Dauerarbeit. Der Haken? Die Frist für den Arbeitgeber beträgt einen Monat. Wenn also bei Inkrafttreten des Gesetzes alle Beschäftigten gleichzeitig … aber so weit wollen wir gar nicht denken. Schließlich – und das ist gut – reicht bei tarifgebundenen Unternehmen der Hinweis auf den Tarifvertrag aus.
Allerdings: Achtung Gesetzgeber, bitte zu Ende denken: Für außertariflich Beschäftigte gibt es häufig Systeme, die durch Betriebsvereinbarung festgelegt sind – diese sollten ebenfalls ausreichen. Insofern die Bitte: nachbessern.
Entgeltgleichheit als verkappte Frauenförderung?
Wenn dann alles geprüft ist, sollen Unternehmen einen Bericht über Frauenförderung erstellen. Ist das nun die Katze, die aus dem Sack gelassen wird? Das Gesetz heißt doch "Entgeltgleichheit", nicht "Frauenförderung"? Und was ist mit benachteiligten Männern? Mit Verlaub, diese Mogelpackung ist unseriös. Woran liegt es eigentlich, dass man kaum anderes vermutet hatte?
So ganz nebenbei halte ich das für einen Rückschritt. Es hat lange genug gedauert, bis die Geschlechtsbezeichnungen aus den Bewerbungsverfahren herausgenommen wurden. Eigentlich hätte ich erwartet, dass es in diese Richtung weitergeht – aber weit gefehlt.
Erleichterungen für den öffentlichen Dienst
"Honi soit qui mal y pense": schon wieder. Ein Teil des Folterkabinetts gilt (wieder einmal) nicht für den öffentlichen Dienst. Das Besoldungsrecht sei transparent genug, so die Begründung. Ah ja. Haben Sie da schon mal einen Blick reingeworfen?
Fazit: Alles bringt – Rechtsvereinfachung
"Das Gesetz dient der Rechtsvereinfachung" ist schon eine kühne Behauptung der Begründer im Kapitel "Gesetzesfolgen". In der Wirtschaft entstünden "keine Mehrkosten". Und das gewerkschaftliche Argument der Kaufkraft wird schließlich auch noch verwendet: Die "Stärkung der Kaufkraft der Frauen" werde gefördert und das BIP werde wachsen. Irrtum – selbst, wenn es zu Entgeltanpassungen kommen wird: Jeder Euro kann nur einmal ausgegeben werden.
Also: alles keine leichte Kost. Auf Diät setzt uns der Gesetzgeber damit nicht. Einen internationalen Wettbewerbsvorteil schafft er damit voraussichtlich auch nicht. Aber das ist dann auch schon egal, denn das Arbeitslosengeld beachtet sicher das Gleichheitsgebot. Oder etwa nicht?
Alexander R. Zumkeller, Präsident des
Bundesverbands der Arbeitsrechtler in Unternehmen (BvAU), blickt in seiner Kolumne aus der Unternehmenspraxis auf arbeitsrechtliche Themen und Trends.