In der Lücke steckt die Tücke


Kolumne: Übernahme von Verwarnungsgeldern durch Arbeitgeber

Arbeitsrechtler müssen auch "Fallen" kennen, die in anderen Rechtsgebieten lauern. Unser Kolumnist Alexander R. Zumkeller wagt einen Blick hinüber ins Steuerrecht und macht deutlich, welche arbeitsrechtlichen Probleme an steuerrechtliche Fallgestaltungen geknüpft sein können.

Beschäftigungsverhältnisse stellen den Arbeitsrechtler mitunter auch in anderen Rechtsgebieten vor knifflige Herausforderungen. Besonders "gefahrgeneigt" ist dabei etwa das Sozialversicherungsrecht – welche Folgen auf das Arbeitslosengeld hat ein Aufhebungsvertrag? Oder das Gesellschaftsrecht: Wie läuft das mit der Unternehmensmitbestimmung in einem Konzern? Besonders beliebt: Das Steuerrecht!

Eine ganz typische Thematik des Steuerrechts ist natürlich das Entgelt des Beschäftigten. Das kennen wir. Die Steueroptimierung bei Abfindungen – da wird es schon schwieriger, denn neben Fünftelungsprinzip, Hartz-IV-Optimierung und Kirchensteuererlass gibt es da noch ein halbes Dutzend andere Themen. Benefits – oder auch Sozialleistungen genannt – sind ebenfalls sehr tricky, aber auch dafür hat der Arbeitsrechtler noch ein bestimmtes Bewusstsein. Nicht zu vergessen der Dienstwagen – klar, sofort fällt uns der geldwerte Vorteil ein.

Außergewöhnlicher Aufwendungsersatz

Doch nähern wir uns nun einer Entscheidung, die zwar vom Bundesfinanzhof kommt (BFH, Urteil vom 13.08.2020, Az. VI R 1/17), aber die der Arbeitsrechtler durchaus kennen sollte:

Klar, ein Mitarbeiter, der für den Arbeitgeber Aufwendungen tätigt, hat nach §§ 675, 670 BGB Anspruch auf Aufwendungsersatz. Der Arbeitgeber kann allerdings regeln, für welche Aufwendungen welche Regelungen gelten – häufig wird das in der Praxis für Dienstreisen getan: Hier und da findet man entweder eine Hotelliste oder einen festgesetzten Maximalbetrag pro Übernachtung, vielfach finden sich Regeln zur Nutzung von Bahn (2. Klasse …) oder ab bestimmten Entfernungen des Flugzeugs (Billigairline, Economy …). Wir kennen Regeln für die Erstattung von Kilometergeld bei Nutzung eines Privatfahrzeugs – zumeist der steuerlich erstattbare Satz von 0,3 Euro pro Kilometer (Achtung! Schwierig wird´s, wenn ein Unfall verursacht wird: Hier beteiligt sich der Arbeitgeber auch fast immer zu einem ganz erheblichen Teil, es sei denn, er zahlt zu der Kilometerpauschale noch eine – dann steuerpflichtige – Haftungspauschale, die auch zur teilweisen Abdeckung einer Vollkasko gedacht ist. Den Schaden allerdings könnte er steuerfrei ersetzen).

Das alles ist dem Arbeitsrechtler zum Thema Aufwendungsersatz geläufig. In diesem neuen Urteil aber hatte das höchste deutsche Finanzgericht etwas ganz anderes zu entscheiden, was ich bislang nicht für möglich angesehen hatte: Der Arbeitgeber erstattete "Knöllchen".

Übernahme von Verwarnungsgeldern als geldwerter Vorteil?

Ja, richtig gelesen: Der Arbeitgeber aus dem Logistikbereich zahlt Verwarnungsgelder, die von den Fahrern bei der Paketzustellung in den Fällen erhoben werden, in denen sie halten müssen (wo sie nicht halten dürfen) um die Pakete zustellen zu können. Die Vorinstanz hatte geurteilt, dass diese Zahlungen nicht als geldwerter Vorteil zu werten seien, da ja der Halter (auch) direkt hafte – der Arbeitgeber habe also seine eigene Verbindlichkeit beglichen.

Der BFH hat die Angelegenheit zurückverwiesen. "Das FG wird deshalb im zweiten Rechtsgang erneut zu prüfen haben, ob und wenn ja in welcher Höhe der Klägerin wegen der von ihren Fahrern unstreitig begangenen Parkverstöße ein (vertraglicher oder gesetzlicher) Regressanspruch gegen den jeweiligen Verursacher zusteht." Steht dem Arbeitgeber ein Regressanspruch wegen der Begleichung der Strafzettel gegen die Parksünder zu, dann könnte in der Übernahme der Verwarnungsgelder durch den Arbeitgeber durchaus ein geldwerter Vorteil für die Arbeitnehmer vorliegen – denn "ein rechtswidriges Tun (hier die von den Arbeitnehmern entgegen der geltenden StVO begangenen Parkverstöße) kann keine beachtliche Grundlage einer […] betriebsfunktionalen Zielsetzung sein". Also warten wir auf die zweite Runde.

Weitergedacht: Was, wenn nun auch noch die SV kommt?

Aber als Arbeitsrechtler fragen wir natürlich sofort weiter: Haben die Beschäftigten, die die Knöllchen bisher bezahlt bekommen haben, einen Anspruch auf weitere Bezahlung aus betrieblicher Übung? Der Sachverhalt, den der BFH uns gibt, lässt leider offen, ob ein Freiwilligkeitsvorbehalt ausgesprochen wurde. Wenn nein, ist wohl schon eine betriebliche Übung entstanden. Und es wird noch interessanter: Erstreckt sich die betriebliche Übung auf die steuerfreie Erstattung? Wenn ja, müsste der Arbeitgeber – wenn das FG im zweiten Lauf nun doch auf das Vorliegen eines geldwerten Vorteils entscheidet – auch die Steuer übernehmen (was dann ein erstens administrativ aufwändiges und zweitens nicht mehr so preisgünstiges Vergnügen wird).

Um dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen, kann man weiter überlegen, wie es aussieht, wenn nun auch noch die Sozialversicherung (SV) kommt (eigentlich seltsam, dass der Fall vor einem Finanzgericht gelandet ist, zumeist stößt bei Betriebsprüfungen die SV doch vor der Steuer auf solche Zahlungen)? Das wird teuer, tritt doch hier erst nach vier Jahren Verjährung ein (und der Arbeitgeber könnte sich bei den Beschäftigten den Arbeitnehmeranteil nur für die letzten drei Monate zurückholen).

Und wollen wir den Betriebsrat nicht vergessen: Hier läge doch mitbestimmungsrechtlich ganz offenbar ein Fall des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG vor, wird doch der Begriff der "betrieblichen Lohngestaltung" von der Rechtsprechung recht weit gefasst. Ja, der Arbeitgeber ist frei in der Bestimmung des Personenkreises, des Dotierungsrahmens und des Dotierungszwecks, aber angesichts unterschiedlicher möglicher Park- und Halteverstöße gibt es hier durchaus Raum für Mitbestimmung!

Nicht zu vergessen der Aspekt der Gleichbehandlung: Im entschiedenen Fall haben nur Paketzusteller, nicht aber andere Besitzer von Dienstfahrzeugen, diese Erstattung erhalten; kann die "betriebsfunktionale Zielsetzung" wirklich ein sachlicher Differenzierungsgrund sein? Da könnte das Finanzgericht nochmal drüber nachdenken, dann wäre womöglich auch der Differenzierungsgrund weg.

Der Arbeitsrechtler als Trüffelschwein

Was lernen wir daraus? Erstens: die Tücke steckt in der Lücke; meine Frau hat eine Zeitschrift abonniert, in der es auf einer Seite – die für Kinder (vermutlich mag ich diese Seite deshalb so gerne) – heißt: "Wer findet die Maus"? Ja, eine solche Seite ist wie für Arbeitsrechtler gemacht, ein guter Arbeitsrechtler ist immer auch ein wenig wie ein Trüffelschwein! Zweitens: Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Das heißt: An Freiwilligkeitsvorbehalte denken oder gleich eine Betriebsvereinbarung abschließen; die versichert zwar nicht gegen Nachzahlungen bei Steuer und SV, aber man kann mit ihr die Zahlungen für die Zukunft ausschließen!


Unser Kolumnist Alexander R. Zumkeller, Präsident des Bundesverbands der Arbeitsrechtler in Unternehmen (BVAU), blickt in seiner Kolumne aus der Unternehmenspraxis auf arbeitsrechtliche Themen und Trends.