Das liest man – egal ob Arbeitnehmer oder Arbeitgeber – gern: Die Regelungen zum Mutterschutzgesetz (MuSchG) sollen besser strukturiert und übersichtlicher gestaltet werden, Orientierung bei der praxisgerechten Umsetzung bieten und die Rechtsanwendung erleichtern. Und: Durch die One-in-One-Out-Regelung entfallen Bürokratieaufwendungen in Höhe von 780.000 Euro pro Jahr.
Sozialpolitisch wohl unangreifbar, aber praktisch in der Umsetzung?
Vieles an den Regelungen im Entwurf ist sozialpolitisch sicher nicht verfehlt. Allenfalls wünscht man sich als Arbeitsrechtspraktiker Antworten, ja, auf ganz praktische Fragen.
Nehmen wir etwa diese: Wie stellt sich der Gesetzgeber eigentlich das mit der Freistellung für Stillzeiten konkret vor? Mittlerweile sind doch – anders als in den 1950er Jahren, aus denen das MuSchG stammt, will man die Reichsgewerbeordnung als Vorläufer unbeachtet lassen – die Arbeitsplätze weiter vom Kind entfernt, als dass das Stillen in 90 Minuten erfolgen könnte. Schließlich liegen laut Statista mehr als 50 Prozent der Arbeitsplätze mehr als zehn Kilometer, rund 24 Prozent sogar mehr 25 Kilometer vom Wohnort entfernt.
Oder: So vernünftig es auch sein mag, die Geltung des MuSchG auf Frauen in Ausbildung und Praktikum, Schülerinnen und Studentinnen zu erstrecken, so sehr werden sie sich die Frage stellen, inwieweit sie ihre Ausbildung in der vorgesehenen Zeit schaffen werden. Wenngleich für Schülerinnen und Studentinnen das nachgelagerte Beschäftigungsverbot von einem absoluten zum relativen wurde – auf Wunsch sollen sie „tätig“ werden können: Es ermangelt einer solchen Ausnahmemöglichkeit bei Praktikantinnen, die dann ihre Zeiten gegebenenfalls nicht zusammenbekommen und zu Prüfungen nicht zugelassen werden.
Und nun: die Rechnung mit der Entlastung
Kopfzerbrechen wird der präventive – und dann folgende obligatorische – Mutterschutz am Arbeitsplatz bereiten. Oder besser gesagt: Ich suche hier immer noch krampfhaft nach der versprochenen Entlastung…
Zunächst ist präventiv jeder Arbeitsplatz innerhalb der Gefährdungsbeurteilung auf „Art, Ausmaß und Dauer zu beurteilen, denen eine schwangere oder stillende Frau … ausgesetzt … sein kann“ und sodann Art und Umfang der Schutzmaßnahmen zu beschreiben (§ 9 Abs. 1 des Entwurfs). Das ist neu. Nun rechnen wir einmal: nach der Statistik der Bundesagentur gibt es in Deutschland rund 31 Millionen Beschäftigte. Für fast alle diese Arbeitsplätze gilt diese Vorschrift. Nehmen wir die raus, für die nach § 1 ArbSchG keine Gefährdungsanalyse zu erstellen ist (Hausangestellte, Seeschiffe). Um einfach kulant zu sein und schön rechnen zu können runden wir also auf 20 Millionen ab – auch Richter, Beamte und Soldaten sind ja schließlich abzuziehen, § 1 Abs. 3 des Entwurfs.
Ich schätze einmal, dass für die Besonderheit der Gefahren für Schwangere und mögliche Abhilfe in vielen Bereichen „nur“ ein Kreuz auf einem Bogen machen muss („nicht betroffen“), in anderen Fällen aber durchaus länger brauchen kann. Nehmen wir im Schnitt nur eine einzige Minute an (zehn wären realistischer), dann wäre das ein Personalaufwand in Höhe von rund 160 „Mannjahre“ für die Republik (20 Millionen Arbeitsplätze mal eine Minute und 20 Millionen Minuten entsprechen etwa 333.333 Stunden, also rund 160 „Arbeitsjahre“). Bei einem Entgelt für Sicherheitsfachkräfte, das ich – erneut der Einfachheit halber – mit 50.000 Euro pro Jahr ansetze (80.000 Euro wären wohl realistischer) sind das acht Millionen Euro.
Wie war das? Der Erfüllungsaufwand wird gesenkt
Zugegeben, das sind Einmalkosten – im Wesentlichen. Nun zu den laufenden Kosten: Denn „sobald eine Frau … schwanger ist … hat der Arbeitgeber die Gefährdungsbeurteilung … unverzüglich zu konkretisieren“, § 9 Abs. 2 des Entwurfs. Leider habe ich keine Statistik hierzu gefunden, also schätze ich wieder großzügig: Bei zirka 72 Prozent Frauenbeschäftigung und 714.000 Geburten entfallen rund 500.000 Schwangere auf zu prüfende Arbeitsplätze. Auch hier wieder der Ansatz von oben: Lassen Sie uns also nur eine Minute brauchen (das wird nicht reichen: nein, nein, nein!!!), haben wir Bedarf für rund vier „Mannjahre“ (ohne Urlaub und bei 40 Stunden gerechnet), entsprechend also 200.000 Euro jährlichem Zusatzaufwand. Realistischer ist wohl eine Millionen.
Entlastungen durch MuSchG: die Rechnung der Bundesregierung
Die Bundesregierung geht von Personalkosten von 4,60 Euro je Fall aus. Das ist etwa das Elffache meines Ansatzes. Denn: Eine gesonderte Dokumentation der Beurteilung der Arbeitsbedingungen entfällt, wenn eine besondere Gefährdung für Schwangere nicht zu erwarten ist (§ 13 des Entwurfs). Das treffe für 68.000 Arbeitsplätze zu und entlaste um Personalkosten von 315.000 Euro – nur Personalkosten.
Also doch eine Entlastung? Saldiert man meine Zahlen mit denen der Bundesregierung, ergibt sich aber nicht wirklich eine „Null“ … Selbst wenn man die im Einzelnen noch zusammengescharrten weitere Kleinersparnisse bei den Personalkosten addiert, kommt die Bundesregierung nur auf 540.000 Euro.
Mutterschutz: Wenn schon, denn schon…
Ich höre jetzt schon Stimmen die rufen: „Das müssen unsere Schwangeren uns Wert sein!“. Die Antwort hierauf ist klar: Natürlich, wenn das so gewollt ist. Dann muss das jedoch auch so gesagt werden. Punktum.
Und wenn es eine gesellschaftliche Aufgabe ist, könnte man auch die Frage stellen, warum sie einseitig die Arbeitgeber trifft. Und: Wo bleibt die Entlastung, das Beschäftigungsverbot, die Gefährdungsbeurteilung für all diejenigen werdenden Mütter, die nicht bei Arbeitgebern beschäftigt sind – also etwa im Haushalt …
Randbemerkung: Selbstverständlichkeit als Entlastung
Wenig tröstlich ist, dass im Jahr 2016 der Gesetzgeber dann noch eine weitere „Entlastung“ beschreibt: das MuSchG kann künftig auch in Textfassung, also über das Internet, zur Verfügung gestellt werden. Eine Selbstverständlichkeit, bezüglich derer der deutsche Gesetzgeber eher noch im Mittelalter weilt. Da ist es längst Zeit, klarzumachen, dass das für jedes „aushangpflichtige“ Gesetz gilt.
Und nicht zuletzt: Man würde sich schon auch wünschen, dass im Anwendungsbereich nicht wieder zu finden ist: „Dieses Gesetz gilt nicht für Beamte, Richter und Soldaten“.
Alexander R. Zumkeller, Präsident des
Bundesverbands der Arbeitsrechtler in Unternehmen (BvAU), blickt in seiner Kolumne aus der Unternehmenspraxis auf arbeitsrechtliche Themen und Trends.