Die Landesgrenzen wurden geschlossen. Es brauchte einen triftigen Grund – zum Beispiel einen Arbeitsplatz in Deutschland – um noch einreisen zu dürfen. Sofort haben die Kommunen "Passierscheine" entwickelt, die aufwändig ausgefüllt und bestätigt werden mussten. Natürlich jedes Dorf mit seinem eigenen Muster! Das ist Kleinstföderalismus wie zu Goethes Zeiten. Erst vier Tage später hatte die Bundespolizei ein Einsehen und gab ein bundesweites Muster heraus.
In den Kita- oder Schulnotdienst werden nur Kinder aufgenommen, deren Eltern in einem systemrelevanten Wirtschaftszweig beschäftigt sind. Auch hier wieder: Jedes Dorf hat seine eigene Regelung.
Wöchentliche Änderungen einer Vielzahl von Gesetzen
Man nehme die Entgeltfortzahlung für Eltern, deren Kinder nicht in die Kita oder die Schule können nach § 56 InfSchG. Erst gab es sie gar nicht, dann für sechs Wochen und nun vielleicht doch noch länger. Ähnlich bei der Kurzarbeit. Erst der erleichterte Zugang, dann die verlängerte Höchstdauer mit 21 oder 24 Monaten (genau festgelegt scheint man sich noch nicht zu haben), Erhöhung von 60/67 Prozent nach ein paar Monaten auf 70/77 Prozent beziehungsweise ab dem 7. Monat auf 80/87 Prozent (befristet bis 31.12.2020), Nichtberücksichtigung beim Elterngeld … Gefühlt jede Woche eine neue Regelung.
Alles gut, aber…
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Alle diese Regelungen sind richtig und gut. Trotzdem sei ein "Aber" erlaubt.
Aber: Sie verursachen einen ungemeinen administrativen Aufwand. Ein Formular, das gestern aktuell war, ist morgen nichts mehr wert. Der Mittelständler wundert sich und füllt händisch eben ein neues Formular aus. Der Großbetrieb implementiert mit viel Aufwand das Formular in sein IT-System, um dann wieder von vorne anfangen zu müssen. Hätte man bei hinreichend besonnener Vorgehensweise nicht gleich auf die gute Idee kommen können, einheitliche Formulare bereitzustellen? Die Antwort mag ja sein, dass wir ein Föderalstaat sind. Zweifellos richtig, aber heißt das nicht, dass man sich dennoch einigen kann? Und notabene, selbst innerhalb der Bundesländer gibt es keine Einheitlichkeit!
Aber: Die Regelungen verursachen eine dramatische Ungleichbehandlung. Kurzarbeit trifft nicht jeden sofort. Soll ein Beschäftigter von der 80/87-Prozent-Regelung Nutzen ziehen, muss er im siebten Monat Kurzarbeit sein. Politisch ist das nicht unklug, denn sehr populär einerseits, kaum Kosten verursachend andererseits, wird die Regelung nur eine sehr geringe Anzahl Beschäftigter betreffen. Nur wer im Juni schon in Kurzarbeit war, kann daran teilhaben und dann auch nur noch für einen Monat. Sicher, viele Betriebe sind seit März in Kurzarbeit. Wo aber beispielsweise noch Vorprodukte und Kunden vorhanden waren, gehen Betriebe erst jetzt oder vielleicht erst nächsten Monat in Kurzarbeit. Warum werden den in solchen Betrieben betroffenen Beschäftigten die erhöhten Leistungen letztlich verwehrt?
Aber: Auch an anderer Stelle führen die Bestimmungen zu Ungleichbehandlung. Ja, es ist richtig, dass ich Leistungen der Bundesagentur nur beziehen kann, wenn und soweit ich auch eingezahlt habe. Es ist an sich also folgerichtig, wenn Kurzarbeitergeld nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze gezahlt wird. Aber es ist doch längst klar, dass nicht die Bundesagentur für Arbeit die Kosten (vollständig) übernimmt, sondern der Steuerzahler. Ist dann die Aufrechterhaltung der Leistungen bis maximal zur Beitragsbemessungsgrenze noch haltbar?
Der Aktionismus des Gesetzgebers verunsichert
Solche Regelungen verunsichern ungemein. Wissen die Beschäftigten, was mit den erhöhten Kurzarbeitergeldern später wirklich passiert, wenn die Steuererklärung ansteht? Der Progressionsvorbehalt wird etliche, die dann nachträglich Steuern zahlen müssen, kalt erwischen.
Sich auf Änderungen der Änderung einstellen zu wollen, gelingt kaum. Hatte man früher in Betriebsvereinbarungen hin und wieder noch hineinformuliert, dass bei "gesetzlichen Änderungen die Betriebsvereinbarung entsprechend angepasst" werden solle, so ist es heute fast schon ein Kunstfehler, eine Betriebsvereinbarung in diesem Bereich für länger als 14 Tage abzuschließen, denn niemand weiß, was kommt. Auch die 14-Tage-Frist rettet nicht – der Gesetzgeber erlässt derzeit Gesetze auch gerne mal mit Rückwirkung.
Gutes Handwerk sieht anders aus
Die Situation ist äußerst schwierig, soviel ist klar. Dennoch kommt einem das gesetzgeberische Handeln aktionistisch und wenig geplant vor. Egal, ob Sie einen Schrank zimmern, einen Kuchen backen oder was immer auch Sie herstellen wollen, würden Sie es machen wie der Gesetzgeber, würde nichts daraus. Das ist schade, denn letztlich handelt es sich ja durchweg um sinnvolle, zu befürwortende Maßnahmen!
Das dicke Ende kommt noch
Aber das Schwierigste kommt noch. Ich habe schon weiter vorne getönt, jetzt erst kämen viele Betriebe mit Kurzarbeit nach. Nicht wegen Corona, sondern wegen der dadurch ausgelösten Folgen. Wenn alles schiefläuft und wir eine zweite "Corona-Welle" bekommen sollten, weil zu früh zu viel Freizügigkeit gewährt wurde, werden wir verschiedene Kurzarbeiten nebeneinander haben. Gelten dann wirklich unterschiedliche Voraussetzungen und Regelungen?
Das werden nicht nur die Kollegen in den Unternehmen nicht mehr hinbekommen. Da werden die vielen Mitarbeiter in den Leistungsabteilungen der Bundesagentur auch (und noch mehr) ins Straucheln kommen. Womöglich steht uns ein heißer Herbst bevor.
Unser Kolumnist Alexander R. Zumkeller, Präsident des Bundesverbands der Arbeitsrechtler in Unternehmen (BVAU), blickt in seiner Kolumne aus der Unternehmenspraxis auf arbeitsrechtliche Themen und Trends.